Teil 14

Ihre Erziehung verlangte von Evelyna, mit einem Knicks zu reagieren, doch da dies im sitzen unmöglich war, neigte sie nur den Kopf.

„Die Freude ist ganz meinerseits, Mr. Grindelwald."

Grindelwalds Lächeln wurde breiter. Innerlich schüttelte Evelyna den Kopf. Entweder er war genervt von ihr, analysierte sie mit seinem stechenden Blick oder lächelte. Und daraus sollte sie schlau werden.

„Woran denkst du?"

„Ich frage mich nur, wie ich aus dir schlau werden soll."

Grindelwalds Lächeln verschwand, doch er hob eine Hand und berührte leicht Evelynas Wange.

„Das kann ich verstehen. Falls es dich tröstet, ich habe mit dir das gleiche Problem."

Tatsächlich munterte es Evelyna auf, zumindest ein wenig.

Ihr Blick fiel auf das Fenster und erinnerte sie daran, dass es noch mitten in der Nacht war. Das hatte sie schon fast vergessen und es trug nicht unbedingt dazu bei, dass sie sich wohler fühlte. Tatsächlich machte es die Situation noch skurriler. Es war dunkel, sie saßen gemeinsam auf Grindelwalds Bett und redeten über ihre komplizierte Beziehung und wie sie sie verbessern konnten. Und Grindelwalds Hand lag immer noch auf ihrer Wange, was Evelyna nicht wirklich einordnen konnte.

„Vielleicht sollten wir versuchen, noch ein paar Stunden zu schlafen", schlug sie vor, um nicht länger darüber nachdenken zu müssen, was hier gerade passierte.

Grindelwald ging nicht auf ihre Worte ein, sondern fuhr vorsichtig mit seinen Fingern über ihren Wangenknochen zu ihrem Ohr und verweilte dann in ihren Haaren. Evelyna fühlte sich wie erstarrt, während Grindelwald scheinbar in Gedanken versunken ihren mittlerweile zerzausten Zopf öffnete, sodass ihre Haare offen über ihre Schultern fielen. Das schockte sie noch mehr, denn abgesehen von den Hauselfen, die ihr ja geholfen hatten, hatte sie in den letzten zehn Jahren nie jemand mit offenen Haaren gesehen.

Grindelwald blinzelte und erwachte scheinbar aus einer Art Trance, denn er wirkte überrascht, dass sich seine eine Hand in ihren Haaren befand. Er nahm sie ruckartig weg, als hätte er sich verbrannt und wandte den Blick ab.

„Du hast recht", sagte er leise. „Wir sollten noch ein paar Stunden schlafen."

Evelyna bemühte sich zu nicken, stand auf und ging hinüber in ihr Bett. Auf ihm lag ihr Zauberstab, den Grindelwald dorthin geworfen hatte. Sie streckte die Hand aus und als ihre Finger sich um den Stab legten, die vertrauten Holzstrukturen und kleinen Verzierungen berührte, fühlte sie sich schlagartig wieder vollständig.

Sie hatte nicht einmal gespürt, dass ihr etwas gefehlt hatte, doch der Zauberstab war über die Jahre zu einem festen Bestandteil ihrer Persönlichkeit geworden. Sie brauchte ihn nicht mehr, denn das Zaubern ohne Zauberstab beherrschte sie seit ungefähr einem halben Jahr nahezu perfekt, doch trotzdem gab ihr der Stab eine Sicherheit. Seit jenem Moment, in welchem ihr der Zauberstab überreicht worden war, hatte sie ihn kaum aus der Hand gegeben. Jetzt fühlte sie sich wieder gewappnet und konnte gefühlsmäßig freier atmen.

Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass in ihrem Kopf Chaos herrschte.

Während sie sich in ihr Bett legte und Grindelwald den Rücken zudrehte, kreisten ihre Gedanken um die bizarre Situation, die sich eben abgespielt hatte. Unwillkürlich schlossen sich ihre Finger fester um ihren Zauberstab. Nachts legte sie ihn nie beiseite, was zwar ein gewisses Risiko war – denn manchmal zauberte sie ausversehen, wodurch sie schon einige Male mit leichten Verbrennungen oder anderen Kleinigkeiten aufgewacht war – doch sie wusste, ihr Zauberstab würde sie niemals wirklich verletzen und konnte sie stattdessen immer verteidigen.

