34. Audacity of Men
Audacity of Men
Effie stand in der Sponsorenlounge, ein kühles Glas Rotwein in der linken Hand. Selbst ohne die Hitze der Sonne, die sich gegen jede Faser ihrer Haut drückte, hätte sie gewusst, dass es früher Nachmittag war. Der fünfte Tag der Hungerspiele und sie war bereits so weit, die Tageszeit anhand der Stimmung der Menschen zu erkennen. Morgen bedeutete kalkulierende Geschäftsmänner an den Wettständen, Mittag stand für zugängliche Sponsoren und gegen Nachmittag verschob sich der Fokus vom Geld hin zum Entertainment. Ab jetzt würde es schwieriger werden, Deals auszuhandeln. Sobald der Abend anbrach, würde es nahezu unmöglich sein.
Gerade herrschte Umschwung und der Andrang an den Bars wuchs. Gläser mit Alkohol fanden sich zunehmend in den Händen der Leute wieder, also hatte Effie sich ebenfalls eines besorgt. Ihr war nicht wirklich danach, aber es war ihre Aufgabe, sich an die Menschen um sie herum anzupassen. Und wenn ein Weinglas den Anschein machte, dass sie nur locker über ihren Distrikt plaudern wollte, spielte Effie gern mit.
Doch anders als die Tage zuvor, waren die Sponsoren heute allesamt nicht in guter Stimmung. Niemand wollte mit ihr reden, ob nun mit oder ohne Alkohol. Das Amüsement, das sich mittlerweile auf ihren Gesichtern abzeichnen sollte, fehlte. Natürlich kannte Effie den Grund. Er löste gemischte Gefühle in ihr aus. Es war Nachmittag, beinahe Abend, doch in der Arena hatte sich noch nichts getan: Die Karrieros waren heute nicht auf der Höhe. Cashmere war ihr übliches Selbst, motiviert und aufgeweckt und immerzu auf der Suche nach Spuren der anderen Tribute. Es war der Rest der Gruppe, der es nicht schaffte, mit ihr mitzuhalten. Sie waren immer noch nicht über den Tod des Mädchens aus Distrikt 2 hinweg; hatten nicht vergessen, dass Cashmere ihr Leben beendet hatte. Sie trotten hinter Cashmere her, betroffene bis neutrale Gesichter, als wäre ihnen bis zu diesem Moment gar nicht klar gewesen, dass auch sie in dieser Arena verwundbar waren. Dreizehn Tribute waren bereits tot, die übrigen Elf über die gesamte Karte verstreut. Sie waren zu weit auseinander, um sich heute noch zu begegnen, außer die Spielmacher griffen ein. Doch für ein Eingreifen war es noch zu früh.
Es war alles genau so, wie Haymitch es vorhergesehen hatte. Effies Augen fuhren über die Massen an Menschen, die auf der Dachterrasse umherliefen, auf der Suche nach ihm. Sie blieb an seinem dunkelblonden Haarschopf hängen, der sich seit ihrem Aufteilen kaum von der Stelle gerührt hatte. Er war in ein Gespräch vertieft und Effie musste die Augen zusammenzukneifen, um die Frau aus dieser Entfernung zu erkennen. Ihr fiel der Name nicht ein, aber das Gesicht kam ihr aus einigen Filmen bekannt vor. Schauspielerin. Was auch immer Haymitch ihr erzählte, es brachte sie zum Lachen. Sie hielt sich die schlanken Finger vor den Mund und kicherte, während er ihr ein orangenes Glas in die Hand drückte.
Effie seufzte in sich hinein und wollte den Blick abwenden, aber es wollte ihr nicht gelingen. Sie wurde das Gefühl nicht los, als hätte sich seit letzter Nacht etwas zwischen ihnen verschoben. Etwas hatte sich verändert. Sie war gegen ihn eingeschlafen – keine dieser Minuten des Ausruhens, sondern fester, tiefer Schlaf. Und anstatt sie zu wecken, hatte Haymitch sie in ihr Zimmer getragen und auf ihrem Bett abgelegt. Es war bereits das zweite Mal, dass er sie schlafend vorgefunden hatte, auch wenn das erste Mal kurz nach ihrer Ankunft im Kapitol eine andere Ausgangssituation gewesen war. Effie war aufgewacht, als er sie hochgehoben hatte. Sie war wach gewesen, aber ihr alberner Körper hatte sich zu wohlgefühlt, hatte seine Berührung zu sehr genossen, um sich dafür zu interessieren. Nun, da die letzte Müdigkeit sie verlassen hatte, fühlte Effie sich wunderbar und schrecklich zugleich.
Effie hatte Haymitch an diesem ersten Abend der Spiele aus purem Vergnügen geküsst; weil er ihr so schrecklich auf die Nerven gegangen war und sie ihn so schlecht hatte einschätzen können, dass sie gehofft hatte, seine aufgestaute Wut mit diesem Kuss über Bord werfen zu können. Sie mochte Haymitch. Wenn er nicht gerade unter Alkoholeinfluss stand, war er ein amüsanter, erstaunlicher Mann.
Effie hatte Haymitch geküsst, weil da dieses Kribbeln in ihrem Bauch gewesen war, welches die daran erinnerte, dass sie nicht ewig in diesem Alter verharren würde; dass es irgendwann zu spät sein würde, sich auf das Ungewisse einzulassen, weil sie dann glücklich verheiratet mit neuen Pflichten sein würde. Effie wollte, dass diese Phase, in der sie das Ticken der Uhr vergessen konnte, länger anhielt.
