23. Der Wolf in mir
"Ich verwandle mich in einen Wolf?", fragte Emily ungläubig. "Aber es war doch kein Vollmond?"
Remus seufzte. "Was Sirius meint, ist dass deine Animagusform nun eine Wölfin ist, keine Löwin mehr. Du bist kein Werwolf, zumindest kein voller. Nicht wie ich."
Emily und Sirius zuckten bei dem bitteren Unterton in Remus letzten Worten zusammen. "Dass du ein Werwolf bist, bedeutet gar nichts", antwortet Sirius entschlossen, die grauen Augen blitzten wütend auf, als ob er dies schon hunderte und abertausende Mal gesagt hatte.
"Aber es geht hier um dich, Emily." Remus ignorierte Sirius Einwand. "Wie du bereits sagtest, war kein Vollmond als Greyback dich angegriffen hat, deshalb bist du kein richtiger Werwolf. Doch durch sein Blut und seinen Speichel konnte er dich mit dem Virus der Lykanthropie infizieren, dass heißt, dass du einige Symptome aufweisen wirst. Zum Beispiel Unruhe vor dem Vollmond oder einen Hunger auf blutige Steaks."
Emily nickte. "Ja, das habe ich gemerkt. Also das mit der Unruhe. Ich konnte es kaum erwarten, dass der Vollmond endlich da ist."
"Eins der häufigsten Symptome", sagte Remus leise. "Du weißt sicherlich, dass es keine Heilung für Lykanthropie gibt?"
"Aber es gibt doch den Wolfsbanntrank?", fragte Emily.
"Auch das ist keine Heilung, er macht es nur erträglicher", erklärte Remus. "Ich behalte meinen Sinn und Verstand, während ich mich verwandle. Doch bei Menschen wie dir, wirkt der Trank natürlich nicht, da ihr euch nicht verwandelt. Du wirst dein ganzes Leben damit belastet sein."
"Remus", sagte Sirius warnend.
"Es ist okay, Remus." Emily sah ihm in die Augen. "Ich werde damit klarkommen, genauso wie du. Ich habe Glück gehabt. Ich habe es überlebt." Zumindest so gerade eben und doch schien es noch nicht vorbei zu sein. "Aber bitte, red weiter. Ich möchte alles wissen."
"In Ordnung." Remus atmete einmal tief durch. "Lykanthropie verändert, egal wann man gebissen oder angegriffen wurde, den eigenen Körper auf magischer Ebene. Muggel würden sagen, dass es Auswirkungen auf die DNA des Menschen hat. Bei dir sind es nur kleine Mutationen, bei mir zeigt sich die Lykanthropie im ganzen Körper. Das ermöglicht überhaupt erst die Verwandlung, die dann durch den Vollmond ausgelöst wird.
Wenn ein Zauberer seine Animagusverwandlung meistert, ändert sich sein Körper ebenfalls auf magischer Ebene. Da dies alles willentlich geschieht, erfolgt die Verwandlung ebenfalls willentlich und nicht durch äußere Einflüsse. In welches Tier sich der Zauberer verwandelt, hängt von ihm selbst ab, es ist eine Manifestation von sich selbst.
Der Werwolf ist die erzwungene Manifestation dieses Virus. Die beiden Verwandlungen sind sich in gewisser Weise ähnlich, aber dennoch grundverschieden."
Remus seufzte. "Jetzt kommen wir allerdings an den Punkt, an dem es kompliziert wird. Emily, du musst wissen, dass bisher so etwas nicht bekannt ist und wir eigentlich nur Vermutungen haben, wie es dazu kommen konnte. Soweit wir es wissen, bist du der einzige Animagus, der mit Lykanthropie infiziert wurde. Deine Magie hat darauf in einer Weise reagiert, die niemand vorhersehen konnte."
Emily war froh, dass sie bereits saß, sonst wäre sie vermutlich zusammengeklappt.
"Wie es scheint", fuhr Remus fort "akzeptiert ein Mensch keine zwei Änderungen auf magischer Ebene. Es scheint, als ob das Virus stärker war als deine Animagusmagie, so dass sich deine Form verändert hat."
"In einen Wolf", wisperte Emily.
"Genau." Remus nickte. "Das bedeutet nicht, dass du nicht mehr wie deine Löwin bist, sondern dass du auch eine Wölfin bist. Du bist immer noch die selbe Person wie vorher, Emily. Vergiss das nicht."
