#10.5

Es war wie beim letzten Mal, als er den Weg mit dem Mädchen gegangen war, es roch immer mehr nach Erde, je näher sie dem Ausgang kamen. Sie kicherte, da sie wusste, wo Kade sie hinführte. Er ging ihr voraus, hielt aber immer ihre Hand sicher in seiner und sie hielt mit ihm Schritt.
Seitdem er Val wenige Monate nach seinem Meisterschaftsgewinn aufmerksam machen und weitere wenige Monate darauf für sich gewinnen konnte, beschrieben ihn viele Leute als einen anderen Menschen. Das Trainieren schien in seinem Leben die Priorität mit diesem atemberaubenden Mädchen gewechselt zu haben, sagten sie. Doch das alles war ebenfalls schon eine Zeit lang her und der 15-Jährige konzentrierte sich wieder voll und ganz auf sein Training für die zweite Meisterschaft. Die ein oder andere Auszeit mit seiner Freundin ließ Kade sich dennoch nicht nehmen.
Val war aber nicht zu unterschätzen, wie er zu sagen pflegte und eigentlich war sie ihm eine Konkurrentin im Streit um die Führungsposition. Sie besaß nur zwei Achievements weniger als Kade, die sie noch locker aufholen könne, doch wenn die beiden zusammen waren, spielte der Kampf keine Rolle, dann zählten nur sie beide für sich.

Helles, bläulich-graues Licht schien ihnen an der Oberfläche entgegen, als sie den Südausgang erreichten. An das Tageslicht mussten sie sich nur mäßig gewöhnen, da ihre unterirdischen Gänge stets gut ausgeleuchtet waren. Nur der weiche Boden aus Gras unter ihren Fußen sorgte für positive Verwunderung bei den beiden Teenagern, schließlich fühlten sie diesen nicht alle Tage.
Sie sahen runter zu ihren Schuhen, die halb in der hohen Wiese verschwanden, auf die der Südausgang führte, sahen wieder auf, um sich kurz anzulächeln und setzten ihren Weg weiterhin Hand in Hand fort.
Ihr Ziel lag nahe, es war die Brücke, zu der Kades Mutter ihn als kleines Kind öfter geführt hatte, diese Tradition setzte er in Gedenken an sie mit seiner Freundin fort. Diesen Ort mit jemandem zu teilen, war das Mindeste, dass er tun konnte. Er war beinahe idyllisch, umrahmt von der Wiese, überdacht von der Brücke und geschützt durch den Bach, der später in den großen Fluss in der Nähe mündete.
Kade selbst war es etwas zu kitschig, um alleine herzukommen, doch Val gefiel der Ort sehr und er wusste, dass er das seiner Mutter ebenfalls tat.
Er setzte sich mit Val auf einen abgeflachten Stein, der dafür gedacht war und den perfekten Übergang zwischen von Menschenhand geschaffenem und der Natur schaffte.

Sie verloren sich wie immer sehr schnell im Gespräch, oftmals nutzten sie ihre Zeit gemeinsam nur zum Reden, doch das tat ihnen gut. Einander hatten sie einfach jemanden, mit dem sie über Dinge reden konnten, die sonst niemanden interessierten, selbst wenn es den anderen nicht einmal betraf, sie hörten einander trotzdem zu. Es verband sie etwas. Etwas, das tiefer ging, als es jede reguläre Freundschaft je könnte, das auf Vertrauen, Loyalität und ein bisschen auf dem komplexen Prinzip der Seelenverwandtschaft basierte, doch keiner der beiden konnte dieses Etwas bis jetzt benennen.
Val war in einen Monolog über den Inhalt eines Buches vertieft, das sie vor kurzem gelesen hatte, während sie sich an Kade lehnte und er ihr durchs Haar und über den Körper strich. Sie wusste, dass er bei solchen Erzählungen meist nur mit einem Ohr bei ihr war, doch sie genoss die andere Form der Aufmerksamkeit, die er ihr stattdessen schenkte.
„...und am Ende stirbt sie leider", schloss Val ihre Erzählungen mit einem enttäuschten Seufzen ab.
„Wirklich?", fragte Kade nach, schließlich hatte er nicht die gesamte Geschichte der Protagonistin versäumt.
„Ja, aber so ist das manchmal. Aber ich mag Bücher mit unerwarteten Ausgängen sowieso lieber, als diese Mainstream-Liebesromane"
„Und was ist mit diesem Mainstream-Roman?", fragte Kade, lächelte und beugte sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen.
„Hey, nenn uns nicht Mainstream!", entgegnete sie lachend, als sie sich wieder aufrichteten. „Wer kann es sich schon leisten an so einem Ort zu sitzen... dabei seine Pflichten vernachlässigen..."
„Du lässt das Training schon wieder sausen?", wollte Kade wissen.
„Ja. Ich hätte vor fünf Minuten dort sein müssen", meinte sie schulterzuckend.
„Wenn das so weitergeht, verlierst du noch deinen Platz, Babe. Du musst aufpassen", warnte er und legte einen Arm um Val.
Sie seufzte und blickte auf den Streifen Himmel, der zwischen Wiese und Brücke zu sehen war. „Ich weiß... die Wolken da sehen schon ziemlich dunkel aus"
Auch Kade blickte nach oben. „Ja", stimmte er ihr zu, „aber deswegen lass ich dich jetzt gehen" Er zog sie noch näher an sich und sie erwiderte die Umarmung.
Sie ließen die Minuten verstreichen, bis die einzelnen vom Himmel fallenden Regentropfen nicht mehr zu ignorieren waren. Auch wenn sie nass würden, beschlossen sie nun die Rückkehr, da es ungewiss war, wie lange der Regen anhalten würde und sie vor Sonnenuntergang wieder zurück in den Höhlen sein sollten.

Val lachte und sprang förmlich durch die beinahe überschwemmte Wiese neben Kade her, während er sich bemühte sie auf dem richtigen Weg zu halten, da der Höhleneingang im dunkelgrauen Licht des Schlechtwetters mit dem Hintergrund verschmolz.
Kurz bevor sie diesen jedoch erreichten, hielt Kade seine Freundin zurück, ehe sie auf den Eingang zulaufen konnte.
„Val! Val, warte!", rief er ihr durch den prasselnden Regen zu.
„Was?", fragte sie verwundert, doch ließ sich ohne weiteres von ihm zu sich ziehen.
Ihn überkam das plötzliche Gefühl romantisch sein zu wollen und sah ihr tief in die Augen, während er eine in ihrem Gesicht klebende Haarsträhne zur Seite strich.
Sie schien nicht ganz zu verstehen, doch auch nicht nein zu der überraschenden Aktion zu sagen, vor allem nicht, als Kade sich vorbeugte und sie küsste.
Ihre durchnässte Kleidung war schwer und die Tropfen fielen gnadenlos und mit viel Kraft auf die beiden herab, doch sie fühlten sich federleicht, in diesem einen Moment, der eine halbe Ewigkeit anhielt. In dieser halben Ewigkeit, in der beide für einen Moment der Wirklichkeit entfliehen konnten.

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