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Mit einem leisen Grummeln drehte Joanna sich zur Seite. Erst vor wenigen Augenblicken war sie aus tiefemSchlaf aufgewacht. Noch hielt sie ihre Augen geschlossen und versuchte sich an ihren Traum zu erinnern. Aber die Traumbilder verflüchtigten sich zu schnell, sodass sie diese nicht zu fassen bekam. Schließlich rümpfte sie ihre Nase, da ein ungewohnter Duft an ihre Nase drang. Es roch wie in einem Krankenhaus. So steril, nach Desinfektionsmittel. Das war ganz eindeutig nicht ihr Bett.
Aber wie kam sie hierher? Einen Moment grübelte Jo, bevor sie ihre Augen weit aufriss. Augenblicklich kehrte die Erinnerung an die vorhergehenden Ereignisse zurück. Innerhalb von Sekunden hatte sie sich aufgerichtet und sah panisch in dem Raum umher.
Es war die Krankenstation.
Gehetzt ließ sie ihren Blick durch den leeren Raum streifen. Es war niemand bei ihr, dem sie ihre Fragen stellen konnte. Denn Fragen hatte sie. Zu einem wollte sie wissen, wie lange sie hier schlafend gelegen hatte, denn beim Blick aus dem Fenster hatte sie gesehen, dass bereits die Dämmerung eingesetzt hatte. Dann wie sie hierher gekommen war und vor allem wo sich diese Frau jetzt befand.
Schnell schlug sie die Bettdecke zur Seite und setzte sich an die Bettkante. Einen Augenblick lang war ihr schwindelig, sodass sie sich an ihren Kopf fassen musste, in dem sich auch weiterhin alles drehte. Nach wenigen Minuten legte sich das Schwindelgefühl und sie wollte aufstehen, als sie hörte, wie die Tür zur Krankenstation leise geöffnet wurde.
Herein trat ihr Vater, dessen Gesicht nachdenklich wirkte, sich aber sofort aufhellte, als er sah, dass Jo wach war. Schnell trat er zu ihrem Bett heran und setzte sich neben sie. Er atmete einmal tief durch, schwieg dann aber weiter.
„Wie komme ich hierher?" Fragte Jo schließlich, nachdem ihr Vater keine Anstalten machte von selbst das Gespräch zu eröffnen.
Auf ihre Frage hin sah er sie mit einem Lächeln an. „Ich habe dich mit Pepper hierher gebracht." Er unterbrach sich kurz und seine Gesichtszüge verhärteten sich. „Nachdem wir in den Aufzug gestiegen sind, bist du offenbar in einen Schockzustand gefallen. Wir haben es nicht geschafft dich da heraus zu holen. Also sind wir hierhergekommen und Helen hat dir ein Beruhigungsmittel verabreicht. Du bist unmittelbar nach der Gabe eingeschlafen. Das war vor ein paar Stunden."
Jo nickte verstehend und sah nachdenklich aus dem Fenster. Die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen sich. Sie schlang ihre Arme um ihren Oberkörper und sah hinaus auf die beleuchtete Stadt. Versuchte dadurch das aufkommende Zittern zu unterdrücken. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, da ihr Vater seine Arme ebenfalls um sie legte.
„Wer war diese Frau?" War die nächste Frage, die Jo leise in den Raum stellte. Schließlich sah sie hoch und sah ihrem Vater fragend ins Gesicht.
Dieser seufzte tief und begann langsam zu sprechen. Dabei hatte er wie Jo davor seinen Blick auf die erleuchtete Stadt gerichtet. „Wie du es gesagt hast. Sie ist eine Agentin von HYDRA. Während du geschlafen hast, haben wir tiefer nachgeforscht, wie sie es geschafft hat hier einzudringen." Tony machte eine kurze Pause und ging gedanklich offenbar noch einmal alles durch, bevor er begann es Jo zu erzählen. „Heute wäre tatsächlich jemand vom Jugendamt gekommen. Aber der Beamte wurde abgefangen und gegen diese Frau eingetauscht. Mit astreinen Papieren, sodass niemandem dieser Tausch aufgefallen ist. Wir wissen nicht was genau sie hier wollte, denn sie beantwortet keine unserer Fragen."
