33
33
Es war ein ruhiger Morgen im Tower. Jo war vor kurzem erst aufgestanden, hatte sich umgezogen und war in die Gemeinschaftsetage gefahren. Alleine. Was seltsam war, denn die letzten Tage hatte Pietro sie immer geweckt. Normalerweise war er pünktlich. Zu ihrer Verwunderung hatte sie auch am Frühstückstisch niemanden angetroffen. Also nahm sie ihr Frühstück alleine zu sich.
In ihren Gedanken versunken trank sie langsam ihren Tee und sah wie jeden Morgen auf die Stadt hinaus. Sie hatte sich inzwischen an den Anblick aus dieser Höhe gewöhnt und genoss ihn jetzt auch regelrecht. Unruhig rutschte Jo auf ihrem Stuhl herum. Die Stille behagte ihr allmählich nicht. Sonst war beim Frühstück immer viel los. Eigentlich bei jeder Mahlzeit. Es wurde viel geredet, gelacht und manchmal wurden auch Missionen besprochen. Meist unterhielt sie sich mit den Zwillingen. In letzter Zeit sogar vermehrt auf russisch, damit ihre Sprachkenntnisse nicht einrosteten. Pietro trieb es dabei gern auf die Spitze, denn er flüsterte ihr dann regelmäßig Dinge auf russisch ins Ohr, bei denen sie oft rot wurde. Ihr Vater besah sich das dann immer sehr misstrauisch, aber da er nichts verstand, blieb er meist ruhig. Was ja sonst eher selten war.
Allmählich hatte Jo das Gefühl, dass ihr Vater ihre Beziehung mit Pietro akzeptierte. Ja, er war immer noch ziemlich misstrauisch. Aber er meckerte nicht mehr jedes Mal, sobald er sie mit Pietro in einer Umarmung oder beim Händchen halten sah. Denn Küssen war nicht drin. Pietro hatte es einmal versucht und ihr Dad war ausgeflippt. Sie konnte sich aber vorstellen, dass er Pietro danach in einem Vier-Augen-Gespräch klar gemacht hatte was er sich leisten konnte und was nicht. Oder wie weit der Speedster gehen durfte. Jo schnaubte und zerpflückte eine Scheibe Toast. Wenn es darum ging, dann brauchte sich ihr Dad keine Sorgen zu machen. Seit dem Morgen nach seiner Geburtstagsparty hatte Pietro sie nicht mehr angefasst. Naja, doch. Aber er machte keine weiteren Versuche mit ihr zu schlafen. Und das war jetzt immerhin bereits zwei Wochen her. Langsam aber sicher wurde Jo in dieser Hinsicht etwas ungeduldig. Auf jeden Fall bewunderte sie seine Selbstbeherrschung. Denn sie spürte das sein Körper sie wollte, ebenso wie er doch merken musste das sie ihn wollte. Aber er hielt sich zurück. Jo sah auf die Krümel auf ihrem Teller und knurrte ungehalten. Eigentlich war es doch nicht bewundernswert, sondern nur noch frustrierend.
„Wo sind die anderen?" Fragte sie schließlich in den Raum hinein.
„Die Avengers befinden sich im Konferenzraum, da Direktor Fury eine Unterredung gewünscht hat." Meldete Friday sich zu Wort.
„Danke." Damit erhob sich Jo und steuerte auf den Aufzug zu. Innen drinnen betätigte sie den Knopf für die Etage, von der sie wusste, das dort der Konferenzraum war.
Was genau sie jetzt genau bezweckte war ihr selbst nicht klar. Sie wollte einfach zu den anderen. Die Stille unterbrechen. Kurz fragte Jo sich, wie sie die Stille ausgehalten hatte, als alle gemeinsam auf Mission waren. Da hatte es ihr nicht viel ausgemacht. Aber damals hatte sie noch nicht die Nähe zu allen gespürt. Sie waren da ja noch quasi Fremde. Jetzt waren sie alle zu einer großen ziemlich verrückten Familie geworden.
