12. Boy Problems
Boy Problems
Effie wollte etwas sagen, doch wieder entsprang ihrer Kehle kein Laut. Ihre Hand fuhr hoch zu ihrem Hals, während sie weiter auf Ramon starrte, der bewusstlos auf dem Boden lag. Langsam, als würde er aus einer Trance erwachen, drehte sich Haymitch zu ihr um. Es lag immer noch ein glasiger Ausdruck in seinen grauen Augen, aber sie konnte Unbehagen darin erkennen. Er bewegte sich so schnell, dass sie es trotz ihres alarmierten Zustands kaum wahrnahm.
Beinahe selbstverständlich, als würden sie sich seit einer Ewigkeit kennen, berührte Haymitch mit einer Hand ihre Hüfte. Seine Finger legten sich sanft und vorsichtig um den Stoff ihres Kleides, während die andere Hand hoch zu ihrem Hals schoss. Effie spürte seinen aufmerksamen blick auf ihrer Haut, spürte das glühende Pochen unter seinen kühlen Fingerspitzen. Als ein scharfer Schmerz durch ihren Kopf schoss keuchte auf und wollte einen Satz nach hinten machen, doch Haymitchs Hand and ihrer Hüfte hielt sie auf.
„Er hat dich ganz schön erwischt", murmelte er, ohne aufzuschauen.
Langsam beruhigte sich Effies Herzschlag, aber der Schock in ihren Gliedern blieb. Ihre Augen starrten immer noch an Haymitch vorbei. Zu Ramon. Sie schaffte es nicht, den Blick von dem Jungen zu lösen. „Effie." Haymitch versuchte, sie aus ihrer Trance zurückzuholen. Aber sie reagierte nicht. Sie hatte das Gefühl, jeden Moment vornüber zu fallen. Obwohl sie wieder Luft bekam, konnte sie Ramons Griff noch immer an ihrer Kehle spüren. Das Blut unter ihrer Haut pochte dort, wo er sie angefasst hatte.
„Effie", sagte Haymitch wieder, diesmal sanfter. Er umfasste ihr Gesicht mit seinen Händen und drehte ihren Kopf in seine Richtung, um ihren Blick von Ramon zu lösen. Sie ließ ihn gewähren, wunderte sich nicht einmal über seine plötzliche Sorge, zu sehr raste die Angst noch durch ihre Glieder. Schließlich seufzte sie und blickte zu Haymitch auf. Ihre Gesichter trennte nur eine kleine Distanz, sie konnte das flüssige Silber in seinen grauen Augen sehen. Selbst jetzt kam ihr diese Nähe nicht seltsam vor, was sie unter normalen Umständen sicher schockiert hätte. Nun hob Effie nur ihre zitternden Hände und umklammerte Haymitchs Oberarme, als fürchtete sie, jeden Moment umzufallen.
Unter normalen Umständen wäre der aufmerksamen, menschenlesenden Effie aufgefallen, dass Haymitchs Sorge sich mit ihrer ausbleibenden Reaktion exponentiell zu steigern schien. Seine Lippen bewegten sich, aber die Worte drangen nur gedämpft zu ihr durch. Wie wenn er auf der anderen Seite einer Tür stand. Wie ein weit entferntes Flüstern, es hätte genauso gut ihr Unterbewusstsein sein können, welches da mit ihr sprach. „Das war wohl deine erste gewalttätige ... Auseinandersetzung. Für dich ist das wohl kein ... Alltag." Das Flüstern wurde immer schneller, immer hektischer, als würde ihr die Zeit davonrennen. „Auf einer Skala von eins bis zehn würde ich dem höchstens eine drei geben, aber ich glaube für dich reicht das wohl, um in einem Trauma zu enden. Mach dir keine Gedanken, so war es bei allen von uns beim ersten Mal. Die erste Begegnung mit dem Tod. Auch wenn bei uns niemand da war, um uns davor zu bewahren."
