Teil 23
Der erste Teil ihres Plans klappte zu ihrer Überraschung reibungslos, auch wenn ihr Vater die Bank informiert hatte, dass sie keinen Zugriff mehr auf das Verlies der Potters hatte. Der Kobold, der ihr dies mitteilte, sah nicht sonderlich erfreut darüber aus, dass sie versucht hatte, ihre Familie zu hintergehen.
Valeria war klar, dass er ihrem Vater sofort eine Mitteilung schicken würde, um ihn zu informieren, dass sie aufgetaucht war und was sie probiert hatte. Doch sie wusste auch, dass sie die Lage nicht verschlimmern durfte, zum Beispiel, indem sie ihm Gold für sein Schweigen bot. Das hätte unangenehme Konsequenzen gehabt und Aufmerksamkeit auf sich gezogen, was Gellert mit Sicherheit nicht gefallen würde.
Mit einem freundlichen Lächeln verließ sie die Bank und betrat wieder die Winkelgasse. Es war nicht so viel los wie in den Ferien, wenn sich junge Hexen und Zauberer hier trafen, um zu reden und zu lachen. Wenn sie mit ihren Familien Schulsachen kaufen gingen. Wenn Mädchen ihren Eltern sagten, sie würden sich mit Freundinnen treffen, um alleine sein zu dürfen und sich in Wahrheit mit einem Jungen trafen. Natürlich wussten die Freundinnen, mit denen sie sich angeblich trafen, Bescheid und verließen das Haus auch, um sich gegenseitig zu decken.
Valeria hatte einige solcher Gespräche in Hogwarts belauscht, wo sich beieinander bedankten und Pläne für das nächste Mal schmiedeten.
In gewisser Weise hatte sie diese Mädchen beneidet, da dies ihre größten Probleme waren, während sie sie auf der anderen Seite verachtete. Wie konnten sie behaupten, dieser Junge, mit dem sie sich trafen, wäre ihnen wichtig, wenn sie ihre Eltern anlogen und es heimlich machten?
Valeria kam an dem Zauberstabgeschäft vorbei und zögerte. Gerbold Ollivander leitete das Geschäft, seit sie denken konnte und sein Sohn, Gervaise, der nach Hogwarts ging, würde eines Tages in seine Fußstapfen treten. Er war ein freundlicher und kluger, doch auch ein aufmerksamer Mensch. Konnte sie es riskieren, hineinzugehen und Fragen zu dem Elderstab zu stellen? Nein, entschied sie. Gerbold vergaß nie ein Gesicht oder Namen und die Gefahr, dass es sich herumsprach, war zu groß.
Sie beschleunigte ihre Schritte wieder und ging geradewegs in den Tropfenden Kessel zur Bar.
„Entschuldigen Sie, ich hätte eine Frage." Zögerlich lächelnd sah sie den Wirt an. „Wo ist die nächste U-Bahnstation? Und bei welcher müsste ich aussteigen, wenn ich ins Zaubereiministerium möchte?"
Der Wirt runzelte die Stirn.
„Es gibt zwei U-Bahnstationen hier in der Nähe. Zum einen die Station London Bridge und dann noch die Station Borough. Das ist die Northern Line. Mit der Linie müssten Sie zu der Station Elephant & Castle fahren, wo Sie in die Bakerloo Line* umsteigen. Anschließend steigen Sie bei der Station Embankment aus. Aber, wenn Sie mir die Frage erlauben, haben Sie wirklich vor, alleine als eine junge Dame mit dieser wenig vertrauenserweckenden und merkwürdigen Muggelerfindung zu reisen? Ich würde Ihnen wirklich davon abraten!"
Valeria konzentrierte sich auf ihre Atmung. Dieser Wirt weckte in ihr den Wunsch, Gellerts Mahnung zu vergessen und ihre schwarzmagischen Künste zu verbessern. Doch sie wollte Gellert nicht enttäuschen. Was er wohl gerade machte? Falscher Gedankenweg, ermahnte sie sich rasch. Die Überlegungen, mit wem er sich traf, besänftigte nicht unbedingt ihr Gemüt. Eher machten sie diese Gedanken wütend. Doch diesen Gefühlen durfte sie sich nicht hingeben.
Sie sah den Wirt an.
„Wie schlagen Sie denn sonst vor, sollte ich ins Ministerium kommen? Meine Lust auf diese Erfahrung ist auch nicht übermäßig vorhanden, doch ich werde keinesfalls zu Fuß gehen und wie Sie zweifellos schon erraten haben, habe ich noch nicht die Genehmigung zum apparieren! Und mit der U-Bahn bin ich am schnellsten da und muss nicht zu lange Zeit in der Gesellschaft von nichtsnutzigen und minderwertigen Muggeln verbringen."
