20



20


Mit einem leisen Aufschrei schreckte Joanna aus ihren unruhigen Träumen hoch. Kerzengerade saß sie in ihrem Bett und sah sich gehetzt um. Als sie nichts Bedrohliches entdeckte, ließ sie sich zurück in ihre Kissen fallen und sah an die Decke. Sie strich sich mit ihrer Hand über die Stirn und spürte darunter die kalten Schweißperlen. Jo musste nicht lange darüber nachdenken, was sie geweckt hatte. Sie hatte von ihrer Entführung geträumt. Von dem Monster. Mal wieder. Schnell schlang sie ihre Arme um ihren zitternden Oberkörper. Allein der Gedanke an das Monster löste diese Reaktion in ihr aus.

Was sollte sie jetzt nur machen? Denn meist konnte sie nach ihren Träumen nicht mehr einschlafen. Ein Blick auf die Uhr auf ihrem Nachtkästchen zeigte ihr, das es noch mitten in der Nacht war. Gerade einmal zwei Uhr war vorbei. Zu Bucky wollte sie nicht schon wieder. Ihr Onkel hatte sich auch eine erholsame Nacht verdient, nachdem sie ihn bereits die letzten Nächte gestört hatte.

Onkel.

Es war seltsam ihn so zu bezeichnen. Eigentlich war er ein nahezu Fremder, der ihren Weg nur zufällig gekreuzt hatte. Aber dennoch fühlte sie sich ihm mehr verbunden, als dem Mann von Tante Margaret, den sie schon deutlich länger kannte. Was wohl aber daran lag, dass ihre Tante oft dazwischen gefunkt hatte, sodass sie keine besonders herzliche Beziehung aufbauen konnten. Letztendlich war sie diesem Onkel egal gewesen, der nicht einmal das nötige Interesse für seine eigenen Kinder aufbrachte. Außer sie brachten ausreichend Leistung.

Allmählich begann Jo zu frösteln, während sie ihre Gedanken in ihren Kopf herum wälzte. So merkte sie, dass nicht nur ihre Stirn verschwitzt war. Schnell stand sie auf und ging zügig zu ihrem Schrank und nahm sich ein neues Shirt, mit einer dazu passenden Pyjamahose. Ein Grinsen erschien auf ihrem Gesicht, als sie auf das Shirt sah. In großen Buchstaben war ACDC darauf zu lesen. Es war ein Ergebnis ihrer Shoppingtour mit ihrem Vater. Joannas Gesicht hellte sich weiter auf.

Das war es! Sie konnte ja in die große Werkstatt ihres Vaters schauen. Denn meist war dieser bis tief in die Nacht wach und tüftelte an neuen Erfindungen herum. Sie bezweifelte, dass es ihn stören würde, wenn sie ihm Gesellschaft leisten würde.

Zügig ging sie in ihr Bad und stieg schnell unter die Dusche. Joanna seifte sich gründlich ein und wusch sich somit den Schweiß weg. Nachdenklich sah sie dem Wasser hinterher, welches wirbelnd im Abfluss verschwand. Sie hatte gehofft, die Träume hinter sich gelassen zu haben. Aber wahrscheinlich verlangte sie zu viel auf einmal. Es war gerade eine Woche her das sie wieder aufgewacht war. Jo stellte das Wasser ab und griff nach einem Handtuch, um sich gründlich abzutrocknen. Sie hatte doch bereits große Fortschritte gemacht, indem sie gelernt hatte ihre Träume einzuschließen. Das Erlebnis mit Bucky in der vorherigen Nacht konnte man als einen unerwarteten Unfall bezeichnen.

Schnell zog sie sich an, schlüpfte in ihre Hausschuhe und öffnete schließlich leise ihre Zimmertür. Wie erhofft fand sie den Gang ausgestorben vor. Auch aus der kleinen Küche am Ende des Ganges war nichts zu hören. Aber da man bei den Bewohnern des Towers nie sicher sein konnte das es tatsächlich ruhig blieb, verließ Jo schnell ihr Zimmer und ging zügig auf den Aufzug zu.

