Teil 19
Es war unmöglich zu sagen, ob sie fiel oder flog. Vielleicht auch keins von beidem. Valeria wusste nicht einmal, wo oben oder unten war, ganz zu schweigen, wo sich die Tür befand, durch die sie eben getreten war. Um sie herum schien alles in Bewegung zu sein, eine bewegte Dunkelheit, welche ihr Angst machen müsste, zumal sie sich selber nicht rühren konnte, doch sie fürchtete sich nicht.
Sie wartete nur, wenn gleich sie nicht wusste, worauf. Sie versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen, glaubte manchmal Gestalten zu erahnen, manche wirkten vertraut und andere komplett fremd. Sagenumwobene Gestalten von allen Winkeln der Erde, von denen sie bisher nur gelesen hatte, sowie Schatten der gewöhnlichsten Vögel. Doch nicht alle waren die von Tierwesen, auch menschliche Schemen gab es. Sie hätte sich wundern können, wie hier Schatten entstanden, schließlich gab es keine Lichtquelle, sondern nur Dunkelheit, doch sie tat es nicht. Es beunruhigte sie nicht einmal. All das gehörte zu dem normalen Vorgang, wenn man die Bibliothek betrat, da war sie sich sicher. Zu gegebener Zeit würde sie weiterkommen.
Nach einer Weile Schatten beobachten, wobei sie feststellte, dass alle irgendwie etwas mit ihr zu tun hatten - entweder war sie ihnen schon begegnet, oder hatte zumindest schon von ihnen gelesen oder auch nur geträumt - konnte sie einen hellen Fleck im Dunkel erkennen. Es war wie ein langer Tunnel, wo in weiter Ferne der Ausgang war. Sie spürte, dass sie nun gehen konnte, also machte sie sich auf den Weg.
Es war ein langer Weg, länger als es am Anfang gewirkt hatte, aber diese Tatsache störte sie nicht. Den Blick unverwandt nach vorne gerichtet, um sich nicht ablenken zu lassen, ging sie in gleichmäßigem Tempo auf den größer werdenden Lichtfleck zu, ohne Hast und ohne groß etwas zu erwarten. Sie hoffte einfach, irgendwann anzukommen.
Valeria wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Es konnten Minuten oder auch Stunden sein, vielleicht auch Tage, aber es spielte auch keine Rolle. Zeit war eine relative Sache. Warum gab es sie überhaupt? Warum unterteilte man die Spanne von Sonnenaufgang bis -untergang und umgekehrt überhaupt? Welchen Sinn hatte das?
Dies waren sicherlich überflüssige Gedanken, doch sie kamen in Valeria auf. Und im Grunde spielte auch das keine Rolle. Sie kam vorwärts, das war das Wichtigste. Sie ging weiter, ruhig und bedacht, bis sie das Licht erreichte.
Ein Raum formte sich, ein riesiger Raum mit Regalen bis an die Decke. Es wurde von einem grünlichen Licht beherrscht, welches unheimlich hätte wirken können, wenn es Valeria nicht an den Gemeinschaftsraum der Slytherins erinnern würde. Der Gemeinschaftsraum lag unter dem See, wodurch es immer diesen Unterwassereffekt gab. Sie hatte dieses Licht geliebt, diesen geheimnisvollen Schimmer, welcher stets daran gehaftet hatte. Doch jetzt war nicht der richtige Moment, um sentimental zu werden und in Erinnerungen zu schwelgen. Jetzt verlangte das Leben höchste Konzentration und Wachsamkeit.
Langsam drehte sie sich einmal um ihre eigene Achse. Sie konnte nirgendwo eine Tür sehen. Wo war sie hergekommen? Und wie sollte sie hier wieder rauskommen?
„Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss?", fragte eine sanfte Stimme hinter ihr.
Sie wirbelte herum. Eine Gestalt war aus dem Nichts erschienen und stand nun dort, schneebleich in einer langen, weißen Kutte gehüllt, deren Kapuze das halbe Gesicht bedeckte. Sie konnte also nur die untere Gesichtshälfte sehen, doch auch die wirkte blass und, in dem grünlichen Licht, ungesund. Ihre Lippen wirkten fahl und farblos und auch wenn die Augen nicht zu sehen waren, bildete sich Valeria ein, einen prüfenden Blick zu spüren. Ein weiteres Mitglied der magischen Gemeinschaft hatte den Weg in die Bibliothek gefunden.