Sie hatte noch nicht geendet, da spürte sie bereits, dass ihre Worte ein Fehler waren. Sie hatte ihre Wut nicht ausreichend bekämpft und sich von ihren Gefühlen leiten lassen, weswegen sie respektlos und überheblich gewirkt hatte, indem sie sich abfällig über Muggel geäußert hatte. Das entsprach ganz und gar nicht dem Bild, welches sie zu vermitteln versuchte.
Der Wirt wirkte empört und verwirrt, weswegen sie rasch unauffällig ihren Zauberstab zog, ihn auf ihn richtete und an die eben gefallenden Worte dachte. Aber sie hörte auch auf Gellert und ließ den Willen, ihm zu schaden, beiseite.
„Obliviate." Ihre Lippen bewegten sich kaum merklich und der Blick ihres Gegenübers wurde für einen Moment glasig, als er ihre Worte vergaß. Bevor er etwas sagen konnte, fragte Valeria mit einem unschuldigen Lächeln:
„Meinen Sie? Aber wie sollte ich denn sonst in das Ministerium kommen?"
„Nun, warum nutzen Sie nicht einfach das Flohnetzwerk? Sie könnten den Kamin hier nutzen und das ist im Preis mit enthalten."
Die letzte Aussage war eine Lüge und noch dazu eine ziemlich schlechte, das war Valeria sofort klar. Vermutlich hatte er bemerkt, dass sie mit ihrem Gold sparsam umgehen wollte. Doch wenn er es anbot und es war definitiv besser, als die Alternativen, dann nahm sie es an.
„Wirklich? Ich danke Ihnen vielmals!"
Der Wirt winkte ab.
„Ist doch nicht der Rede wert. Da hinten ist der Kamin -" er zeigte in einen angrenzenden Raum „- und das Flohpulver befindet dich in der Schale auf dem Kaminsims."
„Vielen Dank!"
„Ich wünsche Ihnen viel Erfolg."
Valeria hatte sich bereits abgewandt, so dass er nicht sehen konnte, wie sie ihre Lippen zu einem echten Lächeln verzogen. Wenn er ihre Pläne kennen würde, würde er ihr keinen Erfolg wünschen, das stand fest.
Sie klopfte sich den Ruß von ihrem Kleid und sah sich in der riesigen Empfangshalle um. Valeria war noch nie im Ministerium gewesen, im Gegensatz zu ihrem Bruder, den ihr Vater ein paar Mal mitgenommen hatte. Innerlich zögerte sie kurz. Ihre Lust, ihrem Vater hier zu begegnen war nicht besonders hoch. Warum hatte sie nie besser zugehört, wenn er über seine Arbeit im Ministerium sprach? Valeria wusste nicht einmal, in welcher Abteilung er tätig war. Sie hatte nie gedacht, dass das jemals für sie eine Rolle spielen würde.
Das Atrium war riesig. Mitten in der Halle stand ein Brunnen, in welchem man offenbar Geld werfen sollte, um an das St. Mungo Hospital für magische Krankheiten und Verletzungen zu spenden. Darüber hatte ihr Vater gesprochen. Die Spendengelder sollten in den letzten Jahren weniger geworden zu sein, was ihr Vater mit Sorge erfüllt hatte. Er wertete dies als Zeichen, dass irgendein Unheil nahte.
Valeria sah dies einfach als ein Zeichen, dass die meisten der Zauberergemeinschaft unzufrieden waren. Sicher, die Kranken konnten nichts dafür, aber wer sagte denn, dass die Spendengelder wirklich im St. Mungo ankamen? Wer überprüfte das? Genauso gut konnte das Ministerium selber einen Teil behalten. Wundern würde es sie nicht, wenn sie sich hier umsah. Und das musste ja auch alles irgendwie finanziert werden.
Viele Hexen und Zauberer eilten umher, manche mit einem Anliegen, andere kamen oder gingen gerade zur Arbeit. Über ihren Köpfen flogen Eulen, die alle eine Papierrolle um ihr Bein gebunden hatten. Es herrschte also ein reges Treiben, eine Tatsache, die Valeria gar nicht behagte.
Sie beabsichtigte nicht, irgendetwas Verbotenes zu tun, aber trotzdem sah sie jeden Zauberer als potenzielle Gefahr. Aber das war schon immer so gewesen. In gewisser Weise erleichterte es sie, dass sich daran auch nichts geändert hatte. Daran hatte sie schon gezweifelt, seit sie begonnen hatte, einem völlig fremden Zauberer blind zu vertrauen.
Den Zauberstab fest umklammert ging Valeria vorsichtig weiter. Auch wenn sie nicht auf ihren Zauberstab angewiesen war, so beruhigte es sie doch, ihn zu berühren. Als würde sie alleine dadurch Mut und Kraft schöpfen. Beides war notwendig, wenn sie ihre Tarnung nicht verlieren wollte.
„Miss? Miss! Sie müssen sich ausweisen!"