„Ist sie..." Jo stockte einen Moment. Ihr Mund war trocken, sodass sie nur schwer die nächsten Worte herausbrachte. „Ist sie tatsächlich seine Schwester?"
Auch ohne weitere Details zu nennen wusste ihr Dad, wen sie meinte.
„Ja." Antwortete er schlicht. „Hast du vielleicht eine Idee, weswegen sie diese Kostümierung angenommen hat?"
„Aus Rachsucht!" Rief Jo aus, kaum das die Frage gestellt worden war. Dann befreite sie sich aus der Umarmung ihres Vaters und stand schnell auf. Durch ihr schnelles Aufstehen, geriet ihre Umgebung für einen Moment ins Wanken, denn der Schwindel hatte sie erneut erfasst. Jo blieb einen Moment still stehen, bevor sie begann unruhig auf und ab zu gehen. Dabei ließ sie ihren Vater nicht aus den Augen. „Was sollte es sonst sein? Braun ist entkommen und hat ohne Zweifel die Geschehnisse während meiner Entführung seinen Vorgesetzten berichtet. So muss sie es erfahren haben!"
Tony sah sie schweigend an. „Das klingt plausibel. Wir hatten ebenfalls diesen Gedanken. Hast du eine weitere Idee?"
Jo blieb stehen und sah nachdenklich aus dem Fenster. „Wollte sie mir etwas antun?" Dabei sah sie zuder Spiegelung ihres Vaters, welche auf dem Glas zu erkennen war. „Sie hat in ihre Jacke gegriffen und wollte etwas herausziehen." Sie sah, wie ihr Vater sein Gesicht vom Fenster abwandte, sodass sie nur sein Profil zu sehen bekam.
„Ja. Das wollte sie." Erwiderte er schließlich schlicht.
Bei dieser Antwort wurde Jos Mund trocken und sie spürte, wie sich eine feine Gänsehaut über ihren Körper zog. Sie hatte sich so etwas schon fast gedacht. Langsam drehte sie sich um und sah ihr Gegenüber an.
„Wie?"
„Sie hatte eine Plastikspritze in ihrer Tasche. Ein Gegenstand, den keiner der Sensoren in der Eingangshalle erfasst hat."
Jo bemerkte, wie ihr Vater unwillig sein Gesicht verzog, als er ihr diese Information mitteilte. Für einen kurzen Moment zuckten ihre Mundwinkel nach oben zu einem schwachen Lächeln. Sie wusste, dass es seinen Stolz verletzte, dass er es nicht geschafft hatte sein Heim zu schützen. Aber das es gleichzeitig ein Anreiz für ihn war sein Eigentum und die darin lebenden Personen besser zu schützen.
Schließlich sprach er nach einer kurzen Pause weiter. „In dem Kolben befand sich eine Art neuartiges Nervengift, welches dich gelähmt, deinen Körper aber für jeden Sinneseindruck sensibilisiert hätte. Allein eine Berührung hätte ausgereicht, um dir unsägliche Schmerzen zuzubereiten. Es ist eine grauenhafte Waffe."
Während ihr Vater gesprochen hatte, hatte Jo sich ihm wieder zugewandt und seine Mimik beobachtet. Sie sah in seinem Gesicht dieselben Gefühle, welche sie in ihrem Inneren spürte. Neben der Angst und der Wut spürte sie aber auch einen Funken an Frustration. Denn kaum kam sie zur Ruhe, da erschütterte ein Ereignis wie das vorherige ihr Leben. Schnell verschwand der Frust unter einer Welle des Zornes. Unwillkürlich ballten sich ihre Hände zu Fäusten und sie sah ihren Vater grimmig an.
„Ist sie immer noch hier?" Stellte Jo die Frage, welche ihr Magenschmerzen bereitete. Sie wollte nicht mit dieser Frau in einem Gebäude sein.
Auf ihre Frage hin nickte ihr Vater nur. Jo sah, dass sein Blick sich geändert hatte und er sie mit einer gewissen Vorsicht ansah. Als sähe er etwas, dass sie nicht wahrnahm.
All diese Beobachtungen stellte Jo schnell auf, aber sie kamen nicht wirklich in ihren Gedanken an. Ihr ganzes Denken kreiste um die HYDRA-Agentin, welche sie bedroht hatte. Sie auch jetzt noch mit ihrer Anwesenheit bedrohte.
