Teil 31

Zielstrebig ging Valeria durch die Straßen, es war nicht weit bis zum Friedhof. Schon vom Zaun aus sah sie die kleine Truppe Menschen, ganz in Schwarz, die am anderen Ende des Friedhofs unter einer Baumgruppe stand, um sich vor der Sonne zu schützen.

Valeria blieb stehen, immer noch von einem Zauber verborgen, und beobachtete sie aus der Ferne. Sie erkannte ohne Mühe ihre Mutter, die Henry an der Hand hielt und sich mit Mrs Black unterhielt. Ihr Erscheinen überraschte Valeria. Zwar hatten ihre Eltern geplant, dass sie eine Black werden würde, aber dennoch war es zu keiner offiziellen Verlobung gekommen und folglich müsste auch keiner der Blacks hier sein.

Valerias Blick wanderte wieder zu ihrem Bruder.

Er wirkte teilnahmslos, sagte nichts und starrte nur auf den Boden.

„Es ist besser so, Henry", murmelte Valeria, auch wenn sie wusste, dass er sie nicht hören konnte. „Für uns alle."

Die Friedhofstür stand weit offen, aber auch sonst hätte niemand ihr Näherkommen bemerkt. 

Der Weg, welcher wohl noch vor einigen Stunden ordentlich geharkt war, war nun bereits von vielen Schuhen zertrampelt worden. Ihre Abdrücke fielen nicht auf.

Sie hörte die Stimme ihrer Mutter, wie sie bedauerte, dass es zu keiner Hochzeit kam und Wut koche in Valeria auf. Natürlich war das das Schlimmste. Sie beerdigte hier ihre sechzehnjährige Tochter und nur die ausgefallene Hochzeit bedauerte sie.

Valeria hatte Mühe, ihre Wut zu kontrollieren. Das war früher anders gewesen, fiel ihr plötzlich auf. Früher hatte sie nie so mit ihren Gefühlen gekämpft. Machte sie das unberechenbarer?

Während sie darüber nachdachte, verabschiedete sich Mrs Black. Ihre Mutter hob die Stimme und lud die anderen Trauergäste – die Valeria gar nicht oder nur flüchtig kannte – zu der Trauerfeier im Haus der Familie Potter ein.

Geschlossen setzten sie sich in Bewegung, den Weg entlang auf sie zu. Valeria stellte sich an die Seite, um alle vorbeizulassen. Henry, der immer noch teilnahmslos wirkte, wurde mitgezogen. Er ging so nah an Valeria vorbei, dass sie die Hand ausstrecken und ihn übers Haar streichen könnte, wenn sie wollte, doch alles was sie bemerkte, war die Fassungslosigkeit und die Trauer in seinen Augen. Ihre Mutter warf noch einen Blick zurück, ein wehmütiger Ausdruck lag in ihrem Gesicht.

Valeria folgte ihrem Blick und bemerkte nun den kleinen Grabstein, der vorher von allen verdeckt worden war. Er stand abseits von den anderen Gräbern, allein im Schatten eines Baumes. Es war ein schmuckloser Stein mit einer silbernen Inschrift.

Valeria ging näher heran, um sie zu lesen.

Evelyna Valeria Potter
05.07.1883 – 14.09.1899
Mögest du deinen Frieden finden

Valeria konnte ein genervtes Seufzen nicht unterdrücken. Dieser Satz triefte ja nur so vor Liebe und Tiefgründigkeit. Aber da ihr Vater ihr bereits gesagt hatte, dass sie noch einmal mit ihrem Auftauchen gerechnet hatten und vermutlich dachten sie auch, dass sie ihr Grab suchen würde und wollten ihr auf diese Weise eine Nachricht zukommen lassen. Nur interessierte Valeria sich herzlich wenig dafür.

Aber trotzdem musste sie zugeben, dass die Stelle ihres Grabsteins doch schön war. Sie warf einen wachsamen Blick zurück, doch von den Gästen, die zu ihrer Beerdigung gekommen waren, konnte sie niemanden mehr sehen. Lediglich zwei Personen, die aus einer anderen Richtung kamen und sich zu streiten schienen. Sie warf ihren Tarnzauber ab und hockte sich vor ihren Stein.