Das Gefährt war schnell da, sodass sich die Türen leise vor ihr öffneten. Jo stieg ein und betätigte den Knopf für die Etage mit dem Labor und der Werkstatt. Sie lehnte sich an eine der kühlen Wände und sah den wechselnden Zahlen der Etagen zu. Im richtigen Stockwerk angekommen stieg Jo aus und schritt auf die geschlossenen Glastüren zu. Zu ihrer Erleichterung war der Raum dahinter hell erleuchtet. Also musste jemand anwesend sein. Wenn schon nicht ihr Vater, dann vielleicht Bruce.

Jo musste sich ein Grinsen verkneifen. Bruce beteuerte zwar immer wieder kein Psychologe zu sein, aber das hielt trotzdem niemanden davon ab zu ihm zu gehen. Selbst wenn er keine Lösung parat hatte, so war Bruce doch ein ausgezeichneter Zuhörer. Allein das half oft. Sein Problem auszusprechen ließ es in einem neuen Blickwinkel erscheinen. Das machte es einfacher damit umzugehen.

Vorsichtig öffnete Jo die Tür und trat ein. Wobei sie sich die Vorsicht auch hätte sparen können, denn es erklang lautstarke Musik. Also konnte das ja nur ihr Vater sein. Denn sie bezweifelte das Bruce eine geheime Vorliebe für Pink  Floyd hatte. Jo musste schmunzeln, denn in vielem war sie ihrem Vater doch sehr ähnlich. Denn seit ihrer frühen Jugend mochte sie Bands wie Pink Floyd, ACDC und Black Sabbath. Während sie ihren Musikgeschmack mit dem ihres Vaters verglich, ging Jo langsam näher zu dem Mann, der ihr den Rücken zukehrte. Sie zuckte zusammen, als ihr Vater plötzlich zu sprechen begann und die Musik somit verstummte.

„Du solltest wissen, dass sich in meinem Tower niemand an mich heranschleichen kann." Mit diesen Worten drehte er sich zu ihr um und sah sie lächelnd an.

Mit demselben Lächeln setzte sich Jo auf einen Hocker und sah ihren Vater prüfend an. „Was aber auch daran liegt, dass du die Gänge überwachen lässt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du Friday zu meinem Babysitter degradiert hast, der dir Bescheid gibt sobald ich mein Zimmer verlasse. Habe ich Recht?" Letztere Frage war ziemlich überflüssig, denn Jo sah das kurze Aufblitzen von Schuld im Gesicht ihres Gegenübers. Ertappt sah ihr Vater sie an. Sie schüttelte leicht verärgert ihren Kopf. „Könntest du das bitte sein lassen?"

„Wenn du darauf bestehst. Ich werde mich sofort darum kümmern." Er griff nach einem Tablet, welches neben ihm lag und fing an darauf herum zu tippen. Er sah entschuldigend zu Jo. „Aber ich hoffe doch, dass du mich zumindest ein bisschen verstehst."

„Ja, das tue ich." Jo seufzte tief. Sie war ihrem Vater nicht wirklich böse. Denn das letzte Mal war sie einfach verschwunden und entführt worden. Müde wandte sie sich dem Tisch zu, auf dem mehrere Konstruktionszeichnungen lagen. „Was machst du da?"

Tony legte das Tablet zur Seite und schob ihr die Zeichnungen zu. „Pläne für einen neuen Anzug und ein paar weitere technische Spielereien. Hier sind die dazu gehörenden Berechnungen." Dabei deutete er auf ein weiteres Blatt Papier.

Jo beugte sich interessiert darüber und verstand nur Bahnhof. Die Zahlen sagten ihr wenig. Und der Umstand, dass sie vereinzelt Buchstaben erblickte machte es nicht besser. Sie schob das Blatt wieder in Richtung ihres Vaters. „Sieht kompliziert aus. Auf jeden Fall übersteigt es meinen Horizont. Aber wie kommt es, dass du nichts davon digital hast?"

„Nun ja..." Tony griff nach einem Stift und besserte etwas aus. „Manchmal mag ich es auf die altmodische Art und Weise niederschreiben. Das verschafft mir einen anderen Blickwinkel." Er legte den Stift weg und sah Jo prüfend an. „Was ist los? Weswegen bist du um diese Zeit hier? Nicht das es mich stören würde. Aber..." Er brach mittendrin ab und sah Jo abwartend an.

