40. Enttäuschung
40. ENTTÄUSCHUNG
Nach der Beltane Feier war das Leben im Reservat wieder geradezu ruhig. Aber die Ruhe passte Emily ausnahmsweise mal ganz gut, denn sie versuchte sich immer noch an der Meditation. Sie hatte bisher nur noch nicht die nötige Tiefenentspannung erreicht um eine Verbindung zu ihrem Bruder aufbauen zu können.
Jeden Abend setzte Emily sich auf ihr Bett oder machte es sich auf dem Teppich bequem und versuchte sich zu entspannen. Aber nicht zu sehr, denn es war ihr auch schon oft genug passiert, dass sie eingeschlafen war. Es half auch nicht, dass Rumänien Großbritannien zwei Stunden voraus war, so dass sie ihre Meditationsversuche mitten in der Nacht machen musste, wenn sie sichergehen wollte, dass Harry auch schlief.
Da der nächste Vollmond immer näher rückte, fand Emily sowieso immer schlechter in der Schlaf. Da konnte sie die Zeit auch für weitere Meditationen nutzen. Leise schlich Emily sich in die Küche um sich noch eine Tasse Tee zu kochen. Vielleicht half das ja.
Mit der Tasse Kräutertee machte Emily es sich wieder auf ihrem Bett bequem. Der warme Dampf und der schwache Geruch von Kamille und Salbei halfen ihr sich zu entspannen. In der anderen Hand hielt sie ihren Zauberstab lose umklammert, sie hoffte, dass der Zauberstab helfen würde sich zu konzentrieren und ihre Magie zu verstärken und zu fokussieren.
Emily schloß die Augen und holte noch einmal tief Luft. Gedanken hüpften und sprangen durch ihren Kopf: Dinge, die sie noch für Sirje erledigen wollte, alle Namen der Drachenarten, die im Reservat beheimatet waren, der Speiseplan für die nächste Woche in der Halle.
Leise fluchend, schüttelte Emily ihren Kopf, als ob sie so die Gedanken wieder vertreiben konnte. Einer nach dem Anderen schob sie jeden einzelnen Strang an Gedanken beiseite und verbarg sie in den Tiefen ihres Bewusstseins. Zur Sicherheit stellte sie sich noch riesige Eichentüren vor, die die störenden Gedanken aufhalten sollten.
Sie versuchte sich daran zu erinnern, was für eine Traumwelt sie aufgebaut hatte, als sie das erste Mal mit Harry so in Verbindung getreten war. Eine grüne Wiese im Sommer, so wie der Garten des Fuchsbaus oder die weiten Ländereien von Hogwarts. Strich für Strich malte sie das Bild in ihren Gedanken, das Gras, der blaue Himmel, die lange Reihe von Bäumen, die sich im Wind bewegten.
Jeder Pinselstrich ließ eine tiefe Ruhe in Emily aufsteigen, ihre Brust hob und sank im Takt ihrer Bewegungen. Alles andere um sie herum verschwand, bis sie sich selbst auf der Wiese stehend, vorfand. Sie konnte das Gras unter ihren Füßen spüren und den Wind auf ihren Armen. Sogar ihre Haare waren nicht so widerspenstig wie sonst und lösten sich nicht aus dem Zopf. Wenn Emily einen Beweis gebraucht hätte, dass dies nicht echt war, dann wäre es der.
Nun fehlte nur noch ihr Bruder.
Emily legte eine Hand auf ihr Herz und richtete ihre Aufmerksamkeit nach innen und begann nach der Verbindung zu Harry zu suchen. Sie wusste dass es die Verbindung gab, doch niemals zuvor hatte sie aktiv danach gesucht, versucht sie zu sehen. Emily keuchte auf. Da war sie, das Band zwischen ihnen, die Verbindung zwischen den Zwillingen. Nexum inter geminos.
Es war ein hauchfeiner Strang, nur auf dem ersten Blick aus purem Licht, das leise im Rhythmus ihres Herzens pulsierte. Doch Emily sah genauer hin und erkannte das strahlende Gold, das tiefe Grün das mit dem Licht verwoben war. Rote und schwarze Flecken glimmerten. Feine Fasern in einem Grün, dass Emily an den Todesfluch erinnerte, der die Verbindung zwischen Harry und ihr geschmiedet hatte. Das Band leuchtete, glänzte und wand sich durch die Schwärze.
Es war wunderbar, erschreckend und einfach magisch.