Vorsichtig fuhr sie mit ihren Fingern erst den Rand des Steins nach und anschließend der Inschrift. Ein Gedanke kam ihr und brachte sie zum Lächeln.

Als ihre Finger den Abschiedssatz berührten, bewegten sich die Buchstaben, veränderten ihre Position. Als sie beim letzten Wort angekommen war, hatte sich auch der Sinn verändert. Nun war es eine Nachricht an ihre Eltern.

Hat ihren Frieden gefunden

Anschließend holte sie doch ihren Zauberstab heraus und legte einen Zauber über diesen Satz. Nur Potters würden ihre Worte lesen können, alle anderen nur die ihrer Eltern.

„Es ist deine Schuld!"

Die lauten, harschen Worte rissen Valeria von ihrem Stein los und sie blickte auf. Die zwei Personen, die sie hatte streiten sehen, hatten den Friedhof betreten. Albus und Aberforth Dumbledore.

Es war zu spät, um sich zu verstecken, ihre einzige Chance war es, zu verschwinden, bevor sie erkannt wurde. Doch in diesem Moment blickte Aberforth auf.

Erstaunen war in seinem Gesicht zu lesen, Überraschung und Unglauben.

„Evelyna?"

Valeria zwang sich zu einem Lächeln.

„Hallo Aberforth."

Während Albus sich vor einen weißen Grabstein kniete, kam Aberforth auf sie zu. Verblüfft blickte er zwischen ihrem Grabstein und ihr hin und her.

„Aber wie-?"

Valeria zuckte mit den Schultern.

„Dass ich von zuhause fortgelaufen bin und eine Namensänderung beantragt habe, hat meinen Eltern nicht wirklich gefallen."

„Was soll das heißen? Du bist fortgelaufen? Wo lebst du denn jetzt? Und eine Namensänderung?"

„Ich werde für etwa ein Jahr nach Island gehen", erklärte Valeria leise. „Dort kann ich mich kennenlernen. Herausfinden, was ich kann und wo meine Interessen liegen. Und nächstes Jahr werde ich an den UTZ-Prüfungen teilnehmen. Du weißt ja, dass ich mich in Hogwarts nur gelangweilt habe."

Aberforth starrte sie an.

„Okay, und was ist der eigentliche Grund?"

„Ich schwöre dir, dass es wirklich so ist. Und ich wollte nicht verheiratet werden."

„Verstehe." Aberforth sah hinunter auf ihren Grabstein und seufzte. „Wenigstens weiß ich jetzt, dass du nicht dort liegst. Das macht mich froh. Kurz nach Ariana auch noch die einzige Freundin zu verlieren, wäre hart gewesen. Auch wenn ich es dir ein wenig übel nehme, schließlich habe ich um dich getrauert."

„Ariana? Was meinst du damit?", fragte Valeria gespielt überrascht.

Aberforth wirkte betroffen.

„Das weißt du nicht? Bei uns gab es ... Schwierigkeiten. Ziemlich große Unstimmigkeiten, die sich nicht friedlich regeln ließen. Es kam zu einem Kampf. Ariana ... sie hat es nicht überlebt."

„Albus und du habt euch bekämpft?" Es fiel Valeria wahnsinnig schwer, die Unwissende zu spielen. Sie hatte so viel Fragen, doch die durfte sie nicht stellen.

„Albus, ich und ... ein Freund von Albus. Er hat für diesen Streit gesorgt. Er und Albus wollten reisen, doch Albus war für Ari verantwortlich. Ich habe ihm klar gemacht, dass er sie nicht mitnehmen kann, das erlaubte ihre Gesundheit nicht. Wenn er unbedingt reisen will, sollte er mir erlauben, die Schule zu verlassen und für unsere Schwester zu sorgen. Das wollte er nicht. Es schaukelte sich alles hoch, wir griffen zu den Zauberstäben. Ich bekam den Cruciatus zu spüren und sie rastete aus. Ich weiß nicht, wer es war, aber sie war tot."

Seine Stimme brach ab und er blickte zu dem Grab, vor dem Albus kniete. Albus Lippen bewegten sich, aber er war zu weit weg, um die geflüsterten Worte zu verstehen.

„Das tut mir leid", meinte Valeria schließlich. „Sie war noch so jung ..."

