Kapitel 28

Mama hatte mir keine Möglichkeit gegeben, um Timo zu kontaktieren. Ich wollte es ihm sagen, doch ich hatte keine Chance gehabt. Mama und ich waren gemeinsam mit dem Auto nach Hause gefahren und von da an hatte sie mich keinen Augenblick lang aus den Augen gelassen. Selbst das Handy hatte sie mir weggenommen.

Wir saßen mit Großmutter im Wohnzimmer und warteten darauf, dass Jupiter auftauchen würde. Es dauert keine 10 Minuten bis an der Tür klingelte.

Meine Anspannung stieg ins Unermessliche.

Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten, als er den Raum betrat. Er sah zumindest nicht so aus, als würde er mich an Ort und Stelle umbringen. Jedoch wusste ich, dass er dazu fähig war und so etwas zumindest bei Feinden schon getan hatte.

"Hallo Amy!", sprach er mich mit ruhiger Stimme an.

Ich nickte ihm nur grüßend zu und legte sofort schützend meine Hand auf den Bauch. Ihm entging das nicht.

Ich hatte Angst davor, was man nun mit mir machen würde. Ich wünschte mir so sehr Timo an meiner Seite zu haben. Er würde mich und das Kind beschützen. Auch wenn er gegen einen Gott wohl kaum eine Chance hätte.

"Ich würde vorschlagen, dass wir Zwei uns mal unter vier Augen unterhalten", verkündete Jupiter und sah Mama und Oma auffordernd an. Diese gehorchten sofort und verließen unauffällig den Raum.

Nun war ich mit ihm allein und meine Anspannung stieg. So sauer ich auf Mama auch war, ich hätte mir trotzdem gewünscht, dass ich sie jetzt bei mir hatte.

Dann setzte sich Jupiter neben mich und seufzte.

"Was machen wir nur mit dir? Du brichst so ziemlich jede Regel, die wir haben", stellte er fest.

Ich zuckte mit den Schultern.

"Ich habe das nicht mit Absicht getan. Es ist doch nur, weil der Pfeil mich getroffen hat", versuchte ich mich zu rechtfertigen. Eine gute Anwältin würde ich bei meiner Unsicherheit jedoch nicht werden. "Ich wusste nicht einmal, dass ich von einem Menschen schwanger werden kann", schob ich noch nach.

"Das ist auch richtig. Eine Amora kann von einem Menschen nicht schwanger werden", stimmte er meiner Aussage zu. Stirnrunzelnd sah ich ihn an. War Timo doch nicht der Vater? "Aber du bist auch keine normale Amora."

Was erzählte er da?

"Warum bin ich keine normale Amora?", fragte ich vorsichtig.

Er sah nun fast schon bedrückt aus. Er wirkte zumindest nicht so, als wäre er wütend oder gar auf Gewalt aus. Und das wertete ich als ein gutes Zeichen.

"Deine Mutter hat es dir nie erzählt, weil ich sie darum gebeten habe", begann er und weckte bei mir Neugierde. "Du bist nicht einfach nur eine Amora, sondern du bist das Kind einer Amora und eines Gottes."

Ich sah ihn konzentriert an und versuchte seinen Worten zu folgen.

"Meinst du damit, dass ich einen Vater habe?"

"Ja, ein Kind zwischen einer Amora und einem Gott ist möglich. Allerdings ist das selten. Und um ehrlich zu sein, so selten, sodass du das einzige Kind bist, das jemals auf diese Art und Weise entstanden ist."

Ich hatte einen Vater?

Einen richtigen Vater?

Und man hatte mir nie von ihm erzählt. Ich sollte mich darüber freuen, dass ich offenbar doch einen hatte, doch die Tatsache, dass er offenbar nie Interesse an mir hatte, machte mich wütend.

"Wer?", war das erste, das mir über die Lippen kam. "Und wie? Amora verlieben sich nicht!"

Jupiter lächelte nur sanft.

"Dazu muss ich länger ausholen", bereitete er mich schon auf einen längeren Monolog vor. "Amora können sich tatsächlich nicht verlieben. Weißt du denn überhaupt, warum Amora nicht lieben können?"

"Weil wir dann den Fokus für die Liebe anderer verlieren", gab ich die Antwort zum Besten, die ich schon als Kind gelernt hatte.