Emily fand einfach kein anderes Wort um die Verbindung zu beschreiben.
Das Band erzählte seine eigene Geschichte, ihre Geschichte. Von zerrissenen Familien, Leid, gebunden in Liebe. Von Feuer, heiß und kalt, von wilden Flügen unter freien Himmel. Von Abenteuer und Lachen. Es war der Geschmack von Butterbier in den Drei Besen und die Aufregung von begangenen Missetaten.
Emily schnürte es die Kehle zu. Harry mochte vielleicht ein Idiot sein, aber er war immer noch ihr Bruder. Ihr war nicht bewusst gewesen, wie sehr sie Harry vermisst hatte, versteckt unter all dem leichtherzigen Gerede. "Harry", schrie sie in die Dunkelheit hinein.
Die Welt herum sie verwirbelte zu dunklen Schlieren und schien sie tiefer hineinzuziehen. Emily wurde herumgeschleudert, nur um dann hart auf dem Boden zu landen. Da war immer noch Gras unter ihren Füßen, doch es war nicht mehr ihre Welt, so viel konnte sie erkennen. Emily streckte die Hand nach ihrem Zauberstab aus, doch sie fasste ins Leere. Anscheinend konnte sie ihren Zauberstab nicht in die Traumwelt mitnehmen. Vorsichtig rappelte sie sich wieder auf und sah sich irritiert um. Warum stand sie nun auf dem Quidditchfeld in Hogwarts?
"Emily?", fragte eine entsetzte Stimme hinter ihr. "Was machst du in meinem Traum?"
"Dein Traum?" Emily wirbelte herum. "Eigentlich haben wir in meinem angefangen." Sie grinste ihren Bruder an.
Harry stand in seiner Quidditchuniform vor ihr, das Abzeichen glänzte in der Sonne und er hatte seinen Feuerblitz in der einen Hand.
"Hat Gryffindor überhaupt eine Chance den Pokal dieses Jahr zu gewinnen?" Emily deutete auf den Quidditchpokal in Harrys anderer Hand. "Ich hoffe, du hast McLaggen wenigstens gefeuert."
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, waren Besen und Pokal auch schon aus Harrys Händen verschwunden. "Äh ja. Was hast du sonst noch gesehen?"
Emily sah Harry neugierig an. "Hätte ich was sehen sollen?" Schnell schüttelte sie ihren Kopf. "Sag es mir lieber nicht. Ich will gar nicht wissen, was in deinem Traum noch vorkam. Wenn ich wüsste, wie man anklopft, dann hätte ich es getan. Sorry. Eigentlich hatte ich vor, dass wir uns auf neutralem Grund treffen."
Harry wurde rot, doch er fing sich schnell wieder. "Warum treffen wir uns überhaupt?"
"Weil du ein sturer Idiot bist", antwortete Emily. "Und mir nichts erzählt. Von deinem Unfall habe ich erst durch die Kopfschmerzen erfahren. Weil du mich seit Weihnachten nur mit kurzen Nachrichten abspeist. Ich will nur wissen wie es dir geht."
"Du erzählst auch nie was." Harry verschränkte die Arme vor der Brust.
"Weil auch nichts los ist." Emily verdrehte die Augen. Gut, vielleicht war sie in dem Punkt auch etwas harsch zu Harry, aber sie konnte ihm schlecht von Lilium erzählen. "Ich kann dir aber gerne von den ganzen Aufsätzen erzählen, die ich schreiben muss. Golpalotts drittes Gesetz besagt, dass-"
"Stop", rief Harry sofort. "Ich brauche nicht auch noch in meinen Träumen Zaubertränke."
"Ich mache mir nur Sorgen um dich", sagte Emily sanft. "Ich musste einfach mit dir sprechen. Das kann die Münze einfach nicht ersetzen."
Emilys Worte schienen Harry etwas zu besänftigen, denn er trat auf sie zu und nahm sie in den Arm.
Auch wenn es keine echte Umarmung war, tat es doch unendlich gut. "Frieden?", murmelte Emily.
"Frieden", erwiderte Harry als er die Umarmung löste. "Wie geht es dir?"
"Gut. Aber ich zähle die Tage bis ich wieder zu euch zurück kann", antwortete Emily und verschränkte die Arme mit Harrys. "Lass uns eine Runde gehen, ja? Ansonsten ist drüben, an dem Ort-den-ich-nicht-nennen-darf alles wie immer. Ich wurde noch nicht gefressen."
"Wie beruhigend."
