18. A Stylist's Decision

A Stylist's Decision

Der Backstage-Bereich der Filmstudios bestand aus einem großen Raum mit dunklen Wänden, der einem Foyer glich. Angrenzend an den Hauptbereich gab es noch weitere kleinere Räume, die sich alle über einen breiten Flur erreichen ließen. Einer dieser Räume gehörte Caesar Flickerman, dem Moderator der Interviews. Die übrigen wurden für die Lagerung von Requisiten, Kameras und anderem Equipment verwendet.

Effie und Haymitch befanden sich im größten Raum und saßen auf einer der zahlreich verteilten, quietschgrünen Sofas. Haymitch hatte sich das abgelegenste Sofa ausgesucht und sich seitdem geweigert, aufzustehen und mit anderen Vorbereitungsteams in Kontakt zu kommen. Ihren Vorschlag, einmal mit Gloss aus Distrikt 1 zu sprechen, hatte er mit einem eisigen Blick abgeschmettert. Seit ihrem Gespräch im Auto hatten sie nicht viele Worte miteinander gewechselt. Effie war nichts anderes übriggeblieben, als sich mit strahlender Miene neben ihn zu setzen, obwohl sie ihn am liebsten in die Mitte des breiten Hauptbereichs gezerrt hätte, wo jeder die beiden sehen konnte.

Effie hatte bereits einige Aufnahmen aus dem Backstage-Bereich gesehen und hatte dementsprechend gewusst, dass er groß war. Doch dass er so enorm riesig war, hatte sie den Bildern nicht entnehmen können. Als Absolventin in Architektur hätte sie mehr von sich erwartet. Allein dieser Raum war mindestens drei Mal größer als die Bühnenfläche zusammen. Allerdings war der Platz auch dringend nötig. Wenn man davon ausging, dass jedes Tribut zwei Mitglieder des Vorbereitungsteams besaß, dann war man bereits nur für das Makeup bei 48 Personen, die anwesend waren. In diese Rechnung waren Stylisten, Mentoren und Eskorten noch gar nicht miteinbezogen. Für so viele Menschen erschien dieser Bereich dann bereits eher zu klein. Aus diesem Grund hatte man für die Tribute und ihre Vorbereitungsteams einige Räume weiter, in einem alten Filmstudio, ein Vorbereitungszentrum nur für den Anlass der jährlichen Interviews errichtet. In diesem Moment war Effie tatsächlich dankbar dafür. Die Vorstellung so vieler Menschen in diesem Raum trocknete ihr den Mund aus. Dabei war sie eigentlich gar nicht klaustrophobisch. Vielleicht lag es an ihrer allgemeinen Nervosität.

Auf der ihnen gegenüberliegenden Wand, die ungefähr dreißig Meter entfernt war, hingen eine Reihe von Bildschirmen, die mit dem Start der Interviews das Kamerabild aus dem Zuschauerraum übertragen würden. Im Moment liefen die Nachrichten. Zu ihrer Linken öffnete sich der Raum in einen breiten Flur. Von dort waren Effie und Haymitch eben gekommen. Um die Ecke standen mehrere Aufzüge bereit, die sie aus der Tiefgarage direkt auf diese Ebene befördert hatten. Den Hungerspielen hatte der staatliche Fernsehsender eine ganze Etage gewidmet, der auch außerhalb der Saison massenweise Content produzierte. An der Stelle, wo die obere rechte Ecke des Backstage-Bereichs hätte sein müssen, führte ein Gang hinaus zur Bühne. Dort würden die Tribute sich in wenigen Minuten in einer langen geordneten Reihe aufstellen, um nacheinander die Szene zu betreten. Und wie wenn der Raum gespiegelt wäre, führte auf der gegenüberliegenden Seite, unten rechts von wo Effie und Haymitch saßen, ein identischer Flur zu den anderen Räumen des Backstage-Bereichs.

