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Vorsichtig legte Jo den Blumenstrauß auf dem Rücksitz des Autos ab. Weiße Lilien und gelbe Chrysanthemen. Beides die Lieblingsblumen ihrer Granny. Sie schloss die Tür und setzte sich auf den Beifahrersitz. Dann schloss sie die Tür und atmete einmal tief durch. Der heutige Friedhofsbesuch fiel ihr nicht leicht, denn bisher war sie immer mit ihrer Mum am Grab gewesen. Heute war sie das erste Mal allein. Nun ja, nicht ganz. Sie wandte ihren Kopf zur Seite und sah in Buckys lächelndes Gesicht.

„Gehts?" Fragte er vorsichtig.

Jo griff nach dem Sicherheitsgurt und schnallte sich an. Wieder entkam ihr ein Seufzen, während sie nach den richtigen Worten suchte. Sie sah zu Bucky, der noch immer geduldig wartete. „Es geht. Es ist nur seltsam. Die letzten sieben Jahre bin ich immer mit Mum hingefahren."

Bucky nickte verständnisvoll und drehte den Schlüssel im Zündschloss. „Wo müssen wir hin?" Fragte er schließlich.

„Zum Green-Wood Friedhof in Brooklyn."

Das Gesicht ihres Gegenübers erhellte sich, als er ihr Ziel hörte. Bucky beobachtete den Verkehr und ordnete sich schließlich in diesen ein. Zügig schlug er die Richtung zum Friedhof ein. „Das ist ein schöner Friedhof. Als Kinder waren ich und Becca oft dort zum Spazieren. Er ist so schön angelegt, dass man fast vergisst, wo man sich befindet. Es freut mich, dass sie an einem Ort begraben werden konnte, an dem sie so gehangen hat."

Jo sah ihn lächelnd an und wandte sich dann ihrem Fenster zu und sah auf den Verkehr hinaus. Für den heutigen Tag hatten sie eines von Dads Autos ausleihen dürfen. Dieser war zuerst nicht begeistert gewesen, als Jo eröffnet hatte das sie mit Bucky zum Friedhof wollte. Nach dem gestrigen Vorfall  waren anscheinend seine Vorurteile Bucky gegenüber wieder hervorgekommen. Es hatte sie viel Überzeugungsarbeit gekostet, bis ihr Vater schließlich zugestimmt hatte. Aber letztendlich hatte er klein beigegeben.

Die nächste Hürde war Pietro gewesen. Er war kurze Zeit drauf ebenfalls auf der Krankenstation erschienen. Nachdem er gehört hatte was geschehen war, wäre er am liebsten auf Bucky losgegangen. Er konnte gerade noch von Steve zurückgehalten werden, der noch bei Ihnen geblieben war. Die Erklärung das ihr Onkel jetzt ungefährlich sei hatte er nur misstrauisch hingenommen. Und als er gehört hatte, wohin sie wollte, da hatte er sich gesträubt. Vor allem als er gehört hatte, dass sie keine weitere Begleitung wünschte. Es wäre beinahe in einen Streit ausgeartet. Dieser konnte nur dadurch verhindert werden da Steve sich eingemischt hatte und Pietro scharf zurechtgewiesen hatte. Dieser war letztendlich ohne ein weiteres Wort gegangen und hatte sich seitdem nicht mehr bei Joanna blicken lassen.

Sie seufzte tief. Pietro würde sie noch einmal ins Grab bringen. Er war manchmal viel zu hitzköpfig. Etwas was so ganz nicht ihrem Naturell entsprach. Sie war eher ruhig veranlagt und schätzte diese auch.

„Was ist los?" Fragte Bucky und warf ihr einen schnellen Seitenblick zu, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. „Ist es wegen Pietro?"

Jo wandte sich an Bucky und sah ihn nachdenklich an. „Ja." Sie zögerte einen Moment. „Ich habe ihn noch nie so wütend erlebt. Und einen Moment lang hatte ich auch Angst das er tatsächlich auf dich losgeht. Er wollte einfach nicht zuhören."

„Er hatte Angst um dich. Ebenso wie Tony." Sie blieben an einer roten Ampel stehen und Bucky sah sie liebevoll an. „Ich verstehe die Reaktionen der beiden voll und ganz. In den letzten Wochen ist einfach zu viel geschehen und manches davon wäre für dich beinahe schlecht ausgegangen." Er warf einen Blick zur Ampel und fuhr weiter. „Gib Pietro etwas Zeit. Er wird sich schon noch fangen."

„Meinst du wirklich?" Jo sah zweifelnd zu dem Mann am Steuer.

„Natürlich. Sieh es doch so. Du bist das Licht und er die Motte. Er kann dir nicht widerstehen und wird unweigerlich von dir angezogen."

Joanna verzog amüsiert ihr Gesicht, als sie diesen Vergleich hörte. „Interessante Metapher. So habe ich das ja noch nie gesehen. Aber ist eine Motte nicht wankelmütig und zieht von Licht zu Licht?"