"Du bist immer noch Feuerfell", sagte Sirius. "Dein Fell hat immer noch einen Rotstich."
Emily wurde ganz still. Niemals wieder würde sie sich in ihre Löwin verwandeln können. Die Löwin, die ihr so viel Kraft und Stärke verliehen hatte. Für die sie so hart gearbeitet hatte. Sie erinnerte sich an den Stolz, als sie gesehen hatte, dass sie eine Löwin war. So mutig, so tapfer, so stark. Niemals mehr würde sie so schwach sein, wie früher sein.
Und all das bedeutete nichts mehr.
Greyback hatte ihr das genommen. Er hatte ihr einen Teil von ihr genommen.
Mit einem Mal fühlte sie sich so verletzlich wie nie zuvor. Ihr war nicht bewusst gewesen, wie viel ihr dieser Teil von ihr bedeutet hatte. Welche Sicherheit, welche Freiheit er bedeutet hatte.
Sie wollte kein Wolf sein. Nicht, weil sie etwas gegen Wölfe hatte. Sondern weil er den Verlust so deutlich machte. Er würde sie immer daran erinnern. An Greyback. Und sie wollte nicht an ihn denken, sie wollte stark sein und leben.
Und plötzlich wusste sie nicht wie.
***
Sophia holte Sirius und Remus ein paar Tage später ab, wieder trug sie die Aurorroben. Doch dieses Mal sah sie erschöpft aus und ein paar Kratzer zogen sich über ihre Wange. Sie besuchte Emily auf der Krankenstation, wo Emily immer noch lag.
Emily hatte aber bisher weder die Kraft noch die Motivation gefunden aufzustehen, sondern die Tage fast immer schlafend verbracht.
"Hallo Emily", begrüßte Sophia sie und ließ sich auf dem Besucherstuhl nieder. "Wie gehts dir?"
Langsam hasste Emily diese Frage. Es ging ihr nicht gut. "Okay", murmelte sie. "Was ist mit dir passiert?"
"Die Auroren haben eine Razzia bei bekannten Todessern durchgeführt", erklärte Sophia. "Es hat natürlich nichts gebracht, irgendjemand hat Datum und Uhrzeit verraten. Also steht das Ministerium wie ein Idiot da."
Emily sah Sophia verwundert an. Mit einer solch ausführlichen Antwort hatte sie gar nicht gerechnet.
"Nach dem letzten Jahr, haben wir beschlossen, dass ihr auch ein Recht habt, so viel wie möglich zu erfahren, was wirklich in der Zaubererwelt los ist. Wir können euch nicht alles erzählen, es gibt einige Ordensgeheimmnisse natürlich. Aber ich kann dir sagen, dass es mit Großbritannien gerade nicht zum Besten steht."
"Aber Harry - er ist in Sicherheit?", fragte Emily. "Und Inga, Ginny, Hermine und Ron? Und Leo?"
Sophia lächelte kurz. "Die sind alle sicher in Hogwarts unter Dumbledores Schutz. Dort kann ihnen nichts passieren. Harry, er wird nun von Dumbledore höchstpersönlich unterrichtet-"
"Um ihn auf den Krieg vorzubereiten, der kommt", unterbrach Emily.
"Ich hasse es, dies zu sagen, aber wir sind bereits mitten im Krieg. Der Kampf von Hogsmeade markiert nun den offiziellen Anfang des zweiten Zaubererkrieges. Das Ministerium hat nun selbst erkannt, dass Voldemort zurück ist, ist aber hoffnungslos unterlegen. Der Orden kämpft nun den Kampf, den das Ministerium kämpfen sollte." Sophia sah Emily direkt an. "Deshalb ist es auch so wichtig, dass du fürs Erste hier in Sicherheit bleibst."
"Aber in Hogwarts bin ich doch auch in Sicherheit, dass hast du selbst gesagt", erwiderte Emily hitzig.