Effie fuhr zusammen, als hätte man ihr einen Stromschlag verpasst. Von der einen auf die andere Sekunde öffnete sich die unsichtbare Tür zwischen ihnen und die Distanz verschwand. Ein Ausdruck gedankenverlorener Offenheit, den Effie für den Bruchteil einer Sekunde in seinen Iriden erspähen konnte, verschwand so plötzlich, als hätte Haymitch eine andere unsichtbare Tür zugeschlagen.
Die erste Begegnung mit dem Tod. Effies Lippen glitten entzwei, aber kein Ton entsprang ihrer Kehle. War es wirklich so dramatisch, wie Haymitch es dargestellt hatte? Oder hatte sie sich die Worte nur eingebildet? Dafür sprach, dass sie nicht so klangen, wie etwas, was Haymitch in ihrer Gegenwart auch nur denken würde.
„Es ist alles gut. Hörst du mich, Effie? Er wird dir nichts mehr tun." Effie hatte ihn selten in einem so behutsamen Ton reden hören. Versuchte er, die Wahrheit vor ihr zu verstecken oder war die Bedrohung tatsächlich vorbei? Und warum stand plötzlich dieses riesige Wort im Raum? Tod. War sie dem Tod etwa so nahe gewesen? Hatte Ramon tatsächlich versucht, sie zu töten? Effie hatte alles erlebt und trotzdem war sie sich unsicher. So einfach konnte es doch nicht sein, zu sterben. Dafür war der Tod etwas zu Gewaltiges.
Der Gedanke, dass sie überdramatisierte, führte schließlich dazu, dass es Effie gelang, sich zu räuspern. Du machst eine Szene, tadelte die Stimme ihrer Mutter. Der Junge mag vielleicht frustriert sein, aber ein Mordversuch war das sicher nicht. Aber als Effie die Stimme erheben wollte, versagte diese. Alles, was ihren Stimmbändern entwich war ein Husten. Wieder und wieder hustete sie.
Überfordert mit der Situation und verwirrt über die Realität, kochten Effies Emotionen schließlich über. Das Wissen, dass sie schon wieder vor Haymitch in Tränen ausbrechen würde, ließ das folgende Schluchzen nur schlimmer ausfallen. In einer kaschierenden Geste hielt sie sich eine Hand vor den Mund und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, während ihre Panik sie durchflutete.
„Ganz ruhig", murmelte Haymitch beinahe tröstend und griff nach ihren Schultern. Ihr war es nicht nur nicht gelungen, Distanz zu ihm aufzubauen – stattdessen standen sie nun näher zusammen als vorher. „Das ist wohl die normalste Reaktion auf diese Aktion. Das ist doch Schock. Der legt sich gleich wieder, glaube ich. Du musst was trinken und vielleicht sollte sich das mal einer von deinen ... Kapitolärzten anschauen."
Als Haymitch für seine Bemerkung einen blitzenden Blick erntete, schien sich ein Knoten in seiner Brust zu lösen. Etwas, das verdächtig viel Ähnlichkeit mit Erleichterung hatte, huschte über seine sonst so passiven Züge. Ein mattes Lächeln hob seine Mundwinkel zu einer seltenen Grimasse. „Schau, du kannst schon sauer auf mich sein! Dann wird es dir schon bald wieder gut gehen."
Ein Teil von Effie war ihm dankbar, wie einfach er diese peinliche Szene zu vergessen bereit war. Sie bündelte all ihre restlichen Kräfte, um die Angst aus ihren Adern zu verbannen und zwang sich ein verärgertes seufzen über die Zunge. Doch als sie eine Sekunde später ihre Sprache wiederfand, passte diese nicht zu der Rolle, die sie zu spielen versuchte. „Ist er tot?" Effies Stimme war nicht lauter als ein keuchender Atemzug und klang so kratzig wie Schmirgelpapier.