Effie hatte Haymitch geküsst, weil er ein Sieger war und ein Teil von ihr gehofft hatte, dass sich dieses Verlangen nach Abenteuer danach endlich verflüchtigt haben würde. Was gab es schon Spannenderes als einen Sieger zu küssen? Zumindest hatte sie sich das vor diesem Kuss gefragt. Zu schnell hatte sich herausgestellt, dass das Bedürfnis, aus ihren eigenen Schuhen zu springen und sich in jemand anderes zu verwandeln, um ihre eigene Welt für einen Augenblick zu vergessen, sich danach nicht verflüchtigt hatte.
Effie hatte Haymitch geküsst, weil sie gehofft hatte, dass er netter sein würde, wenn er dachte, dass sie ihn wollte. Nun ... so wie sich die Dinge entwickelten, schien ihre Chemie zu passen. Besser als erwartet. Zumindest wenn es um Küsse, Berührungen und Leidenschaft ging und nichts mit den Spielen zu tun hatte.
Effie hatte sich nach Intimität gesehnt, weil sie nicht allein sein wollte, besonders nicht jetzt, wo die Spiele begonnen und sich alles in ein großes Desaster verwandelt hatte. Kein Glamour, kein Ruhm, kein Sieg. Es war alles nur Tränen, Blut und Tod. Wie hatte sie so blind sein können? Sie verstand es nicht. Sie verstand auch nicht, wie Haymitch es überhaupt mit ihr aushielt, wenn seine Meinung über das Kapitol doch so streng war. In der letzten Woche hatte sie so viel Zeit mit ihm verbracht und trotzdem nicht das Gefühl, sein Inneres wirklich zu kennen. So wie sie ihm nicht mehr von ihrem Inneren offenbaren wollte, als sie bereits getan hatte.
Effie zwang sich, für einen Moment die Lider zu schließen, um diese Gedanken abzuschütteln, die sie nur weiter aus der Bahn werfen würden. Stattdessen rief sie sich das kühle Gesicht ihrer Mutter vor Augen, um sich daran zu erinnern, weshalb sie eigentlich hier war. Sie war sich sicher, dass ihre Mutter ihren Job besser gemacht hätte. Lyssandra Trinket hätte sich hier auf dem Podest von Panem pudelwohl gefühlt. Ihr wäre es gelungen, einen Sponsoren nach dem anderen um den Finger zu wickeln. Sie wäre bestimmt gut darin, das Schicksal dieser Kinder zu ignorieren. Effie wusste nicht, wie es ihr gelingen sollte, dieses Verhalten nachzuahmen. Geschweige denn ihre Emotionen einfach abzuschalten und wegzuschauen.
Der einzige Trost an ihrer verzwickten Situation war der Fakt, dass sie Petunias Performance der letzten Jahre bereits übertroffen hatte. Sowohl Elowen als auch Ramon lebten und nur noch elf Tribute waren übrig. Es musste nur noch ein anderes Tribut sterben, dann würden sie beide in den Top 10 sein. Effie hoffte inständig, dass das ihre Situation auf Sponsoren anspornen würde. Denn bis auf den kurzlebigen Moment des Aufatmens, als Elowen dem Tod entkommen war, war die Lage rund um Distrikt 12 so mager, wie Haymitch es prophezeit hatte. Niemand interessierte sich für sie, egal mit wie vielen Menschen sie sprachen.
Heute war keine Ausnahme. Besonders nicht heute, wo die Kapitoler gelangweilt umhertrotteten und sehnsüchtig darauf warteten, dass sich überhaupt irgendetwas ereignete. Haymitch und Effie hatten sich aufgeteilt, um eine neue Herangehensweise zu testen. Ihr letztes Gespräch mit einem nicht unbekannten Sänger, der gern auf den Aftershowpartys der Interviews auftrat, war erfolglos geblieben. Er hatte sich offensichtlich nicht näher mit irgendwelchen Tributen, außer denen aus Distrikt 1 befasst. Effie hatte ihren Monolog keine fünf Minuten aufrechterhalten können, bevor seine Aufmerksamkeit sich anderen Dingen zugewandt hatte. Dass er sich überhaupt dazu herabgelassen hatte, mit Vertretern von Distrikt 12 zu reden grenzte an ein Wunder.
Tage wie diese waren für niemanden gut. Nicht für die Spielmacher, weil man sie nicht als kreativlos im Kopf behalten sollte. Nicht gut für die Wettbüros und Unternehmensmaschinerie hinter den Spielen, weil niemand Geld ausgab und somit keine Gewinne erwirtschaftet wurden. Nicht gut für die Zuschauer, weil eine Eintrittskarte zu diesem Event mehr kostete als ein Kleinwagen und kostbare Zeit verstrich, während in der Arena nichts geschah. Noch war die Stimmung nicht schlecht, nein. Die Leute feierten Cashmere, sie war schließlich die Favoritin der meisten, aber sie hatte schon so oft getötet, dass es langsam langweilig wurde. Die Menschen wollten etwas Neues, Spannendes, Nervenzerreibendes. Doch die Arena bot nichts von alldem und allmählich verschoben sich die Gespräche von den Spielen zu anderen Dingen und sobald die Spiele nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen ... war die Aufgabe wohl verfehlt.
Effie war beinahe erleichtert, als ihr in diesem Augenblick jemand auf die Schulter tippte. Sie drehte sich herum, in der Erwartung, Haymitch zu sehen. Ein fremdes Gesicht überraschte sie. Ein großer, schlanker Mann, der sein schulterlanges, ebenholzbraunes Haar in runden Zöpfen trug, deutete eine halbe Verbeugung an, bevor er zu lächeln begann. Er musste um die Vierzig sein. „Miss Trinket, richtig? Alucard Sparrow mein Name. Ich bin ein Fan, muss ich gestehen."