Jupite lachte leise.

"Das ist die offizielle Erklärung der Amora, aber die Wahrheit ist, dass auf Amora ein Bann liegt. Vor eine Ewigkeit hat Amor Venus sehr verärgert. Keiner kennt mehr die Details, doch Venus war so wütend, sodass sie alle Nachfahren von Amor mit dem Fluch belegt hat, dass diese nie wieder lieben können. Und seitdem führen die Amora ein sehr einsames Leben."

Ich hatte noch nie von dieser Geschichte gehört und war mir nicht sicher, ob Mama oder Oma sie kannten. Auf uns lag ein Bann von Venus? Wir alle wussten, dass Venus die Göttin der LIebe und zudem sehr mächtig war. Doch noch nie hatte ich gehört, dass sie uns bestraft hatte, weil Amor sie einst verärgert hatte.

"Deine Mutter unterliegt als Nachfahrin von Amor auch diesem Fluch", fuhr er fort. "Jedoch ist sie einem Gott begegnet, der sich in sie verliebt hat. Und dieser Gott war so mächtig, sodass er den Bann zeitweise aufheben konnte."

Ich ahnte es und vermutlich hatte ich es schon viel länger geahnt, als ich dachte.

"Nur ein sehr mächtiger Gott kann so einen Bann lösen, oder?", hakte ich vorsichtig nach.

"Ja, genau. Und selbst er konnte den Bann nur für kurze Dauer außer Kraft setzen."
"Aber lang genug, um mich zu zeugen", sprach ich mehr zu mir selbst.

"Genau. Und deshalb bist du halb Amora und halb Gott. Und als Halbgöttin kannst du auch ein Kind mit einem Menschen haben."

"Also hat das gar nichts mit dem Pfeil zu tun? Denn ich kann trotzdem lieben?"

Er nickte.

"Ja, das konntest du schon immer, denn du bist nur eine halbe Amora. Da du aber dein Leben lang gehört hast, dass du das nicht kannst, war es für dich vermutlich nie eine Option. Erst der Pfeil hat es dir wirklich bewusst gemacht. Ich schätze mal, es hat neulich gar nicht funktioniert, als wir den Liebesbann von dir nehmen wollten, oder?"

Ich schüttelte peinlich berührt den Kopf. Immerhin hatte ich so getan, als hätte es funktioniert.

"Und hast du seitdem noch deine Kräfte?"

"Nein", presste ich beschämt hervor.

Es kam mir vor, als wäre es schon eine Ewigkeit her, als ich die Liebe von anderen Menschen erkannt hatte.

"Das bedeutet, dass du deine große Liebe gefunden hast. Wie du vorhin selber schon gesagt hast, jemand der selber liebt, kann von anderen nicht mehr die Liebe sehen. Du bist zwar noch eine Amora, aber deine Fähigkeiten wirst du nicht mehr zurückbekommen."

Solange ich meine eigene Liebe behalten düfte, hatte ich nichts dagegen, wenn ich keine Pfeile mehr schießen musste.

"Also hat der Rat nichts gegen das Kind?", tastete ich mich vorsichtig vor.

Denn das war mein Hauptanliegen. Solange ich Timo und das Kind behalten durfte, war mir alles andere egal.

"Nein", sprach er sanft. "Ganz im Gegenteil."

"Aber warum ist das Ganze für meine Mutter so ein Drama?"
"Weil sie vieles selbst nicht weiß. So jemanden wie dich gab es noch nie. Und sie weiß nicht einmal, dass du ein Kind bist, dass nicht durch Parthenogenese entstanden ist. Der Gott der zeitweise den Bann von ihr genommen hat, hat sie danach alles vergessen lassen, nachdem er gemerkt hat, dass er nicht ewig ihre Liebe haben kann."

"Sie weiß es nicht?", fragte ich erschrocken.

"Nein. Zeitlich hat es so gepasst, sodass sie davon ausgehen musste, dass sie wie jede andere Amora an ihrem Geburtstag schwanger geworden ist. Und deshalb kann sie sich all das, was in den letzten Monaten mit dir geschehen ist, nicht erklären."