Während Effie den anderen Betreuerinnen zuschaute, die einige Worte miteinander wechselten, so wie sie es auch hatte tun wollen, nahm sie die Inneneinrichtung des Raumes in Augenschein. Der Boden bestand aus einem abgelaufenen Parkett, den sie in ihrer privaten Wohnung schon längst gewechselt hätte. In einem öffentlichen Raum wie diesem lohnte sich das wohl nicht. Über dem Parkett lag ein dicker schwarzer Teppich, der sich über einen Großteil des Bereichs erstreckte und somit die schlimmsten Spuren des heruntergekommenen Bodens kaschierte. Das Licht strahlte aus kalten LEDs auf die beiden herab und wenn sie Haymitch aus dem Augenwinkel beobachtete, dann wirkte selbst er blass in dem grellen, weißen Licht. Ungleich verteilt hingen vereinzelte Spiegel an den übrigen Wänden. Ein Avox machte sich gerade mit einem nassen Lappen daran, die Spuren von fettigen Fingerbadrücken, Makeup-Resten und Schmutz von ihnen zu entfernen. Wenigstens vergaß man unter dem enormen Druck nicht die Hygiene.

Je mehr Zeit verstrich, desto mehr Menschen drängten sich in den Backstage-Bereich. Bald schon erfüllte ein reges Getuschel den Raum. Durch die vielen Körper, die sich aufgeregt hin und her bewegten, stieg die Temperatur und langsam begann Effie zu schwitzen. Angeregtes Gemurmel drang durch die Passage zum Zuschauerraum zu ihnen herüber. Auf der anderen Seite der Bühne nahmen wohl immer mehr Leute ihre Plätze im Publikum ein.

Effie erlaubte sich einen kurzen Blick auf die große, goldene Uhr, die direkt neben dem Bühnenaufgang hing, wo jeder im Hauptraum sie sehen konnte. Allmählich wurde es für Elowen und Ramon Zeit, von ihren Stylisten entlassen zu werden. Die ersten Tribute fanden sich bereits bei ihren Betreuern ein, um einige letzte Anweisungen und Tipps zu erhalten, bevor die Show dann in wenigen Augenblicken begann.

Ihnen blieb noch weniger als fünfzehn Minuten. Doch selbst Caesar Flickerman war noch nirgends zu sehen. War das ein schlechtes Zeichen? War irgendetwas schiefgegangen, das den Zeitplan des gesamten Abends nach hinten verschieben würde? Es gab nichts, das Effie mehr verabscheute als Unpünktlichkeit und unvorhergesehene Ereignisse.

Der Blick der jungen Betreuerin schweifte ein weiteres Mal zu den Türen, durch die mehr und mehr Menschen in bunter Abendgarderobe in den Backstage-Bereich strömten. Trotzdem schien sich der gewaltige Raum kaum zu füllen. Effie erkannte das hübsche Gesicht von Cashmere, die in einem kurzen, champagnerfarbenen Cocktailkleid steckte. Von Brust bis Taille war es mit münzgroßen, goldenen Pailletten überzogen. Effie konnte nicht anders, als das Mädchen um ihren Stylisten zu beneiden. Sie sah aus, wie ein funkelnder Stern und bisher konnte kaum ein anderes Tribut mit ihrem Outfit mithalten.

Effie verzog unwillkürlich die Lippen, als Gloss neben seiner Schwester auftauchte. Die beiden redeten in lockerem Ton miteinander und der junge Sieger gestikulierte mit seinen Händen. Cashmere kicherte und drehte sich dann nach hinten um. Ihre blauen Augen scannten die Menschen, die den Raum betraten, offensichtlich auf der Suche nach jemandem. Gloss zog an ihrem Arm und zwang sie vorwärts, weiter durch die Menge an Menschen, von denen sich die meisten zu ihm umdrehten. Jeder wollte einen Blick auf den neuesten Sieger erhaschen.

Für einen Moment fragte Effie sich, ob Haymitch mit seiner Vermutung über Gloss und Cashmere recht behalten würde. Würde er tatsächlich all seine Pferde auf sie setzen und Magnus somit absichtlich außenvor lassen? In seinem Distrikt würde das sicher nicht gut ankommen. Aber was wusste sie schon über Distrikt 1? Außerdem war Cashmere doch seine Schwester. Würde Effie nicht dasselbe für ihre Schwerster tun? Auf diese Frage hatte sie keine Antwort. Allein der Gedanke, Aurelia sei als Tribut gezogen worden, kam ihr absurd vor. Solche Vergleiche machten keinen Sinn, weil sie nicht in ihre Welt passten. Trotzdem hatte Haymitch versucht, es für sie verständlich zu machen. Und was wäre, wenn es deine Kinder wären?

