Kapitel 8

"Oh Gott, Schatz, wie konnte das denn nur passieren?", hörte ich meine Mutter panisch fragen, als sie mich aus dem Krankenhaus abholte. Sofort fühlte sie meine Stirn, ob ich Fieber hatte, was jedoch nicht der Fall war.

Ich war unterkühlt und stand unter Schock, doch abgesehen davon war ich unversehrt.

"Ich bin ausgerutscht und ins Wasser gefallen", erklärte ich ihr grob, was vorgefallen war.

"Ja, das habe ich schon gehört! Aber wie konntest du denn ausrutschen und direkt ins Wasser fallen? Zum Glück war Timo da! Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn nicht."

Nun nahm sie auch Timo in ihre Arme, der neben mir auf der Sitzbank im Warteraum saß. Ich kannte ihn schon so lange, sodass er mittlerweile fast Teil der Familie war. Für meine Mutter war er ein bisschen der Sohn, den sie als Amora nie haben konnte. Denn jede Amora hatte genau eine Tochter.
"Danke!", sagte sie gerührt in sein Ohr. "Wir können auf dem Heimweg gern bei McDonalds anhalten und du kannst dir alles bestellen, was du willst!"

Timo und ich mussten lachen.

"Danke, Mama, dass du mein Leben mit ein paar Burgern gleichsetzt!", gab ich ironisch von mir.

Mama verdrehte nur die Augen.

"Ich will nur, dass er gestärkt ist, nachdem er so eine kräftezehrende Heldentat vollbracht hat. Außerdem kenne ich seine Vorliebe für das gelbe M." Dann wandte sie sich wieder an Timo. "Ich erfülle dir auch gern jeden anderen Wunsch!"

Er lächelte höflich.

"Danke, aber ich will ehrlich gesagt nur nach Hause und schlafen", lehnte Timo gut erzogen ab. "Ich bin völlig fertig."

Mama nickte sofort verständnisvoll, während sie meine Hand ergriff uns den Handrücken mit sanften Daumenbewegungen massierte.

"Du siehst auch ein bisschen mitgenommen aus", stellte sie fest. "Sicher, dass du nicht bei uns bleiben willst? Mir ist nicht ganz wohl dabei dich allein zu lassen. Wann kommen deine Eltern aus dem Urlaub wieder? Erst am Freitag, oder?"

"Ja genau, aber das passt schon. Die Ärzte meinten, dass mir nichts fehlt. Ich bin wieder aufgetaut und brauche nur ein bisschen Schlaf. Also keine Sorge, ich komme gut alleine klar."
"Okay, aber falls irgendwas ist, kannst du jeder Zeit anrufen. Und wenn du einen heißen Schokokuchen um 3 Uhr nachts willst, dann bringe ich dir auch den sehr gern vorbei."
Timo lachte.

"Das hört sich gut an, Cara. Aber das ist wirklich nicht nötig."

Mama wuschelte ihm durch die Haare, was er geduldig über sich ergehen ließ.

"Das Angebot steht", ließ sie ihn noch einmal wissen.

Dann nahm Mama uns unsere Plastiktüten ab, in denen man uns unsere nasse Wäsche gepackt hatte. Das Krankenhaus hatte uns mit trockener Kleidung versorgt, weshalb Timo und ich beide in übergroßen Pullis und Jogginghosen den Heimweg antraten.

"Na los, auf gehts! Ich habe sogar einen Parkplatz direkt vor der Tür bekommen!"

Wir stiegen ins Auto ein und mir fiel auf, dass Timo mich keine Sekunde aus den Augen ließ. Auch Mama schien das aufzufallen und beobachtete uns die ganze Zeit über den Rückspiegel.

Ich begann mich unwohl zu fühlen, denn auf einmal wurde mein Fehler wieder präsent. Durch das ganze Drama hatte ich fast vergessen, dass mein Leben ein einziger Scherbenhaufen war.

Schließlich hielten wir vor Timos Haus. Es war eine schöne Stadtvilla, die hellblau gestrichen war und deren Fassade der Efeu rankelte.

Ich Timo spürte, wie er zögerte, als er das Auto gehalten hatte.

Und ich ahnte, was er vorhatte.

Timo, bitte nicht! Bitte tu es nicht! Nicht hier vor meiner Mutter!

Dann nahm er all seinen Mut zusammen und gab mir einen Kuss auf die Wange.

Ich erstarrte.

Nicht, weil ich keinen Kuss von ihm haben wollte, sondern weil ich genau wusste, dass Mama es gesehen hatte. Immerhin war es nur die Wange gewesen.

"Bis morgen", sagte er etwas enttäuscht, da ich keine Reaktion auf seinen Kuss gezeigt hatte.

"Hmm und danke nochmal für die Rettung! Ich bin dir etwas schuldig!"