Effie nickte lächelnd und schüttelte seine Hand. „Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, ich fühle mich geschmeichelt." Er war in einen cremefarbenen Anzug gekleidet, dessen Sakko ihm bis hinab zu den Kniekehlen reichte und vom Schnitt ein wenig an das Kostüm eines Zirkusdirektors erinnerte. Goldene Stickereien und Muster zierten seine Kleidung und über seine Schultern hatte er einen rosa Pelzschal geworfen, als wäre es tiefster Winter. Seine Augen waren hinter einer goldenen Sonnenbrille versteckt, deren Ränder die Form von Blumen hatten.
„Eine Sache vorweg, das muss ich loswerden", sprudelte es aus Alucard Sparrow heraus, seine Stimme tief und schmeichelnd. „Sie sehen heute wirklich fantastisch aus!" Seine Gesichtszüge waren nicht unattraktiv – konturierte Wangenknochen und ein breiter Kiefer – aber es war die Art, wie er bei seinem Kommentar den Mund verzog, der Effies Aufmerksamkeit weckte. Keineswegs unfreundlich, aber dennoch ... selbstgefällig und arrogant passte besser. Trotzdem wirkte er gleichzeitig kein bisschen unhöflich.
„Vielen Dank." Effies Lächeln wankte keine Sekunde. Dieser Mann hatte sie sicher nicht nur zum Plaudern angesprochen, wenn er doch genau wusste, wer sie war. Diese Chance konnte sie sich nicht entgehen lassen. Vor allem nach den vielen Misserfolgen die der Tag gebracht hatte.
Sparrow machte es ihr nicht schwer, Fuß zu fassen. Er schien jemand zu sein, der gern über Gott und die Welt sprach, am liebsten aber über sich selbst. „Ich bin stellvertretender Bürgermeister vom südlichen Außenzirkel und bewundere Ihre Arbeit für Zwölf wirklich sehr. Ich glaube, in der Hinsicht haben wir viel gemeinsam. Viel Arbeit für wenig Belohnung." Er zwinkerte. Der südliche Außenzirkel war eines der unattraktivsten Viertel im Kapitol. Höhere Arbeitslosigkeit, höhere Armut, höhere Kriminalität. Der Vergleich mit Distrikt 12 erschien Effie dennoch nicht wirklich passend. Aber bevor sie etwas einwenden konnte, war Sparrow schon fortgefahren. „Viele meiner Freunde sind bereits in andere Distrikte investiert und ich denke, dass Zwölf für mich der Richtige sein könnte. Was halten Sie von der Idee?"
„Da sind Sie bei mir definitiv richtig", erwiderte Effie strahlend, aber das seltsame Gefühl hielt weiter an. Etwas an Sparrows Anblick behagte ihr nicht, auch wenn sie nicht entziffern konnte, was es war. „Darf ich fragen, weshalb Sie sich für Distrikt Zwölf interessieren? Haben Sie ein tieferes Interesse in eines unserer Tribute oder haben Sie Fragen, die sie vorher gern beantwortet hätten?" Es war unüblich, dass Sponsoren sich so direkt offenbarten. Normalerweise deuteten sie ein vages Interesse an, stellten eine spezifische Frage, die sich dann in einen längeren Dialog entwickelte. Nicht einmal die Jungsponsoren gingen so an einen Deal heran. Es war eher wie das Spiel im Spiel, bei dem man sich Level um Level beweisen musste, um überhaupt erst über echte Zahlen zu verhandeln. Das hier jedoch ...
„Wir Außenseiter sollten einander unterstützen, denken Sie nicht?" Sparrow schmunzelte zu Effie herunter und tätschelte ihre Schulter, bevor er einen Schluck aus seinem Glas nahm. „Ich glaube, dass mein Geld gut bei Ihnen aufgehoben sein wird. Denken Sie, wir können ins Geschäft kommen?"
Effies Körper wollte sich verkrampfen, aber sie erlaubte es nicht. Sie erlaubte sich nicht den Hauch einer negativen Emotion auf dem Gesicht, bevor sie lächelnd einen Schritt zurücktrat und in die Hände klatschte. „Wunderbar. Dann sollten wir über Ihre genauen Vorstellungen sprechen. An welche Form von Sponsoring haben Sie gedacht, Mister Sparrow?"
„Alucard", korrigierte er beiläufig und deutete dann in Richtung der Gärten, die sich etwas abseits der Terrassen befanden. „Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang und ich schildere Ihnen genau, was ich mir vorgestellt habe. Hier ist es so laut, da kann ich sie kaum verstehen."
Effie konnte nicht anders, als seiner Bitte nachzukommen. Sie nickte höflich mit dem Kopf und folgte Alucard, als dieser den Weg aus der Menge ansetzte. Der Geräuschpegel war tatsächlich ziemlich hoch und das Gedränge groß. Die Dachterrasse war um diese Uhrzeit stets voller Menschen. Sie waren noch mittendrin, als er bereits wieder zu reden begann.
„Sie sind mir vom ersten Moment aufgefallen, als ich Sie im Fernsehen gesehen habe!", zwitscherte Alucard in charismatischem Ton, seine Augen stets auf Effie. „Ich kenne nicht viele Frauen, die eine solche Ausstrahlung haben wie Sie. Und das hier ist ja gerade Ihr erstes Jahr. Wenn ich auf Sie wetten könnte, dann würde ich nicht zögern!"