„Ich glaube, bei dieser Motte trifft es nicht zu." Bucky rieb sich verlegen über sein Gesicht. „Ich weiß, dass dieser Vergleich hinkt. Aber mir ist nichts Besseres eingefallen."

Sie lachte, schüttelte ihren Kopf und sah wieder aus dem Fenster. Ihr Gesicht hellte sich auf, als sie sah, dass sie nicht mehr weit von ihrem Ziel entfernt waren. Nach wenigen Minuten fuhr Bucky auf den Parkplatz, parkte ein und schaltete den Motor aus. Einen Moment herrschte Stille und jeder von ihnen hing einen Augenblick seinen Gedanken nach.

Schließlich öffnete Jo die Tür auf ihrer Seite und warf Bucky noch einen aufmunternden Blick zu bevor sie ausstieg. „Kommst du?"

Sie holte noch den Blumenstrauß vom Rücksitz und setzte sich allmählich in Bewegung. Schnell hatte Bucky zu ihr aufgeschlossen. Gemeinsam gingen sie schließlich auf das gotische Tor zu, welches den Zugang zum Friedhof markierte. Wie jedes Mal blieb Jo vor dem Tor stehen und betrachtete es beinahe ehrfürchtig. Es hatte ihr schon als Kind gefallen und ihr Ehrfurcht vor diesem Ort eingeflößt.

„Wunderschön, oder?" War von Bucky zu hören, der ebenfalls stehen geblieben war und sich das Tor ansah.

„Ja. Komm mit."

Jo ging zügig voran und betrat das Gelände des Friedhofs. Erneut blieb sie stehen. Diesmal um sich kurz zu orientieren. Dadurch das sie nur jährlich hierherkam, fiel es ihr etwas schwer sich zu erinnern. Schließlich fiel ihr der Weg wieder ein und sie ging, gefolgt von Bucky wieder los. Dieser lief zuerst schweigend neben ihr her.

„Darf ich dich etwas fragen?"

Jo wandte ihm ihr Gesicht zu und sah ihn interessiert an. „Natürlich. Frag nur."

„Wie kommt es, das du Becca als deine Granny bezeichnest? Ist sie nicht eigentlich die Großmutter von deiner Mum gewesen?"

Einen Moment liefen beide schweigend nebeneinander, bevor Jo zu einer Antwort ansetzte. „Es ist kompliziert." Sie seufzte. „Oder eigentlich nicht. Meine tatsächliche Großmutter mag mich nicht sonderlich. Sie ist der Ansicht, dass sich Mum, dadurch das sie mich geboren hat, ihre Zukunft verbaut hat. Denn Mum war ihre Lieblingstochter. Das behütete Nesthäkchen, mit einer strahlenden akademischen Laufbahn. Und ich war das vaterlose Balg, das sie angehängt bekommen hat." Jo hörte, wie Bucky scharf die Luft einzog, als er das hörte. Sie sah ihn mit einem Lächeln an. „Genauso hat sie es mir gesagt. Zu diesem Zeitpunkt war ich gerade in den Kindergarten gekommen und hab es nicht wirklich verstanden. Also hab ich es Mum erzählt. Mum war dann so wütend, als sie gehört hat wie ihre Mutter mich genannt hat. Daraufhin hat sie den Kontakt zu ihr abgebrochen. Sie wollte nicht, dass ich so genannt, oder schlecht behandelt werde."

Während sie erzählt hatte, waren sie in einem Teil des Friedhofs angekommen, in dem mehrere Mausoleen standen. Jo und Bucky gingen gemeinsam zwischen ihnen durch, bis Jo schließlich vor einem schönen Mausoleum stehen blieb. Sie stutzte  zuerst, als sie ein Blatt Papier an der Tür kleben sah, beschloss  dieses aber zuerst zu ignorieren und legte die Blumen ab.

Sie sah zu dem Grab und fuhr in ihrer Erzählung fort. „Als ich klein war, hatte Mum nicht viel Geld, weswegen wir zuerst bei meinen Großeltern gewohnt haben. Diese Angelegenheit hatte sich dann aber erledigt und wir zogen in ein billiges Motel. Wir hatten gerade eine Nacht dort verbracht, als Granny vor der Tür stand. Sie schimpfte mit Mum und lud uns dann zu sich zum Wohnen ein." Jo ging in die Hocke und zupfte den Strauß zurecht. „Ihren Mann habe ich nie kennen gelernt, da er kurz nach meiner Geburt gestorben ist. Also hatte sie Platz für uns beide. Wobei ich aber auch glaube, dass sie uns einlud, damit sie nicht einsam war." Ein Lächeln schlich sich auf Joannas Lippen und sie sah hoch zu Bucky. „Sie war meine tatsächliche Großmutter. Sie hat mich zusammen mit Mum erzogen." Wehmütig wandte sie ihren Blick zu dem Steingebilde. „Sie las mir Märchen vor, hat sich meine unzähligen Kindersorgen angehört und war immer für mich da, wenn es meine Mum nicht sein konnte."