Jo seufzte und trat aus dem Aufzug in einen langen Gang. Dieser Morgen hatte so gut begonnen und jetzt hatte sie haufenweise Dinge zum Nachdenken. Dinge, auf die sie teilweise keine Antwort wusste und die ihr andernfalls schlaflose Nächte bereiteten.
Schließlich kam sie vor dem Konferenzraum an und sah durch die Glastür. Es hatte sie bisher keiner bemerkt, denn alle sahen entweder konzentriert auf Hefter, die vor ihnen lagen oder hatten sich einem großen Monitor zugewandt.
Joannas Blick ging ebenfalls zu dem Bildschirm. Sie war ziemlich neugierig. Natürlich hatte sie von Nick Fury gehört, aber bis jetzt war er für sie ein gesichtsloses Phantom gewesen. Ein Blick genügte ihr und sie blieb erstarrt stehen. Wie war das möglich? Das war doch...!
Wie von selbst setzten sich ihre Beine wieder in Bewegung. Sie stieß die Tür auf und platzte in den dahinterliegenden Raum. Dabei wandten sich alle Köpfe der Anwesenden zu ihr und sahen sie verwundert an.
„Joanna was ist?" Fragte Tony und sah augenblicklich besorgt zu ihr.
Jo schüttelte nur den Kopf und schritt zu dem Bildschirm, bis sie direkt davor stand. Sah in das Gesicht, welches sie so gut kannte. Er erwiderte ihren Blick, aber sonst kam keine weitere Reaktion von seiner Seite.
„Onkel Nickolas?" Fragte Jo schließlich. Die verwunderten Ausrufe hinter sich ignorierte sie dabei. Denn ihr Blick hing weiterhin an dem Mann, den sie seitdem sie ein kleines Kind war, als eine Art Onkel kannte. Sie schnaubte verärgert, als keine weitere Reaktion kam. „Hast du denn nichts zu sagen? 'Onkel'?"
Die Gestalt auf dem Monitor ließ ein Seufzen vernehmen. „Was soll ich denn noch sagen? Du hast mich erkannt." Erwiderte der Direktor. „Unser Aufeinandertreffen war so jetzt nicht geplant. Deswegen hatte ich die Besprechung auch so früh angesetzt. Damit du mich nicht siehst. Aber ich habe wie es aussieht nicht bedacht das du genauso unberechenbar bist wie dein Vater. So warst du früher nicht."
„Tja, wir alle haben uns verändert." Erwiderte Jo sarkastisch. „Denn du warst davor mein Onkel Nickolas Wilde und nicht Nick Fury. Gibt es sonst noch etwas zu sagen, dass ich nicht weiß?"
Die Stille erstreckte sich auch weiterhin. Denn keiner, der sonst Anwesenden wagte es, dieses Gespräch zu unterbrechen. Gebannt lauschten sie dem Gespräch, denn mit dieser Wendung hatte keiner von ihnen gerechnet.
„Was habe ich dir beigebracht? Wo bleibt der Respekt?" Die Stimme von Fury wurde lauter, als er Jo scharf zurechtwies.
„Du hast mir ebenfalls beigebracht nicht zu lügen!" Erwiderte Jo hitzig. „Aber wie es aussieht, hältst du dich selbst nicht an deine Lektionen!"
„Joanna Maria Stark! Vergiss nicht, mit wem du redest!"
„Ich habe es nicht vergessen!" Presste Jo zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor und sah doch etwas beschämt zu Boden. Das hatte sie tatsächlich nicht. Irgendwann, nachdem sie mit ihrer Mum zu ihrer Granny gezogen war, war diese mit diesem Mann aufgetaucht. So hatte sie ihn kennengelernt. Er war jahrelang ihre wichtigste männliche Bezugsperson. Und auch ihre einzige. Er hatte ihr so viel beigebracht. Hatte mit dazu beigetragen, dass sie zu der geworden war, die jetzt hier vor ihm stand. Bis es auf einmal vorbei war. Er einfach nicht mehr kam. Jo sah auf. „Wieso warst du auf einmal weg? Was ist damals passiert?"
