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Joanna erwachte aus ihrem unruhigen Schlummer. Sie wusste nicht genau, wie viel Zeit seit der Bestrafung vergangen war. Aber sie spürte, dass sich ihr Zustand verschlechtert zu haben schien. Es fühlte sich an, als wenn sich die Wunden entzündet hätten und sie Fieber hätte, denn ihr war abwechselnd heiß und dann wieder entsetzlich kalt. Ihr Rücken pochte unerträglich und das getrocknete Blut spannte auf ihrem Körper.

Sie wandte ihren Kopf mühevoll weg von der Wand. Das war der sicherste Weg um dem Monster nicht in die Augen sehen zu müssen. Obwohl sie seinen Blick die ganze Zeit gespürt hatte. Sie fragte sich, welchen Sinn es hatte sie hier so liegen zu lassen. Mit der Gefahr das sich eine lebensgefährliche Infektion ausbreitete. Lebend war sie doch wertvoller. Aber was wusste sie schon, was im Kopf dieser Verrückten los war.

Sie öffnete ihre Augen zu schmalen Schlitzen und sah auf dem Boden neben ihrer Pritsche einen Becher stehen. Sie spürte ein Unbehagen in sich aufsteigen, da sie nicht mitbekommen hatte, als jemand in ihre Zelle gekommen war. Er war wohl auch erst kürzlich hingestellt worden. Denn sie sah, dass er beschlagen war und Wassertropfen an seiner Außenseite zu Boden liefen. Jo richtete sich mühevoll auf ihre Ellbogen auf und griff nach dem Becher. Sie hob ihn langsam hoch und fuhr mit der kalten Außenseite über ihre Stirn. Es erfrischte sie und sie bemerkte, wie ihr Kopf etwas klarer wurde. Jo führte den Becher zu ihrem Mund und stutzte.

Sie schnüffelte vorsichtig an dem Wasser. Etwas stimmte nicht, denn ein metallischer Geruch hing an dem Wasser. Er verstärkte sich sogar, als sie den Becher schüttelte und das Wasser damit in Bewegung setzte. Wenn sie raten müsste, dann würde sie auf eine nette kleine Droge tippen. Mit bebenden Lippen sah Jo den Becher an. Sie hatte solchen Durst, aber sie wollte nicht riskieren etwas von der Substanz in ihren Körper gelangen zu lassen.

Frustriert ließ sie den Becher sinken. Wer weiß, ob sie nicht bereits etwas von der Substanz in ihren kargen Mahlzeiten erhalten hatte. Aber jetzt wo sie es bemerkte, wollte sie es definitiv nicht riskieren. Behutsam hielt Jo ihren Kopf aus dem Bett, dann nahm sie erneut den Becher und schüttete sich den Inhalt über ihren Kopf. Sorgfältig darauf bedacht das nichts von der Flüssigkeit in Berührung mit den offenen Wunden kam. Sie ließ den Becher fallen und das Geräusch des Aufpralls hallte laut in ihrer Zelle.

Anschließend lehnte sie sich wieder zurück und fing an zu grübeln. Hatte sie das mit James nur geträumt? Sie konnte es nicht mit Gewissheit sagen. Aber andererseits erinnerte sie sich genau an das kalte Metall seiner Hand. Wie es sich angefühlt hatte diese zu berühren. Was war passiert? Hatte sie es irgendwie geschafft ihren Geist in den von jemand anderen zu projizieren? Sie hoffte es, denn dann hieße es das tatsächlich jemand kommen und sie hier herausholen würde.

Jo war froh, dass sie ausgerechnet James' Geist gefunden hatte. Denn er schien tatsächlich zu wissen, wo sie versteckt war. Sie hoffte jetzt nur noch das ihr Vater James glauben und sie mit den anderen holen würde. Denn sie spürte, wie ihr die Zeit davon lief. Das Auspeitschen hatte ihr gezeigt das Braun alles tun würde, damit ihr Vater in der Spur blieb. Und das hieße, dass er sie wohl bald dem Monster überlassen würde. Sie schauderte bei dem Gedanken.

