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Es war ein grauer Apriltag und Joanna saß mit einer Tasse Tee an ihrem Schreibtisch. Sie rührte gedankenverloren in dieser herum, lehnte sich in ihrem Sessel nach hinten und sah aus dem Fenster. Graue Wolken und immer wieder Regen. Genau dieselbe Stimmung spiegelte sich auch in ihrem Bild wider. Jo sah auf den Bildschirm. Ein hoher Turm, der von dichten Wolken umschlossen wurde. Aber in ihrem Bild hatte sie wenigstens einen kleinen Funken blau unterbringen können, der sich im realen Himmel einfach nicht zeigen wollte.
Während sie so da saß, sah Joanna weiterhin auf ihr Bild. Es war sozusagen eine Reaktion auf ihren heutigen Traum. Sie wusste nicht mehr genau was, aber es hatte ein unbestimmtes Gefühl der Bedrohung in ihr hinterlassen. Jo griff nach ihrem Stift und arbeitete einen Stern ein, der sich im oberen Teil des Gebäudes zeigte. Allein das Zeichen reichte aus, um ihr Unbehagen etwas zu lindern. Sie hatte dieses Symbol in ihrem Traum gesehen und sofort gewusst das es eine Person darstellte. Jemand der noch nicht greifbar war. Aber ihr Gefühl hatte ihr zu verstehen gegeben, das es bald der Fall sein würde. Dann war sie schweißgebadet aufgewacht.
Wenn sie nur wüsste was, es zu bedeuten hatte.
Jo zuckte schließlich resigniert mit ihren Schultern und speicherte ihre Arbeit ab. Sie stand auf und streckte sich genüsslich. Ein Blick auf die Uhr ihres Rechners zeigte ihr, das es inzwischen fast Mittag war. Einen Moment wunderte sie sich das sie nicht mehr gestört worden war. Vor allem Pietro hatte kein Gespür dafür wenn sie mal ihre Ruhe brauchte. Das hatte er die letzten Tage mehrmals bewiesen. Aber einerseits konnte sie sich vorstellen, warum er bis jetzt nicht aufgetaucht war. Und sie war deswegen froh darum.
Nach dem gestrigen Treffen mit Peter hat Pietro sie den restlichen Abend nicht mehr aus seinem Blickfeld gelassen. Gut, das sie nicht mehr vorgehabt hatten als die Serie anzuschauen. Jo musste kurz grinsen, als sie an die Diskussion vor dem Abendessen dachte. Er wollte zuerst nicht gehen, da Friday bestätigt hatte das Peter mitessen würde. Jo hatte ihn daraufhin als eifersüchtig betitelt und war letztendlich aufgestanden und einfach gegangen. Pietro war ihr schließlich hinterher getrabt und hatte darauf geachtet, dass Peter ihr nicht mehr zu nahe kam.
Jo trat ans Fenster und sah in die dichten Wolken hinaus. Wieder musste sie grinsen, denn ihr Vater wiederum hatte im Gegenzug versucht, das Pietro ihr nicht zu nahe kam. Peter war in seinen Augen wohl keine Bedrohung oder aber die deutlich bessere Wahl als der Speedster. So war das Abendessen in Chaos ausgeartet und sie hatte zwei mehr oder weniger verrückte Männer ertragen müssen, da sie leider direkt zwischen ihnen saß. Letztendlich hatte Wanda, nachdem sie Jos flehenden Blick bemerkt hatte, einen kleinen Gedankentrick anwenden müssen, damit Ruhe herrschte. Auf jeden Fall wusste Natascha jetzt auch Bescheid, da sie Jo nach dem Abendessen ein verschwörerisches Grinsen zugeworfen hatte. Aber bei ihr konnte sich Jo sicher sein, dass sie ihr Wissen für sich behalten würde.
Joannas Hand ging zu ihrem Hals und betastete die linke Seite. Ein missmutiges Knurren entwich ihrer Kehle, als sie die leichte Veränderung der Haut fühlte. Pietro hatte ihr gestern Abend einen beachtlichen Knutschfleck verpasst und danach war es irgendwie eskaliert. Denn nach dem Abendessen hatte Pietro wieder mit ihr allein die Serie schauen wollen. Was ja vollkommen in Ordnung ging und weswegen sie zuerst auch zugestimmt hatte. Aber im Verlauf einer Folge war er immer anhänglicher und fordernder geworden. Jo hatte sich letztendlich nicht weiter zu helfen gewusst und ihm mit ihrem Ellbogen einen Schlag dorthin verpasst, wo es weh tat. Daraufhin war sie getürmt und in ihr Zimmer gerast.
Sie hatte dort schnell ihre Zimmertür abgesperrt und nicht auf sein dringendes Klopfen reagiert. Jo hatte schnell eine Textnachricht an Wanda geschickt, die ihr dann auch sofort geholfen hatte. Durch die Tür hatte sie dann mitgehört, wie Wanda Pietro zur Schnecke gemacht hatte. Dieser hatte nicht viel darauf erwidert und war nach einiger Zeit in sein Zimmer zurückgegangen.