Onkel Nick, nein Direktor Fury, sah sie schweigend an. Dann wandte er sich an die anderen, die gebannt zuhörten. „Alle bis auf Stark verlassen jetzt sofort den Raum!"
Jo meinte ein enttäuschtes Murmeln zu hören. Aber kurz darauf vernahm sie Stühle rücken und das alle den Raum verließen. Ihr Vater kam zu ihr nach vorne und setzte sich in einen Stuhl. Er zog einen weiteren heran und bedeutete Jo sich ebenfalls zu setzen. Sie kam der Aufforderung nur zu gerne nach und lächelte ihren Vater dankbar an. Sie hörte, wie sich die Tür schloss und sah dann wieder gebannt auf den Monitor.
„Wie soll ich das hier verstehen? Sie kennen meine Tochter bereits? Dann kannten sie ja auch Melissa." Tony machte eine kurze Pause. „Wussten sie von der Tatsache, dass ich ein Kind habe, als wir uns kennen gelernt haben?" All diese Fragen schossen aus Tony heraus, sobald sie alleine waren.
Fury seufzte, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Natürlich wusste ich davon." Er sprach schnell weiter, bevor Tony ihn unterbrechen konnte. „Auch Melissa Kingsley war mir bekannt. Denn sie war nie wirklich von dem Radar von S.H.I.E.L.D. verschwunden. Selbst wenn sich unsere Mitarbeiter abwenden, so behalten wir sie doch im Auge."
„Sie war bei S.H.IE.L.D.?" Riefen Jo und ihr Vater erstaunt aus.
„Wenn sie beide mich nicht mehr unterbrechen, dann kann ich die Geschichte erzählen." Daraufhin sah Fury die beiden Starks streng an.
„Ist gut. Ich sag kein Wort mehr." Erwiderte Tony schnell. Jo nickte nur zustimmend.
Direktor Fury lehnte sich in seinen Sessel zurück und schien einen kurzen Moment seine Gedanken zu sortieren. Schließlich fing er an zu reden. „Wir haben Melissa bereits während ihrer Schulzeit im Auge gehabt. Sie zeigte einen wachen Geist, fantastisches analytisches Denken und hatte ein Verständnis für Computertechnik, welches man nur selten fand. Bereits während ihrer Studienzeit am MIT haben wir sie kontaktiert und ihr einen Job angeboten. Sie hat unter der Bedingung angenommen, dass wir ihr Studium zahlen. Was kein Problem dargestellt hat. Nachdem sie ihr Studium vorzeitig und ebenso erfolgreich abgeschlossen hat, haben wir sie bei Stark-Industries eingesetzt. Hauptsächlich hat sie Obadiahs Aktivitäten verfolgen sollen. Sie Stark waren die Fleißaufgabe."
„Ich war also nur ein Auftrag?"
Jo sah in das Gesicht ihres Vaters und entdeckte, dass sich sein Gesicht voller Unglaube sowie Enttäuschung verzogen hatte. Aber ihr ging es nicht anders. In dem Abschiedsbrief ihrer Mutter hatte es ganz anders geklungen. Als wenn ihr tatsächlich was an dem Erfinder gelegen hätte.
„Nicht so voreilig!" Unterbrach Fury die Grübelei von Tony und Joanna. „Anfangs waren sie tatsächlich nur ein Auftrag. Aber Melissa hat nach einiger Zeit ihre Gefühle tatsächlich erwidert. Sie waren der Grund, weswegen sie gekündigt hat. Sie wollte nicht lügen. Aber sie kennen die weitere Geschichte ja. Wir haben sie beschützt, nachdem sie nach Obadiahs Drohung geflohen ist. Deswegen konnte sie nicht einmal von ihnen gefunden werden."