Joanna richtete sich vorsichtig auf. Kurz wurde ihr schwindelig und der Schmerz in ihrem Rücken verstärkte sich wieder. Aber sie wollte nicht mehr liegen bleiben. Nicht zu wissen was in ihrem Rücken geschah und wer sich dort aufhielt, ertrug sie hier nicht. Lieber saß sie da und sah den Menschen, die an ihrer Zelle vorbeikamen, ins Gesicht. Soweit sie diese erkennen konnte, denn ihre Brille hatte den Schlag ins Gesicht wohl nicht überstanden. Zumindest sah sie diese nirgends. Sie setzte sich langsam hin und griff unter ihre Pritsche. Nach kurzem Suchen hatte sie ihre Jacke gefunden und hervor gezogen. Mit langsamen Bewegungen zog sie ihr zerfetztes Shirt aus und schlüpfte in ihre Jacke. Sie wusste, dass es wehtun würde, sollte sie die Jacke wieder ausziehen wollen. Aber das war besser, als in zerfetzter Kleidung dazusitzen. Jetzt fühlte sie sich zumindest etwas wohler.

Jo vergrub ihre Hände in den Taschen ihrer Jacke und zog schließlich eine zerknitterte Karte hervor. Sie nahm sie in beide Hände und sah mit zitternden Lippen auf die Schrift. Dachte an die Auseinandersetzung mit Pietro, die ihr diese Karte eingebracht hatte. Ein flüchtiges Lächeln zeigte sich in ihrem Gesicht, als sie daran dachte. Wie unbedeutend war das alles doch gewesen. Sie hielt die Karte an ihre Lippen und hauchte einen Kuss darauf.

„Was hast du da?"

Fragte eine barsche Stimme, welche sie zusammen zucken ließ. Sie sah schnell auf und verbarg die Karte in ihrer Hand. Braun stand vor ihrer Zelle und sah zu ihr hinein. Sein Blick war deutlich verärgert, so wie vor der letzten Bestrafung.

„Nichts!" Antwortete Jo schnell. Er durfte die Karte nicht finden. Die paar Worte darauf hatten ihr an manchen Tagen geholfen nicht vollkommen zu verzweifeln. Hatten sie daran erinnert, dass es noch ein draußen gab, das dort Menschen auf sie warteten und nach ihr suchten. Er  durfte sie nicht haben!

Braun sah sie durch zusammen gekniffene Augen an. Es war offensichtlich, dass er ihr nicht glaubte. Er sah kurz zur Seite. „Friedrich. Komm mit!" Anschließend machte er sich daran die Zelle zu öffnen.

Jo musste trocken schlucken als sie den anderen Mann erblickte. Natürlich ist er nicht weit weg gewesen. So wie jedes Mal. Sie wich an die Wand zurück und zischte schmerzerfüllt, als sie mit dieser in Berührung kam. Hektisch sah sie sich um. Aber es gab nichts, was ihr helfen konnte.

Beide Männer betraten die Zelle und kamen auf sie zu. Jo hielt die Karte noch immer in ihrer geballten Faust. Unfähig sich zu bewegen. Beide blieben vor ihr stehen.

„Gib mir sofort was du da hast!" Forderte Braun sie harsch auf.

Jo schüttelte nur den Kopf.

Wut blitzte in Brauns Augen auf. „Nimm es ihr ab!" Befahl er dem anderen Mann.

Friedrich nickte nur und trat zu Joanna an ihre Pritsche. Sie hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen als sie seinen Blick auf ihrem Körper bemerkte. So sah er sie immer an. Sie versuchte seinen tastenden Händen zu entgehen, aber sie hatte keine Chance. Er packte ihre Hand in einen festen Griff und stemmte ihre Finger auf. Jo versuchte ihn mit ihrer anderen Hand daran zu hindern. Sie kratzte und zwickte ihn, aber natürlich hatte es wenig Auswirkung auf das Monster vor ihr. Wenn sie sich nicht irrte, dann sah er sogar glücklich über ihre Gegenwehr aus. Er nahm ihr die Karte weg und reichte sie über seine Schulter an Braun weiter.

Aber er entfernte sich nicht von ihr. Er kniete immer noch auf ihrer Pritsche und hielt ihre Hände in einem eisernen Griff. Seine kalten Finger ließen sie erschaudern. Ekel erfüllte sie, als er anfing über ihren Oberschenkel zu streicheln. Jo versuchte ihm erneut auszuweichen, aber er hielt sie weiter an Ort und Stelle.

„So so. Süße Worte von Pietro." Ließ Braun spöttisch nach einem Blick auf die Karte vernehmen.

„Bitte geben sie mir die Karte wieder!" Flehte Joanna ihn fast an. Mit Angst sah sie seinen Blick. Ein schmerzvolles Keuchen entwich ihr, da das Monster fester zugepackt hatte.

„Aber nicht doch mein Kind." Braun nahm die Karte in beide Hände. Er genoss sichtlich das Flehen seines Gegenübers. Ganz langsam riss er die Karte entzwei. Er legte sie wieder zusammen und riss sie noch einmal aufreizend durch. Immer wieder bis nur noch kleine Schnipsel übrig waren, die er langsam auf den Boden rieseln ließ. „Du weißt doch hoffentlich, dass Ungehorsam bestraft gehört."