Evelyna versuchte sich zu entspannen, ihren Geist zu leeren, doch so richtig gelang es ihr nicht. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu Grindelwald und seinem merkwürdigen Verhalten zurück, aus dem sie einfach nicht schlau wurde. Das fand sie mehr als frustrierend und so dauerte es trotz ihrer Tricks lange, bis ihre Gedanken zur Ruhe kamen und sie einschlief.

Evelyna war bereits wach, doch hielt die Augen noch geschlossen. Sie wollte noch nicht aufstehen. Dazu war sie noch zu müde. Sie hatte wirre Dinge geträumt, dabei hasste sie es, zu träumen und machte deshalb seit fast drei Jahren Okklumentik. Träumte man zu lebhaft, war man nicht wirklich ausgeruht, wenn man aufwachte. Das spürte sie nun wieder.

Evelyna hörte, wie ich die Tür öffnete und jemand den Raum betrat. In dem Wissen, dass es nur eine Person sein konnte, schlug sie mit einem resignierten Seufzen die Decke zurück und richtete sich langsam auf. Ihre Haare fielen offen und wirr über ihre Schultern, obwohl sie sich sicher war, sie am Abend geflochten zu haben.

Stirnrunzelnd griff sie in ihre Haare, während sie gleichzeitig den Blick hob und Grindelwald ansah, der offenbar schon unterwegs gewesen war. Und in dem Moment wurde ihr klar, dass sie nichts geträumt hatte. Alles, was sie für einen Traum gehalten hatte, war letzte Nacht tatsächlich geschehen.

Geschockt sah sie Grindelwald an, der ihren Blick ruhig erwiderte und dann, ohne irgendwelche Emotionen, leise sagte:

„Du solltest dich fertig machen. Ich bin recht zuversichtlich, was den heutigen Tag angeht."

Es passierte nicht selten, aber Grindelwald war ratlos. Er war an diesem Morgen früh aufgewacht und aufgestanden, wobei er sich bemüht hatte, Evelyna nicht zu wecken. Er musste in Ruhe nachdenken, weshalb er das Zimmer verließ, um ein wenig frische Luft zu bekommen.

Er hatte sich eingestehen müssen, dass es womöglich doch noch Wahrheiten gab, die er vor sich geheim hielt. Und eine drehte sich ganz offenbar um Evelyna Potter. Grindelwald war sich bewusst, dass er einen Fehler machte. Er war in Godric's Hollow zum zweiten Mal zu dem Entschluss gelangt, niemanden zu wichtig für ihn werden zu lassen. Und er war auf den besten Weg, sich erneut nicht an seine eigenen Vorschriften zu halten. Anders konnte er sich sein Verhalten letzte Nacht nicht erklären.

Doch wann war es geschehen? Er hatte sie doch nur wiederstrebend akzeptiert, doch sich zunehmend an sie gewöhnt. Und auch wenn er es mittlerweile nicht mehr bedauerte, sie vielleicht sogar mochte, so glaubte er doch nicht, dass sie ihm so viel bedeutete.

Die Geschichte würde sich nicht wiederholen, dass würde er nicht zulassen.

Das Beste wäre, wenn er verschwand. Ohne einen Hinweis oder Erklärung. Das wäre das Richtige. Doch das konnte er nicht. Dazu war es zu spät. Ihr Selbstvertrauen war am Abend zerstört worden und das wenigste, was er machen konnte, war, es ihr zurückzugeben. Das redete sich Grindelwald zumindest ein, auch wenn er selbst noch nicht daran glaubte. Er dürfte sie nicht an sich ran lassen, musste sie immer wieder von sich stoßen und auf Abstand halten. Und sollte ihm das nicht gelingen, denn es klang selbst in seinen Gedanken unwahrscheinlich, könnte er vielleicht Einfluss auf die Entwicklung nehmen. Wenn er etwas für Evelyna empfinden sollte, konnte er es vielleicht auf einer geschwisterlichen Ebene halten.

Nach einer Weile kehrte er zurück, um Evelyna abzuholen. Er hatte bereits bemerkt, dass sie ein Frühaufsteher war, darum war er auch überrascht, dass sie noch im Bett lag und ihn wie vom Donner gerührt ansah.

Nachdem sie im Bad verschwunden war, setzte Grindelwald sich auf sein Bett und vergrub das Gesicht in den Händen. Was sollte er tun? Gehen? Bleiben? Was sollte er zu ihr sagen?

Vielleicht sollte er es ignorieren und vergessen. Oder zumindest abwarten, wie es sich weiterentwickelte. Er wusste nicht, was in ihrem Kopf vor sich ging, wie sie ihm gegenüberstand. Vielleicht sollte er erstmal das herausfinden.

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