Während sie über das Feld spazierten, begann Harry zu erzählen, was in den letzten Monaten passiert war. Zuerst waren es nur die kleinen Dinge, vieles davon hatte Emily bereits in den Erzählungen von Inga, Ginny oder Hermine gehört, aber sie war froh, es auch von Harry zu hören. Schweigend hörte Emily zu, wie Harry ihr von seinen Verdacht erzählte, dass Malfoy ein Todesser war, ihm aber keiner glauben wollte.
"Aufgrund der Tatsache, dass fast die gesamte Zauberererwelt davon ausgeht, dass du sie vor Voldemort retten wirst", sagte Emily "und du genauso alt bist wie Malfoy, warum sollte er dann kein Todesser sein? Er mag vielleicht der Jüngste sein, aber unterschätzen sollte man ihn nicht."
"Das versuche ich ja allen zu sagen." Harry war stehen geblieben und sah Emily verzweifelt an. "Aber keiner will mir das glauben."
"Auch nicht Dumbledore?"
"Er will mir auch nicht glauben", seufzte Harry. "Er ist der Meinung, dass Malfoy kein Problem darstellt."
"Das irritiert mich", sagte Emily langsam. "Aber ich glaube, dass Dumbledore niemals zulassen wird, dass Malfoy etwas in der Schule tun kann. So blöd kann auch er nicht sein. Aber wie läuft es mit eurem Unterricht? Was hast du noch gelernt?"
Harry verzog das Gesicht. "Ich kann dir das nicht erzählen, Emily."
"Du kannst oder du willst nicht?" Emily war stehen geblieben und betrachtete Harry forschend.
"Emily." Harry sah mit einem Mal müde und abgekämpft aus, viel älter als seine sechzehn Jahre. "Das ist sehr gefährliches Wissen."
Die Luft zwischen den beiden flimmerte und verwischte.
"Das ist mir egal", rief Emily, während sie versuchte die Verbindung wieder zu stabilisieren. "Bitte sag es mir, dann kann ich dir helfen."
"Nein, Emily." Harry schüttelte den Kopf. Die Traumwelt um sie herum versank in Dunkelheit. "Ich kann dir das nicht erzählen. Ich werde es nicht."
Emily streckte die Hand nach Harry aus, doch sie erwischte nur Luft. "Ich will dir doch nur helfen."
"Bitte frag nicht mehr danach, ja?" Harry schloss die Augen und verschwand.
"Du bist ein Idiot, Harry Potter", schrie Emily in die Dunkelheit. Ruckartig wurde sie aus der Traumwelt gerissen. "Du bist ein Idiot", flüsterte Emily in die Stille ihres Zimmers. "So ein Idiot."
***
Emily verfiel in einen unruhigen Schlaf, gefüllt von wunderlichen Träumen. Sie rannte und rannte und doch konnte sie ihr Ziel nicht erreichen, dabei wusste sie nicht einmal was ihr Ziel überhaupt war. Sie war in den Gängen von Hogwarts, am Ufer des Schwarzen Sees und in den Wälder der Karpaten.
Da war brennendes Feuer, in ihr und um sie herum. Der Vollmond leuchtete hell über ihr, sein Licht genauso stechend wie das Feuer.
Das Heulen eines Wolfes klingelte in Emilys Ohren, als sie keuchend aufwachte. Der Schlafanzug klebte ihr am Rücken und ihre Decke hatte sie schon längst weggestrampelt. Ihr Herz schlug hart gegen ihre Rippen, während Emily verzweifelt versuchte sich zu beruhigen.
Zitternd lag Emily in ihrem Bett. Albträume waren ihr nicht unbekannt, doch so schlimm wie in dieser Nacht war es noch nie gewesen. Dieses rohe Gefühl von Terror hatte sie gepackt und nicht wieder los gelassen. Sie hatte immer noch den Geruch des Feuers in der Nase. Am liebsten hätte sie sich jetzt unter die Dusche gestellt um die Überreste des Albtraumes von sich zu waschen. Doch ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie damit vermutlich nur Sirje aus deren wohlverdienten Schlaf reißen würde.
Scheinbar war Emily direkt von der Traumwelt in den Albtraum gestürzt, kaum dass Harry so energisch die Verbindung zwischen ihnen gekappt hatte. Aber das war ja die nächste Frage. Was verbarg Harry vor Emily? Was wollte Harry ihr nicht sagen?