Obwohl alles um sie herum seinen gewöhnlichen Lauf nahm, schienen die Minuten quälend langsam zu verstreichen. Effie wagte einen erneuten Blick auf die Uhr. Mittlerweile hätten Elowen und Ramon hier sein sollen. Während Effie damit fortfuhr, jede einzelne Person ins Visier zu nehmen, die durch die Tür schritt, wippte ihr Fuß einen ungleichmäßigen Rhythmus auf den Boden.

Sie war so fokussiert auf den Eingang, dass sie vor Schreck zusammenfuhr, als Haymitch seine Hand auf ihr Knie legte. Ihr Kopf wandte sich in seine Richtung und sie konnte einen Knochen in ihrem Nacken knacken hören. Haymitch musste gemerkt haben, dass er sie verschreckt hatte, denn er drückte ihr Knie und schmunzelte leicht. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wirkte nach wie vor unzufrieden, aber Effie wusste, dass diese Unzufriedenheit nicht ihr galt.

„Hör auf so nervös zu sein", verlangte Haymitch in ernstem Ton und hob fragend eine Augenbraue. „Worüber machst du dir überhaupt wieder Sorgen? Es ist doch noch gar nichts passiert."

„Genau das ist es ja", antwortete Effie und versagte dabei, ihre Aufregung zu verbergen. „Es sind kaum zehn Minuten bis zur Show und weder Elowen noch Ramon sind bereits hier."

„Meine Güte, Effie. Du hast echt Probleme." Haymitch seufzte und drücke nochmal ihr Knie. Effie entging nicht, dass er bisher keine Anstalten gemacht hatte, seine Hand wieder wegzunehmen. Sie konnte nicht sagen, ob seine Haut genauso warm war wie ihre, denn die Schichten an Tüll verhinderten jede Einschätzung in diese Richtung.

Ihre blonden Haare wirbelten zur Seite, als Effie wieder zum Eingang schaute. Das Gefühl ihrer echten Haare in ihrem Nacken kam ihr fremd und unangenehm vor. Als Haymitch ihr vorhin gesagt hatte, dass sie gut aussah, war ihr Selbstbewusstsein sprunghaft angestiegen. Doch jetzt, wo sie sich in einem Raum voller wunderschöner Frauen befanden, die zu drei Vierteln alle eine Perücke trugen, war Effie nicht mehr ganz mit ihrer Entscheidung im Reinen.

„Natürlich sehe ich da ein Problem", betonte Effie im Flüsterton und begann wieder mit ihrem Fuß zu wippen, diesmal aber mit dem anderen. Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf warnte sie davor, ihre Absätze dabei nicht zu beschädigen. „Dir wäre es ja auch völlig egal, wenn unsere Tribute ihren Auftritt verpassen."

Effie musste ihr Gesicht nicht in seine Richtung wenden, um sein Grinsen zu sehen. Sein Körper bebte einmal und seine Hand, die immer noch auf ihrem Bein lag, übertrug die Vibration auf sie. „Es wird alles gut."

„Es könnte so vieles schief gehen." Wie konnte er nur so ruhig bleiben? Interessierten ihn seine Tribute tatsächlich so wenig, dass sie auch gar nicht auftauchen könnten und es ihm egal wäre? Effie wollte das nicht glauben. Irgendwo in seinem Kopf musste es wenigstens einen kleinen Teil geben, dem diese ganze Sache nicht einerlei war.

„Wenn du dich von solchen Gedanken kontrollieren lässt, wird es auch schief gehen", stellte Haymitch dann, in überraschend düsterem Tonfall, fest. Er ließ Effie aufschauen. Der Ausdruck in seinen grauen Augen war unergründlich.