Haymitch wischte ihr in einer schnellen Geste einzelne Tränen von den Wangen, als wäre er mehr als bereit, sich ihrem Theater anzuschließen. Dramatisch schüttelte er den Kopf. „Ich bin doch nicht irre. Snow wäre bestimmt ziemlich angepisst, wenn ich eines seiner Tribute kaltmache." Offensichtlich hatten seine Worte sie zum Lachen bringen sollen, aber Effie verstand den Witz nicht. Der Gedanke an den Tod, schürte einen dichten Nebel in ihrem Hirn. Parallel verdunkelte sich der Blick in ihren Augen.
„Sag bloß nicht, dass du enttäuscht darüber bist", bemerkte Haymitch plötzlich und musterte sie wertfrei.
„Natürlich nicht", brachte Effie eine Spur zu empört hervor und Haymitchs Ausdruck nach zu urteilen, entging es ihm nicht. Doch Haymitch ließ das Thema fallen und bohrte nicht nach. Etwas fast Nachdenkliches hatte die Sorge auf seinen Zügen ersetzt, nun, da Effie wieder redete
„Er könnte jede Minute aufwachen", sagte Effie immer noch mit stockender Stimme. Die Furcht bahnte sich wieder einen Weg in den Vordergrund. Bei dem Gedanken daran weiteten sich ihre Pupillen. Sie bemerkte nicht, wie Haymitch sich ihr in Reaktion entgegenlehnte.
„Wir werden die Friedenswächter verständigen, jetzt sofort", entschied Haymitch. „Du rufst besser deinen Arzt an, wenn du eine Schwellung verhindern willst."
„Aber was ist mit Elowen? Sie wartet bereits auf mich." Er verstand nicht, wie sie in einer solchen Situation immer noch an ihre Aufgaben und Pflichten denken konnte.
„Ehrlich, ich verstehe nicht, wie du jetzt noch an dieses Mädchen denken kannst", antwortete er ihr in einem Ton, der keinen Raum für Diskussion ließ. Schließlich seufzte er in sich hinein, als würde das hier seinen gesamten Tagesplan durcheinanderwerfen. „Ich werde Elowen zum Training bringen. Wird ja wohl nicht so schwer sein."
„Das würdest du tun?" Effies Stimme war weicher geworden und sie lächelte leicht, auch wenn es ihre Augen nicht erreichte. „Was ist mit Ramon?"
„Süße, mach dir keine Gedanken. Die Friedenswächter werden sich mit dem Jungen auseinandersetzen müssen. Wahrscheinlich wird man ihn ab jetzt beaufsichtigen lassen. Kommt nicht oft vor, aber ab und zu gibt es solche Fälle." Mit diesen Worten drehte Haymitch sich um und verschwand. Ramon ließ er an Ort und Stelle liegen.
Effie beäugte den bewusstlosen Jungen ein letztes Mal und machte dann schnell kehrt. Haymitch hatte wahrscheinlich recht, sie sollte einen Arzt aufsuchen.
oOo
Nachdem Haymitch Elowen im Trainingscenter abgesetzt hatte, machte er sich auf den Weg zur nächstgelegenen Bar. Das Mädchen war verwundert gewesen, als er an ihrer Tür geklopft hatte, um sie abzuholen. Er war sich wie ein Idiot vorgekommen, schließlich hatte er in den letzten vierzehn Jahren noch nie bei einem seiner Tribute geklopft oder auch nur einen Handschlag getan, der ihnen den Aufenthalt im Kapitol erleichtert hätte. Er wusste, dass die beiden in zwei Wochen tot sein würden. Es war keine Vermutung, sondern die bittere Realität. Mit den Jahren hatte er eine Intuition dafür entwickelt, die ihn potenzielle Sieger erkennen ließ. Ziemlich dumm nur, dass diese Intuition bisher immer nur Verlieren begegnet war.
