#19.5
Da dies nicht sein erster Streit mit Val war, wusste er, wie sie tickte. Sie würde so lange auf ihrem Standpunkt beharren bis Kade nochmal ordentlich über die Situation nachdachte und schließlich auf denselben Schluss kam, auch wenn dies nun schon mehrere Tage dauert. Oder er hörte nicht auf sie und es gelang ihm sie durch Demonstration zu überzeugen.
In diesem Fall überstieg Kades Sturheit die Vernunft, weshalb er sich soeben geduckt und leise an dem Fenster mit Blick zum Hof vorbeischlich. Über eine Woche hatte er auf den perfekten Tag gewartet und den Einbruch geplant, bevor er sich ungebeten in die Nähe der Räumlichkeiten der Regierung begab.
Nach dem Fenster richtete er sich wieder auf, doch bewegte sich weiterhin vorsichtig. Er ging den Gang ein Stück weiter, was ihn bald zu einer Abzweigung führte. Geradeaus vor ihm lagen Regierungsräume hinter den Türen, die zu sehen waren und hinter einer weiteren Gabelung lagen die Wohnungen der Ratsmitglieder. Links neben Kade befand sich ein ähnlicher Aufbau, hinter dessen hinteren Abzweigung verbargen sich allerdings die Wohnräume des Oberhaupts und dessen Familie.
Langsam passierte er die erste Tür ihm Gang zu seiner Linken, aus der er gedämpft ein Stimmengewirr wahrnahm. Dabei musste es sich um die allgemeine Besprechung handeln, auf dessen Stattfinden Kade gewartet hatte, um sein Vorhaben möglichst gefahrlos umsetzen zu können.
Dem aufgeregten Reden im Inneren wurde durch eine weitere Stimme Einhalt geboten; es war eine typische Aufgabe des Machthabers den Rat, der ihm beim Leiten des Reiches unterstützte, bei solchen Beratungen wieder zur Ruhe zu bringen.
Ansonsten ließ Kade sich nicht weiter aufhalten auf seinem Weg in die Wohnung des Regenten. Er kannte den genauen Weg, da er Val ebenfalls des Öfteren besuchte und ihr Schlafzimmer nicht weit entfernt von seinem jetzigen Ziel, dem von Hunter, lag.
Auch wenn die beiden nicht blutsverwandt waren, wohnten sie dennoch zusammen, hatte sie Kade erklärt. Sowohl die mütterliche als auch die väterliche Seite des wichtigsten Bewohners war in diesem Teil der Höhlenbauten untergebracht, problematisch wurde dies allerdings nur selten. Gerade jetzt war es sogar nützlich, dachte Kade.
Die Wohnanlage schien verdächtig leer, doch davon ließ er sich nicht ablenken und steuerte geradewegs auf die einzige offenstehende Tür in dem Flur, in dem er sich befand, zu. Bevor er eintrat, presste er sich neben dem Rahmen an die Wand, neigte den Kopf und hielt den Atem an. Da weder Licht noch sonstige Auffälligkeiten aus dem Raum traten, entschied er sich einzutreten.
Kade hätte nie gedacht jemals im Zimmer seines Rivalen zu stehen, geschweige denn dieses förmlich auseinander zu nehmen. Eine Lampe anzumachen wäre zu verdächtig gewesen, daher durchsuchte er in dem fahlen Licht von draußen jede Schublade und zugemüllte Ecke zweimal, doch alles was er fand war jede Menge verschwitzte Kleidung und ein Taschenmesser. Er wunderte sich zwar, warum Hunter ein solches besaß, doch da es nicht die richtige Waffe gewesen sein konnte, um eine Kamera abzumontieren, legte er es zurück auf seinen Platz.
Der Türspalt ließ genügend Licht ein, um auch unter dem Bett nach dem Objekt suchen zu können, weshalb Kade sich auf den Boden legte und einen Arm in den Spalt steckte. So tastete er den staubigen Boden ab, den Blick auf die Tür ihm gegenüber gerichtet. Jederzeit rechnete er damit, dass jemand überraschend darin auftauchen könnte, im schlimmsten Fall Hunter. Als es schließlich so weit war und jemand sich näherte, konnte er ihn jedoch nicht identifizieren. Er hatte sich sofort unter das Bett gerollt, schon als er das Echo der Schritte gehört hatte.
