Teil 28

Mit einem harmlosen Verwirrungszauber brachte Valeria um die Mittagszeit den Wirt wieder dazu, ihr kostenlos sein Flohnetzwerk zu überlassen. Ihren Zauberstab musste sie diesmal nicht abgeben, die Daten waren nun schließlich schon hinterlegt, sodass sie geradewegs zu Mr Adams gehen konnte. Einen Moment musste sie noch warten, da gerade ein anderer Zauberer in seinem Büro war, der wohl einen Termin und damit Priorität hatte. Valeria konnte über sowas nur den Kopf schütteln, ihr Verständnis für solche Dinge war gering. Woher sollte sie denn wissen, wann sie in der Zukunft Zeit hatte? Es konnte schließlich niemand wissen, was die Zukunft brachte. Es konnte immer etwas dazwischen kommen und dann ging das Warten wieder von vorne los.

Während Valeria wartete, verharrte sie so reglos, dass ihr einige leicht irritierte Blicke zuwarfen, die sie geflissentlich ignorierte. Ihre ganze Konzentration ruhte auf ihre direkte Umgebung, so dass sie nicht einmal mit der Wimper zuckte, als sich die Tür zu Mr Adams Büro öffnete und ein junger Zauberer hinaustrat, der rasch davon ging.

Valeria verfolgte aus den Augenwinkeln seine Schritte, sie erinnerte sich schwach an ihn. Vor drei Jahren hatte er seinen Abschluss gemacht, doch sie glaubte nicht, dass er sich an sie erinnerte. Es kam schließlich nicht häufig vor, dass man sich mit den jüngeren Jahrgängen beschäftigte. Und noch dazu waren sie in unterschiedlichen Häusern gewesen.

„Ah, Miss Potter, Sie sind ja schon wieder da. Kommen Sie herein", ertönte Mr Adams Stimme.
Valeria erhob sich rasch und betrat Mr Adams Büro, welcher in seinen Unterlagen etwas suchte.

„Ich habe Sie heute noch gar nicht erwartet. Aber ich konnte trotzdem schon die notwendigen Informationen beschaffen. Setzen Sie sich!"

Valeria – die bereits saß – antwortete aufrichtig:

„Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe. Mir ist bewusst, dass das, worum ich Sie bitte, nichts Alltägliches ist, aber es bedeutet mir viel."

„Es ist nichts Alltägliches, zweifellos, aber das macht es interessant. Ich bin immer froh, wenn ich Zauberern weiterhelfen kann. Gut, Sie haben die Erlaubnis Ihrer Eltern?"

Valeria holte den Vertrag aus der Innentasche ihres Mantels, den sie über ihr Sommerkleid trug und reichte ihn Mr Adams. Dieser las ihn sorgfältig durch und nickte dann.

„Sehr gut. Ich werde ihn gleich auch vom Abteilungsleiter und von jemandem von der Ministeriumsleitung gegenzeichnen lassen. Auf all Ihren Dokumenten wird dann Ihr neuer Name erscheinen und sie dürfen Ihren neuen Namen offiziell verwenden und benutzen."

Valeria nickte und Mr Adams rollte den Vertrag zusammen und band ihn einer Eule, die hinter ihm auf einer Stange saß, um ein Bein.

Dann brachte er sie zur Tür und schickte sie los.

„Ich hoffe, Sie müssen nicht allzu lange auf die Unterschriften warten. Eigentlich müsste es zügig gehen. In der Zwischenzeit kann ich Ihnen ja sagen, was ich über ein Auslandsjahr und das Nachholen der UTZ's herausfinden konnte."

„Ja, bitte. Sie meinten, es wäre möglich, dass das Ministerium mich finanziell unterstützt?"

„Nun ja, nur im kleinen Rahmen, das Nötigste halt. Ungefähr zehn Galleonen im Monat, höchstens fünfzehn. Ausreichend für ein kleines Zimmer. Des Weiteren wird erwartet, dass Sie das Gold zurückzahlen, wenn Ihre Lage es erlaubt."

„Ich verstehe." Valeria überschlug es grob im Kopf. Zusammen mit dem Gold, das ihre Eltern ihr gaben, sah es gar nicht so schlecht aus. Zumindest war sie dann nicht mehr ganz so auf Gellert angewiesen.