„Sie schmeicheln mir, Alucard", erwiderte Effie mit einem aufgesetzten Kichern und hielt sich gespielt amüsiert die Hand vor den Mund. Sie traten aus der Menge heraus und Alucards Hand wanderte wie von selbst zu ihrem Rücken, um sie zu den Gärten zu führen. Derselbe Garten, wo Haymitch und sie gestern noch gewesen waren. Effie unterdrückte das Bedürfnis, sich umzudrehen und nachzuschauen, ob er immer noch in das Gespräch mit dieser Schauspielerin vertieft war. Anstelle dessen hob sie den Kopf, um Alucards Blick zu begegnen, den sie ununterbrochen auf sich spürte. „Nun aber zu Distrikt Zwölf. Ich freue mich sehr, dass Sie Interesse haben, sich einzubringen. Die Mehrheit unserer Sponsoren bringt sich in Form von Geschenken ein. Was haben Sie im Kopf?"
„Sie sind die Betreuerin, Effie, Sie wissen also, was die Tribute brauchen", sagte Alucard schulterzuckend und passte seinen Schritt an Effies an, um direkt neben ihr zu gehen. Mit seiner Hand auf ihrem Rücken trennte sie nun kaum mehr als eine Handbreite. „Ich gebe Ihnen was Sie wollen. Wie klingt das?"
Effie ließ sich das Unwohlsein nicht anmerken, das Alucards Nähe auslöste. Sie lebte schließlich nicht seit gestern im Kapitol und kannte das dreiste Verhalten, welches manche Männer an den Tag legten. Obwohl beide Geschlechter in Panem gleichberechtigt waren, war es kein Geheimnis, dass Männer weiterhin oft die Oberhand hatten. Ob es nun die Regierung war, die hauptsächlich männlich besetzt war, die Reihen der Spielmacher oder die Dozenten an den Universitäten. Ebenso ließen einige diese Überlegenheit auch im gesellschaftlichen Miteinander raushängen; einfach weil sie meistens damit davon kamen – vor allem, wenn es sich um jemand Einflussreiches handelte. Effie spielte die verschiedenen Szenarien in ihrem Kopf durch, versuchte die unterschiedlichen Ausgänge zu kalkulieren und entschied sich dann, dass ihr nichts anderes übrigblieb, als mitzuspielen. Es war zu spät, um jetzt einen Rückzieher zu machen. Sie konnte nur hoffen, dass Alucard Sparrow Grenzen kannte.
„Ich bedanke mich für das Vertrauen, das Sie mir entgegenbringen. Wir wissen es auf jeden Fall zu schätzen. Da die Arena derzeit etwas unvorhersehbar ist, würden uns Geldspenden am meisten weiterhelfen", erklärte Effie, ihre Augen auf den Eingang des Labyrinths fixiert, auf das Alucard sie zuführte. Sie spürte, wie die Innenseiten ihrer Hände mit einem Mal feucht wurden, wenn sie daran dachte, weshalb man für gewöhnlich hierherkam.
„Na wunderbar!" Alucard drückte Effies nackte Schulter und sie ärgerte sich über die Wahl des marineblauen Kleides, welches zwar bis zum Boden reichte, jedoch die Brust- und Halspartie besonders betonte. Im Vergleich zu ihren sonstigen Kleidern eher schlicht und klassisch, aber dennoch nicht weniger schön. Jetzt gerade war der fehlende Stoff jedoch nicht sonderlich hilfreich. „Nun zu Ihrem geschäftlichen Teil der Vereinbarung, Effie."
Sie hatten den Efeubogen des Labyrinths kaum passiert, kaum die erste Biegung gemacht, als Alucards Finger zu wandern begannen. Diesmal konnte Effie ihre Muskeln nicht kontrollieren, als diese anfingen, zu rebellieren. Sie spürte, wie ihre Füße einen schwankenden Schritt zurück machten. Die Zweige der meterhohen Büsche drückten sich in ihren kahlen Rücken und sie musste dem Drang widerstehen, nicht sofort wieder in Alucards Arme zu laufen.
Alucard, dem Effies Distanz nicht verborgen blieb, schmunzelte herzlich zu Effie herunter und strich ihr beschwichtigend über den Oberarm, als wollte er sie beruhigen. Seine Augen waren immer noch unter seiner goldenen Sonnenbrille versteckt, doch die Falten auf seiner Stirn vertieften sich, als er sich ihr entgegenbeugte. „Ich helfe Ihnen und Sie helfen mir, so einfach ist das, Effie", flüsterte er in verschwörerischem Ton, als wäre er aufgeregt auf die folgenden Minuten.
Adrenalin rauschte durch Effies Adern, heiß und pulsierend, aber sie wusste, dass sie ihre Entscheidung bereits getroffen hatte, bevor sie das Labyrinth mit Alucard betreten hatte. Sie wusste, dass das hier der einzige Weg war, heute noch Geld für Elowen und Ramon einzusammeln. Also zuckte sie nicht vor seinen Lippen zurück, als er sie gegen ihre Halsbeuge drückte. Seine Finger wanderten von ihren Armen hinab zu ihrer Hüfte und gerade als Effie dachte, dass er hier die Grenze ziehen würde, zog Alucard sie mit einem Rück in ihre Richtung. Er presste ihren Körper gegen seinen und sowohl seine Lippen als auch seine Hände begannen, sie zu erkunden.
