Kapitel 36
Noch nie zuvor hatte ich meine Oma weinen sehen. Zumindest nicht auf diese Art und Weise.
Bis zu dem heutigen Tage.
Sie hatte Emil sofort erkannt. Mit Tränen in den Augen war sie ihm in die Arme gerannt. Laut hatte sie geschluchzt und für einen Moment war sie wieder das zerbrechliche Mädchen von damals gewesen.
Das war der bewegendste Moment, den ich je mit meinen eigenen Augen gesehen hatte. Innig umarmten sie sich und schlangen ihre Körper ineinander. Jahrzehntelang hatten sie sich nicht gesehen und nicht gewusst, wie es dem anderen ergangen war. Doch die Liebe war nie erloschen.
Es machte mich so glücklich, meine Oma in den Armen ihrer großen Liebe zu sehen. Erst jetzt begriff ich, wie sehr sie all die Jahre gelitten haben musste.
Mein Blick wanderte zu Jupiter und Mama. Ich sah seinen sehnsüchtigen Blick und ihre Überforderung. Das erste Mal in ihrem Leben spürte sie Liebe und sie konnte es einfach nicht einordnen.
"Kannst du ihr nicht die Erinnerung zurückgeben?", flüsterte ich Jupiter zu, sodass Mama mich nicht hören konnte.
Es gab schließlich ein paar Wochen, in denen sie vom Liebesbann befreit worden war. Die Wochen, in denen ich entstanden war. Jupiter hatte sie vergessen lassen, um sie zu schützen. Doch das war nun nicht mehr nötig.
"Ja", ließ Jupiter mich wissen und zwinkerte mir zu. "Das kann ich und das werde ich auch tun. Aber ich denke, das machen wir besser unter vier Augen. Es gibt viel zu erklären", ließ er mich wissen und führte meine verwirrte Mutter in unser Wohnzimmer. Sie warf mir einen verunsicherten Blick zu, doch ich wusste, dass sie in guten Händen war. Jupiter schloss behutsam die Tür hinter sich.
Nun würde Mama auch erfahren, dass ich einen Vater hatte. Und zwar nicht irgendeinen.
"Bitte entschuldigt uns", sagte nun auch Oma. "Wir haben uns so viel zu erzählen. Wir machen einen kleinen Spaziergang." Sie hielt kurz inne und sah mit einem zufriedenen Lächeln zu Emil. "Na ja, vermutlich wird es ein sehr ausführlicher Spaziergang. Also wartet nicht mit dem Essen auf uns", korrigierte sie sich und nahm Emils Hand. Dann verließen die beiden Flur und Timo und ich blieben zurück.
Wir grinsten uns triumphierend an.
Wir hatten es geschafft.
"Irre ich mich oder haben wir gerade das perfekte Happy End für uns alle?", fragte er mich und streichelte liebevoll über meinen Rücken.
"Sieht ganz so aus", stimmte ich zu und schmiegte mich an ihn. "Selbst Venus hat ihre Liebe gefunden."
Er legte behutsam seine Hand auf meinen Bauch und lächelte mich stolz an.
"Ich kann es noch immer nicht glauben", hauchte er mir ins Ohr.
"Ich weiß, es ist ein Schock. Mir ging es genauso, als ich erfahren habe, dass du der Vater bist."
Er schüttelte den Kopf.
"Nein, Amy. Das ist kein Schock. Es ist einfach nur pure Freude. Ja, es ist früh und ja, meine Mutter wird aus allen Wolken fallen. Und ja, es wird vermutlich auch kein Zuckerschlecken. Aber das ist mir alles egal. Wir beiden können endlich das fühlen, was wir wollen. Wir beiden haben schon sehr bald den besten Liebesbeweis in den Händen, den man nur haben kann. Stell dir das doch mal vor. In ein paar Monaten haben wir schon ein winziges Baby, das wir in den Händen halten können."
Mit seinen Händen zeigte er die geschätzte Größe unseres Kindes.
"Ich wusste gar nicht, dass du so kitschig sein kannst", neckte ich ihn ein wenig.
"Nicht kitschig. Einfach nur glücklich", antwortete er ehrlich.
Er legte seinen Arm um mich herum und drückte mich an sich. Noch nie zuvor hatte ich mich so wohl gefühlt. Niemand war mehr hinter uns her. Wir taten nichts Verbotenes. Wir dürften einfach nur wir sein. Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen.
Fast hatte ich schon die Hoffnung aufgegeben, dass mein Leben auch ein Happy End für mich bereithalten würde.
Timo küsste mich auf die Stirn.
"Ich liebe dich", flüsterte so vertraut, als wären wir schon seit 50 Jahren verheiratet. "Und ich kann es kaum erwarten bald unseren kleinen Halbgott in den Armen und zu halten."
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