„Albus Freund ist dann jedenfalls verschwunden." Sein Gesicht verfinsterte sich. „Und sollte Merlin ihm vergeben, bewahrt er ihn hoffentlich davor, sich jemals wieder in meiner Umgebung aufzuhalten. Sonst bringe ich ihn um."

„Aber du hast doch eben gesagt, du weißt nicht, wer es war. Wer sie letztendlich wirklich getötet hat. Vielleicht ..."

„Als ob das Eine Rolle spielt. Albus sollte für Ariana sorgen. Doch das hat er nicht. Weil er abgelenkt wurde. Sie beide tragen Schuld an Aris Tod. Albus ist jetzt frei von der Last der Verantwortung, aber hoffentlich noch nicht frei von seinem Gewissen. Aber sein Freund hatte kein Gewissen."

Valeria schwieg. Sie wollte Aberforth klarmachen, dass Gellert keine Schuld daran trug, dass Ariana doch kaum ein Leben gehabt hatte, in ihrer Gefangenschaft. Dass sie sich vermutlich selbst getötet hatte, doch ein Blick in sein Gesicht genügte, um sie davon abzuhalten. Arianas Verlust hatte sich in seiner Seele eingegraben. Er würde nie mehr der Gleiche sein. Und diese Worte, die Wahrheit, wollte er nicht hören. Vielleicht war es nicht nötig, weil er es tief in sich bereits wusste, doch er würde es sich nie eingestehen. Er wollte Rache. Er wollte, dass jemand für den Tod seiner kleinen, geliebten Schwester bezahlte.

„Wie kommt es, dass du hier bist? Müsstest du nicht in Hogwarts sein?" Der Versuch, das Thema zu wechseln war ziemlich offensichtlich, doch Aberforth ging darauf ein.

„Ja, müsste ich eigentlich. Ich pfeife ja auf die Schule, aber Albus ist mein Vormund und so könnte er mich zwingen. Doch eigentlich bin ich froh, dass ich wieder in Hogwarts bin, so muss ich sein Gesicht nicht sehen. Aber er hat mir erlaubt, für dieses Wochenende zurückzukehren. Zu deiner Beerdigung."

Er sah sie mit hochgezogenen Brauen an und sie lächelte.

„Aber du kamst doch eben erst. Du warst doch gar nicht dabei."

Er schnaubte.

„Ich dachte, ich bewahre dich vor übler Nachrede. Denn wäre ich gekommen, wäre es zu Fragen gekommen. Warum ich mich extra für ein Wochenende freistellen lasse, wenn wir uns doch nur aus der Schule kannten, wo wir nicht nur in verschiedenen Jahrgängen waren, sondern auch in unterschiedlichen Häusern. Dann hätte ich erzählen müssen, dass du uns häufiger heimlich besucht hast und dass hätte für einen Skandal gesorgt. Auch wenn du tot bist. Eigentlich. Denn offenbar nicht."

„Sehr rücksichtsvoll von dir", murmelte Valeria. 

Es kam ihr unglaublich vor, in was für einer Welt sie lebte. Wenn das unbeaufsichtigte Zusammensein mit einem Jungen ein Skandal auslöste, dann hatte sie in der letzten Zeit schon etliche losgetreten. Nur wusste das niemand.

„Ganz offensichtlich lebst du ja noch, was ist also passiert, dass du für tot erklärt wurdest?"
„Hab ich dir doch schon gesagt. Ich bin von zuhause weggelaufen und als ich dann eine Namensänderung beantragt habe, bekam ich von meinen Eltern die Nachricht, dass ich nun für sie gestorben bin. Die Beerdigung war nur eine offizielle Verabschiedung. Vor allem für Henry."

„Und wie heißt du jetzt?"

„Nicht viel anders. Meinen zweiten Vornamen habe ich gestrichen, aus Evelyna wurde Evelyn und aus Potter Porter."

„Also Evelyn Porter?"

Valeria nickte, auch wenn der Name in ihren eigenen Ohren fremd klang. Dadurch, dass Gellert sie nur Valeria nannte, hatte sie sich noch nicht an ihren offiziellen Namen gewöhnt. Dies war wie eine erste Probe, bei welcher ihre verschiedenen Leben und Identitäten aufeinandertrafen.

„Das ist wirklich nicht viel anders. Warum hast du es getan?"

Valeria seufzte und wiederholte die Geschichte, wonach sie sich selbst einen Namen machen wollte.