Effie schloss ihre Lider und konzentrierte sich auf ihren Atem, der allein von ihrem Herzschlag übertönt wurde. Ihr Herz klopfte so stark gegen ihre Rippen, dass sie das Gefühl hatte, es würde jeden Moment durch ihre Haut hindurchspringen. Abseits des Geschehens waren die zahlreichen Stimmen zu einem weit entfernten Rauschen verschmolzen. Das Labyrinth um sie herum war so still, dass Effie das Gefühl hatte, eine undurchdringliche Mauer würde sie vom Rest der Welt abtrennen. Alucards unregelmäßiger Atem glich einem stoßweisen Stöhnen und obwohl es nicht gegen das Pochen des Bluts in ihren Ohren ankam, schien es die Luft um sie herum zu erfüllen. Das Geräusch lähmte ihre Glieder, ließ sie starrstehen.
„Sie haben Glück, Effie", murmelte Alucard, sein Mund an ihrer Kehle, seine Finger an ihrem Po. Er roch nach Zigarren und Leder und sein Parfum brannte Effie in der Nase. „Andere Sponsoren verlangen für das, was ich Ihnen biete, weitaus mehr."
Effie fragte sich, ob er recht hatte; ob andere skrupellose Männer dort draußen tatsächlich mehr verlangten und wie viele Betreuerinnen sich ihnen hingaben, weil sie wussten, dass alles andere ihre Karriere ruinieren könnte. Sie wusste, dass es nicht wenige waren.
All die Fragen verpufften aus ihrem Kopf, als Alucards Finger sich tiefer in den beschichteten Stoff ihres Kleides bohrten und sie mit einem Ruck wieder die Zweige des Busches im Rücken spürte. Die Welt drehte sich um Effie und sie wusste nicht, woher die plötzliche Orientierungslosigkeit kam. Sie hatte Mühe, die Galle herunterzuschlucken, als Alucards Lippen zu ihren eignen wanderten und diese entschlossen auseinanderzwängte. Effies Füße zitterten und eine Sekunde lang fürchtete sie, dass sie unter ihr nachgeben würden. Sie zwang sich, die Augen geschlossen zu lassen und wünschte, dasselbe mit ihren Ohren machen zu können.
War es das hier wirklich wert? War das hier wirklich das Richtige? Die Übelkeit in Effies Magen hatte eine klare Meinung.
Schritte hallten über den polierten Stein. Schwer und präzise. Effie hörte sie, aber Alucard war zu vertieft in eine Fantasie, als dass er sie kommen hörte. Sie murmelte etwas gegen seinen Mund, aber er schüttelte nur den Kopf und zwang ihren Kiefer mit seinen Fingern, ihm keine weiteren Probleme zu bereiten.
Die Schritte verstummten und nun war Alucards Schmatzen alles, was die isolierte Stille noch durchschnitt. Effies Finger schlossen sich zu Fäusten, als sie versuchte, ihre Emotionen in den tiefsten Teil ihres Körpers zu verbannen; so weit von der Oberfläche weg, dass die eisige Passivität alles war, was sie sich in diesem Moment erlaubte.
Dann, gerade als sie dachte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu haben, erklangen die Schritte erneut. Nun näher. So nah, dass Effie ein kalter Schauer über den Rücken lief. Sie schaffte es kaum, zu blinzeln, als der Druck von Alucards Fingern von ihrem Körper verschwand. Sein Griff war so fest, dass sie mehrere Schritte in seine Richtung stolperte, bevor Alucard sie endgültig loslassen musste. Er öffnete den Mund, ein empörtes Schnauben auf der Zunge.
Effie blinzelte erneut und riss dann die Augen auf, zu schockiert, um eine angemessenere Reaktion an den Tag zu legen. Alucard taumelte mehrere Meter zurück und kollidierte mit den Büschen hinter ihm. Die Sonnenbrille war ihm von der Nase gerutscht und lag nun zerbrochen auf dem Boden. Er riss sich in einer energischen Bewegung den Pelzschal in seinem Nacken zurecht und hob dann den Kopf. In seinen dunkelgrünen Augen flammte der Zorn. Nicht auf Effie, nein, für sie hatte er keinen weiteren Blick übrig. Alucard starrte auf Haymitch, der aussah, als hätte ihn ein Blitz getroffen.
Haymitch wartete nicht auf eine weitere Reaktion, er stürmte auf Alucard zu, ohne ihm einen weiteren Moment der Realisation zu geben. Seine Anzugsjacke lag neben Effie auf dem polierten Steinboden; achtlos hingeworfen, ohne zweimal darüber nachzudenken. Haymitch brauchte nur den Bruchteil eines Wimpernschlages, bis er Alucard erreicht hatte und obwohl dieser ungefähr einen Kopf größer war, hatte Alucard nicht den Hauch einer Chance. Effie konnte nur entgeistert zuschauen, wie Haymitchs Faust Alucards Gesicht traf und diesen mit voller Kraft zu Boden beförderte. Etwas knackte und sie musste nicht hinschauen, um zu wissen, dass Alucards Nase gebrochen war. Blut schoss ihm über die Lippen, über das Kinn, tropfte auf seinen cremefarbenen Anzug und dann auf den Stein. Ein Schmerzensschrei entkam ihm, aber Haymitch machte keinen Halt. Einen Atemzug später griff er nach seinem Kragen, hievte ihn auf die Füße, als wäre er ein Fliegengewicht und dann schlug er erneut zu. Wieder die Nase.