"Nein, so habe ich das nicht gesagt. Die anderen sind dort in Sicherheit, aber nicht du. Wir haben direkte Informationen, dass Bellatrix Lestrange und Fenrir Greyback den Auftrag haben dich auszuschalten. Sobald dein Aufenthaltsort bekannt wird - und dass wird er, wenn du in Hogwarts auftauchst - werden sie sicherlich versuchen, dich erneut anzugreifen. Unabhängig davon, ob Dumbledore dich schützt oder nicht. Es ist immerhin der zweite Angriff auf dich innerhalb eines Jahres. Beide Male warst du in Hogwarts.
Als Harrys Schwester gehörst du zu den wichtigsten Figuren dieses Krieges, wir müssen dich um jeden Preis zu schützen, wenn wir eine Chance haben wollen."
Figuren. Das klang so fürchterlich grausam und kalt in Emilys Ohren. Sie zog ihre Beine an und schlang die Arme um ihre Knie, als ob ihr selbst nun kalt sei.
"Es tut mir Leid, Emily", sagte Sophia leise. "Ich weiß, dass es grausam ist. Vielleicht habe ich auch schon zu viele Schlachten geschlagen, als dass ich es noch anders sehen kann. Ich weiß, dass du nicht nur Harrys Schwester bist, sondern deine eigene Person. Aber ich hoffe so sehr dass wir diesen Krieg gewinnen, dass es manchmal nicht so einfach ist, nicht wie ein Soldat darauf zu blicken. In diesen Zeiten haben wir alle unsere Rolle." Sie nahm Emilys Hand. "Ihr seid noch jünger als wir es damals waren, aber der Krieg ist da. Um es wie Hagrid zu sagen: Da draußen braut sich ein Sturm zusammen und wir sind besser bereit, wenn er kommt."
Still betrachtete Emily Sophia. Sophia war immer noch jung, realisierte Emily, aber sie hatte so viel gesehen, so viel erlebt, dass ihre Augen so viel älter waren. Emily konnte nur erahnen, was es kostete, erneut einen Krieg zu kämpfen. Zu sehen wie Jüngere ihren Platz in den Reihen der Kämpfer einnahmen. Dass das Schicksal auf den Schultern eines sechzehnjährigen Jungen lag.
Und dass sie die Schwester dieses Jungen wars, dass ihr Verlust ihn brechen würde. Sie schuldete es ihm und all den anderen, dass sie hier blieb.
Zumindest vorerst.
Auch wenn sie es nicht wollte.
Aber es gab allen die Möglichkeit diese Sorge nicht mehr zu haben.
"Wir wollen dich alle nur beschützen", sagte Sophia. "Weil du Harrys Schwester bist und weil du uns allen ebenso wichtig bist. Keiner möchte dich verlieren, wir möchten, dass du wieder gesund wirst. Du sollst dir all die Zeit nehmen, die du brauchst."
"Es ist okay. Ich verstehe das." Emily drückte Sophias Hand. "Aber ich mag es nicht", fügte sie noch schnell hinzu.
"Ich habe nichts anderes von dir erwartet." Sophia musste schmunzeln. "Ich habe bei Sirje eine Tasche mit Kleidung von dir abgegeben. Dein Zauberstab wurde leider zerstört, aber jemand wird mit dir einen neuen besorgen."
"Was ist mit Eos?"
"Ginny und Hermine passen auf deine Eule auf. Dass muss ich dir noch sagen, du darfst nicht mit den anderen auf offiziellen Wegen kommunizieren." Sophia blickte Emily streng an. "Keine Eulenpost, keine Flohgespräche, nichts was nachverfolgt werden kann und somit deinen Aufenthaltsort verraten kann."
"Keine Briefe!" Emily setzte sich entsetzt auf.
"Es tut mir Leid, Emily", erwiderte Sophia. "Wir wollen nicht riskieren, dass dich jemand hier findet. Es ist sowieso schon ein Risiko, dass wir dich hier im Reservat unterbringen, trotz der Ordensmitglieder, die hier sind. Die andere Möglichkeit wäre nur gewesen, dich im Grimmauldplatz einzuquartieren.
Emily nickte nur. Inzwischen war ihr sowieso alles egal.
"Und wir konnten mit Dumbledore verhandeln, dass du zu Weihnachten - allerdings nur für ein paar Tage - zurück nach England kommen darfst", fuhr Sophia fort. "Charlie und andere Mitglieder des Ordens werden dich begleiten."
"Wie lange muss ich eigentlich hier bleiben?", fragte Emily.