Dann verschwand er mit hängendem Kopf nach draußen.

Mama wartete noch 10 Sekunden ehe es aus ihr heraussprudelte.

"Der Arme!", sagte sie laut und schlug sich die Hände vor dem Mund zusammen. "Er ist in dich verliebt! Aber total!"

Es schien ihr gar nicht in den Sinn zu kommen, dass es mir genauso ging.

"Ich dachte, Menschen können sich nicht in Amora verlieben", hakte ich vorsichtig nach.

"Doch, schon", antwortete Mama. "Aber es ist sehr selten, da wir keinerlei Signale in die Richtung aussenden. Wenn man nicht mal in der Lage ist zu flirten, dann verlieben sich die Leute normalerweise auch nicht in einen. Aber manchmal passiert es eben doch." Sie sah mich mitleidig über den Spiegel an. "Der arme Timo. Das kann einem ja wirklich leid tun. Unerwiderte Liebe ist wirklich furchtbar. Aber das wird schon wieder. Er ist doch ein so netter Junge. Es kommt bestimmt bald eine, die seine Liebe auch erwidern kann", sprach sie aufmunternd.

"Hmm."

"Nun schau nicht so bedrückt. Ich kann ja verstehen, dass das im Moment eure Freundschaft belastet, aber das wird schon wieder. Das ist sicher nur eine Phase. So ist das in der Pubertät."

"Er ist 18, Mama, und keine 13."

Mama schmunzelte nur und sagte nichts weiter. Ich hingegen hatte noch so viele unbeantwortete Fragen.

"Mama, was würde denn passieren, wenn er mich einfach küssen würde?"

Ihr Blick ging kritisch zu mir herüber.

"Nichts", sagte sie trocken. "Wenn er dich einfach so küsst, kannst du ja nichts dafür. Solange du den Kuss nicht erwiderst, passiert gar nichts." Dann ließ sie ihren Blick für einen Augenblick auf der Straße ruhen. "Hat er denn?", hakte sie nach.

Ich schüttelte entschieden den Kopf.

"Nein", ließ ich sie wissen. "Hat er nicht. Aber du hast ja selber gesagt, dass er in mich verschossen ist. Wer weiß, was er noch so vorhat."

"Gib ihm einfach zu verstehen, dass du kein Interesse hast."

Wenn es doch nur so einfach wäre.

Mama fuhr behutsam los, da die Straßen noch immer gefährlich glatt waren.

"Sag mal, Mama, hat es dich denn nie gestört, dass du als einzige nie verliebt sein dürftest? Warst du nie neugierig, wie sich ein Kuss anfühlt oder vielleicht sogar Sex?"

Mama trat abrupt auf das Gaspedal und sah mich mit großen Augen an. Ein Ruck ging durchs Auto.

"Was redest du da?", fragte sie aufgebracht.

"Ich will nur wissen, ob du nicht auch einmal neugierig warst", versuchte ich locker zu klingen.

"Nein, denn ich kenne meine Bestimmung. Wir sind außerdem gar nicht in der Lage uns zu verlieben."
"Selbst wenn wir uns nicht verlieben können, so könnten wir trotzdem Sex haben. Anatomisch ist schließlich alles da. Warst du da wirklich noch nie neugierig?"

Schon viel zu oft hatte ich mich gefragt, wie es sich anfühlte. Selbst, als ich noch nicht von meinem eigenen Pfeil getroffen worden war.

"AMY! Natürlich nicht! Und ich will auch nicht, dass du dich damit auseinandersetzt. Es ist eine Ehre als Amora geboren zu werden und dazu gehört eben auch sich an Regeln zu halten."

"Ich habe doch gar nicht gesagt, dass ich sie brechen will", verteidigte ich mich sofort. "Ich habe mich halt nur gefragt, wie sich das anfühlt und ob du damals ähnlich neugierig warst. Das heißt doch nicht, dass ich die Regeln breche." Ich versuchte so unschuldig wie möglich zu klingen. "Es ist nur so, dass alle Freunde um mich herum gerade erst sexuelle Erfahrungen machen und ich so langsam zum Außenseiter werde. Das muss bei dir doch damals ähnlich gewesen sein."
Mama atmete tief ein und wieder aus. Es schien sie viel Kraft zu kosten ruhig zu bleiben.

"Neugierde ist ja ganz normal. Aber tu mir den Gefallen und setze keiner dieser Gedanken in die Tat um! Hast du mich verstanden?", fragte sie streng.

Noch nie zuvor hatte ich meine Mutter so ernst gesehen.

"Natürlich. Du weißt doch selbst, dass ich mich immer an Regeln halte. Oder hast du jemals etwas Gegenteiliges erlebt?"

Sie reagierte nicht auf meine Frage.

"Das hätte Konsequenzen, die du dir nicht einmal vorstellen kannst!", sagte sie stattdessen. 

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