Alucards Schreie wurden lauter und Effie erwachte aus ihrer Starre, als hätte sie den Schlag selbst abbekommen. Sie stolperte nach vorn und griff nach Haymitchs Arm, um ihn fortzuziehen. Zu ihrer Überraschung ließ er von Alucard ab, als hätte er sich verbrannt und wandte das Gesicht über seine Schulter zu ihr. Blutspritzer sprenkelten sein weißes Hemd. Dunkelblondes Haar fiel ihm über die Stirn. Stürmische, graue Augen trafen ihre und Effie musste sich dazu zwingen, normal weiter zu atmen, als sie den Hass in seinen Zügen sah. Hass, Abscheu und ein Hauch von Wahnsinn, als hätte er bis vor einer Sekunde noch die Intention gehabt, Alucard umzubringen.
Effie wusste nicht, was Haymitch auf ihrem Gesicht sah, allerdings war sie ziemlich sicher, dass sie ihre Züge nicht unter Kontrolle hatte. Sie konnte förmlich spüren, wie die Emotionen zurück an die Oberfläche dringen wollten. Es fühlte sich an, als würden sie an ihren Gliedern reißen, um sich zu befreien. Ihr Körper bebte unter der Anstrengung, die Passivität aufrecht zu erhalten. Sie waren immer noch in der Sponsorenlounge, das hier war immer noch Business, sie mussten immer noch Professionalität wahren.
Haymitch sah nicht so aus, als interessiere er sich für Professionalität. Sein Kopf schnellte so plötzlich zu Alucard zurück, dass Effie seinen Nacken knacken hörte. Alucard kniete auf dem Boden und hielt sich die Nase. Seine Finger waren blutüberströmt. Bis auf seine zornigen Augen, die Haymitch musterten, als hätte er jedes Recht der Welt gehabt, Effie so zu benutzen, sah er ziemlich verwundbar aus.
„Wenn ich Sie hier nochmal sehe, egal ob heute oder morgen oder nächstes Jahr, dann wird Ihre Nase nicht das Einzige sein, was bricht. Verstanden?" Seine Stimme hatte einen mörderischen, knurrenden Ton angenommen, der Effie seinen Arm loslassen ließ. Das hier war nicht der Haymitch, den sie kannte. Das hier war nicht einmal der Haymitch, der Petunia vor der Lounge gewürgt hatte. Das hier war jemand völlig anderes. Das hier ist der Sieger, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Das hier ist der Mann, der es aus der Arena geschafft hat.
Alucard war verblendet genug, um nicht zu verstehen, dass dieser Haymitch ihn tatsächlich umbringen würde, falls ihm danach sein sollte. Alucard begriff nicht, dass es Haymitch herzlich egal war, was die Konsequenzen für seinen Tod sein würden. Alucard begriff nicht einmal, dass Haymitch keinen weiteren Gedanken an seinen Tod verschwenden würde. Alucard ging davon aus, dass er unter dem Schutz des Kapitols stand, dass er unantastbar war, dass ein Distriktler es niemals wagen würde, einem Kapitoler Schaden zuzufügen. Effie konnte all diese falsche Arroganz in seinen Augen funkeln sehen und sie fragte sich instinktiv, wie sie vor wenigen Wochen noch genauso hatte denken können.
„Was in Panems Namen glauben Sie eigentlich, was Sie hier tun?", gab Alucard bellend von sich und spuckte Blut auf Haymitchs Lackschuhe, bevor er unter krümmendem Schmerz auf die Beine kam. „Wissen Sie eigentlich, wen Sie da vor sich haben?"
„Mir ist scheißegal, wer Sie sind", zischte Haymitch und griff sich in die Tasche. Silber blitzte in den Schatten seiner Gestalt und Effie musste die Augen zusammenkneifen, um den Gegenstand auszumachen. Ein Messer. Eine blitzschnelle, kaum merkliche Handbewegung später hatte Haymitch die Klinge aufgeklappt. Ein brutales Grinsen breitete sich auf seinem Mund aus.
„Wenn Snow sich für Sie interessieren würde, würden Sie nicht wie ein ahnungsloser Clown herumlaufen", sagte Haymitch, jede Emotion aus seiner Stimme verschwunden. Sie klang bodenlos, leer und tot.
„Haymitch", kam es Effie über die Lippen, ebenso tonlos, aber die Warnung war unüberhörbar.
Alucards Selbstsicherheit schwand dahin wie die letzte Flamme einer erlöschenden Kerze. Seine Züge wankten und für seinen Moment fuhren seine waldgrünen Augen zu Effie herüber. Er streckte die Brust raus, als wenn man ihn dann ernster nehmen würde. „Mit einem Mentor wie ihm werden Sie es nie zu etwas bringen, Effie", sagte er und machte schließlich Anstalten, an ihnen vorbeizugehen.
Doch Haymitch hatte noch nicht genug. „Wollen Sie sich nicht bei ihr für Ihr abartiges Verhalten entschuldigen?"
Alucard hob die Brauen, als wäre er verblüfft, als hätte er sich seine Schuld nicht einmal eingestanden. „Entschuldigen?"
„Ja, entschuldigen", grollte Haymitch und überbrückte den neugewonnenen Abstand zwischen ihnen.
„Das ist lächerlich", erwiderte Alucard und schniefte im Versuch, seinen Blutfluss zu stoppen. „Sie beide sollten sich wohl bei mir entschuldigen. Das hier war ein Geschäft, von dem Miss Trinket sehr profitiert hätte. Aber dank Ihres respektlosen Verhaltens ist diese Chance nun verstrichen. Ich habe nicht länger Interesse an einem Deal mit Distrikt Zwölf. Allesamt Barbaren. Ich gehe meine Nase behandeln und werde Ihnen die Rechnung zukommen lassen. Ich werde mich persönlich beim Obersten Spielmacher beschweren."