„Ich arbeite hier und gratuliere Ihnen, dass Sie den Weg hierher gefunden haben. Seien Sie versichert, egal was Sie hier drin suchen, sagen oder tun, es wird niemals diesen Raum verlassen. Wenn Sie etwas Bestimmtes suchen, dann konzentrieren Sie sich darauf und die Regale werden sich verschieben und neu sortieren. Jenes Regal, welches Ihnen am Nächsten ist, ist meist das Hilfreichste."
„Vielen Dank für die Einführung", sagte Valeria. „Ist es auch möglich, hier Menschen zu finden?"
Denn erst jetzt fiel ihr auf, dass es in der Bibliothek erschreckend ruhig war. Nicht, dass sie etwas dagegen hatte, das Räuspern, Rascheln von Seiten und Atmen von Anderen fand sie extrem störend und hatte schon häufig dazu geführt, dass sie ihre Fähigkeit ungesagt zu zaubern verbesserte, aber sie hätte gedacht, dass es hier mehr Menschen gab. Schließlich war diese Bibliothek für viele Hexen und Zauberer der Hauptgrund nach Island zu reisen. Da war es eigentlich unmöglich, dass zu diesem Zeitpunkt nur sie sich hier befand.
„Wenn er sich zum gleichen Zeitpunkt in der Bibliothek befindet und auch gefunden werden will, dann ist das möglich", antwortete die Gestalt. „Eine gute Voraussetzung wäre es, wenn Sie wissen, wie diese Person denkt. Wenn Sie wissen, was sie wissen will."
„Ich danke Ihnen." Valeria neigte leicht den Kopf und die Gestalt verschwand lautlos. Sie entfernte sich nicht in die entgegengesetzte Richtung, sie verschwand einfach und so vollkommen, als wäre sie niemals dagewesen.
Na wunderbar. Scheinbar völlig allein, irgendwo im nirgendwo. Woher sollte Valeria denn wissen, ob und wann es Gellert gelang, die Bibliothek zu betreten? Ging hier dann vielleicht eine Glocke? Und was würde er zuerst suchen? Sie schloss die Augen und verbannte all diese Gedanken. Es war nicht ihre Art, sich Sorgen zu machen. Sie ging logisch und nüchtern an alle Dinge im Leben ran.
Sie war sich ziemlich sicher, dass Gellert die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte, irgendein magisches Band zu finden, mit dem sie einverstanden war. Doch hatte das wirklich oberste Priorität für ihn? Oder war ihm der Elderstab wichtiger? Sie runzelte die Stirn, unsicher.
Vielleicht sollte sie nach einem Bund suchen, damit Gellert merkte, dass sie unter bestimmten Bedingungen durchaus dazu bereit wäre. Wenn sie etwas Geeignetes fand, dann hatte zumindest sie es entschieden und musste sich nicht seinem Willen beugen. Denn sie wollte sich nicht ausnutzen lassen. Zumindest nicht als Person, denn das er ihr Gespür für Lüge und Wahrheit nutzen wollte, war ihr durchaus klar. Darüber machte sie sich keine Illusionen, doch wenn dies dazu beitrug, dass er sie akzeptierte und duldete, dann wäre sie bereit, dass zuzulassen. Wobei sie nicht sicher wusste, wo sie nach der letzten Nacht standen.
Valeria verbannte erneut all die aufkommenden Gedanken aus ihrem Kopf und konzentrierte sich. ‚Magische Bunde', dachte sie, ‚von denen beide profitieren. Oder zumindest keiner ausgenutzt wird'. Sie spürte, wie die Bibliothek sich um sie herum veränderte, Regale verschwanden und neue erschienen.
Als sie die Augen öffnete, war der Raum kleiner geworden, es gab insgesamt weniger Regale. Direkt vor den Regalen standen Tische, so dass man sich die Bücher im Sitzen raussuchen und durcharbeiten konnte.
Sie setzte sich in einen Sessel, ganz am Anfang des Regals und überflog die Buchrücken. Die meisten klangen nicht sehr erbaulich, doch eines schien sämtliche Bündnisse zu enthalten, die es gab. Das Buch zog sie heraus und ein Blick in das Inhaltsverzeichnis bestätigte ihre Vermutung. Wenn sie hier nichts fand, sah es denkbar schlecht aus. Zumindest für sie, Gellert würde es wenig stören.
Das Vorwort überflog sie nur rasch - es wurde geschrieben, dass von den meisten magischen Bindungen häufig nur einer profitierte, während der Andere sich nicht selten in große Gefahr brachte. Darum grenzten einige fast an schwarze Magie, da sie einem einen Vorteil auf Kosten des Anderen brachten. Das interessierte sie herzlich wenig. Tatsächlich würde sie einige dann gerne ausprobieren, wenn sie im Vorteil wäre. Diese Grauzone, nicht ganz eindeutig, ob etwas verboten gehörte oder nicht, fand sie sehr faszinierend. Wenn auch nicht ganz so faszinierend wie das Verbotene - also schwarze Magie.