„Ich habe gehört, dass Sie bereits einen Portschlüssel beantragt haben und die Bezahlung wohl in Raten erfolgt. Nun, ich kann Ihnen anbieten, dass das dafür notwendige Gold von Ihrer ersten Zahlung des Ministeriums abzuziehen. Dann bleibt zwar nur wenig Gold übrig, aber ich gehe davon aus, dass Sie für diesen Monat bereits vorgesorgt haben?"

Valeria nickte erneut.

„Dem Ministerium ist klar, dass es eine junge Dame in einem fremden Land nicht unbedingt leicht hat und Sie die Zeit nutzen wollen, um Ihr Wissen zu erweitern, aber es wird trotzdem erwartet, dass Sie sich zumindest bemühen, auch ein wenig Gold zu verdienen und das Ministerium entlasten. Und seien wir mal ehrlich, sicher fehlt Ihnen sonst das Häusliche. Absagen oder Zusagen müssen schriftlich erfolgen und umgehend an das Ministerium weitergereicht werden."

Valerias Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. Dieser Teil würde sogar Spaß machen. Sie würde ganz sicher keinen Staub aufkehren, das konnte nun wirklich keiner erwarten.

„Was Ihre Prüfungen anbelangt, so wird erwartet, dass Sie sie zum gleichen Zeitpunkt wie die Hogwartsschüler des nun siebenten Jahres schreiben. Sie bekommen also nicht noch ein zusätzliches Jahr, Ihr sechstes findet nicht statt. Sie werden sich im Ministerium einfinden müssen, die Prüfer kommen schließlich von hier, aber Sie schreiben sonst genau die gleiche Prüfung. Sie wird sich in keiner Weise unterscheiden. Sie werden noch eine Eule bekommen, mit welcher Ihnen der Zeitpunkt und der genaue Ort mitgeteilt werden." Mr Adams machte eine Pause und musterte Valeria scharf. „In Anbetracht der außergewöhnlichen Umstände werden exzellente Ergebnisse von Ihnen erwartet. So eine Situation gab es noch nie und es wurden ziemlich viele Regeln für Sie zurechtgebogen. Enttäuschen Sie uns nicht."

„Ich glaube, meine eigenen Anforderungen an mich sind noch einmal höher, Mr Adams", sagte Valeria. „Und denen will ich gerecht werden."

Adams nickte, scheinbar zufrieden.

„Sehr gut. Dann wäre alles geklärt. Jetzt müssen wir nur noch auf die Eule warten, dann den Vertrag mit der Namensänderung ein paar Mal abschreiben und alles wäre erledigt."

Valeria nickte ebenfalls. Das ging ja schneller als gedacht. Sie hatte ein paar Tage für all diese Dinge eingeplant und war nun nach anderthalb mit allem fertig.

„Ich hoffe, Sie wissen, auf was Sie sich hier einlassen, Miss?" , ergriff Mr Adams zum Abschied noch einmal das Wort. „Sie haben einen starken Willen, das muss ich Ihnen lassen, aber bedenken Sie, selbst wenn es alles gelingt, werden Sie sich Achtung und Respekt erst verdienen müssen. Es gibt keine einzige Hexe im Aurorenbüro. Dies ist eine Arbeit, die den Zauberern zusteht. Hexen sind normalerweise zu weich und mitfühlend für solch harte und mitunter gefährliche und blutige Aufgaben. Hexen sollten zuhause bei den Kindern bleiben. Das werden auch Sie zu hören bekommen. Es gibt insgesamt nur wenig arbeitende Hexen hier. Rechnen Sie also mit Schwierigkeiten und Degradierungen. Es spielt keine Rolle, wie fähig Sie sind. Die Abteilungsleiter sind unerbittlich in ihren Ansichten."

„Danke, für Ihre ehrlichen Worte, Mr Adams", erwiderte Valeria. „Es ist mir bewusst, worauf ich mich einlasse. Ich vertrete die Auffassung, dass es keine Arbeit gibt, die nur von Hexen oder nur von Zauberern ausgeführt werden kann. Und das will ich beweisen. Was auch immer es mich kostet."

Diese Unterschiede, die im Ministerium zwischen den Geschlechtern gemacht wurde, sah Valeria nur bei der Unterscheidung von der magischen Gemeinschaft und den Muggeln. Es war eine Tatsache, ein Fakt, dass die Magier den Muggeln überlegen waren, dass sie Sachen vollbringen konnten, von denen die Muggeln nur träumten. Jeder, der etwas anderes behauptete, machte sich etwas vor.