Kade wagte es nicht sich zu bewegen und für den kurzen Moment, den die Person vor dem Raum stehen blieb, hatte er sogar den Atem angehalten. Danach schien sein Herz im Einklang mit dem Hallen der schnell verschwindenden Schritte zu pochen.
Er verweilte noch ein paar Sekunden unter dem Bett, um sich wieder zu beruhigen, obwohl er wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, bis er auffliegen würde.
Sein letzter Anhaltspunkt war der Kleiderschrank neben der Tür. Eigentlich ein offensichtliches Versteck, daher hatte Kade ihm zuerst keine Beachtung geschenkt, doch hier wurde er tatsächlich fündig.
Sein Herz begann erneut zu rasen, als er den Gegenstand in seiner Hand abwog und triumphierend anblickte. Er hatte recht, mit allem, was Val als wahnsinnigen Einfall betitelt hatte. Was genau Kade mit seinem Fund anstellen würde, wusste er noch nicht, doch vermutlich würde er Hunter erpressen, um ihm – wie in alten Zeiten – einen Denkzettel zu verpassen.
Weiter kamen seine Gedanken nicht, da kurz ein Schatten auf dem Türflügel neben ihm auftauchte und ebenso schnell die dazugehörige Person auftauchte.
Instinktiv sprang Kade einen Schritt zurück und stieß dabei gegen die geöffnete Schranktür. Schweigend standen er und Hunter sich gegenüber und versuchten im Halbdunkel die Miene des anderen zu entziffern. Aber Kade wusste auch so, dass Hunter enorme Willenskraft aufbringen musste, um ihm nicht an Ort und Stelle an die Kehle zu springen.
„Kleine Brüder sind manchmal echt nützlich", sagte Hunter schließlich bedrohlich ruhig. Kade erkannte im Augenwinkel, dass er die Hand nach etwas ausstreckte, das hinter der Wand verborgen war, aber einen kleinen, menschlichen Schatten neben ihn warf. „Die petzen sofort, wenn ein ungebetener Gast im Haus ist"
„Keine Sorge, ich bin schon weg", antwortete Kade sofort und versuchte ebenso ruhig zu reagieren wie er.
Selbstsicher hob er die Überwachungskamera ins Licht. „Ernsthaft, Hunter? Du versuchst mich umzubringen?", fragte Kade, aber eher rhetorisch. Ihn ging es einzig um den Effekt, den er mit der Konfrontation erzielte.
Er hoffte zumindest auf einen kleinen Hinweis von Schock in Hunters auf den Gegenstand gerichteten Blick, schließlich war er soeben aufgeflogen. Aber der Ältere hatte plötzlich etwas ungeahnt Selbstgefälliges an sich, als er den Blick wieder aufrichtete, in seine Hosentasche griff und ein oranges Plastikdöschen hervorholte.
„Ernsthaft, Kade? Du versuchst zu betrügen?", erwiderte er in demselben spöttischen Ton. Kade traute seinen Augen kaum. Wie konnte Hunter wissen, auf welchem Weg er schummelte? Dass ihm Kades schneller Vorsprung in Sachen Kraft nicht ganz geheuer sein würde, war ihm klar gewesen, doch er hätte nie im Traum gedacht, dass Hunter ebenfalls bei ihm einbrechen könnte, um ihm klar zu machen, wie sehr ihm sein Verhalten auf den Sack ging.
Hunter steckte die Pillen zurück in seine Tasche und trat einen Schritt zur Seite. „Verpiss dich."
Kade rührte sich keinen Millimeter. Nur seine Augen huschten wild zwischen Hunters und dessen Hosentasche hin und her.
„Na los, nimm das Ding mit", meinte Hunter auffordernd und nickte in Richtung der Kamera in Kades Händen. „Aber verpiss dich aus meinem Haus, verdammte Scheiße", zischte er.
Da er anders wie Hunter gerade nicht in der Stimmung war sich zu prügeln, ging Kade beinahe ferngesteuert aus dem Raum. Sie wandten den drohenden Blick erst voneinander ab, als Kade hinter einer Ecke verschwunden war.
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