Im Gegensatz zu ihr, schien ihm nicht warm zu sein. Seine Wagen hatten immer noch dieselbe helle Farbe und obwohl der Stoff seines Anzugs dicker war als der ihres Kleides, erinnerte Haymitch sie immer noch an einen hochmütigen Eisprinzen. Es war seine Haltung, seine Ausstrahlung, mit der er sich von allen anderen hier im Raum abhob. Er bedachte keinen von ihnen auch nur eines Blickes, seine kalten Augen stets geradeaus auf einen der Bildschirme gerichtet. Dabei lehnte er lässig gegen das Sofa und balancierte seinen rechten Fuß auf dem linken Bein. Ohne sich dabei auch nur im Geringsten darum zu scheren, was die anderen von seinen Manieren halten würden. Seine Haltung strahlte eine solche Arroganz aus, dass die Leute an ihm vorbei gingen und das Gesicht eingeschüchtert verzogen, in Furcht davor, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das hier war der Haymitch, den sie aus dem Fernseher kannte. Kalt, arrogant und sarkastisch. Trotzdem war er im Kapitol überaus beliebt. Kaum jemand konnte einem Bad Boy widerstehen, schon gar nicht die Frauen aus dem Kapitol. Denn wenn er wollte, konnte er vor der Kamera durchaus charmant sein.

Haymitch gab sich als ein unnahbarer Mann und jetzt, wo sie ihn kennengelernt hatte, war ihr klargeworden, dass er genau das sein wollte: unnahbar. Er wollte in nichts verwickelt werden, das auch nur ansatzweise etwas mit den Spielen zu tun hatte. Es war das, was er Effie und den Tributen von Anfang an klargemacht hatte. Und doch saß er nun hier mit ihr. Irgendwie hatte sie es geschafft, zu ihm durchzudringen, auch wenn es ihr ein Rätsel war wie.

„Leichter gesagt als getan", murmelte Effie, ohne den Blick von ihm abzuwenden, aber ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Haymitch erwiderte ihren Blick für mehrere Sekunden, jedoch ohne zu lächeln. Wenn er sie anschaute, verschwand der frostige Ausdruck aus seinen Augen. Das Einzige, was zurückblieb, war eine vorsichtige Distanz, die er meistens nicht zu überwinden bereit war.

Seine Augen glitten in einer winzigen Bewegung an ihr vorbei und eine Sekunde später nahm er seine Hand von ihrem Knie. Erst jetzt, wo der Druck seiner Berührung verschwunden war, bemerkte sie, dass er überhaupt dagewesen war. Mit verwirrter Miene folgte sie Haymitchs Blick und entdeckte Elowen in der Menge, die geradewegs auf sie zusteuerte. Ramon lief einige Meter hinter ihr, mit zwei Friedenswächtern im Schlepptau. Effie warf Haymitch einen letzten Seitenblick zu, bevor sie sich von dem Sofa erhob und ihren beiden Tributen entgegenkam. Sie wusste nicht, ob Haymitch ihr gefolgt war, bis er rechts von ihr stehen blieb.

Effie konnte nicht anders, als erleichtert aufzuatmen, als sie die Kleider der Kinder in Augenschein nahm. Obwohl sie vergeblich auf eine Antwort geantwortet hatte, hatten die Stylisten sich ihrer Wünsche angenommen. Wenn auch nur zum Teil. Bei Elowen' Anblick musste Effie dennoch ein Winseln unterdrücken.

Die Stylisten waren genaustens im Klaren darüber gewesen, dass Elowen unschuldig, freundlich und liebenswert herübergebracht werden sollte. Das Kleid, in dem das braunhaarige Mädchen nun steckte, strahlte einige Attribute aus, doch Unschuld war keines davon. Der dunkelgrüne Samt war mit Pailletten bestückt, die das Kleid in wellenförmigen Mustern zierten. Ähnlich wie das Kleid von Cashmere, endete es auf der Höhe von Elowen' Knien. Doch das war nicht der Grund für das Erstaunen, das Effie kaum zurückhalten konnte. Neben sich hörte sie Haymitch resigniert seufzen und hatte somit die Bestätigung für ihre Befürchtung.