„Und wie haben wir uns dann kennen gelernt?" Fragte Jo und sah neugierig auf den Bildschirm. Sie zuckte zusammen, als sie sein strafender Blick traf. „Tut mir leid." Murmelte sie.
„Sobald du alt genug warst, habe ich mich mit Melissa in Verbindung gesetzt. Ich sollte feststellen ob du irgend ein Talent wie dein Vater zeigtest. Aber dem war nicht der Fall. Du warst trotz deiner begabten Eltern erschreckend gewöhnlich."
Jetzt war es an Joanna bestürzt drein zu sehen. Der Mann vor ihr war also nur gekommen, um zu sehen, ob sie etwas wert war. Sie senkte ihren Kopf. Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie versuchte sie krampfhaft herunterzuschlucken. Sie würde jetzt sicher nicht weinen.
Neben ihr knarzte ein Stuhl, als ihr Vater sich vorbeugte. „Das hätten sie auch anders ausdrücken können!" Zischte er ungehalten.
„Warum sollte ich lügen? Sie verdient es die Wahrheit zu erfahren." Erwiderte Fury.
Jo sah wieder hoch und blickte den Mann vorwurfsvoll an. „Weshalb bist du dann trotzdem geblieben? Wieso bist du in all den Jahren regelmäßig zu uns gekommen? Du hast mir so viel beigebracht! Durch deine Lektionen wurde ich zu der, die ich jetzt bin. Wieso dann das alles, wenn ich in deinen Augen so gewöhnlich war?"
„Weil es der Wunsch deiner Mutter war." Beantwortete Fury ihre Frage. „Aber irgendwann bin ich tatsächlich gerne zu euch gekommen. Selbst wenn du es mir nicht glaubst, so warst du wie eine Tochter für mich."
Jo lehnte sich zurück und sah ihr Gegenüber nachdenklich an. Sie warf einen Seitenblick zu ihrem Vater, der ebenfalls gebannt zuhörte. Sorgfältig sortierte sie alle Gedanken in ihrem Kopf. Es freute sie, obwohl es doch so verletzend war, das er ehrlich zu ihr war. Es fehlte nur noch ein Puzzleteil.
„Warum bist du nach meinem dreizehnten Geburtstag nie mehr aufgetaucht?" Sie sah ihn weiterhin fragend an. „Mum wollte es mir nicht sagen. Das war der einzige Streitpunkt, der je zwischen uns existiert hat."
„Willst du wirklich alle Details?"
Joanna sah ihn verwundert an. Was sollte diese Frage? Natürlich wollte sie die. Aber allmählich machte sich Angst in ihr breit. Jo griff nach der Hand ihres Vaters und drückte sie fest. Wie zur Beruhigung legte ihr Dad seine Hand auf die ihre und drückte sie liebevoll. Der Rückhalt ihres Vaters hob Jos Zuversicht und sie nickte schließlich.
Der Direktor blieb einen Moment still und sah sie durchdringend an. Schließlich fing er an zu sprechen. „Du bist an deinem dreizehnten Geburtstag in einen Unfall verwickelt worden. Mit tödlichem Ausgang."
Nach diesen Worten herrschte Stille. Jo verzog ihr Gesicht, denn der Griff ihres Vaters um ihre Hand war schmerzhaft geworden. Letztendlich erreichte sie der Sinn dieser Worte. Schockiert riss sie ihre Augen auf und sah auf den Monitor.
„Was meinen sie damit?" Fragte Tony. „Das kann doch nicht stimmen!"
„Welchen Grund sollte ich denn haben, sie damit anzulügen." Erwiderte Fury knapp. „Glauben sie es ruhig. Joanna starb am 14.04.2013."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top