Kapitel 2
"Das ist die Neue?", fragte mich Timo, als er in Deutsch neben mir Platz nahm. Sein Blick war auf das wunderschöne Mädchen gerichtet.
Ich konnte es sofort spüren. Es kam so unerwartet, sodass ich zusammenzuckte.
Die Beiden?
Ich hatte keinen Einfluss darauf, zu bestimmen, wer durch die Liebe für immer verbunden sein würde. Meine Aufgabe war es nur beiden klarzumachen, dass sie zusammengehörten. Und das tat ich in Form von Pfeilen.
"Ja, das ist sie", antwortete ich und ließ meinen Blick zwischen beiden hin- und herschweifen. Ich konnte es deutlich fühlen, wie sich in meinem Herz Wärme ausbreitete. Die beiden hatte einen hellen Nebel über ihren Köpfen. Das war das eindeutige Zeichen, dass sie füreinander geschaffen waren.
"Wow. Die hat ja wohl den Jackpot bei der Gen-Lotterie gewonnen", sagte er erstaunlich nüchtern.
"Sprech sie an!", forderte ich ihn auf, denn ich wusste nun, dass die beiden die beiden die Zukunft miteinander verbringen würden. Das war seine Traumfrau und er ihr Traummann.
Er lachte laut.
"Als ob! Erstens spiele ich in einer ganz anderen Liga als sie! Und zweitens habe ich eh kein Interesse an ihr."
Ich zog kritisch die Augenbrauen hoch.
"Es gibt eine andere", ließ er mich wissen. "Und sie ist zwar hübsch, aber nicht mein Typ."
Meine Kinnlade fiel nach unten.
"Eine andere? Warum erfahre ich das erst jetzt? Wer ist es?"
Ich fragte nur aus Neugierde, denn sobald meine Pfeile sie getroffen hatten, würde er schon noch rechtzeitig erkennen, wer seine wirklich wahre Liebe war.
"Nicht so wichtig", tat er es ab.
"Hey!", beschwerte ich mich. "Was heißt denn 'nicht so wichtig'? Wir sind beste Freunde! Ich will wissen, wer es ist!"
Er schüttelte den Kopf.
"Du verrätst mir doch auch nie, auf wen du stehst", beschwerte er sich nun mit einem Anflug von Beleidigung.
"Weil ich auf niemanden stehe", beteuerte ich die Wahrheit, wusste aber, dass er mir nicht glaubte. "Kenn ich sie?"
Er sah zu mir hinüber.
"Vielleicht ist es ja auch ein er?", konterte Timo.
"Gut, kenn ich ihn?", fragte ich, obwohl ich genau wusste, dass er nicht schwul war. Dazu hatten wir schon zu viele intime Gespräche geführt, aus denen eindeutig hervorgegangen war, dass er Frauen sexuell sehr anziehend fand.
"Vergiss es einfach!", ließ er mich ermüdet wissen und breitete seine Schreibutensilien auf dem Tisch aus.
Schon bald würde er bis über beide Ohren verliebt sein, dachte ich insgeheim. Meine Pfeile waren besser als jede Droge. Plötzlich schwebte man auf Wolke 7 und vergaß, dass unter einem noch immer die Welt war, die man mit all ihren Problemen zu bewältigen hatte. Leider würde das auch bedeuten, dass wir in Zukunft deutlich weniger Zeit zusammen verbringen würden. Wieder sah ich zu der Neuen hinüber. Bis jetzt hatte sie ihn noch keines Blickes gewürdigt. Doch schon bald würde sie sehr viel Zeit mit ihm verbringen wollen. Ich entschied mich, die Pfeile erst nach dem Unterricht abzuschießen. So hatte ich immerhin noch den Vormittag mit dem Timo, der nicht blind vor Liebe war.
Seit ich 16 Jahre alt war, hatte ich die Fähigkeit Pfeile zu schießen. Das war nun bald zwei Jahre her. Seitdem hatte ich schon etliche Paare zusammengebracht. Manchmal waren es Dutzende in einer Woche und manchmal gar keins. Alles hing davon ab, ob sie mir zufällig über den Weg liefen. Es war jedes Mal eine Genugtuung zu sehen, wie sich die beiden nach einem Treffer in die Augen sahen. Auch wenn es Liebe natürlich auch ohne die Hilfe der Amora gab, so war die Liebe, die durch unsere Pfeile entstand für die Ewigkeit bestimmt. Ich musste beim Zielen also gut aufpassen.
