#13

„Wie meinst du das?", fragte Lynne. Sie hatte zwar schon von Leuten gehört, die sich freiwillig für ein Leben an der Oberfläche entschieden haben und hat vergeblich versucht mit ihnen Kontakt aufzunehmen, doch Kade schien ihr noch zu jung und zu unangepasst in ihrer Welt für eine solche Entscheidung.
„Ein andermal vielleicht", antwortete Kade, was Lynne verstehen konnte. Trotzdem wollte sich nicht lockerlassen.
„Hat es was mit... deiner Krankheit zu tun?", fragte sie vorsichtig.
„Ja, in gewisser Weise...", meinte er und nahm sich die Karte der Stadt. „Aber es ist nicht wirklich eine... Krankheit..."
„Was denn dann?"
„Die Karte ist falsch", sagte Kade schnell, um das Thema zu wechseln, Lynne ging darauf ein. „Ach ja?"
„Gib mir einen Stift", bat Kade und prüfte die roten Linien, die das Mädchen auf die Karte gemalt hatte. Sie reichte ihm einen Stift ähnlicher Farbe und schaute ihm gespannt beim korrigieren ihrer Aufzeichnungen zu.
„Unser Gebiet geht viel weiter nach Osten, bis außerhalb der Stadt", erklärte er beim Einzeichnen der neuen Linien, „und da draußen ist noch ein Eingang"
Lynne sah sich die Stelle, die Kade mit einem Kreuz markiert hatte genauer an. Es lag auf einem Feld beinahe neben der Landstraße, die sie schon so oft befahren hatte, in der Nähe eines kleinen Baches.
Kade setzte seine Korrekturarbeiten fort, diesmal im Gebiet der Stadt selbst.
„Das ist ja verdammt groß...", staunte Lynne, als er fertig war. „Wie ist die Stadt bis jetzt noch nicht eingebrochen, so massives Gestein ist das auch wieder nicht?"
„Das meiste sind ziemlich tief liegende Gänge und alle größeren Hohlräume befinden sich außerhalb der Stadt oder unter weniger belebtem Gebiet. Hat man mir jedenfalls so erzählt – was machst du?"
Lynne hatte instinktiv zu Papier und Stift gegriffen und notierte sich seine Aussagen beinahe von selbst. „Oh, ich, äh... ich hab das mitgeschrieben... alte Journalisten-Gewohnheit", beichtete sie.
„Journalist?", fragte diesmal Kade nach.
„Ja, ich... wollte eine Story über die Untergrundstadt rausbringen um auf ein gutes College zu kommen", erklärte sie.
„Ah, deshalb also das Interesse...", meinte Kade schmunzelnd und ließ den Blick erneut über Lynnes Papiere schweifen.
Als sie dieses Lächeln wieder sah, fiel ihr wieder ein, dass ihr Interesse an den Zusammenkünften mit Kade schon lange nicht mehr nur den Höhlen allein galt.
„Okay", meinte er schließlich und sah sie nicked an, „ich helf dir bei deiner Story"
„Wirklich?", sagte Lynne und konnte sich vor Freude endlich richtige Informationen bekommen zu können ein Lächeln nicht verkneifen. Hätten sie bereits eine innigere Bekanntschaft gehabt, hätte sie womöglich zur Umarmung angesetzt. „Sag mir, wie ich mich revanchieren kann", bot sie stattdessen an.
Er seufzte und schien ernsthaft über den Vorschlag nachzudenken. „Ich glaub, ich überleg mir noch was", meinte er schief lächelnd.

Ihre gemeinsamen 45 Minuten vergingen wie im Flug, sie korrigierten Aufzeichnung um Aufzeichnung, Notiz um Notiz. Doch Lynne hatte ihn bereits vorgewarnt, dass es mit ihren Recherchen nicht nur bei Karten und Zeitungsartikeln bleiben würde. Sie erklärte Kade ihre Techniken, die sie für jede private und schulische Arbeit anwandte und er willigte ein.
Nur wenige Minuten später, nachdem der Junge ihre Wohnung schweren Herzens wieder verlassen hatte tauchte Lynnes Vater in der Tür auf und sie konnte nur beten und hoffen, dass die beiden sich nicht begegnet waren.
„Du hättest mit dem Essen nicht auf mich warten müssen", beteuerte der Mann, als er seine Tochter in der Küche vorfand.
„Hab ich auch nicht, das ist jetzt mehr ein glücklicher Zufall", log Lynne während sie einen Topf auf den Herd stellte. Sie hatte ihr Alibi genau geplant um wegen des Besuchs nicht verdächtig zu wirken.
„Na dann...", seufzte ihr Dad und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Hast du nächstes Wochenende schon was vor?"
Natürlich musste es ausgerechnet er sein, der sie vom Schreiben abhalten soll, sobald sie eine Spur für ihre Story hatte, dachte sie. Als könnte er die Gefahr in Form der Untergrundstadt bereits riechen...
„Wohin geht der Familienausflug?", schlussfolgerte Lynne und drehte sich zu ihm um.
„Nach Seattle. Ich dachte, wir statten Mom einen kleinen Überraschungsbesuch ab", verriet er und wartete gespannt auf ihre Reaktion. Diese fiel jedoch spärlich aus, da Lynne gedanklich ihre Präferenzen abwägte, ob sie lieber ihre Mom nach einem Monat wieder sehen würde oder lieber zwei ganze Tage alleine mit Kade verbringen würde. Beim Gedanken an ihn begann ihr Herz wieder höher zu schlagen.
„Das sieht mir jetzt aber nicht nach einem sehr begeisterten Gesicht aus...", deutete ihr Vater ihre nachdenkliche Mine.
„Naja, ich...", begann sie, „ich würde schon gerne mitfahren, klar, aber..." Sie müsste ihrem Vater von Kade erzählen. Oder zumindest so viel, dass er nicht wie eine zwielichtige, geheimnisvolle Bekanntschaft klingt. „Ich hab jemanden kennengelernt", sprach sie den Satz, wie sie ihn bereits einmal vor ihrer Mom äußerte und hatte gehofft, ihn nie zuerst vor ihrem Dad sagen zu müssen.
„Ah...", meinte er zwar verständnisvoll, doch sie wusste, dass er mehr Informationen wollte, als nur das.
„Wir, äh... kennen uns seit zwei Wochen und... so ein Wochenende für uns wäre... ganz nett?", erklärte sie und bat gleichzeitig um Erlaubnis hier zu bleiben.
„Wie alt ist er?", fragte er wie für Väter typisch.
„Siebzehn", antwortete sie wahrheitsgemäß.
„Kommt er von hier? Du weißt wie ich das meine", fragte er weiter.
Lynne seufzte. Sie verstand nicht wie sein Abscheu gegenüber der Bewohner von Subway- City so groß sein konnte, dass er seiner Tochter nicht einmal direkten Kontakt erlauben wollte. „Er ist nicht von unten, Dad", log sie gekonnt, in einem Ton, der ihm signalisieren soll, was sie von seiner Einstellung hielt.
Der Mann wandte den Blick in eine Ecke während er noch einmal überlegte, dann sah er wieder auf und meinte mild lächelnd: „Gut, dann richte ich Mom einen schönen Gruß von dir aus. – Und wehe deine Bekanntschaft' ist ein Synonym für Party', alles klar?"

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