Bucky ging neben ihr in die Hocke und sah ebenfalls zum Grab. „Danke das du mir das erzählt hast." Er lächelte liebevoll, als er daran dachte. „Aber so war Becca. Hat sich immer um ihre Familie gesorgt."

„Ja, dass hat sie." Jos Blick wurde traurig, als sie an ihre Vergangenheit dachte. „Aber leider war es nicht für die Ewigkeit. Als ich neun war, wurde Granny krank. Ich glaube nicht, dass es was Ernsthaftes war. Sie war fast neunzig und ihre Kraft hatte ganz einfach nachgelassen. Kurz vor ihrem Ende ging sie noch in ein Krankenhaus, da sowohl sie als auch Mum Angst hatten sie könnte sterben, wen ich allein mit ihr wäre. Wenige Tage darauf ist sie friedlich eingeschlafen."

Jo wandte ihren Kopf zu Bucky und sah in sein trauriges Gesicht. Sie meinte zu verstehen, was in ihm vorging. Er hatte dadurch das er in den Krieg gezogen war das Leben seiner kleinen Schwester verpasst. Und auch sein eigenes.

„Und du bist seitdem jedes Jahr mit deiner Mum hierhergekommen?" Fragte Bucky schließlich.

„Ja." BestätigteJo. „Und jedes Jahr haben wir einen Strauß mit Grannys Lieblingsblumen hierher gebracht."

Jo wandte sich während dem sprechen wieder dem Mausoleum zu und verzog irritiert ihre Stirn. Dieses Blatt Papier störte sie ungemein. Sie stand auf und ging zu der Tür des Grabes. Vorsichtig entfernte sie den Klebestreifen und nahm das Blatt an sich. Sie las den Text durch und allmählich drangen die Worte zu ihr durch.

„Was zur Hölle...!?" Entschlüpfte ihren Lippen.

Bucky sah erstaunt zu ihr hin und trat ebenfalls näher. Er sah über ihre Schulter und las sich ebenfalls den Text durch. Aus dem Augenwinkel sah Jo wie sich sein Gesicht grimmig verzog.

„Friedhofsgebühren?"

„Offensichtlich." Entgegnete Jo, die weiterhin konzentriert den Text studierte. „Bisher wurden sie von meiner Mum, ihrer Schwester und deren Mutter getragen. Aber jetzt da Mum wegfällt, ist es den beiden wohl zu teuer für das Grab zu zahlen."

„Ach, und es ist günstiger meine Schwester und ihren Mann umzubetten?" Fragte Bucky ungehalten.

Jo zuckte ratlos mit den Schultern. „Offensichtlich."

„Ich will nicht, das die Ruhe von Becca gestört wird!" Bucky nahm ihr das Papier aus den Händen und las es sich noch einmal durch. „Was können wir dagegen machen?"

„Ich weiß nicht. Vielleicht zur Friedhofsverwaltung und mit denen reden." Joannas Gesicht hellte sich auf, als ihr eine Idee kam. „Wenn wir die Kosten übernehmen, dann können sie theoretisch nichts machen."

„Hast du denn das Geld dafür?" Bucky sah sie fragend an.

Jo grinste nur und klopfte auf ihre Umhängetasche. „Dad hat mir letzte Woche eine Kreditkarte mit meinem Namen ausgehändigt, über die ich frei verfügen kann. Ich glaube zwar nicht das er so etwas im Sinn hatte, aber ich denke nicht das er etwas dagegen hat, wenn ich sein Geld in etwas investiere, das mir wichtig ist."

„So schätze ich Tony auch nicht ein." Bucky sah sie an und ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Dir ist doch wohl klar, dass deine Tante und Großmutter schäumen werden."

„Das will ich doch hoffen." Erwiderte Jo mit einem spitzbübischen Grinsen. Sie sah kühl auf das Blatt. „Sollen sie sich doch beschweren. Denn dann bekommen sie was von mir zu hören!"

„Und von mir."

„Du wirst ihnen sicher mehr Angst einjagen als ich." Erwiderte Jo mit einem Lächeln. „Aber ich denke, dass es gut wäre, wenn sie dich kennenlernen."

Jo und Bucky sahen sich mit einem breiten grinsen an. Beide blickten noch einmal zu dem Grab zurück, bevor sie sich wieder in Bewegung setzten. Sie bahnten sich ihren Weg durch die Mausoleen und steuerten zügig die Friedhofsverwaltung an. Dort hatte sich die Angelegenheit schnell geklärt. Was wohl an Joannas Kreditkarte, als auch an Buckys bösen Blicken lag.

Zufrieden verließen beide den Friedhof, während sie sich angeregt unterhielten. Bucky blickte kurz hoch und stutzte, bevor ein Lächeln auf seinem Gesicht erschien. Er stupste Jo an und bedeutete ihr in die Richtung zu schauen, in welche er deutete. Jo tat wie geheißen und auf ihrem Gesicht erschien ebenfalls ein Lächeln.

Dort stand er.

Ihr persönlicher Held, der auf sie aufpasste.

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