Ihr Angst machte.
NEIN! Sie hatte keine Angst! Sie war doch sicher!
Sie konnte sich notfalls wehren!
Sie hatte es bereits ein Mal getan...
Ihr Kopf ruckte nach oben, als sie eine plötzliche Berührung wahrnahm. Automatisch gingen ihre Arme in die Höhe, so als wollte sie einen Angriff abwehren. Dabei trat Jo einenSchritt zurück und stolperte gegen das Fensterglas, da ihr Vater direkt vor ihr stand und sie besorgt ansah. Aber nicht nur das. War da etwa Furcht, die sie in seinen Augen sehen konnte? Sie blinzelte irritiert. Wie war er so nah an sie herangekommen? Gerade eben war er doch noch auf dem Bett gesessen. Also wie?
„Dad? Was ist passiert? Du warst doch auf dem Bett!"
Mit langsamen Bewegungen nahm ihr Vater ihre Hände in die seinen und zog sie schließlich wieder zu dem Bett. Er setzte sich und klopfte neben sich und bedeutete ihr sich zu setzen. Jo leistete dem umgehend Folge und sah ihn weiterhin fragend an.
„Hast du nichts gemerkt?" Fragte er, nachdem er Jo einen Moment still gemustert hatte.
Als Antwort schüttelte Joanna nur ihren Kopf.
„Ich weiß nicht was in deinem Kopf vorging, aber das Bett unter mir hat begonnen sich zu bewegen. Als ich dich gerufen habe, da hast du nicht reagiert. Erst als ich dich berührt habe, hast du eine Reaktion gezeigt." Tony machte eine Pause und sah Jo prüfend an. „Was war da los?"
„Der Gedanke an diese Frau hat mir Angst gemacht..." Begann Jo leise zu erzählen. „...und mit der Angst kam die Wut. Auf sie, weil sie dieses Gefühl in mir ausgelöst hat und weil sie den Frieden, den wir uns gerade erst wieder aufgebaut haben gestört hat. Aber auch auf mich..." Bei diesen Worten war Jo noch leiser geworden.
„Wieso auf dich selbst?"
„Weil ich schwach bin!" Wie auch davor sprang Jo von dem Bett und fing erneut an ihre unruhigen Kreise zu ziehen. „Allein ihre Gegenwart macht mir Angst! Sie sorgt dafür, dass ich mich in meinem eigenen Zuhause nicht sicher fühle! Aber sobald ich daran gedacht habe, kam mir der Gedanke, dass ich mich wehren kann. Das ich es bereits bei ihremBruder getan habe..." Auch jetzt wurde Jo wieder leiser. Schließlich blieb sie mit dem Rücken zu ihrem Vater stehen. Sie wollte sein Gesicht nach ihrem Geständnis nicht sehen. Krampfhaft schluckte sie die plötzliche Übelkeit hinunter.
Mehrere Minuten lang herrschte Stille in dem Raum. Schließlich knarzte das Bett hinter ihr und sie vernahm, wie Tony langsam auf sie zukam. Erleichterung erfasste sie, als ihr Vater seine Arme um sie legte und sie liebevoll drückte. Jo hob ihren Kopf und sie sah dem Spiegelbild ihres Vaters in die Augen.
„Dann sei wütend! Aber nicht auf dich, sondern auf sie. Sei auf sie wütend, weil sie dich zwingen zu solchen Mitteln zu greifen. Dich zwingen, deine dunkle Seite zu zeigen. Eine Seite, die in jedem von uns versteckt ist. Nur wird sie bei manchen von uns gewaltsam ans Licht gezerrt." Er machte eine kurze Pause, als er offenbar nach den richtigen Worten suchte. „Und wenn du es geschafft hast damit zu leben, dann mach dir dieses Gefühl zunutze."
„Wie soll ich das machen? Ich will niemanden von euch wehtun!" Jo sah ihn fragend an.
Ihr Vater grinste sie verschmitzt an, bevor er antwortete. „Sieht wohl so aus, als müsstest du mit jemandem reden, der ein ausgeprägtes Aggressionsproblem hat."
„Nicht dein Ernst?"
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