Sie war fest davon überzeugt, dass diese Neugierde darauf in jedem Zauberer verankert war, in einigen mehr, in anderen weniger. Nur hatten die meisten eine zu große Furcht das Gesetz zu brechen und in Askaban zu landen. Valeria unterdrückte ein Schnauben. Diese Angst könnte das Ende der magischen Welt bedeuten. Angst, sich zu offenbaren, Angst, zu sich zu stehen und das Leben zu führen, was man sich wünschte.
In einem Nebensatz, ziemlich am Ende des einführenden Texts, wurde erwähnt, dass es nur wenige Bunde gab, von denen beide profitierten.
Das erste Kapitel behandelte die Ehe, was Valeria zum Augen verdrehen veranlasste. Davor war sie geflohen, zumal diese für Frauen gegen Ende des 19. Jahrhundert nicht wirklich Vorteile hatte. Nicht in ihrer Welt. Wenn sich der Autor dies als eine ebenbürtige Bindung vorstellte, konnte sie ihre Erwartungen runter schrauben.
Es ging weiter mit dem unbrechbaren Schwur; auch dieses Kapitel übersprang sie. Anscheinend waren gleichberechtigte Bindungen wirklich Mangelware, wenn dieser Schwur bereits an zweiter Stelle stand.
Auch die Vorstellung richtig an Gellert gebunden zu sein, so dass sie sich nur ein paar Meter voneinander entfernen konnte, war nicht wirklich das, wonach sie suchte. Und er wäre mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit auch nicht wirklich angetan davon.
Auch den Imperius übersprang Valeria, während sie sich das Kapitel über eine teilweise Gedankenverbindung aufmerksam durchlas. Es war nicht ideal, aber besser als alles Bisherige. Dabei gäbe es eine Person - in ihrem Fall Gellert - welche den vollständigen Zugang zu ihren Gedanken hatte und dadurch genau wusste, was sie plante.
Es war zwar auch eine Bindung, bei der nur einer profitierte, aber da sie weder vorhatte ihn zu hintergehen, noch ihm etwas wirklich wichtiges vorzuenthalten, konnte sie damit leben. Es würde ihn zwar wahrscheinlich ziemlich schnell nerven, da sie gerne über wirklich alles nachdachte, aber vielleicht wäre er auch in der Lage, ein wenig Ordnung in ihren Kopf zu bringen. Das vermisste sie nämlich seit einigen Tagen. Die Frage war sowieso, ob es funktionierte, da sie Okklumentik beherrschte. Dennoch merkte sie sich diesen Namen: „Gedankenbündnis".
Die letzte Bindung, die dieses Buch vorschlug, war, durch einen Liebestrank Gehorsamkeit einzufordern. Wobei das Wort Gehorsamkeit in diesem Zusammenhang eigentlich untertrieben war. Abhängigkeit traf es eher. Da erschien der Imperius-Fluch fast freundlich gegen.
Genervt schlug Valeria das Buch zu. Das war ihr eine wirklich große Hilfe gewesen. Das Beste wäre, wenn Gellert es sich anders überlegte und ihr so vertraute.
Apropos Gellert ... Eigentlich müsste er seinen Weg in die Bibliothek mittlerweile auch gefunden haben. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er noch lange gebraucht hatte, wenn sie ihn nicht länger nervte. Und außerdem hatte sie den Verdacht, dass er noch viel talentierter war, als er vorgab zu sein. Und das musste schon etwas heißen.
Sie konnte es ja mal versuchen. Sie konzentrierte sich. Auf alles, was sie über ihn wusste, was sie sich über ihn zusammengereimt hatte und was ihm etwas bedeutete. Theoretisch müsste es dann ja funktionieren ...
Der Raum veränderte sich. Er wurde größer, das grüne Licht verschwand und es tauchten wieder mehr Regale auf. Auch hatte sie das Gefühl, irgendwie zu fallen, auch wenn sie die ganze Zeit fest auf ihrem Stuhl saß.
Und dann war Gellert da. Er saß neben Valeria und schien nicht im Geringsten überrascht, sie zu sehen.
„Dachte ich mir schon, dass du den Weg hierher findest."