Dort, wo sich die Kurven einer erwachsenen Frau an Elowens Körper noch nicht gebildet hatten, hatten die Stylisten mit Polstern nachgeholfen. Ihre Gestalt wirkte um einiges fülliger und Elowen somit viel reifer, als sie mit ihren dreizehn Jahren überhaupt sein konnte. Hinzu kam der offene Schnitt des Dekolleteebereichs, der in einem V-Muster bis zu Elowens Bauchmitte hinablief.

„Ich schwöre, dass ich damit nichts zu tun hatte", raunte Effie Haymitch zu, bevor er seinen Mund auch nur öffnen konnte.

Elowens Wangen waren gerötet und man konnte deutlich erkennen, dass sie kurz davorstand, in Tränen auszubrechen. Effie griff sanft nach ihrem Arm und zwang sich ein versicherndes Lächeln auf die Lippen. „Alles in Ordnung, Liebes", beschwichtigte sie Elowen nun, als die Kinder in Hörweite kamen. „Dein Stylist hat sich wohl nicht ganz an den Plan gehalten, aber du siehst nichtsdestotrotz fabelhaft aus. Die Menge wird dich lieben."

Das Mädchen ließ sich nicht von Effies Farce beirren. „Ich sehe so billig aus. Wie eine ... wie eine ..." Ihre Worte hangen in der Luft und jeder durfte sich seinen Schluss dazu ausdenken. Effies Blick fiel auf die protzige Halskette, die steif und unförmig über Elowens Brust hing. Die Steine waren grüne Smaragde, die wenigstens ein wenig Aufmerksamkeit von ihrem Ausschnitt weglenken würden.

„Das ist ein Fakt, den wir leider nicht ändern können", gestand Effie schließlich und drückte Elowens Arm, um sie aus ihrer Angst wachzurütteln. „Trotzdem gibt es Faktoren, die wir immer noch steuern können. Vergiss dein Kleid. Denk daran, was wir dir in den letzten Tagen beigebracht haben. Unsere Strategie bleibt dieselbe. Du lächelst, benimmst dich wie eine Lady und beschränkst dich auf die Themen, die Haymitch dir vorgeschlagen hat. Caesar hat einige von ihnen bekommen, er weiß, was er ansprechen muss."

Effies Worte schienen Elowen auf die Erde zurückzuholen. Sie nickte übereifrig und strich sich dann mit schwitzigen Händen über ihr Kleid. „Okay", stammelte sie mit dünner Stimme, ihre geweiteten, grünen Augen waren völlig auf ihre Betreuerin fixiert. „Lächeln, Manieren und Haymitchs Themen."

„Mach dir ja keinen Stress", bekräftigte Haymitch. Er hatte Mühe, die Überraschung in seinem Ton zu verbergen. Es war nicht das erste Mal, dass er Effies Hingabe gegenüber den Kindern sah. Trotzdem verblüffte es ihn immer wieder, weil er einfach nicht damit rechnete. Ein Teil von ihm wollte es einfach nicht in den Kopf kriegen, dass sie vielleicht tatsächlich nur ihr Bestes wollte. „Augen auf, Kopf hoch und lächeln."

Den warmen Blick, den Effie ihm daraufhin zuwarf, versuchte Haymitch so gut es ging zu ignorieren. Sie war es gewesen, die genau jenen Satz vor wenigen Tagen zu Elowen gesagt hatte, einige Momente, bevor sie aus dem Zug zu einer jubelnden Menge ausgestiegen waren. Sie hatte wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dass er es gehört hatte, geschweige sich daran erinnern konnte.