Aberforth wirkte verwirrt.

„Aurorin? Das ist nicht leicht zu erreichen, vor allem nicht für Frauen. Ich meine, das ist ziemlich hart. Man gerät in Kämpfe, muss manchmal jemanden töten. Denkst du nicht, dass du dafür, nun ja, zu weichherzig bist? Es wird schon seinen Grund haben, warum Frauen kaum die Aufnahmeprüfung schaffen. Vielleicht solltest du doch darüber nachdenken, jemanden zu heiraten und –"

„- und das Leben zu führen, dass so viele andere Frauen unserer Zeit führen? Als Ehefrau, Hausfrau und Mutter? Aberforth, das bin nicht ich. Ich brauche eine richtige Aufgabe. Ich will das Gefühl haben, dass ich etwas Sinnvolles, etwas Gutes tue!"

„Ja, aber wenn du Söhne zur Welt bringst, kannst du sie doch so erziehen, dass –"

„Aberforth, das reicht. Entweder du akzeptierst meine Entscheidung oder wir haben uns heute zum letzten Mal gesehen. Ich will etwas bewirken. Wenn du mich als Freundin behalten willst, dann höre auf, so zu reden, als hätten wir Frauen keine Wahl. Als wären wir weniger wert, weil unser Leben in Stein gemeißelt ist. Denn das ist es nicht. Und ich nehme den schweren Weg. Wenn eine Freundin, die man für tot gehalten hat, es doch nicht ist, dann akzeptiert man ihre Entscheidung."

Aberforth öffnete den Mund, schloss ihn wieder und seufzte schließlich.

„Gut. Wir werden ja sehen, wer am Ende Recht hat."

Auf Valerias Gesicht erschien ein hinterlistiges Lächeln.

„Ganz genau, das werden wir."
„Also bleiben wir Freunde? Du willst zwar nach Island, aber wenn du wieder in Großbritannien bist, kannst du mir ja schreiben."

„Das werde ich" versprach Valeria. 

Dann wanderte ihr Blick zu Albus und ein ungutes Gefühl kam in ihr auf. Mit Aberforth in Verbindung zu bleiben, bedeutete auch, dass sie auf verquerte Weise mit Albus in Verbindung bleiben sollte. 

Das war auf der einen Seite gar nicht so schlecht, so könnte sie herausfinden, wie er zu Gellerts Sache stand und wie mächtig er war. Er wäre ein mächtiger Verbündeter oder aber ein mächtiger Feind. Das konnte nur die Zeit zeigen. Doch auf der anderen Seite war da seine Vergangenheit mit Gellert, von der sie immer noch nicht wusste, wie viel der Wahrheit entsprach und wie viel einer Lüge entsprang. Das würde sie auch rausfinden müssen.

„Ich denke, ich werde noch kurz mit Albus reden und anschließend nach Island reisen", sagte sie. „Danke, dass du zu meiner Beerdigung gekommen bist. Du bist wahrscheinlich der Einzige, der wirklich Abschied von mir nehmen und aus Trauer herkommen wollte."

Aberforth grinste schwach.

„Du könntest Albus von mir einen Fluch aufhalsen, aber ich glaube, dass gehört sich nicht auf einen Friedhof. Schon dass ich ihm die Nase an Aris offenem Grab gebrochen habe, dürfte grenzwertig sein."

Valeria runzelte die Stirn, schüttelte dann aber den Kopf.

„Ich glaube, ich will es nicht wissen."

„Es tut gut, dich zu sehen, Evelyna – Verzeihung, Evelyn."

Valeria lächelte.

„Bis irgendwann, Aberforth. Ich lasse es dich wissen, wenn ich wieder im Land bin."

Sie legte kurz eine Hand auf seine Schulter und drückte sie, dann schob Valeria sich an ihn vorbei und machte sich auf den Weg zu Albus.

Ich wünsche euch nachträglich schöne Weihnachten!🎄 Ich hoffe, ihr hattet alle eine schöne Zeit und ein paar nicht zu stressige Tage🙈

Jetzt steht ja schon Silvester vor der Tür - habt ihr dafür irgendwas geplant? Oder ist es für euch einfach eine Nacht wie jede andere?☺️

Ich wünsche euch schon mal einen guten Rutsch in das Jahr 2025!🎆

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