Als Valeria das Ministerium verließ, überlegte sie, was mit der verbliebenden Zeit anstellen könnte. Zurück nach Island gehen und dort auf Gellert warten? An sich hätte sie damit kein Problem, nur sie wusste nicht, ob sie dort nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen würde. Solange Gellert dabei war, war sie unsichtbar, einfach eine junge Frau von vielen. Doch ohne ihn würde sie in dem kleinen Dorf schnell Aufmerksamkeit erregen, erst recht, wenn sie ihren Kleidungsstil wieder änderte. In London würde sie weniger auffallen. Sollte sie also noch eine Weile in England bleiben?

So ganz angetan war sie von dem Gedanken nicht, doch andererseits hatte sie noch nie die Gelegenheit gehabt, sich London wirklich anzuschauen, auch das Muggel-London. Ihr Wissen beschränkte sich auf die Winkelgasse und war damit sehr gering, wenn sie an die schier unfassbare Größe der Stadt dachte. Diese Lücke müsste sie eigentlich schließen. Doch ihre Begeisterung dazu hielt sich in Grenzen.

Allein der Gedanke, in dem Muggel-London herumzulaufen, bereitete ihr Übelkeit. Doch trotzdem wäre dies eine gute Übung. Wer konnte schon sagen, was Gellert in der Zukunft von ihr verlangte? Welche Missionen er ihr auftrug? Womöglich müsste sie noch häufiger unter Muggeln wandeln und es würde ihn bestimmt nicht begeistern, wenn ihre Übelkeit einen Plan vereitelte. Und sie wollte auf keinen Fall, dass sie irgendwann die Schuld daran trug, dass eine wichtige Mission fehlschlug. Sie wollte ihn nicht enttäuschen. Und sich unauffällig in der unterschiedlichen Situationen und unter verschiedenen Gegebenheiten verhalten, wäre etwas, was sie trainieren konnte, ohne auf einen Lehrer angewiesen zu sein. Und diese Blöße wollte sie sich nicht geben, denn Valeria zweifelte keine Sekunde daran, dass Gellert auch das meisterhaft beherrschte. Wie scheinbar alles andere.

Eine Idee kam in ihr auf, aber sie wollte diesen Gedankengang nicht zu Ende denken. Dummerweise funktionierte es nicht so. Der Gedanke verfolgte und packte sie, ließ sie nicht seinem Klammergriff entkommen, egal, wie sehr sich gegen ihn sträubte. Bis sie es schließlich ernsthaft in Erwägung zog. Sie musste an den Brief ihrer Eltern denken, die sie beerdigen wollten. Zwar hatten sie nicht geschrieben wann, aber Beerdigungen fanden immer zeitnah statt, feste Tage gab es nicht. Heute war Samstag. Sie biss sich auf die Lippe. Womöglich morgen. Oder vielleicht übermorgen. Sicher sein konnte sie sich nicht, aber auch auszuschließen war es nicht. Sie könnte es probieren. Sie könnte noch einmal ihre Familie sehen – ihren Bruder sehen. Henry. Er war alles, was sie bedauerte. Sie wünschte, sie hätte ihn mitnehmen können, ihm die Welt zeigen können, wie sie tatsächlich war, nicht die geschönte Version ihrer Eltern, deren Worte sich wie Gift in Henrys Gedanken einnisten würden, bis er irgendwann genauso überzeugt, von allem war, wie sie. Dann konnte sie ihn nicht mehr retten. 

In dem Fall stünden sie auf verschiedenen Seiten. Darum musste sie ihn noch einmal sehen und sich entschuldigen. Sich entschuldigen, ihn zurückgelassen zu haben. Was sprach dagegen, zu ihrer eigenen Beerdigung zu gehen?


Das letzte Kapitel dieses Jahr. Wahrscheinlich ist der bürokratische Kram langweilig zu lesen, aber mein inneres Ich verlangt, dass ich auch den genau aufschreibe.

Eine gute Nachricht:
Der bürokratische Teil ist geschafft!🥳

Ab dem nächsten Kapitel geht es dann wieder etwas anders lang ...

Aber nicht mehr heute. In diesem Sinne wünsche ich euch allen einen guten Start ins neue Jahr und ein insgesamt schönes Jahr 2024 ♥️

Feiert ihr Silvester oder lasst ihr es ruhig angehen?

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