Elowen hatte nach Effie gefragt, aber Haymitch, der nicht wusste, wie man mit Kindern umging, hatte nur mit den Schultern gezuckt. Danach hatte sie ihn nichts mehr gefragt. Der Rest des Weges war schweigend verlaufen, was ihm ziemlich recht gewesen war. Er würde nicht so leichtsinnig sein wie Effie und eine persönliche Beziehung zu der Kleinen aufbauen. Es würde alles am Ende der Spiele nur schwerer machen.
Als Haymitch die Bar betrat, sah er Chaff bereits am Tresen sitzen, ein Glas Whiskey in der Hand. Er klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und setzte sich dann neben ihn auf einen der Barhocker. Chaff drehte den Kopf in seine Richtung und grinste. „Und ich dachte schon, ich kriege dich gar nicht mehr zu Gesicht."
„Wie kommst du denn auf den Gedanken", murmelte Haymitch mit verkniffenen Augen und bestellte sich dann einen Vodka.
„Du scheinst ziemlich involviert zu sein, dieses Jahr", gab Chaff schulterzuckend zurück und kippte den restlichen braungoldenen Inhalt seines Glases in sich hinein.
„Neue Betreuerin, sie hat's nicht so leicht", antwortete Haymitch und trank die durchsichtige Flüssigkeit, die der Barkeeper vor ihn auf dem Tresen stellte, in einem gierigen Zug. Haymitch hob das Glas, um ihm klarzumachen, dass er einen weiteren haben wollte.
„Seit wann interessierst du dich für deine Betreuerin?" Chaff lachte und warf ihm einen amüsierten Seitenblick zu. „Ich kann's dir nicht verübeln, sie ist scharf."
Haymitch schüttelte den Kopf. „Sie ist eine Nervensäge." Für einen Moment schwiegen sie beide. Haymitch drehte sein neues Glas in der Hand und rief sich Effie vor Augen. Sie war eine Nervensäge und doch war sie anders. Oder zumindest wirkte sie so. Er seufzte. War es der Alkohol, der da aus ihm sprach? Er hatte doch kaum etwas getrunken. Wahrscheinlich hatte Chaff recht und er fand sie einfach nur scharf. Nach all den Jahren mit Petunia vor der Nase war es wohl kein Wunder, wenn seine Sinne nun verrücktspielten. Natürlich war ihm Effies Aussehen nicht entgangen. Doch sie konnte so gut aussehen, wie sie wollte, da es nichts an ihrem Charakter änderte – an der Tatsache, dass sie eine Kapitolerin war.
„Wie stehen eure Chancen dieses Jahr?", fragte Chaff nach einer Weile. Die alljährliche Frage. Dabei wussten beide ganz genau, wie die Chancen für die Außenseiterdistrikte standen. Chaff war der letzte Sieger aus 11, genauso wie Haymitch der letzte Sieger aus 12 war. Das sagte eigentlich alles, schließlich waren die beiden jetzt um die dreißig. Sein Sieg war vierzehn Jahre her und der von Chaff lag sogar noch ein paar Jahre mehr zurück.
„Das Mädchen wird nicht weit kommen, sie ist klein und unschuldig. Den Jungen werden sie töten, für das was er im Moment bei uns abzieht. Ich muss mir also keine Gedanken machen. Bei euch?"
Chaff betrachtete sein Glas und lehnte sich dann nach hinten, um Haymitchs leerem Blick zu begegnen. „So wie immer eigentlich. Der Junge zwölf und das Mädchen vierzehn. Sie werden das Gemetzel nicht überleben."
So war das bei den Spielen. Wenn ein zwölfjähriges abgemagertes Kind auf einen wohlernährten Sechzehnjährigen traf, war das Glück nie auf deiner Seite. Möge das Glück stets mit euch sein. Haymitch hätte beinahe aufgelacht. Stattdessen nickte er und leerte sein Glas.
„Dein Junge macht also Probleme?" Chaff betrachtete ihn neugierig. Hier im Kapitol, wo man jährlich Kindern aus dem eigenen Distrikt beim Sterben zuschauen musste, war jede Art von Klatsch und Tratsch eine Ablenkung. Außerdem hatten Haymitch und Chaff nichts voreinander zu verbergen, auch wenn sie strenggenommen eigentlich immer noch Konkurrenten waren. Doch das kümmerte hier nur wenige Mentoren.
