Teil 11
Ihr Herz klopfte immer noch wie verrückt, als sie in die Straße einbog, in der sie wohnte. Evelyna war unschlüssig, was sie tun sollte. Gellert von dem Überfall erzählen? Den Rat des Fremden befolgen? Es ignorieren und vergessen?
Diese Fragen rückten in den Hintergrund, als die Tür des Gasthauses aufging und eine vertraute Gestalt erschien.
Grindelwald schien genau zu wissen, aus welcher Richtung sie kam, denn er ging ihr entgegen und zog sie in eine Umarmung, welche sie überraschte. Das gehörte sich nicht. Nicht in der Öffentlichkeit. Und er mochte sie nicht. Aber was sollte diese Sache dann? Er hatte sich doch nicht etwa Sorgen um sie gemacht?
„Wo warst du so lange?"
Er löste sich von ihr und sah sie finster an. Offenbar war Grindelwald sauer. Evelyna antwortete nicht. Sie war viel zu überrascht und für einen kurzen Moment hatte sie die vergangenen Ereignisse vergessen, doch unter Grindelwalds stechenden Blick, den er hervorragend beherrschte, riss sie sich zusammen. Natürlich hatte er sich keine Sorgen gemacht. Nicht um sie. Sie hatte bereits festgestellt, dass seine Vergangenheit ihn gefühlskalt hatte werden lassen. So wie auch sie es ihr Leben lang war, bis sie ihn getroffen hatte.
„Womöglich habe ich etwas rausgefunden. Zwar auf eine eher ungewöhnliche Art, aber es könnte uns weiterhelfen."
Evelyna sah sich um. Sie fühlte sich unwohl, beobachtet. Grindelwald schien das zu bemerken. Er sah sie prüfend an.
„Dir ist etwas widerfahren. Etwas, das du noch nicht einordnen kannst. Und das, was du ‚weiterhelfen' nennst, hat dich überfordert, weil diese Hilfe dich gefunden und anscheinend überwältigt hat."
„Woher weißt du das?" Hatte er das alles nur an ihrer Körperhaltung gesehen?
„Ich hatte eine kurze Vision, kaum dass du gegangen bist. Du wurdest gefangen gehalten. Viel mehr konnte ich nicht erkennen."
„Ich erzähle dir drinnen alles." Die Worte des Fremden hallten in ihr nach. ‚Sei ehrlich'.
Als sie das Gasthaus betraten, blieb Evelyna kurz stehen und sah sich um, auf der Suche nach Cal. Als sie gegangen war, war er noch da gewesen, weswegen sie die Gaststube erst durchquert hatte, als er in der Küche war.
„Er ist nicht da", sagte Grindelwald leise. „Komm."
Evelynas Abneigung gegen diesen Zauberer ging mittlerweile so weit, dass sie nicht mit ihm in einem Raum sein wollte, denn er würde ihr mit jeder Begegnung unsympathischer. Wobei er ihr nie etwas getan und nur ein einziges Mal mit ihr gesprochen hatte. Nur weil hier noch zwei andere Zauberer arbeiteten, war Evelyna noch nicht verhungert.
Im Zimmer angekommen, drückte Grindelwald Evelyna auf einen Stuhl. Sie ließ es geschehen. Hier im Hellen erschien ihr das Erlebte so unwirklich wie ein Traum. Nur die Tatsache, dass ihr Zittern wieder zunahm, jetzt wo es eigentlich vorbei war, versicherte ihr, dass sie sich die letzte halbe Stunde nicht eingebildet hatte.
Grindelwald schloss die Tür und setzte sich auf das Bett ihr gegenüber. Dann streckte er seine Hände vorsichtig aus und umschloss ihre kalten damit, um sie zu beruhigen. Er hielt sie einfach nur und wärmte sie. Evelyna bemerkte es kaum. Sie war zu sehr in Gedanken versunken. Grindelwald fragte sie nicht, drängte sie nicht. Er wartete, bis Evelyna ihre Gedanken sortiert hatte.
Sie erzählte stockend, doch ließ nichts aus. Oder zumindest wenig. Den Teil, wo der Fremde über ihre schwer zu deutenden Gefühle gesprochen hatte, übersprang sie. Da musste sie erstmal selbst herausfinden, wie es gemeint war. Doch sie berichtete, was ihr an dem Fremden aufgefallen war und was dieser behauptete.
Grindelwald runzelte mehrmals die Stirn, unterbrach Evelyna aber nicht.
Als sie geendet hatte, herrschte schweigen, welches von Grindelwald durchbrochen wurde.
„Erkläre mir das mit deinem Gespür für die Wahrheit mal genauer."
Evelyna zögerte, eine Tatsache, die von Grindelwald mit einem leichten Lächeln quittiert wurde.
„Ehrlich sein, schon vergessen?"
„Zu sich selbst ehrlich sein, nicht auch zu allen anderen", korrigierte sie sofort.
„Stimmt, allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass man manchmal erst durch das Aussprechen oder erklären mancher Dinge, sich diese Tatsachen auch eingesteht. Vorher weiß man zwar auch schon, dass es der Wahrheit entspricht, aber man will es nicht wahrhaben."
Evelyna sah auf. Grindelwald hatte den Blick nicht von ihr abgewendet, aber trotzdem sah er sie nicht an. Er betrachtete etwas, das nur er sehen konnte. Sein Blick war dabei voller Schmerz, Verbitterung und Hass. Und Sehnsucht. Es war der Blick eines Menschen, der entsetzliches erlebt hatte. Der alles verloren hatte. Der durch die Hölle gegangen war und trotzdem nichts verändern konnte.