„Tun Sie was Sie nicht lassen können. Aber beeilen Sie sich lieber, bevor ich mich doch entscheide, Ihnen hier und jetzt den Hals aufzuschlitzen", antwortete Haymitch und balancierte das Messer auf der Innenseite seiner Handfläche.
„Sie sollten sich hierfür schämen, Miss Trinket", schnaubte Alucard mit glühenden Pupillen. Er machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte davon, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Kaum war Alucard hinter der nächsten Ecke verschwunden, drehte Haymitch sich zu Effie. Das Silber in seinen Augen war hart, der Zorn schoss immer noch durch seine Adern. „Was zur Hölle sollte das?!" Der Vorwurf in seiner Stimme machte es ihr nicht gerade leichter, den Atem in gewöhnlichen Abständen gehen zu lassen. Sie hatte immer noch das Gefühl, als würde sich alles drehen und ihr Herz versuchte weiterhin, ein Loch in ihre Brust zu schlagen. Da war ein Druck auf ihrem Kopf, als würde etwas über ihr schweben, dem sie nicht entkommen konnte, egal wie viele Schritte sie machte.
„Komm", sagte Haymitch schließlich, griff unsanft nach Effies Arm und schnappte sich seine Jacke vom Boden. Sie ließen das Labyrinth hinter sich und Effie wusste, dass sie sich eigentlich darum sorgen sollte, dass das frische Blut auf Haymitchs Hemd jedem auffallen würde. Doch sie hatte nicht die Kraft, sich dafür zu interessieren. Es war ihr egal.
Aber Haymitch führte sie nicht zurück zur Lounge. Er marschierte auf das nächstgelegene Gewächshaus zu und Effie schaffte es gerade so, ihm taumelnd zu folgen. Die Luft im Glashaus war erdrückend. Zu warm. Das Klima war zu anders von dem, welches sie aus dem Kapitol gewöhnt war. Ihre Lungen hatten Mühe, den Sauerstoff einzufangen.
Effie setzte langsam einen Fuß vor den anderen und konnte dennoch nicht sehen, wo sie langlief. Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht stolpern würde. Selbst der Gedanke ihr Kleid dabei zu ruinieren, löste nichts als ein dumpfes, kaum merkliches Ziehen in ihrer Magengegend aus. Effie hatte das Gefühl, von innen heraus betäubt zu sein. Wie ein Gift, das sich durch ihre Adern fraß und jegliche Emotionen auslöschte.
Träge Schritte folgten ihr durch das Gewächshaus, drückten die Tür klickend ins Schloss und bewegten sich in den Schatten der großen Pflanzen, die Effie an einen Strand erinnerten. Zumindest so, wie sie sich einen Strand vorstellte. Da das Kapitol nicht am Meer lag, hatte sie nie einen besucht. Die breiten, langen Blätter der Palmen boten Schutz vor den gierigen Blicken möglicher Gaffer. Sollten sie doch gaffen oder hier hereinplatzen. Es konnte sie nicht weniger interessieren.
Haymitch berührte ihren Arm und drehte sie zu sich herum. Effie gelang es nicht, den Kopf zu heben, um in sein Gesicht zu schauen. Jede Faser ihres Körpers schien auf einmal schwer wie Blei. „Was hast du dir nur gedacht, Effie?"
Etwas machte klick. Effie wusste nicht, was genau in ihrem Kopf einrastete oder ob die Realisation der vergangenen halben Stunde endlich in ihr Gehirn durchdrang. Haymitchs Worte zerrten sie zurück an die Oberfläche; zwangen sie dazu, sich zu rechtfertigen. Sie war immer noch der Überzeugung, richtig gehandelt zu haben, obwohl ihr Körper anderer Meinung war.
Effie wandte Haymitch den Rücken zu und schaffte es gerade so zur nächsten Pflanze, bevor sie sich übergab. Ihre langen Nägel krallten sich in den Rand des Blumentopfes, um nicht den Halt zu verlieren. Dann, als ihr Magen endlich aufhörte, zu rebellieren, brach sie in Tränen aus.
Haymitchs entgeistertes Schweigen war so laut, dass Effie es förmlich hören konnte. Zumindest für den Bruchteil einer Sekunde, den er brauchte, um aus seiner eigenen, wutzerrissenen Starre aufzuwachen. Vorsichtig, als würde er sie eigentlich gar nicht berühren wollen, strich er ihr über den Rücken und drückte ihr ein Taschentuch in die Hand. Ihm fehlten die Worte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, ohne sie dabei anzuklagen.
„Du hättest uns nicht folgen sollen", murmelte der vernünftige, pflichtbewusste Teil von Effie. Sie stand nicht hundertprozentig hinter ihren eigenen Worten und sie wusste, dass man es ihrer bröckelnden Tonlage anhören konnte.
„Komm mir gar nicht damit", erwiderte Haymitch und schüttelte vehement den Kopf. Er machte den Eindruck, dass er sich nicht entscheiden konnte, ob er weiter zornig oder doch einfühlsam sein sollte. „Wieso hast du nichts gemacht? Du hättest in der Sekunde unterbrechen müssen, als er mit dieser Scheiße angefangen hat, anstatt sowas über dich ergehen zu lassen."
„Was hätte ich denn tun sollen, Haymitch?", platzte es aus Effie heraus, ihre Stimme einige Oktaven angehoben. „Was wäre realistisch gewesen, Haymitch? Ihn anzugreifen? Zu schreien?"