Plötzlich begann mir meine Mutter leid zu tun. Offenbar hatte sie mal Liebe empfinden können, doch man hatte sie wieder vergessen lassen.

"Das ist furchtbar", ließ ich ihn wissen.

"Ich weiß", sagte er sofort reumütig.

Sein Gesichtsausdruck verriet mir alles. Es war offensichtlich und ich hatte das dringende Bedürfnis es anzusprechen.

"Du bist mein Vater, oder?", kam es ungeplant über meine Lippen. "Kein anderer Gott wäre so mächtig, um den Bann von Venus aufzuheben."

Er zögerte, doch dann begann er zu lächeln.

"Ja. Ich bin dein Vater", sprach er sanft.

Ich hätte so viele Fragen haben müssen, doch tatsächlich fühlte ich mich von dieser Information so überrumpelt, sodass ich leer war. Ich konnte ihn einfach nur anstarren.
Das erste mal in meinem Leben hatte ich einen Vater.

Und dazu noch den mächtigste Gott, den die römische Mythologie zu präsentieren hatte.

Jedoch war es ein Vater, der nie da gewesen war und von dem meine Mutter nicht einmal wusste, dass ich ihn hatte.

Ich war sprachlos.

"Es tut mir leid, dass ich nie da war", kam nun doch eine Entschuldigung über seine Lippen. "Ich habe immer über dich gehütet, doch ich habe es nie übers Herz bringen können deiner Mutter die Wahrheit zu sagen. Ich hatte Angst, dass es sie zerstören könnte, wenn sie wüsste, dass sie nur aufgrund eines Bannes nicht lieben konnte. Aber du glaubst nicht, wie froh ich bin, dass du diese Eigenschaft hast. Liebe ist eines der schönsten Gefühle, die es gibt."

"Aber der Rat war doch immer gegen die Liebe", warf ich ein. "Sie könnten mich bestrafen."
"Nein", widersprach er sofort. "Das werden sie nicht. Der Rat bestraft tatsächlich noch immer Amora, denn manchmal ist die Liebe stärker als der Bann." Sofort dachte ich an Oma und Emil. Ihre Liebe musste verdammt stark gewesen sein. "Es kann also theoretisch schon vorkommen, dass Amora in besonderen Fällen Liebe erfahren können. Es gab bisher nur drei Fälle und weil Venus ebenfalls im Rat ist, wurden Bestrafungen ausgesprochen. Sie erträgt es nicht, dass Liebe stärker ist, als ihre Kräfte und versucht daher mit aller Kraft zu verhindern, dass Amora lieben können. Doch glaube mir: Sie wird es nicht wagen sich gegen meine Tochter zu stellen. Du und das Kind seid sicher."

"Und der Vater des Kindes?", hakte ich sofort nach.

"Der ist natürlich auch sicher!" Hatte ich tatsächlich doch noch die Kurve zum Happy End bekommen? Langsam begann ich mich ein wenig zu entspannen. "Mach dir keine Sorgen! Ich habe dich schon immer beschützt und werde das auch in Zukunft tun. Aber sage deine Mutter nichts. Es würde sie nur unglücklich machen. Manchmal bereue ich es, dass ich ihr die Erinnerung genommen habe, denn wir hatten ein paar schöne Wochen. Doch es wäre so schmerzhaft für sie, wenn sie diese noch hätte. Es ist besser so."

"Das ist sehr viel verlangt!", warf ich ein und hatte immer noch nicht realisiert, dass das mein Vater sein sollte. Sonderlich ähnlich sah ich ihm nicht. Ich war schon immer das Abbild meiner Mutter gewesen.

"Ich weiß. Tu es nicht mir zuliebe, sondern deiner Mutter zuliebe. Es tut mir wirklich leid, aber ich werde auch in Zukunft kein Vater für dich sein können. Doch das heißt nicht, dass ich im Hintergrund nicht trotzdem über dich wache."

Mich sollte diese Aussage traurig machen, doch tatsächlich begann ich zu realisieren, dass der ganze Alptraum ein Ende hatte. Ich musste nicht mehr weglaufen und mich auch nicht mehr verstecken.

Ich konnte einfach mit Timo glücklich werden. Ich musste ihm nur noch erzählen, dass er der Vater des Kindes war. 

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