In diesem Moment sah Evelyna die Bestätigung. Grindelwald hatte es oft angedeutet, doch nie weiter darauf eingegangen. Er hatte nie darüber geredet, doch Evelyna wusste, dass er jemanden verloren hatte. Jemanden, der ihm wichtig war.
„Erzählst du mir davon?", fragte sie leise.
Ihre Stimme schien Grindelwald in die Gegenwart zurückzuholen.
„Es gibt nichts zu erzählen. Ich habe mit meiner Vergangenheit abgeschlossen." Ein Blick in sein Gesicht besagte, dass er keine Diskussion zulassen würde. „Also?"
Evelyna war nicht sicher, was sie tun sollte; dieser Punkt ging an den Fremden. Ihr war klar, dass Grindelwald sie dann bei sich behalten wollte, doch vermutlich nur, weil sie diese merkwürdige Fähigkeit hatte. Dennoch gab sich einen Ruck. Sie wollte die Karten auf den Tisch legen - in dieser Hinsicht zumindest. Sie wollte sein Vertrauen und dazu musste sie ehrlich sein. Und vielleicht, irgendwann einmal, würde er ihr erzählen, was ihm wiederfahren war.
„Ich kann es nicht genau erklären, aber ich versuche es. Ich hatte schon immer den ausgeprägten Wunsch, die Wahrheit über alles zu wissen. Ich konnte es immer erkennen, wenn ich angelogen werde. Ich spüre so etwas. Meine Eltern hat dies fast wahnsinnig gemacht, also habe ich angefangen, ihre Lügen hinzunehmen. Doch ich habe nie aufgehört, zu suchen. Und ich wurde immer besser, fand immer schneller die Wahrheit raus.
In Hogwarts habe ich mich darüber belesen und fand heraus, wie viel man mit Magie verschleiern kann. Ich belas mich zu den unterschiedlichen Techniken und lernte sie. Lernte die Strukturen der Zauber und lernte sie zu umgehen. Lernte, etwas zu sehen, dass man eigentlich nicht sehen kann. Es hat sich weiterentwickelt. Mittlerweile finde ich heraus, wie mächtig ein Zauberer ist, indem ich mich auf ihn konzentriere."
Evelyna hielt den Kopf die ganze Zeit gesenkt und sah deshalb nicht, dass Grindelwald seine Stirn in Falten gelegt hatte.
„Und du hast gespürt, dass Magie diesen Fremden umgibt und bist sie umgangen?"
„Ich bin die Strukturen der Zauber umgangenen, die die Wahrheit verschleiern. Jeder Zauber hat eine bestimmte Struktur und wenn man mit der vertraut ist, kann man sie umgehen. Ich kann dies bei Zauber, die Lügen unterstützen. In Hogwarts habe ich angefangen es auszuprobieren. Unauffällig natürlich. Ich habe angefangen, Lügen aufzudecken, die durch Zauber getarnt sind. Bei den Schülern war das sehr leicht, weswegen ich es auch bei ein paar Lehrern ausprobiert habe. Aber meistens wurde ich abgelenkt, so dass ich mich nicht konzentrieren konnte."
„Okay, also sicher verstanden habe ich es noch nicht -"
„Ich auch nicht, glaube mir. Und ich beschäftige mich schon Jahre lang damit."
„Unterbrich mich nicht! Du hast gesagt, du kannst feststellen, wie mächtig jemand ist. Wie mächtig bin ich?"
Jetzt sah Evelyna auf.
„Sehr mächtig", flüsterte sie. „Ich habe bisher nur eine Person kennengelernt, die vergleichsweise mächtig ist. Doch deine Magie ist auch ungezügelt, wie eine Flamme. Dafür hast du sie wirklich gut im Griff."
„Wer war die andere Person? Die auch mächtig ist?"
Evelyna zögerte.
„Wer?"
„Albus Dumbledore."
Grindelwald ließ sich nichts anmerken. Tatsächlich schien er nicht wirklich überrascht zu sein.
„Du kannst so die Wahrheit herausfinden? Aber nicht, warum gelogen wurde und das Motiv des ganzen?"
„Nein, das überschreitet meine Fähigkeiten bei weitem. Das könnte nur ein Legilimentor herausfinden. Und Legilimentik beherrsche ich nicht."
Von Grindelwald kam keine Reaktion, nur die nächste Frage.
„Was war mit Ariana?"
„Da weiß ich wirklich nicht mehr, als ich dir bereits erzählt habe! Sie war mir ein Rätsel, weil sie so viele Geheimnisse hatte und trotzdem ein offenes Buch war. Ihre Art, die Magie zu verbergen, hat mich fasziniert, aber ich weiß wirklich nicht mehr darüber!"
„Okay. Und Verteidigungstechniken gegen dich?"
„Es gibt welche, wie gesagt. Alles, womit man die Wahrheit verschleiern will, allerdings ist es auch ein Risiko, denn ich bemerke es. Lügt man, weckt das sofort mein Interesse, also am besten ehrlich sein."
Es tut mir leid! Ich wollte schon letzte Woche ein neues Kapitel hochladen, habe es aber - offensichtlich - nicht geschafft. Ich arbeite seit ungefähr einem Monat und bin noch dabei, mich an den neuen Tagesablauf zu gewöhnen, aber es kann ja nur besser werden. Und dann kommen auch wieder regelmäßiger Kapitel :)
Und eins wollte ich euch noch sagen: Diese Geschichte hat den Always Award 2020 von ShilaSelwyn und S_p_l_story in der Kategorie Eigener Charakter gewonnen! Ich habe mich so unglaublich gefreut! Danke an dieser Stelle nochmal an die Jury!
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