Dass er ihr nicht alles über die Münze erzählen wollte, dass verstand Emily ja noch ein wenig. Aber dass er sich so offen weigerte ihr etwas zu erzählen? Selbst an Weihnachten hatte sie ihm die ganze Geschichte mit Dumbledores Unterricht und was er dort lernte, aus der Nase ziehen können.
Leider wusste sie auch, dass weder Hermine noch Ron ihr etwas erzählen würde, wenn sie fragte. Beide waren so unglaublich loyal gegenüber Harry. Was ja auch gut war. Aber in diesem Moment, verfluchte Emily es. Sie wollte Harry doch nur helfen, auch wenn sie genau wusste, wie stur ihr Bruder sein konnte.
Schlaf fand Emily in dieser Nacht keinen mehr. Und auch in den folgenden Nächten beherrschten Albträume Emilys Schlaf. Trotzdem versuchte sich Emily abzulenken, sei es mit Arbeit oder dem sinnlosen Versuch sich auszupowern. Außer Muskelkater und Seitenstechen hatte das ganze nicht viel gebracht.
Andauernd knurrte ihr Magen. Sirje wunderte sich schon, warum Emily beim Essen immer so zulangte und doch nie satt zu sein schien. Sie stellte Emily nur stillschweigend einen weiteren vollen Teller hin, den Emily dankbar und doch ein wenig schuldbewusst annahm.
Doch ihr Schuldbewusstsein reicht nicht weit genug, als dass sie nicht doch immer in der Halle auftauchte um bei Sergio und Jolene noch eine Resteportion abzustauben. Im Gegensatz zu Sirje, gab es bei ihnen nämlich oft Fleisch. Und Fleisch war genau das, was Emily essen wollte. Auch wenn sie sich ein bisschen vor sich selbst ekelte.
Aber sie war zu schwach um dem Drängen ihres Körpers zu widerstehen.
Die Nächte in den Karpaten waren auch im Mai gefühlt nicht viel kürzer als im Winter. Der Vollmond stand bereits am späten Nachmittag am Himmel. Jedes Mal wenn Emilys Blick auf den Mond fiel, wollte sie ihn böse anknurren. Doch sie konnte sich gerade noch beherrschen und beschränkte sich auf böse Blicke.
Sie musste immer wieder an Remus denken und schalt sich dann dafür, dass sie sich so selbst bemitleidete. Immerhin musste sie sich nicht in jeder Vollmondnacht verwandeln, sondern die schlimmsten Symptome waren ihr unbändiger Hunger und die Rastlosigkeit, die sie ergriff. Mit den Narben auf ihrem Rücken konnte sie ebenfalls leben, auch wenn diese nie ganz verheilen würden.
Sirje hatte in dieser Vollmondnacht Dienst auf der Krankenstation, was Emily ganz Recht war. So musste Sirje nicht ihre schlechte Laune ertragen. Sie machte sich das Essen warm, was Sirje ihr in den Kühlschrank gestellt hatte. Wie immer reichte ihr das Essen kaum. Aber in die Halle wollte sie jetzt auch nicht mehr gehen, also verkroch sie sich lieber in ihrem Zimmer.
Die Bücher hatten inzwischen keinen Platz mehr in ihrem Regal und stapelten sich jetzt schon auf der Kommode und unter dem Fenster. Leider wurden die Stapel auch schon besorgniserregend hoch. Aber Remus schickte ihr jeden Monat neue Bücher, auch die anderen gaben ihr immer wieder neue Bücher. Sogar Lasse hat ihr das verlorene Buch wiedergegeben, aber auch nur als Charlie nicht hingesehen hatte. Er hatte kein Wort darüber verloren, dass Inga ihr die Bücher geschickt haben musste.
Das Silberlicht des Vollmondes fiel nun auch durch das schmale Fenster ihrer Kammer. Emily hatte mal wieder vergessen die Vorhänge vorzuziehen. Genervt pfefferte sie ihr Buch zu Boden, was dazu führte, dass der nächste Stapel an Bücher krachend zusammen brach und sich auf dem Boden verteilte.
In ihrem Kopf ertönte eine Stimme, die sie ermahnte nicht so mit den Büchern umzugehen, da diese nichts für ihren Zustand konnten. Die Stimme hörte sich an wie eine Mischung aus Hermine und Ms. Pince, der Bibliothekarin von Hogwarts.
