Teil 2
Evelyna ging geradewegs nach Hause. Sie hörte ihren kleinen Bruder hinter dem Haus lachen und schloss bei diesem Geräusch kurz die Augen. Auch wenn ihr Bruder als einziger aus ihrer Familie einen Platz in ihrem Herzen hatte, so gab es doch Momente, in denen sie ihn hasste, beneidete und zugleich alles Glück auf dieser Erde wünschte. Sie hatte in ihrer Kindheit nicht viel zu lachen gehabt.
An der Haustür angekommen, öffnete sie diese vorsichtig und atmete erleichtert auf, als sie keine Stimmen hören konnte. Offenbar hielten ihre Eltern sich bei ihrem Bruder im Garten auf.
Evelyna ging direkt in ihr Zimmer und holte eine große Tasche aus dem Schrank. Es war ein trockener Sommer, so dass es durchaus möglich war, eine Nacht draußen zu schlafen, denn ihr war klar, dass Grindelwald nicht erst am Mittag vom See aufbrechen würde. Er hatte nachgegeben, ja, aber nur, um sie loszuwerden. Er würde schon früher abreisen. Doch nicht ohne sie.
Darum würde sie am See übernachten müssen. Es würde nicht bequem sein, doch große Ziele verlangten bekanntlich Opfer. Aber was packte man ein, für eine Expedition ins Unbekannte? Der Zauberstab war natürlich das Wichtigste sowie das wenig Gold, welches sie in ihrem Zimmer verwahrte. Und dann noch ein paar Kleider.
Nachdem alles eingepackt war, beschloss Evelyna, in die Hausbibliothek zu gehen. Ihre Tasche stellte sie in einer Ecke der Eingangshalle ab, damit sie jederzeit aufbrechen konnte und wies die beiden Hauselfen an, sie dort stehen zu lassen.
„Auch, wenn Master und Mrs Potter was anderes sagen?", fragte Sally mit piepsiger Stimme.
„Auch dann lasst ihr meine Tasche dort stehen. Und ihr rührt sie nicht an, verstanden?"
Sally und Winnie nickten, weswegen Evelyna ihren Weg fortsetzte. Vielleicht würde sie noch irgendetwas herausfinden, dass sie gebrauchen könnte. Die meisten Bücher kannte sie zwar, aber manchmal fand man ja doch noch etwas Neues. Bis zum Abendessen blieb sie da, vergrub sie sich in die vertrauten Bücher, die sie allen Menschen vorzog, und ließ sich von nichts stören.
Nicht von ihren Eltern und ihrem Bruder, als diese in das Haus kamen, nicht von dem lauten Befehl an die Hauselfen, das Abendessen vorzubereiten. Selbst als es so weit war und ihre Familie sich im Esszimmer versammelte, ließ sie sich nicht stören. Es dauerte allerdings nicht lange, bis Winnie neben ihr auftauchte.
„Es gibt nun Abendessen, Miss."
„Danke, Winnie." Evelyna klappte ihr Buch zu und stellte es zurück ins Regal. Ihre Finger verharrten noch einen Moment auf dem Buchrücken. Sie würde es nie zu Ende lesen.
Als sie das Esszimmer betrat, sah sie, dass das Abendessen gerade aufgetragen wurde.
„Du kommst zu spät", ertönte die kalte Stimme ihres Vaters.
„Verzeihung", murmelte sie und setzte sich rasch neben ihrer Mutter.
Eine Weile herrschte Schweigen, bis ihr Vater erneut zusprechen ansetzte.
„Nun, da auch die Letzte eingetroffen ist, möchte ich bekanntgeben, dass es mir gelungen ist, die Hochzeit von Evelyna mit einem von Phineas Niggelus Blacks Söhnen vorzuziehen. Sie wird nun schon vor ihrem siebzehnten Geburtstag verheiratet sein."
Evelyna blieb das Essen im Hals stecken. Ihre Augen fingen an zu tränen, während sie hustete, in dem verzweifelten Versuch, ihren Hals freizukriegen. Als es ihr gelungen war, bemerkte sie den bösen Blick ihres Vaters. Es war offensichtlich, dass er eine euphorischere Reaktion erwartet hatte. Die bekam er von ihrer Mutter.
„Oh, wie wunderbar! Mit welchem seiner Söhne denn?"
„Nun, das ist das Beste. Cygnus fällt natürlich weg, er ist ja fünf Jahre jünger als Evelyna. Nach einem Treffen mit Sirius und Arcturus werden dies die Jungen entscheiden. Sirius ist sechs Jahre älter und Arcturus nur ein Jahr jünger als unsere Tochter und damit sind sie reif genug, um dies zu entscheiden. Am kommenden Sonntag sind wir bei den Blacks eingeladen. Es wird Zeit, die Blacks und Potters endgültig zu vereinen."
„Ähm, Entschuldigung", meldete sich Evelyna zu Wort, „aber ich habe nicht vor, einen der beiden zu heiraten!"
Sie wusste schon seit ihrer Kindheit, dass sie der Familie Black versprochen war. Bisher hatte es sie nie gekümmert, da sie erst volljährig sein musste und sie nicht vorhatte, solange hierzubleiben. Doch jetzt, kurz bevor sie wirklich aufbrach, wollte Evelyna, dass ihre Familie wusste, was sie davon hielt. Wie sehr sie den Gedanken verabscheute und es in ihr brodelte.