Elowen schien sich ein wenig zu beruhigen. Das gab Effie und Haymitch die Gelegenheit, Ramon genauer unter die Lupe zu nehmen. Er steckte in einem extravaganten, schwarzen Anzug, dessen Sakko von übergroßen, mittelalterlichen Knöpfen geziert war. Darunter kamen eine schwarze Weste sowie der Zipfel einer bordeauxroten Krawatte zum Vorschein. Anthrazitfarbene Muster im Damast-Stil verschnörkelten die Oberfläche des Stoffs auf Sakko, Weste und Hemd. Eine auffällige, silberne Gürtelschnalle prangte an seiner Hüfte, die Effies Ansicht nach wohl wortwörtlich unter die Gürtellinie ging. Zumindest aus modischer Sicht. Doch das Outfit passte perfekt zu Ramon. Es spiegelte seine dunkle Aura wider. Der arrogante, beinahe wütende Blick, der in seinen Augen flammte, unterstrich genau dies.

„Auch dich haben die Stylisten gut getroffen." Effie zögerte eine Sekunde. „Asche nehme ich an. Oder doch Kohle?" Fragend drehte sie sich zu Haymitch.

„Kohle." Ein Schmunzeln hatte sich auf sein Gesicht geschlichen und er verdrehte die Augen.

„Nun gut. Auf jeden Fall bin ich überaus zufrieden mit euren Outfits. Ihr braucht euch keinerlei Sorgen zu machen. Das Publikum wird euch lieben, da bin ich mir sicher!" Um die Wahrheit in ihren Worten zu unterstreichen, stupste sie Haymitch mit dem Ellbogen an, damit er den Kindern dasselbe versicherte. Sie musste ihm einen vielsagenden Blick zuwerfen, bis er verstand, was sie von ihm wollte.

„Ich habe schon Schlimmeres gesehen", gab Haymitch zu und zuckte mit den Achseln.

„Haymitch." Effie stöhnte und schüttelte den Kopf. Das war definitiv nicht die Art von Motivation, die sie ihren Tributen hatte mitgeben wollen. Seine Antwort entlockte Elowen ein kleines Schmunzeln. Effie musste ein Seufzen unterdrücken. Die Menschen aus Distrikt 12 waren doch wahrlich von einem besonderen Kaliber ... Aber solange Elowen sich an Haymitchs Unwissenheit amüsierte, sollte es ihr recht sein.

„Natürlich hatte ich eure Kleider etwas anders im Kopf, aber das nennt man dann wohl kreative Freiheit", räumte sie schließlich ein und konnte Haymitch aus dem Augenwinkel grinsen sehen. „Ich habe aber nicht gelogen, als ich sagte, dass ihr beide adäquat angezogen seid. Also versucht, das Beste daraus zu machen." Sie warf sowohl Elowen als auch Ramon einen langen und eindringlichen Blick aus ernsten Augen zu.

Zu Haymitchs erneuter Verblüffung, wandte Effie sich dann direkt an Ramon. „Das gilt auch für dich. Bitte vergiss deine Nervosität und trage deine Selbstsicherheit nach außen." Ramon nickte. Haymitch konnte nicht anders, als sich darüber zu wundern, wie aus ihrer feindseligen Beziehung in so kurzer Zeit diese Neutralität geworden war. Die Verbindung zwischen Ramon und Effie war immer noch sehr zerbrechlich. Nichtsdestotrotz hatte sie es geschafft, eine Art stille Übereinkunft mit ihm zu treffen.

Effie wollte gerade wieder den Mund öffnen, um den Tributen einen weiteren Ratschlag zu geben, als ein allgemeines Murmeln durch den Hauptraum des Backstage-Bereichs ging. Die vier drehten sich in einer synchronen Bewegung um, nur um Caesar Flickerman zu sehen, der sich mit lässigen Schritten einen Weg zum Bühnenaufgang bahnte. Man konnte sehen, dass er in Eile war. Seine Füße bewegten sich schnell und doch strahlte sein Gang eine Bequemlichkeit aus, die wohl aus Jahren der Erfahrung stammen musste.