Sie stand auf und setzte sich auf den Tisch vor dem Regal, neben den vielen Büchern, die er um sich herum ausgebreitet hatte. Nun war sie, als willkommende Abwechslung, mal größer war als er und konnte auf ihn hinabsehen. Und das tat sie auch, allerdings so verwirrt, dass sie sich noch kleiner als sonst neben ihm vorkam.
„Wie meinst du das? Ich habe mich einfach nur konzentriert und der Raum hat sich verändert."
Er lachte leise auf und sah zu ihr auf.
„Hast du es noch nicht erraten? Wo sich diese Bibliothek befindet?"
„Nein. Ich dachte, dass weiß niemand."
„Wenn dies wirklich der Fall ist, dann verschließen sie alle die Augen vor dem Offensichtlichen."
„Du meinst, es ist logisch?"
„Sicher ist es das. Mir wurde es klar, als ich meine Tür gefunden habe und wenn du ein wenig nachdenkst, kommst du auch drauf. Alles andere würde mich, um ehrlich zu sein, nach den Beobachtungen der letzten Wochen, enttäuschen. Beweis mal, dass du dir dein gutes Abgangszeugnis auch verdient hast."
Seine Augen blitzen herausfordernd und er schien es genießen, dass sie mal keine Ahnung hatte, wovon er sprach. Dass sie wirklich im Dunkeln tappte.
„Dann rate", forderte er sie auf.
Valeria schnappte empört nach Luft.
„Ich werde jetzt nicht anfangen hier herumzuraten, nur damit du etwas zum Lachen hast! Ich habe etwas anderes zu besprechen."
„Du verdirbst mir den ganzen Spaß", beschwerte sich Gellert, was ihm einen finsteren Blick einbrachte. „Also gut. Was gibt es so Wichtiges?"
„Ich habe womöglich etwas gefunden", sagte Valeria erleichtert. „So ein Bund. Es ist nicht der unbrechbare Schwur, aber ich denke, du wärst damit einverstanden. Es heißt Gedankenbündnis."
Sie versuchte sich auf das Buch zu konzentrieren, doch Gellert lenkte sie ab.
„Du bist nun in meiner Bibliothek. Wenn du dich nun auf etwas anderes konzentrierst, verlässt du sie wieder."
„Wieso deine? Ich dachte, es gibt nur eine Bibliothek."
Erneut begann Gellert zu grinsen, was Valeria mit einem genervten Augenrollen quittierte. Scheinbar hatte er ein neues Hobby - sich auf ihre Kosten zu amüsieren - aber solange er sie aufzog, würde er keine Antwort erhalten. Sie verschränkte die Arme, lehnte sich ans Regal und sah sich demonstrativ um. Trotz der Größe wirkte die Bibliothek fast heimelig, sie hatte eine besondere Atmosphäre.
Gellert schien zu merken, dass sie eine Antwort verweigerte, denn er seufzte auf.
„Wie funktioniert dieses Gedankenspiel?"
„Gedankenbündnis", korrigierte Valeria. „Du hättest dabei Zugang zu meinen Gedanken. Somit könnte ich gar nichts vor dir verheimlichen."
„Es wäre eine Alternative", gab Gellert zu. „Man könnte ja mal drüber nachdenken."
Doch offenbar nicht jetzt, denn er beugte sich wieder über ein Buch und schrieb daraus etwas auf einen Zettel, der vor ihm lag und scheinbar wichtiger war.Valeria interpretierte es so, dass für ihn wichtigere Dinge gab, als völlig unbegründet an ihrer Loyalität zu zweifeln. Sie konnte und wollte ihn nicht enttäuschen. Dafür verdankte sie ihm zu viel.
Ich hoffe, ihr hattet einen schönen Heiligabend und wünsche euch noch frohe Weihnachten! Und einen guten Rutsch ins neue Jahr, falls nicht vorher noch ein Kapitel kommt ...🤫
Außerdem würde ich noch gerne ein paar Worte zu dem "Neuen Grindelwald" schreiben. Was haltet ihr denn von ihm? Natürlich kann man anhand eines Trailers keine umfassende Charakteranalyse schreiben, aber einen ersten Eindruck. Meiner war negativ.
Der Grindelwald, den wir kennen und lieben wurde von Johnny so kreiert, dass er perfekt zu ihm passt. Und das kann kein anderer Schauspieler uns geben. Auch das optische hat mich jetzt nicht wirklich umgehauen. Es ist jetzt ein 0815 Bösewicht. Ohne diese Ausstrahlung, die Stimme, die einen in den Bann zieht. Von all dem müssen wir uns nun endgültig verabschieden. Aber wir werden ihn niemals vergessen.
In diesem Sinne: #johnnydeppismygrindelwald #justiceforjohnnydepp
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