„Er ist wütend auf das Kapitol, wer hätte es gedacht? Er hat Effie heute Morgen beinahe umgebracht. Gestern dasselbe Theater. Heute hat er sie ganz schön erwischt. Die Friedenswächter kümmern sich jetzt um ihn", erzählte Haymitch, während er sich einen weiteren Drink bestellte. Er spürte das Verlangen in seinen Gliedern. Er spürte, wie sich der alljährliche Schmerz langsam durch seine Adern fraß. Nur Alkohol half ihm dabei, dieses Gefühl zu betäuben.
Chaff nickte und Haymitch hatte für einen Augenblick das Gefühl, dass er Haymitch seinen plötzlichen Gemütswechsel ansehen konnte. Falls Chaff es merkte, sagte er bewusst nichts dazu. Sein Freund hatte noch nie zu der Art von Menschen gehört, die einen über solche Dinge ausfragten. Wenn einer von ihnen etwas zu sagen hatte, dann sprach man das Thema schon irgendwann von selbst an.
„So ist das ab und zu", sagte Chaff und seine Augen blitzten. „Hatte ich auch einmal, ist aber schon Jahre her. Manche wissen halt nicht, wie man die Wut kanalisieren soll."
„Ich meine, er liegt mit seinen Ansichten ja nicht falsch", schnaubte Haymitch und lachte dann auf. „Jeder weiß, dass ich einen Scheiß auf das Kapitol gebe. Ich habe meine Quittung dafür bekommen und das auch nur, weil es dann bereits zu spät war, um mich in der Arena hinzurichten."
Chaff nickte gedankenverloren. „Sie werden ihn umbringen, das ist sicher. Doch das was ich bisher von ihm gesehen habe ... Er würde sowieso nicht gewinnen, sieht zwar kräftig aus, aber er scheint mir kein Gewinnertyp zu sein."
„Das ist er auch nicht", stimmte Haymitch seinem Freund zu. „Er wüsste nicht, wie er mit dem Kapitol umgehen sollte. Früher oder später würden sie ihn in einem tragischen Unfall verenden lassen. Wäre nicht das erste Mal."
„Abgefuckter Scheiß", murmelte Chaff und knallte sein leeres Glas auf den Tresen, um die Aufmerksamkeit des Barkeepers wieder auf ihn zu ziehen. Die Bar war vollkommen leer. Die meisten Mentoren kümmerten sich zu dieser Zeit um andere Dinge. Es waren meistens die Außenseiter, die irgendwann so endeten wie Haymitch und Chaff. Wenn es nach Haymitch ging, dann hatte er Glück, dass es nur beim Alkohol geblieben war. Es gab Sieger, die sich ganz anderen Sachen bedienten. Im Vergleich dazu war die goldene Flüssigkeit in seinen Fingern Kinderkram.
„Seine Eltern sind gute Leute. Sie haben ihren anderen Sohn erst letztes Jahr durch die Spiele verloren. Ich wusste nicht mal, dass der Junge sein Bruder ist."
Chaff klopfte Haymitch beinahe mitfühlend auf die Schulter und wechselte dann das Thema. „Wie geht's deiner Effie denn jetzt?" Ein leises Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als er dabei zuschaute, wie sich Haymitchs Gesichtsausdruck verdüsterte.
Der junge Sieger zuckte die Achseln. „Sie ist ganz schön mitgenommen. Hat wohl niemand bisher versucht, sie umzubringen."
„Was du nicht sagst", erwiderte Chaff schmunzelnd.
„Was ist denn los mit dir?", schoss Haymitch zurück und heftete seine Augen auf Chaff, der ihn immer noch halb amüsiert beobachtete.