Ihre Schultern sackten etwas herunter, als Jo an den Grund ihres Herkommens dachte. „Ich hab schlecht geträumt."

Einen Moment sah ihr Vater sie mitleidig an, bevor er sie wieder anlächelte. „Dann freue ich mich, das du da an mich gedacht hast und mich besuchst."

„Kann ich dir irgendwie helfen?" Versuchte Jo die Thematik von ihrem Traum abzubringen.

Ihr Vater sah sie erst scharf an, da er den Themenwechsel natürlich bemerkt hatte. Aber er ging zu Jos Erleichterung nicht darauf ein. Er überlegte einen Moment, bevor er den Kopf schüttelte. „Eigentlich nicht. Aber..." Er griff wieder nach dem Tablet und tippte darauf herum, bevor er es an Jo weiter reichte. „...du könntest dich an diesem Entwurf etwas austoben. Ich habe dir doch versprochen, dass du dich an einem der Anzüge gestalterisch versuchen kannst."

Joannas Gesicht hellte sich auf und sie sah auf den Bildschirm hinunter. Sie zog den Grafikstift aus der Halterung an der Rückseite des Tablets und sah wieder konzentriertauf die Vorlage. Es freute sie, dass ihr Dad nicht vergessen hatte, dass sie an einem seiner Anzüge arbeiten wollte. Jo sah kurz auf und betrachtete ihren Vater genau. Sie versuchte sich vorzustellen was für Farben zu ihm passen würden. Eigentlich alles. Denn er war nicht schüchtern, was ja die extravagante Farbe seines ersten Anzugs bewies. Ein Glück, denn so hatte sie viele Möglichkeiten.

So saßen Vater und Tochter schließlich nebeneinander und beschäftigten sich jeder mit seiner Arbeit.

Schließlich bemerkte Jo, wie ihr Vater sie nachdenklich ansah. Sie hob eine Augenbraue in die Höhe und sah ihn fragend an.

„Du hattest auch in den letzten Nächten Albträume, oder?" Fragte er, als er ihren Blick bemerkte.

„Ja." Jo senkte für einen Moment ihre Augen und sah auf das Tablet in ihren Händen. „Hast du das erraten oder hast du mir nach spioniert?" Sie hörte das amüsierte Lachen ihres Vaters und sah wieder hoch.

„Ich habe es nicht erraten. Ich weiß es." Tony unterbrach sich und sah einen Moment unschlüssig aus. Er öffnete seinen Mund, schloss ihn dann aber ohne ein Wort zu sagen. Er seufzte, stand auf und ging in den hinteren Bereich der Werkstatt. „Kaffee?"

Durch den abrupten Themenwechsel sah Jo ihn zuerst verwirrt an. Dann realisierte sie seine Frage und nickte mit dem Kopf. „Ja bitte. Viel Milch und viel Zucker." Sie stand auf und folgte ihm.

„Schade um den Kaffee." Kommentierte ihr Dad ihren Wunsch. Aber er bereitete ihr das gewünschte Getränk zu und deutete schließlich zu der kleinen Sofaecke, die Pepper unlängst eingerichtet hatte.

Als beide saßen, tranken sie schweigend ihre Getränke und hingen erneut ihren Gedanken nach. Jo war auf jeden Fall neugierig, was ihr Vater zu sagen hatte. Anscheinend fiel es ihm schwer darüber zu reden. Ihr Vater räusperte sich, sodass sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtete. Er lehnte sich zurück und sah gedankenverloren geradeaus.

„Dir muss doch bekannt sein das ich vor einigen Jahren ebenfalls entführt worden bin." Tony wartet kurz ihr nicken ab, bevor er fort fuhr. „Als ich wieder frei war, arbeitete ich wie ein Besessener an meinem ersten Anzug. Stellenweise sogar bis zu totalen Erschöpfung. Denn ich konnte nicht schlafen. Sobald ich die Augen schloss, war ich wieder dort." Tony umschloss die Tasse fest mit beiden Händen, so als versuche er die Wärme in seinen Körper zu ziehen. Schließlich stellte er die Tasse ab und sah auf seine Hände. „Ich war wieder in dieser Höhle. Spürte die kontinuierliche Angst um mein Leben. Wusste aber auch, dass man mich jederzeit töten würde, wenn ich keine Ergebnisse beim Arbeiten lieferte. Das ging einige Wochen so."