"So lange wie nötig", erwiderte Sophia. "Und wie lange das ist, wird sich noch zeigen. Ich kann dir versprechen, dass dir hier nicht langweilig wird. Sieh es als Chance etwas zu Lernen."
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihr Gespräch. Auf Sophias Herein, steckte Remus den Kopf zur Tür hinein. "Sophia? Der Portschlüssel geht in zehn Minuten, den sollten wir nicht verpassen."
"Ihr müsst schon gehen?"
"Leider ja, Emily", sagte Remus. "Aber wir sehen uns an Weihnachten wieder. Das sind nur noch sechs Wochen."
"Genau", mischte sich nun auch Sirius ein, der hinter Remus auftauchte. "Du wirst sehen, dass die Zeit wie im Fluge vergehen wird. Wie im Drachenflug." Sirius und Emily waren die Einzigen, die dabei lachen mussten. Remus seufzte nur und Sophia verdrehte die Augen.
***
Nachdem die drei sich von Emily verabschiedet hatten und mit dem Portschlüssel abgereist waren, tauchte Sirje wieder auf. "Möchtest du erst essen oder erst ein Bad nehmen?"
"Ein Bad?", fragte Emily ungläubig.
"Klar, wenn du magst."
"Dann nehme ich ein Bad", sagte Emily eifrig. Ein Vollbad war ihr immer wie ein Luxus vorgekommen, nachdem sie das bei den Dursleys nie durften und sie in Hogwarts kein Vertrauensschüler gewesen war. Und es war genauso himmlisch, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sirje gab diverse Kräuter und Öle in das heiße, dampfende Wasser und ließ Emily dann alleine. In einer Ecke spielte ein altes Radio, dass auf einen rumänischen Sender eingestellt war und von dem sie nichts verstand, aber das machte nichts.
Mit einem Seufzer ließ Emily sich in das Wasser gleiten und schloss die Augen. Die Hitze und die Kräuter wirkten Wunder für ihren geschundenen Körper. So viel Ruhe hatte sie schon lange nicht mehr empfunden. Fast wäre sie erneut eingeschlafen, doch sie begann mit einem Waschlappen ihren Körper und ihre Haare, die schon wieder ziemlich lang geworden waren, zu waschen.
Als das Badewasser schon wieder kalt wurde, verließ Emily die Wanne und schlang ein großes Tuch um ihren schmalen Körper. Vorsichtig betrachtete sie sich in dem Spiegel, der über dem kleinen Waschbecken hing.
Ihr rotes Haar war eine wilde Masse aus ungezähmten Locken, welche ein schmales Gesicht umrahmten. Ihre Augen waren unnatürlich weit aufgerissen und schrecklich blutunterlaufen, sie sah aus wie ein wandelndes Gespenst. Aber ihre Augen waren irgendwie anders, Emily beugte sich nach vorne und zuckte zusammen. Ihr linkes Auge war immer noch strahlend grün, ihr rechtes Auge jedoch... Das war nicht mehr grün, sondern eher bernsteinfarben. Der Virus hatte anscheinend auch ihren menschlichen Körper verändert. Eine ständige Erinnerung, was für eine Anomalie sie doch war.
Auf ihren Armen fanden sich diverse blaue Flecken, die sicherlich aus der Vollmondnacht stammten.
Vorsichtig hob sie ihre Hand und strich über die Narbe, die sich von ihrem Rücken bis hoch zu ihrem Nacken und über ihre Schulter zog. Sie spürte die wulstige Erhebung, sah die schreiend rote Farbe. Von Remus wusste sie, dass diese Narben nie verschwinden würde, vielleicht würden sie ein bisschen blasser, silberner werden.
Langsam drehte sie sich um, um ihren Rücken im Spiegel zu sehen. Wäre es nicht ihr eigener Körper gewesen, so hätte sie sich sicherlich schon längst abgewandt. Fünf dicke Linien zogen sich über ihren Rücken, von ihrer rechten Schulter bis hinunter zur Hüfte. So gezackt, so unregelmäßig, so tief, als hätte Greyback sich daran erfreut.
Aber er hatte Spaß daran gehabt, sie hatte sein erfreutes Heulen gehört. Aber sie würde ihm nicht die Freude gönnen sie zu brechen. Sie mochte zwar verflucht sein, aber sie würde stark sein - sie war stark.
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