„Darum geht es doch gar nicht." Ihr Vater wischte ihren Einwand beiseite. „Du wirst einen der beiden Ehelichen, und zwar den, dem du sympathischer bist."
„Aber ich will es nicht!", wiederholte Evelyna mit erhobener Stimme, etwas, was sie sich sonst immer verkniffen hatte. Es war an der Zeit, endgültig ein paar Dinge klarzustellen.
„Du wirst!"
„Nein! Ich werde euch nämlich verlassen!"
Ein Moment herrschte Stille. Ihr Vater runzelte die Stirn, ihre Mutter wirkte verblüfft und Henry sah mit großen Augen von seinem Vater zu Evelyna und wieder zurück.
„Du wirst uns nicht verlassen. Nur durch eine Heirat und nicht anders."
Evelyna sah ihrem Vater direkt in die Augen.
„Ich breche noch heute auf." Ihre Stimme zitterte ein wenig, doch klang trotzdem fest.
„Kind, du bist doch noch nicht einmal volljährig! Und außerdem – wo willst du hin?", mischte sich ihre Mutter ein.
„Nenne mich nie wieder Kind! Ich habe meine Schulausbildung abgeschlossen –"
„Abgebrochen, wohl eher", knurrte ihr Vater. „Du bist ein Kind. Ein unerzogenes, undankbares, verwöhntes Kind."
„- habe die Erlaubnis zu zaubern und will nun etwas von der Welt sehen. Und das nicht an der Seite eines Blacks!", fuhr Evelyna fort, ohne auf die Worte von ihrem Vater zu achten.
„Genug!"
Ihr Vater war aufgesprungen und starrte sie zornig an.
„Entschuldige dich sofort, Evelyna Valeria, und sprich nie wieder davon, dann werde ich dir verzeihen! Du wirst einen der Blacks heiraten und nie wieder widersprechen. Andernfalls gehörst du nicht mehr zur Familie!"
Evelyna stand ebenfalls auf.
„Dann gehöre ich halt nicht mehr zur Familie. Lieber lebe ich als Verbannte, wenn die einzig andere Alternative wäre, Hausfrau und Mutter zu werden. Ja, ich tausche mein Leben im Wohlstand und in goldenen Fesseln gegen ein Leben in Freiheit, wo ich nichts habe, außer meinem Willen und wo ich tun und lassen kann, was ich will! Ich habe es hier gehasst! Ich hasse dieses falsche, gekünstelte Leben, welches von mir verlangt wird zu führen. Dieses brave Leben, welches keinen Platz für Abenteuer lässt, dazu, etwas Neues zu probieren und sich selbst zu finden. Ihr wollt mich loswerden, etwas anderes verbirgt sich nicht hinter dieser Ehe. Aber ich habe andere Pläne – was ihr wissen würdet, hättet ihr in den letzten Jahren mal ernsthaft mit mir geredet."
Keiner am Tisch sagte etwas. Evelyna hielt ihren Zauberstab fest umklammert, sie würde nicht zögern, ihn einzusetzen, sollten ihre Eltern etwas gegen sie unternehmen. Als das Schweigen unerträglich zu werden drohte, verschwand die wutverzerrte Miene ihres Vaters. Er entspannte und setzte sich.
Dann nickte er.
„Dann sei es so. Ab sofort hast du keinen Zugriff mehr auf unser Verlies oder sonstigem Besitz. Dein Name wird vom Familienstammbaum gelöscht und es wird sein, als hätte es dich niemals gegeben. Dein Name ist in unseren Augen nichts mehr wert. Und nun geh. Ich verbiete dir, jemals wieder einen Fuß über unsere Schwelle zu setzen. Verschwinde aus diesem Haus und trete mir nie wieder unter die Augen!"
Evelyna entspannte sich, nickte und machte Anstalten, das Esszimmer zu verlassen. Doch eine leise Stimme konnte sie zum Stehenbleiben bewegen.
„Wann kommst du wieder?" Henry.
Er sah sie an und in seinen braunen Augen konnte sie die Verwunderung über das eben Geschehene sehen. Evelyna machte ihm keinen Vorwurf. Er konnte ja nichts dafür, dass sie den Erwartungen ihrer Eltern nicht gerecht wurde. Auf seinen kleinen Schultern lag die ganze Erwartung ihrer Familie, jetzt noch mehr, nachdem sie sich in jeglicher Hinsicht als eine Enttäuschung erwiesen hatte.
Sie zwang sich zu einem Lächeln.
„Ich werde nie wieder kommen, Henry. Doch glaube mir, ich bin glücklich. Und ich weiß, dass auch du glücklich sein wirst. Du wirst große Dinge tun. Und ich werde dich nie vergessen."
Evelyna bekämpfte die plötzlich aufkommende Traurigkeit. Sie durfte nicht zögern. Sie hatte sich entschieden. Für die Freiheit. Für das Unbekannte.
Sie verließ das Esszimmer, nahm ihre Tasche und verließ das Haus. Sie würde es schaffen.
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Ich brauche mal eure Hilfe. Ich habe neue Cover erstellt und kann mich nicht entscheiden, welches ich nehmen soll. Was meint ihr? Oder soll ich lieber das Jetztige lassen?
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