Jo stellte ihre Tasse ebenfalls ab und griff nach den Händen ihres Vaters. „Das wusste ich nicht." Sie blickte mit einem bitteren Lächeln in sein Gesicht. „Man vergisst zu leicht, dass auch anderen Schlimmes zugestoßen ist. Wann wurde es bei dir besser?"

„Es hat einige Zeit lang gebraucht, denn ich hab es allein mit mir ausgemacht. Ich wollte, so blöd es auch heute klingt, niemandem zur Last fallen. Wollte nicht zeigen das der große Tony Stark schwach ist. Die Rüstung sollte nicht nur meinen Körper schützen. Letztendlich wurde mir klar, dass ich den Anzug auch baute, um meine Gefühle zu schützen." Tony nahm Joannas Hände in seine und sah sie liebevoll an. „Das musst du nicht durchleiden, denn du hast uns. Hab keine Scheu zu uns zu kommen. Jeder von uns hat etwas worüber er nicht sprechen will. Wir wissen wie schwer es einem fällt. Aber nur wenn man sich mit seinen inneren Dämonen auseinandersetzt, kann man wieder halbwegs zur Normalität zurückkehren."

„Nur halbwegs?" Fragte Jo flüsternd.

Ihr Vater hob eine Hand und legte diese liebevoll auf ihrem Kopf ab, bevor er sie zu sich heranzog und ihren Kopf an seiner Schulter bettete. Jo sah in sein Gesicht hinauf und warte auf eine Antwort.

„Was geschehen ist können wir nicht mehr rückgängig machen. Wir müssen lernen damit zu leben." Flüsterte ihr Vater in ihr Haar. „Anfangs darfst du schwach sein, aber lass dich davon nicht unterkriegen. Versuche, so schwer es auch fällt, das Beste daraus zu ziehen. Damit es dich stark macht. Lass das Wissen und die Erfahrung deine Rüstung sein."

Jo nickte nur langsam und kuschelte sich an ihren Vater. Seine Worte gaben ihr einiges zum Nachdenken auf. Sie meinte zu verstehen, was ihr Vater ihr damit sagen wollte. Denn immerhin verstand er sie in dieser Hinsicht am besten. Ihre beiden Erlebnisse hatten genug Parallelen zueinander.

„Ich werde es versuchen." Jo sah nachdenklich auf den Boden. „Danke." Setzte sie noch nachträglich hinzu.

Als keine Antwort kam, sah sie verwundert hoch. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie in das schlafende Gesicht ihres Vaters sah. Die Aufregung um ihre Person hatte wohl nicht nur ihre Energiereserven verbraucht. Joanna überlegte, was sie machen sollte. Sollte sie aufstehen und damit riskieren ihren Vater aufzuwecken? Oder doch lieber bleiben? Letztendlich wurde ihr die Entscheidung von ihrem Körper abgenommen. Denn die ruhige und gleichmäßige Atmung ihres Vaters sorgte dafür, dass sie ebenfalls schläfrig wurde und allmählich einschlief.


Jo öffnete ihre Augen zu kleinen Schlitzen, als sie ein leises Rascheln hörte. Ein schneller Blick zeigte ihr, dass ihr Vater noch schlief. Ihr fiel auf, dass sie beide beim Schlafen an der Lehne hinuntergerutscht waren und jetzt nebeneinander auf dem Sofa lagen. Aber auch weiterhin lag ihr Kopf an der Schulter ihres Vaters. Neu war nur die Decke, die über sie beide ausgebreitet worden war und das inzwischen gedimmte Licht in der Werkstatt.

Als sich das Geräusch, welches sie geweckt hatte wiederholte, hob Jo ihren Kopf. Sie erblickte gerade noch den Rücken von Pepper, die gerade die Werkstatt verließ. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Ihr Vater und sie hatten großes Glück, das sie Pepper hatten.

Joanna legte ihren Kopf wieder zurück und schloss ihre Augen. Innerhalb weniger Minuten war sie schließlich wieder eingeschlafen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top