Toll, eine weitere Sache, an die Emily überhaupt nicht denken wollte. Heimweh und Sehnsucht waren ganz schlechte Gefühle für eine Vollmondnacht. Die zu Boden gefallenen Bücher räumte sie trotzdem nicht auf, sie hatte das Gefühl, dass es nicht der einzige Stapel sein würde, der in dieser Nacht zu Boden ging.
Wenn sie selbst nicht vorher zu Boden ging.
Emily hatte sich vorgenommen, dass sie diese Nacht ohne Schlaftrunk auskommen würde. Sirje hatte sie gewarnt, dass sie diesen speziellen Trank nicht zu oft nehmen durfte, denn zu den Zutaten gehörte Schlafmohn. Und Schlafmohn konnte süchtig machen, da es zu den Opiaten gehörte.
Aber so oft hatte sie den Trank ja bisher auch nicht genommen. In den meisten Nächten konnte sie ja auch ohne den Trank einschlafen, nur halt zum Vollmond nicht. Da war es ja dann wohl auch ganz legitim, wenn sie den Trank nahm, oder? Der Schlafmangel war sicherlich gefährlicher. Und ihre schlechte Laune auch. Für sie selbst und alle anderen außen herum.
Diese Nacht wollte sie es aber mal ohne probieren. Das würde Sirje beruhigen. Außerdem hatte Emily nur noch eine halbe Phiole Schlaftrank übrig. Das musste für eine schlimmere Nacht reichen. Und das war nicht heute. Sagte sie sich zumindest immer wieder vor.
Dafür schloß sie endlich die Vorhänge vor ihrem Fenster, doch das Mondlicht fand trotzdem einen Weg vorbei und erleuchtete ihr Zimmer taghell. Je näher der Vollmond rückte, desto lichtempfindlicher wurden Emilys Augen, sie konnte problemlos nachts sehen. Sie brauchte nicht einmal die Nachtsicht-Zauber, die Yuna ihr beigebracht hatte.
Nicht, dass sie jemanden davon erzählt hatte. Der Wolf in ihr war ganz allein ihr Problem. Sie musste damit alleine klar kommen.
Emily verließ ihr Zimmer. Sie hatte schon wieder Hunger und sie wusste genau wo Sirje die Schokolade aufbewahrte. Vielleicht half ja etwas Süßes. Auf bloßen Sohlen tigerte sie in die Küche und durchsuchte den Küchenschrank. Ganz hinten fand sie die Blechdose mit den Süßigkeiten. Gierig riss sie den Deckel auf, beinahe hätte sie ihn sogar ganz abgerissen. Doch ihr blickten nur ein paar wenige Bonbons entgegen. Dennoch klaubte sie die Bonbons hervor und ließ die Dose dann auf der Arbeitsplatte stehen. Sie wickelte das Papier von den Bonbons ab und schmiss sich gleich zwei auf einmal in den Mund.
Es war zwar keine Schokolade, aber besser als nichts. Während sie auf den Zitronenbonbons herum lutschte, lief sie in der Küche auf und ab. Emily und Sirje hatten morgens neue Kräuter zum Trocknen an den Balken aufgehängt, der angenehme Geruch beruhigte Emily etwas.
Um sich abzulenken, begann Emily die Kräuter in Gedanken aufzuzählen: Liebstöckel. Belladonna. Diptam. Basilikum. Silberlindenkraut. Eisenhut. Ingwerblätter. Kiemenkraut. Und gleich noch einmal: Liebstöckel. Belladonna. Diptam. Basilikum. Silberlindenkraut. Eisenhut. Ingwerblätter. Kiemenkraut.
Doch nach gefühlten zehn Wiederholungen waren die Bonbons alle und die beruhigende Wirkung der Kräuter wieder verflogen. Emily warf einen Blick auf die Küchenuhr und stöhnte auf. Es war erst halb neun. Der Vollmond würde noch bis mindestens sieben oder acht Uhr in der Früh am Himmel stehen.
Missmutig stopfte sie ihre Hände in die Taschen ihrer Schlafanzughose und ging wieder zurück in ihre Kammer. Emily ließ sich auf ihr Bett fallen. Auf Lesen hatte sie keine Lust und für die Arbeit für Lilium hatte sie wirklich keine Konzentration.
Vielleicht würde es ihr helfen, etwas zu malen? Nein, sie würde nur mit dem Stift Löcher ins Papier bohren, aber nichts Vernünftiges zu Stande bringen. Da verkroch sie sich lieber im Bett. Sie zog das dicke Federbett bis über ihren Kopf, nur um Sekunden später sich wieder frei zu strampeln. Es war einfach zu heiß.