Gebannt sah Jo auf die Papierfetzen auf dem Boden. Spürte ihr Rettungsseil vor dem Wahnsinn zerreißen. Das erste Mal seit Tagen spürte sie etwas anderes als Angst. Heiße Wut regte sich in ihr. Es brauchte ein Ventil und diesmal nahm sie es bereitwillig an. Sie blickte auf und sah zornig zu Braun hinauf.

„Ach fick dich doch du Wichser! Du und alle aus deinem Drecksverein!" Zischte sie zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.

Braun sah sie zuerst entgeistert an, bevor seine Gesichtszüge zu seiner gewohnten kalten Maske zurückkehrten. Er zeigte sein übliches kaltes Lächeln. „Sie gehört dir Friedrich. Mach mit ihr was du willst, aber mach es langsam und lass sie danach zumindest am Leben."

Jo hörte das erfreute Aufkeuchen des Monsters vor ihr. Sie war so wütend, sodass sie seine gierigen Hände fast nicht spürte. Sie hob ihre Hand und schlug ihm ins Gesicht. Er holte wie zur Antwort ebenfalls aus und wollte zurückschlagen.

„Fass mich nicht an!" Schrie sie ihm daraufhin ins Gesicht.

Sie stellte sich vor, wie er wegflog und sich den Kopf anschlug. Augenblicklich geschah es. Jo zuckte mit keiner Wimper, als es geschah. Ein kleines Grinsen erschien auf ihrem Gesicht als das Monster mit seinem Kopf gegen das Glas prallte. Braun war erschrocken zurückgesprungen und sah sie jetzt schockiert an. Doch Jo registrierte es nicht. Sie hatte ihren Oberkörper vorgebeugt und fixierte ihren Blick auf den am Boden liegenden.

Sie war wie im Wahn.

Jo stellte sich vor, wie sein Kopf immer wieder fest gegen das Glas schlug. Und so geschah es.

Immer und immer wieder.

Das Monster, welches sich nach dem ersten Schlag noch bewegt hatte, lag jetzt still da. Joanna sah zufrieden, wie ein feines rotes Rinnsal seinen Hals entlang lief. Aber es reichte nicht. Es würde nie genug sein. Es musste ein Ende nehmen!

Ein weiterer Schlag folgte und der Kopf des Monsters war auf einmal seltsam unförmig. Aber es war getan. Er lag still da. Vor diesem brauchte sie keine Angst mehr zu haben.

Nie mehr!

Joanna blinzelte so, als wenn sie aus einem langen Schlaf aufwachen würde und sah einen  Augenblick erschrocken drein. Sie hatte nicht erwartet, dass es tatsächlich so gut klappen würde. Aber einen Moment lang fühlte es sich gut an. Er hatte bekommen was er verdiente. Und dann schlug die Realität über ihr ein. Traf sie eiskalt.

Sie hatte einen Mann getötet.

Sie hatte es gewollt.

Und sie hatte es gut gefunden.

Jo sah schockiert auf und blickte in Brauns Gesicht. Ein Gesicht das denselben Horror widerspiegelte wie wohl auch das ihre. Er hatte seine Hand erhoben und im selben Moment verspürte Jo einen dumpfen Schlag auf ihren Kopf. Das letzte was sie hörte, waren Brauns Schreie nach einem Sedativum.


Joanna drehte sich langsam um ihre eigene Achse. Sie war wieder in ihrem Nebelreich. Bloß dieses Mal spürte sie keiner Bedrohung von einer anderen Präsenz ausgehen. Das Monster war endgültig weg. Tot.

Und noch etwas anderes hatte sich geändert. Davor war es ruhig und still gewesen, aber jetzt hörte sie ein beständiges und leises Donnergrollen. Zudem waren die Wolken nicht mehr grau, sondern hatten einen rötlichen Ton angenommen.

Das ängstigte Joanna mehr als das Monster davor. Ihr war klar, dass sie selbst Schuld an diesem neuen Aussehen war. Dadurch das sie jemandem getötet hatte. Dadurch das ein dunkler Teil in ihr es gut gefunden hatte. Es genossen hatte.

Sie fing an zu laufen. Sie musste sofort hier weg! Davor hatte sie doch auch jemanden gefunden. Vielleicht auch jetzt wieder.

'JAMES!' Schrie sie.

Wie erwartet erhielt sie keine Antwort. Sie war allein. Allein in dieser rot glühenden Dunkelheit.

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