Nach diesem Vorfall war dann Wanda zu ihr ins Zimmer gekommen und hatte sich alles erzählen lassen. Jo war verwirrt gewesen, denn sie wusste nicht so Recht, wie sie auf Pietros Verhalten reagieren sollte. Dieses plötzliche aggressive Gebaren. Auch jetzt hatte sie keine wirkliche Idee. Wanda hatte auch nicht viel dazu sagen können, sodass sie letztendlich nur beruhigend über Joannas Rücken gestreichelt hatte.
Das einzige was ihr eingefallen war, war Flucht.
Also war sie heute in aller Früh aufgestanden und hatte sich in der großen Küche etwas zum Essen und trinken organisiert und war wieder in ihrem Zimmer verschwunden. Ihr Vater hatte sie im Verlauf des Vormittags kontaktiert und wollte wissen, was los war und so hatte sie ihm etwas von einer zündenden Idee erzählt, was ja so auch nicht gelogen war.
Pietros Nachrichten, die auf ihrem Handy eingingen hatte sie bis jetzt gekonnt ignoriert. Sie hatte das Gerät sogar ins Bad gelegt, damit sie nicht mal auf die Idee kam auf das Display zu schauen. Sollte er doch etwas schmoren.
Aber was sollte sie heute noch machen? Jo wandte sich von der Fensterfront ab und sah nachdenklich in den Raum hinein. Arbeiten wollte sie nicht mehr. Nach der Arbeit an dem Bild fühlte sie sich zu ausgelaugt, um noch länger am Laptop zu sitzen. Vielleicht wäre raus gehen eine Option. Sie war seit Tagen nur noch im Tower. Und die Neugierde auf ihr Gesicht hatte sich soweit gelegt, sodass der Tower nicht mehr von der Presse belagert wurde. Wobei sie wohl eh einen der Nebenausgänge nutzen würde. Sonst würde ihr Dad noch darauf bestehen, dass sie jemanden mitnahm.
Schnell lief Jo zu ihrem Schrank und zog sich eine frische Jeans und ein frisches Shirt an. Dann huschte sie ins Bad und sah prüfend in den Spiegel. Ihr Blick wanderte wieder zu ihrem Hals. Sie schnaubte wütend. Was hatte er es auch so übertreiben müssen? Flink verbarg sie Pietros Spuren unter Abdeckstift und Puder. Um ganz sicher zu gehen, damit niemand etwas sah, schlang sie ein Tuch um ihren Hals. Anschließend schnappte sie sich ihre Tasche und Jacke, bevor sie in ihre neuen Chucks schlüpfte.
Joanna öffnete ihre Zimmertür und schielte vorsichtig hinaus. Zu ihrer Erleichterung sah sie niemanden und sie hörte auch nichts. Leise trat sie aus ihrem Zimmer und hörte ein leises Rascheln, als sie mit dem Fuß auftrat. Sie sah auf den Boden und entdeckte, dass sie auf eine Karte getreten war. Neugierig hob sie diese auf und sah im Gehen darauf.
Es war eine Entschuldigungskarte von Pietro. Es waren bunte Schmetterlinge darauf abgedruckt und er hatte nur wenige Worte dazu geschrieben.
'Mein gestriges Verhalten tut mir leid. Kannst du mir verzeihen? Pietro'
Jo sah auf diese Worte und trat in den Aufzug. Sie drückte den Knopf für die unterste Etage und überlegte. Gab es so viel zu vergeben? Er hatte impulsiv gehandelt und seinen Instinkt übernehmen lassen. Sie war einfach nur ein kleines Mädchen, das keinerlei Erfahrung hatte und nicht damit umzugehen wusste. Eigentlich war sie irgendwo ja mit Schuld an seiner Reaktion. Jo seufzte und steckte die Karte in die Innentasche ihrer Jacke. Sie wusste, dass sie Pietro verzeihen würde. Wäre er persönlich vor ihr gestanden, dann hätte sie unter seinem Hundeblick wohl gleich klein bei gegeben. So war der Abstand zu ihm wohl nicht das schlechteste.
Der Aufzug hielt an und die Türen öffneten sich. Vorsichtig schielte sie in die Eingangshalle hinaus und von dort weiter Richtung Ausgang. Es waren keine verdächtigen Personen zu sehen, aber sie mit ihrem ungeschulten Blick konnte da nicht sicher sein. Was sollte sie jetzt machen?
„Friday gibt es einen Hinterausgang, durch den ich raus könnte?" Fragte sie die KI.
„Wollen sie etwa türmen, damit der Boss nichts mitbekommt?" Fragte Friday amüsiert.
„Nicht ganz. Dad würde mir sonst einen Babysitter mitschicken. Ich will einfach nur Richtung Bücherei." Antwortete Jo wahrheitsgemäß. „Also gibt es einen anderen Ausgang?"