„Du wirkst anders auf mich, das ist alles. Du siehst müde aus, die Frau muss dich ganz schön auf Trab halten", gab Chaff zu. „Ich habe dich gestern Abend vermisst. Sonst lässt du den ersten Tag hier mit mir ausklingen." Der Barkeeper kam zurück und schenkte den beiden Männern eine orangene Flüssigkeit ein.
„Wie gesagt, sie ist absolut schrecklich, sehr penetrant. Wenn sie sich was vorgenommen hat, dann zieht sie das auch durch, komme was wolle", grummelte Haymitch und nahm einen Schluck von dem orangenen Etwas.
„Oder komme wer wolle", lachte Chaff. „Schmeckt das?"
Haymitch zuckte die Achseln. „Bin mir noch nicht ganz sicher, aber es gibt schlimmeres." Chaff nickte und probierte ebenfalls etwas von dem Alkohol. Die Flüssigkeit hinterließ einen kalten Beigeschmack in seinem Hals und Haymitch war sich sicher, dass er es nicht mehr nüchtern zurück ins Penthouse schaffen würde. „Sie ist eine Nervensäge", sprach er dann weiter. „Aber sie ist trotzdem anders. Irgendwie sorgt sie sich um die Kinder. Trotz ihres komischen Kapitolsgehirns versucht sie ihr Bestes, um ihnen zu helfen. Sie ist anders als Petunia."
Haymitch wunderte sich, warum er Chaff überhaupt so viel von Effie erzählte. Vielleicht um ihn davon zu überzeugen, dass er mit seiner Vermutung über sie nicht richtig lag? Brauchte er die Bestätigung, dass sie vielleicht nicht so war, wie die anderen Leute hier im Kapitol?
Chaff neben ihm seufzte. „Sei vorsichtig. Sie ist immer noch eine von ihnen." Mehr würde er dazu nicht sagen. Nicht, weil es nichts mehr zu sagen gab, sondern weil alles andere viel zu spekulativ in Haymitchs Ohren klingen würde. Sein Freund wollte ihm nicht vorschreiben, wie er seine Dinge zu machen hatte. Er würde nur nach seinen falschen Entscheidungen für ihn da sein. Genauso wie Haymitch es für ihn tat. Es war paradox, dass sie als ehemalige Sieger eigentlich genau wussten, wann es sich von Dingen fernzuhalten galt und es doch nie taten.
„Als würde ich das jemals vergessen", gab Haymitch zurück und schaute auf das Glas in seinen Händen herab. Es war in seinem Griff ganz warm geworden. Wäre noch etwas von der orangenen Flüssigkeit darin gewesen, dann hätte sie jetzt seine Hände vom Schwitzen abgehalten.
Für einen Augenblick schloss Haymitch die Augen und dachte an seine Mutter. Er tat dies nur sehr selten und dafür gab es gute Gründe, schließlich war sie seit dem Jahr seines Sieges tot. Genauso wie alle anderen, die er einst geliebt hatte. Haymitch wusste, dass ihm diese Mehrarbeit an den Spielen teuer zu stehen kommen würde. Es würde schwerer werden, zu vergessen. Es gibt Dinge, die kannst du ewig versuchen zu verdrängen, doch vergessen wirst du sie nie.
oOo
Haymitch wusste nicht, wie er den Weg zurück ins Penthouse geschafft hatte. Er wusste nur, dass er vergessen hatte, Elowen vom Training abzuholen. Dieser Gedanke war ihm auf seinem Weg zurückgekommen, aber er hatte ihn abgetan. Seit Ramons Angriff heute Morgen waren Stunden vergangen und Effie hatte sie sicher selbst abgeholt.
Er torkelte durch den Flur ihrer Etage und kam dabei an Ramons Zimmer vorbei. Zwei Friedenswächter waren vor seiner Tür postiert. Gott sei Dank. Jetzt hatte er ein Problem weniger, um das er sich kümmern musste. Eigentlich hatte er an Effies Zimmer vorbeigehen wollen, doch sein betrunkenes Gehirn ließ ihn vor ihrer Tür stehen bleiben. Für einen Moment stand er einfach nur da, während sich die Welt um ihn herumdrehte. Dann klopfte er und erschrak vor sich selbst, als er bemerkte, dass sein Klopfen einem Hämmern gleichkam.