„Alles. Irgendwas. Solange es dich davor bewahrt hätte, mit ihm in dieses verdammte Labyrinth zu gehen", knurrte er direkt zurück.
Effie lachte ein verächtliches Lachen, was so untypisch, so abseits ihrer normalen Persönlichkeit war, dass es sie kurz innehalten ließ. „Du nennst mich verblendet, sagst, ich würde das Kapitol nicht verstehen. Aber bei den einfachsten Dingen rätst du mir so etwas? Alucard Sparrow mag zwar nicht zur Elite gehören, ist aber trotzdem ein mächtiger Mann mit Geld und einem breiten Netzwerk. Er wollte Geld in Zwölf investieren. Ich war nicht in der Position, Nein zu sagen."
„Also hast du eher zugelassen, dass er ... diese Dinge tut, nur um ein wenig Geld für die Kinder zu kriegen?!" Nun klang Haymitch tatsächlich fassungslos, als hätte er irgendein Recht dazu, Effie zu verurteilen.
Effie spürte, wie seine Worte ihr die Tränen zurück in die Augen trieben. „Fang du lieber gar nicht erst an! Du warst doch derjenige, der zu Laetitia Lowell gelaufen ist, um genau dasselbe zu tun!"
Haymitch starrte und starrte und senkte schließlich die Augen. „Nur weil ich etwas mache, sollst du es nicht nachahmen, Süße."
„Aber sie brauchen das Geld", flüsterte Effie und presste ihre Lider zusammen. Das Salz verklebte ihre Wangen. „Sie brauchen das Geld und niemand will uns welches geben, weil sie alle auf die Karrieredistrikte versessen sind."
„Und das wird sich niemals ändern", sagte Haymitch und kam allmählich auf sie zu. Er legte seine Hände sanft auf ihre Schultern und drückte sie. „Nicht morgen, nicht nächstes Jahr, auch nicht in zehn Jahren. Wir werden immer die Außenseiter sein. Wir werden dieses Spiel immer verlieren. Gerade deshalb musst du aufhören, dich selbst auf diese Weise zu ... vergiften. Du wirst daran zugrunde gehen und es wird dir im Endeffekt nichts bringen."
„Das kann ich nicht glauben." Effie schüttelte den Kopf, als würde versuchen, seine Worte abzuwehren, bevor sie in ihren Verstand eindringen konnten. „Wir müssen etwas tun."
Haymitch seufzte und schloss seine Arme um ihre Mitte. Effie lehnte sich in seine Berührung hinein und war sich ziemlich sicher, dass er ihr schlagendes Herz durch seinen Anzug hindurch spüren konnte. „Versprich mir, dass du das nie wieder mit dir machen lässt."
„Haymitch, du weißt, dass ich das nicht versprechen kann. Wenn es passiert, dann passiert es."
„Du hast zugelassen, dass es passiert. Das ist etwas anderes." Haymitch zog seinen Kopf zurück, um in ihre Augen schauen zu können. Eindringlich. Er wollte tatsächlich, dass Effie es ihm versprach. „Du hilfst niemandem mit diesem Verhalten. Nicht den Kindern und dir schon gar nicht. Würdest du Spaß daran finden, wäre das was anderes, aber Süße, du siehst aus als würdest du gleich nochmal kotzen."
„Es ist egal, was ich fühle. Es geht um den Job. Es geht um unsere Tribute."
„Nein, Effie. Schlag dir dieses Denken sofort aus dem Kopf oder ich schwöre, dass ich dir jeden weiteren Sponsorendeal versaue, sobald er in Aussicht steht." Schroffe Verärgerung hatte sich zurück in seine Rede geschlichen. „Sobald du anfängst, dich auf diesen Bullshit einzulassen, bin ich raus. Endgültig raus. Dann kannst du allein deine Sponsoren finden. Verstanden?"
Effie kniff die Augen zusammen, verzog den Mund, als nun eine Welle ihrer eigenen Wut sie zu erfassen drohte. Tief im Inneren wusste sie, dass Haymitch recht hatte; dass dieser Weg frei von Ethik und Moral war und sie daran zugrunde gehen würde, wenn dieses eine Mal sie schon so aus der Bahn geworfen hatte. Dabei war noch kaum etwas passiert.
Effie entließ den Sauerstoff aus ihren Lungen und presste ihre Stirn gegen seine Brust. „Verstanden."
„Gut." Seine Arme schlossen sich unmittelbar enger um ihren Körper. „Dann kannst du mir ja jetzt dabei helfen, das Blut von diesem Bastard loszuwerden. Und danach holen wir uns einen Drink. Ich glaube, den können wir beide ganz gut vertragen."
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Hallo Leute,
in diesem Kapitel geht es mal um eine Szene, die so in Figure It Out angedeutet wurde. Dort wird Effie von einem Sponsoren bedrängt, kann sich aber geschickt aus der Situation befreien, weil sie mit den Jahren gelernt hat, mit solchen Männern umzugehen. Haymitch deutet danach an, dass Effie sich nicht immer so leicht selbst aus solchen Situationen befreien konnte. Und genau das haben wir jetzt in dem Kapitel hier gesehen. Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat!
Falls ihr mal wissen wollt, wie ich mir Effies Kleider vorstelle, könnt ihr über den Link in meinem Profil bei meinem Pinterest-Account vorbeischauen. Da habe ich für jede meiner Geschichten eine Pinnwand, so wie ich mir die Welt und die einzelnen Charaktere vorstelle! :)
Liebe Grüße
Skyllen
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