Einen kurzen Moment herrschte Stille und Jo befürchtete schon das Friday doch ihren Vater verständigt hatte. Sie atmete erleichtert auf, als sie Fridays Antwort hörte.
„Am besten ist es wenn sie durch die Tiefgarage gehen. Dort gibt es einen weiteren Ausgang, der nur von mir überwacht wird."
„Und lässt du mich da durch?" Fragte Jo hoffnungsvoll.
„Wenn sie pünktlich zum Abendessen wieder zurück sind, sehe ich kein Problem darin sie gehen zu lassen." Antwortete Friday.
„Natürlich! Du bist die beste!" Gab Jo erfreut von sich.
Kaum hatte sie ausgesprochen, als die Türen des Aufzugs sich wieder schlossen und er sich wieder in Bewegung setzte. Jo spürte, dass es weiter nach unten ging. Nach wenigen Augenblicken war sie in der Tiefgarage angelangt. Dort bestaunte sie für einen Moment den beachtlichen Fuhrpark, bevor sie den blinkenden Deckenlichtern folgte, die Friday für sie aktivierte.
Nach ein paar Minuten gelangte sie zu einem schmalen Gang. Dieser war zwar hell beleuchtet, aber dennoch zögerte Jo für einen Moment.
„Nach etwa zehn Metern kommen sie zu einer Gabelung, dort wenden sie sich nach rechts bis sie schließlich zu einer Tür kommen. Diese werde ich bereist für sie geöffnet haben." Informierte sie Friday.
„Danke dir." Jo trat in den Gang. „Wie versprochen bin ich spätestens zum Abendessen da."
Sie lief schnell durch den Gang und wandte sich wie beschrieben nach rechts. Nach ein paar Metern sah sie eine offene Tür. Jo griff nach der Klinke und sah durch den bestehenden Spalt. Draußen war eine ruhige Seitenstraße auszumachen und sonst nicht viel mehr. Sie stieß die schwere Tür auf und trat nach draußen. Hinter sich hörte sie das Zufallen der Tür und setzte sich anschließend in Bewegung.
Schnellen Schrittes lief Jo zu der belebten Straße und blickte sich schnell um, damit sie sich orientieren konnte. Sie wandte sich nach rechts und fing an in Richtung Central Park zu gehen. Auf halbem Weg dorthin sollte sie bei der New York City Public Library ankommen. Es war ein gutes Stück zu gehen, aber die Bewegung tat ihr nach Tagen im Tower gut. Erst jetzt merkte sie, wie es ihr gefehlt hatte draußen unter so vielen Menschen zu sein.
Eine unter vielen zu sein.
Beschwingt kaufte sie sich beim nächsten Coffee-Shop einen Cappuccino und ging dann langsam weiter. Trotz des grauen Wetters genoss sie ihren Spaziergang. Joanna liebte es, die Menschen um sie herum zu beobachten. Es gab einfach keine bessere Inspirationsquelle als zu Fuß durch Manhattan zu gehen.
Nach einer guten halbenStunde kam sie schließlich bei der Bücherei an. Jo sah noch einmal in den Himmel und stellte fest, dass sie wohl Glück hatte, den es waren erneut Regenwolken aufgezogen und sie spürte bereits die ersten Regentropfen in ihrem Gesicht. Zügig betrat sie das Gebäude und ging in diesem gleich in die Romanabteilung. Sie hatte schon lange kein gutes Buch mehr gelesen und hoffte hier fündig zu werden.
So verbrachte sie die nächsten Stunden. Lesend und zufrieden mit sich und der Welt.
Nach einiger Zeit verließ Joanna schließlich die Bücherei. Sie hatte nicht vergessen, was sie Friday versprochen hatte. Aber leider hatte jemand vor ihr in der Schlange zum Ausleihen der Bücher gestanden, sodass es etwas länger gedauert hatte und sie jetzt deutlich zu spät dran war.
Joanna sah nach oben und stellte missmutig fest, dass es noch immer regnete. Schnell prüfte sie, ob ihre Tasche mit den Büchern gut verschlossen war, bevor sie sich die Kapuze über ihren Kopf zog und loslief. Leider brachte ihre Jacke wenig und sie war nach einem Block bereits durchnässt. Zu allem Überfluss schaltete vor ihr noch eine Ampel auf rot, sodass ihr nichts anderes übrig blieb als stehen zu bleiben.
Sie strich sich die nassen Haarsträhnen aus der Stirn und sah erstaunt, wie ein schwarzer Lieferwagen vor ihr zu stehen kam. Bevor ihr Kopf die Gefahr erkannte, wurde sie schon durch die sich öffnende Tür gestoßen, wodurch sie unsanft in dem Wagen landete. Sie wollte sich schnell aufrappeln, als sie bereits einen Schlag auf dem Hinterkopf spürte, welcher ihren Kopf und ihre Gedanken in Dunkelheit stürzte.
Das letzte was sie sah, bevor sie ihr Bewusstsein verlor war ein Symbol. Es war ein roter Kraken auf schwarzem Grund.
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