Emily schmiss sich auf den Bauch und zog sich das Kissen über den Kopf. Wenn sie den Mond nicht sehen konnte, dann ging er vielleicht weg. Im gleichen Moment schalt sie sich für diese kindischen Gedanken.
Denk an Remus, denk an Remus, denk an Remus.
Aber Gedanken an Remus führten zu Gedanken an Sirius führten zu Gedanken an vergangene Nächte als sie noch ihre richtige Animagusform hatte.
Und das waren noch schlimmere Gedanken als an Hogwarts. Wut stieg in ihr auf. Hass auf Greyback. An das was ihr genommen wurde. Womit sie jetzt leben musste. Emily vergrub ihr Gesicht in der Matratze und schrie ihre Wut hinaus. Gut, dass niemand hier war.
Doch ihre Wut konnte immer noch nicht ihre Rastlosigkeit überdecken. Sie zog das Kissen weg und setzte sich auf. Das brachte hier alles immer noch Nichts. So würde sie niemals in den Schlaf finden. Ein Blick auf ihren Wecker verriet ihr, dass es erst neun war. Die Nacht würde niemals enden.
Auf der Kommode stand noch die Kiste, in der Inga die Bücher verschickt hatte. Emily nutze sie nun um wichtige Sachen aufzubewahren, denn die Passwort-Sicherung war immer noch aktiv. Zu diesen wichtigen Sachen gehörte auch die halbe Phiole Schlaftrunk.
Emily legte den Kopf schief. Sollte sie? Nein. Sie hatte sich vorgenommen es diese Nacht ohne zu schaffen.
Aber es war kaum abends und sie wurde jetzt schon wahnsinnig. Nein. Sie würde stark bleiben.
Emily nahm irgendein Buch vom nächsten Stapel und schlug es einfach auf. Doch sie blickte nicht auf die Seiten, sondern starrte weiter auf die Kiste. Nein, nein, nein. Sie würde sich den Gedanken einfach aus dem Kopf schlagen.
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Buch vor ihr und drehte es erstmal wieder richtig herum. Doch auch das half ihr nicht sich auf das Lesen zu konzentrieren. Die letzten Bücher, die sie so unaufmerksam gelesen hatte, waren die von Lockhart gewesen.
Die Kiste war schon etwas verführerisch. Vor allem wenn das Mondlicht direkt auf sie fiel. Emily stand auf und rannte praktisch zu ihrer Kommode. Sie hatte die Hand schon um ihren Zauberstab geschlossen, als sie zurück schrak. Nein, sie würde das nicht tun.
Ohne die Kiste aus den Augen zu lassen, bewegte sie sich rückwärts zu ihrem Bett zurück und setze sich wieder. Vielleicht sollte sie einfach nur einen Schluck trinken? Dann hätte sie nicht den ganzen Schlaftrunk getrunken, aber sie würde ruhiger werden.
Ja, genau das war. Ein Schluck und dann würde sie die Nacht so überstehen. Rasch ging sie zu der Kiste zurück. Sie flüsterte das Passwort und der Deckel sprang auf. Da war sie, die Phiole mit dem violetten Trank. Ein Lächeln huschte über Emilys Gesicht.
Vorsichtig streckte sie die Hand aus und zog die Phiole hervor. Als ihre Hand auf das kühle Glas traf, durchzuckte sie der Gedanke, dass das hier keine gute Idee war, doch sie wischte ihn schnell wieder beiseite. Es war eine schlechte Idee, die Nacht so zu überstehen zu wollen. Der Schlaftrank war eine gute Idee. Er würde Emily helfen.
Aber nur ein Schluck. Das hatte sie sich vorgenommen.
Also nahm sie auch nur einen Schluck. Sie betrachtete die Phiole in ihrer Hand und nahm noch einen Schluck, bis die Phiole ganz leer. Darauf kam es auch schon nicht mehr an.
Der Schlaf umfing Emily mit gierigen Händen und zog sie hinab in die dunklen Tiefen. Emily stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ sich treiben. Pure Erleichterung, federleicht und doch mit bitterem Geschmack behaftet, breitete sich in ihrem Körper aus. Doch der Schlaftrank hatte sie bereits zu sehr in seinen Fängen, als dass sie sich noch wehren konnte.
Mit geschlossenen Augen torkelte Emily durch ihr Zimmer und ließ sich auf ihr Bett fallen. Noch bevor sie die Decke über sich ziehen konnte, war sie eingeschlafen.
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