Caesar Flickerman war schon ewig ein unverzichtbarer Bestandteil der Hungerspiele. Er moderierte die Interviews seit dem 35. Jahr und seitdem hatte sich seine Karriere steil himmelwärts entwickelt. Es war kein Wunder: Sein Vater, Lucky Flickerman, war sein Vorgänger und die Flickermans waren eine der Elitefamilien im Kapitol. So wie die Snows, Heavensbees oder Cranes. Für sein Alter von fast 60 Jahren ähnelte er eher einem Mann in Haymitchs Lebensphase, was bei dem Vermögen seiner Familie wohl kaum ein Problem darstellte. Er war bekannt dafür, sein Aussehen jedes Jahr aufs Neue zu verändern. Die Farbe seiner Perücken und Outfits wechselten von Saison zu Saison. Manchmal ging er mit dem Trend, manchmal ließ er sich auf etwas völlig Gewagtes ein und startete seinen eigenen Trend. Dieses Jahr hatte er sich für ein knalliges Orangegelb entschieden. Es erinnerte Effie an den Sommer im Kapitol, wenn die glühende Sonne über den Wolkenkratzern der Stadt hing und man die brennend-heißen Straßen nicht schnell genug verlassen konnte.

Der Moderator war deutlich an seinem gelben Haarschopf zu erkennen, als er sich lächelnd zu allen Beteiligten umdrehte, einigen Leuten zunickte und hier und da eine Hand schüttelte, wenn man sich besser kannte. Bei diesen handelte es sich meistens um Mentoren und Eskorten aus den besseren Distrikten und Leute, die schon sehr lange dabei waren, so wie er selbst.

Als Caesar sich der kleinen Gruppe aus Distrikt 12 weiter näherte, konnte Effie seine Garderobe in Augenschein nehmen. Er war Kopf bis Fuß in einem honig-gold gekleidet. An jeder anderen Person hätte der Anzug mit der breiten Schlaghose witzig, fast schon billig gewirkt. Aber das hier war Caesar Flickerman. Was er trug, wurde die neue Mode, weil er eine Ikone in der Szene war.

Und genau deshalb war Effie sprachlos, als Caesar ihr im Vorbeigehen zunickte und sie in einem erheiterten Ton begrüßte. „Miss Trinket."

Ihr Herz wäre vor Überraschung beinahe stehen geblieben. Sie konnte sich gerade noch fangen, ein halbes Lächeln aufsetzen und sein Nicken erwidern, da war er bereits an ihr vorbeigerauscht. Einige Personen in ihrer unmittelbaren Umgebung, die sie vorher keines Blickes gewürdigt hatten, schauten sie nun so an, als hätten sie gerade erst von ihrer Existenz mitbekommen. Effie konnte das triumphierende Lächeln kaum zurückhalten, das sich auf ihren Lippen bildete. Wahrscheinlich begrüßte er jedes neue Mitglied im Personalbestand, einfach weil er so lange dabei war, dass er für viele der Vater der gesamten Veranstaltung war.

Effies Wangen nahmen einen leichten Rotton an und als Caesar im Bühnenaufgang verschwand, drehte sie sich wieder zu ihrem Team um, nur um Haymitchs silbernen Augen zu begegnen, die jede ihrer Regungen genaustens zu analysieren schienen. Er hatte seine Brauen leicht angehoben und ein boshaftes Grinsen formte sich um seine Mundwinkel. „Er ist doch wohl etwas zu alt für dich, Süße."

Haymitch", zischte Effie brüskiert zurück. Seine Stimme war nicht gerade leise gewesen und es gab genug Personen in diesem Raum, die so ein Gerücht nur zu gerne streuen würden, bloß um ihre Reputation zu zerstören.

„Nur ein Witz", konterte Haymitch und zeigte ihr die Zähne. Selbst Elowen kicherte. „Hätte ich gewusst, dass du tatsächlich auf ältere Männer stehst, dann hätte ich nichts gesagt."

Vor Peinlichkeit wandte Effie den Kopf ab, um ihn nicht weiter vor der Nase haben zu müssen. Zu ihrer Erleichterung ertönte in diesem Moment das Signal vom Aufgang, das den Tributen anordnet ihre Plätze einzunehmen. Es blieb also keine Zeit für Haymitch, sie weiter zu blamieren. 


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Hallo zusammen,

hier bin ich wieder mit einem neuen Kapitel! :) Ich hoffe euch gefällt es. Bin im Moment in der Klausurenphase, deshalb ein bisschen verspätet.

Liebe Grüße

Skyllen :)

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