Haymitch hörte ihre leichten Schritte hinter der Tür und dann erschien ihr Gesicht im Türrahmen. Er seufzte in sich hinein. Sie sah wieder aus wie ein Clown. In seinem Kopf tauchte ihr Anblick nach dem Angriff auf. Haymitch war sich nicht sicher gewesen, was sie unter ihrer Perücke verbarg und er hatte auch nie wirklich darüber nachgedacht. Aber als er die blonden Locken gesehen hatte, die ihr wie ein Vorhang sanft um die Schultern gefallen waren, war er erstaunt gewesen. Jetzt trug sie eine pinke Perücke mit glitzernden Sternchen darin. Kapitoler und Mode ...
„Haymitch", sagte Effie in einem freundlichen Ton, ihre blauen Augen trafen seine und dann zeichnete sich Sorge in ihrem Blick ab. „Geht es dir gut?"
Haymitch machte einen Schritt nach vorne und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Alles gut. Ich bin hier, um nach dir zu sehen." Sobald die Worte seinen Mund verlassen hatten, verfluchte er sich dafür. Was dachte sie denn bitte jetzt von ihm? Sie sollte auf keinen Fall denken, dass es ihn tatsächlich interessierte, wie es ihr ging, schließlich war dem nicht so.
Effie lächelte und öffnete die Tür nun vollständig. „Mir geht es gut, danke der Nachfrage", antwortete sie. Haymitch bereute seine Frage bereits, denn sie hörte nicht auf zu reden. Ihr Mund war wie ein Wasserfall. „Der Arzt hat die Blessuren mit einer Creme behandelt und sie sind danach sofort verschwunden, es tut nicht einmal mehr weh. Ich bin so dankbar für unsere fortschrittliche Technologie. Ist sie bei euch im Distrikt auf demselben Niveau? Natürlich kann ich das Geschehene nicht vergessen, aber wenigstens sieht man es mir nicht mehr an. Elowen hat auch keinen Verdacht geschöpft, nur müssen wir ihr irgendeine Erklärung liefern, weshalb Friedenswächter vor Ramons Tür stehen."
„Wir?" Haymitch lachte auf und schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich bin schon genug in das alles involviert."
Effies Gesicht verdüsterte sich. „Aber du bist ihr Mentor, natürlich bist du in die Spiele involviert. Jedenfalls hatten wir diese Diskussion ja schon heute Morgen und sie hat zu nichts geführt. Ich möchte mich nicht erneut mit dir streiten." Dann lächelte sie ihn erneut an, doch Haymitch sah sofort, wie unecht es wirkte.
„Was auch immer", antwortete Haymitch nur und musste wieder daran denken, was sie über seine Spiele gesagt hatte. Es machte ihn wütend. Sein Alkoholpegel und der Zustand, in dem er gerade war, passten nicht zusammen. Mit einer schnellen Bewegung wollte er sich zum Gehen wenden, als Effie ihn zu seiner Überraschung am Arm festhielt.
„Warte bitte", sagte sie und am Ton in ihrer Stimme konnte Haymitch erkennen, dass sie nun ein ernsteres Thema anschlagen würde. Er wappnete sich bereits und warf ihr einen Blick aus seinen grauen Augen zu. „Wie geht es mit Ramon weiter?"
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Hallo zusammen!
Wie fandet ihr die Interaktion zwischen Effie und Haymitch? Effie hat also blonde Haare! :D
Chaff versucht Haymitch gute Ratschläge zu geben, aber dieser scheint nicht so sehr daran interessiert zu sein, sich von seinem Freund was vorschreiben zu lassen. xD
Bis nächste Woche dann!
Skyllen
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