Die laute Stimme erregte ihre Aufmerksamkeit. Vor dem Brunnen stand ein Tisch, hinter dem ein dunkelhäutiger Zauberer saß. Vor ihm stapelten sich unterschiedliche Dinge, wie große und kleine Plaketten, Papiere und ein Gerät, welches Ähnlichkeit mit einer Waage hatte. Er winkte sie zu sich.
Um nicht noch zusätzlich aufzufallen, ging sie zu dem Zauberer, der sich als Mr Johnson vorstellte und sah ihn fragend an.
„Verzeihung, ausweisen?"
„Sie waren noch nicht oft im Ministerium, oder?" Er grinste.
Valeria zwang sich zu einem Lächeln.
„Da muss ich Ihnen Recht geben."
„Gut, dann beginnen wir mit Ihrem Namen."
Er nahm eine kleine Plakette von dem Stapel vor ihm in die Hand und richtete seinen Zauberstab darauf.
„Wie heißen Sie?"
Nichts Falsches sagen, ermahnte sie sich.
„Evelyna Potter." Ihr zweiter Vorname erschien ihr nicht so wichtig.
„Potter? Sind Sie verwandt mit Mr Potter, dem Leiter des Koboldverbindungsbüros?"
Stumm dankte sie ihm für diese Information; jetzt wusste sie, welche Abteilung sie meiden musste. Valeria setzte ein gekünsteltes Lächeln auf.
„Ja, das bin ich in der Tat."
„Ist der Grund für Ihren Besuch?"
„Nicht wirklich. Ich muss ein paar Dinge klären", antwortete sie vage.
Mr Johnson zog die Augenbrauen hoch.
„Was soll ich als Grund für Ihren Besuch hier angeben?"
„Ist denn der Grund so wichtig?", fragte Valeria unschuldig.
„Nun ja, ich muss ihn schon wissen." Mr Johnson zögerte. „Doch andererseits ... ich könnte auch „persönliches" angeben."
„Damit würden Sie mir einen großen Gefallen tun."
Er gravierte etwas in die Plakette und reichte sie ihr. Evelyna Potter, persönliche Dinge.
„Dann bräuchte ich jetzt noch Ihren Zauberstab."
Valerias aufgesetztes Lächeln bröckelte.
„Was?"
„Ich brauche die Daten zu Ihrem Zauberstab. Aus welchem Material er ist und so weiter."
„Das kann ich Ihnen doch sagen!"
Sie wollte ihren Zauberstab nicht aus der Hand geben. Und schon gar nicht irgendeinem Fremden geben. Unwillkürlich umklammerte sie ihn fester.
„Es tut mir leid, Miss Potter. Aber wenn Sie mir Ihren Zauberstab nicht aushändigen, dann können Sie das Ministerium nicht weiter betreten und müssen unverzüglich umkehren."
Valeria zögerte. Sie wusste, dass sie ihren Zauberstab sofort zurückbekommen würde und sie würde ein paar Minuten ohne ihn überleben. Zumal sie ihn nicht brauchte. Und hier drohte ihr keine Gefahr. Hier war sie nur ein harmloses Mädchen. Mehr sah der Zauberer nicht in ihr.
Langsam holte sie ihren Zauberstab hervor und reichte ihn Mr Johnson. Sie verfolgte seine Bewegungen, als er den Stab auf die Waage vor ihm legte, welche daraufhin einen Zettel ausspuckte.
Mr Johnson las vor.
„Pinienholz und Drachenherzfaser, 9 ¾ Zoll lang. Seit fünf Jahren in Gebrauch. Stimmen diese Informationen?"
„Ja, das ist korrekt."
Er gab ihr den Zauberstab zurück und kaum, dass sie wieder die vertrauten Strukturen des Holzes spürte, entspannte sie sich und hatte das Gefühl, frei zu atmen.
„Sie dürfen das Ministerium nun betreten."
„Danke."
Valeria verabschiedete sich und ging weiter, an dem Brunnen mit den goldenen Figuren vorbei, bis sie vor einer Art Gebäudeplan stand. Sie las sich die einzelnen Abteilungen durch, doch kein Büro klang nach einer Änderung des Namens.
Sie beschloss, bei dem am langweiligsten klingenden Büro anzufangen. Vielleicht konnte man ihr dort weiterhelfen. Nach einem weiteren prüfenden Blick kam Valeria zu dem Entschluss, dass sich dieses bei dem Zaubereiminister und dessen Assistenzkräfte befand. Dann war das ihre erste Station.
*Die Linie ist eigentlich erst seit 1906 in Betrieb, aber ich dachte, eine kleine historische Abweichung ist im Rahmen :)
So, das war das mal wieder. Das nächste Kapitel wird auch noch ein wenig bürokratisch (meine Ausbildung ist Schuld), aber dann ... 🤫
Gibt es eigentlich irgendwelche Kritik von eurer Seite? Egal, bezüglich was. Einfach Anregungen, Verbesserungsvorschlage oder was weiß ich😅
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