Auch die letzte Unterrichtsstunde an diesem Tag hatten Timo und ich gemeinsam. Ich spürte, wie er mich leicht mit seiner Fußspitze an meiner Wade berührte. Irritiert sah ich zu ihm. Dann machte er mir mit einem Kopfnicken klar, dass ich aus dem Fenster schauen sollte.
Sofort begann mein 5-jähriges Ich in mich zu erwachen.
"Es schneit!", flüsterte ich erfreut und sah zu, wie große Flocken wie von Magie getrieben auf den Boden sanken. "Endlich!" Schon seit Wochen war es eiskalt gewesen, doch Schnee war zu meinem Bedauern nie in Sicht gewesen.
"Schneeballschlacht nach Schulende?", fragte er mich mit seinem breiten und noch sehr jungenhaften Grinsen. Timo hatte ein so offenes und freundliches Gesicht, sodass man ihn nicht nicht mögen konnte. Er war ein Sunnyboy, nur ohne blonde Haare und ohne gebräunte Haut.
"Gerne! Falls bis dann genug Schnee liegt!"
Wir konnten uns beide nicht mehr auf den Unterricht konzentrieren. Stattdessen verfolgten unsere Augen den Schneefall, der immer heftiger wurde. Keiner schien mehr unserem Mathematiklehrer zuzuhören. Alle waren in den Bann der Schneeflocken gezogen.
"Ich sehe schon. Es hat kein Sinn mehr", sagte schließlich auch unser Lehrer resigniert. "Aber immerhin freut es mich, dass ihr euch noch an so etwas wie Schnee erfreuen könnt und wenigstens für einen Augenblick die Natur genießt." Er seufzte. "Na los! Geht schon raus! Für heute machen wir Schluss. Aber passt auf, dass ihr nicht wegrutscht und keine Schneeballschlachten auf dem Schulgelände!"
Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, waren alle von ihren Plätzen aufgesprungen, hatten sich ihre Jacken übergeworfen und waren mit den Rucksäcken über der Schulter aus dem Klassenraum getürmt.
Mittlerweile hatte sich eine durchaus brauchbare Schneeschicht auf dem Boden angesammelt. Ich hatte das Schulgelände noch nicht verlassen, doch ich konnte nicht widerstehen einen ersten Schneeball zu formen. Meine Hände wurden schlagartig kalt, doch das war mir der Spaß wert. Ich warf den Ball in Richtung Timo und traf ihn prompt im Gesicht. Volltreffer!
"Hey!", beschwerte er sich und wischte sich die weiße Eismasse aus seinem Gesicht.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich ihn nur im Gesicht hatte treffen können, weil sein Blick auf der neuen Schülerin geruht hatte und er dadurch abgelenkt gewesen war. Wieder sah er zu ihr, um sicherzustellen, dass sie nicht gesehen hatte, wie ich ihn getroffen hatte. Vielleicht sollte ich ihn einfach erlösen.
"Sie hat es dir ja ganz schön angetan", zog ich ihn auf.
"So ein Quatsch", entgegnete er sofort und rannte auf mich zu um mir Schnee ins Gesicht zu drücken. Wir fielen auf den rutschigen Untergrund zu Boden.
"Nicht auf dem Schulgelände!", rief Herr Meyer wütend. "Das ist der Dank dafür, dass ich euch früher Schluss gegeben habe! Geht noch 10 Meter und dann könnt ihr tun und lassen, was ihr wollt! Aber nicht hier!"
Ich rieb mir meine Hüfte, die sehr bald von einem Bluterguss verziert sein würde.
"Autsch!", jammerte ich.
Sofort zog Timo mich mit hoch.
"Alles in Ordnung bei dir?", fragte er wie immer fürsorglich. Ich war für ihn, wie die kleine Schwester, die er nicht hatte.
Ich nickte und sah zu, wie das neue Mädchen grazil vor uns das Schulgelände verließ. Wie konnte man bei diesem Glatteis nur so elegant laufen? Auch Timo entging dieses Talent nicht. Ich entschloss mich dazu, dass es Zeit war den beiden die Herzen füreinander zu öffnen.
Als Amora hatte ich weder einen Bogen noch richtige Pfeile. Mein Dasein hatte generell sehr wenig mit dem zu tun, was die Menschen mit Amor verbanden. Ich war keine Engel, hatte keine Flügel und war auch kein Baby.
Stattdessen streckte ich meine Hand mit der Handfläche nach oben aus. Tatsächlich erinnerte meine Vorgehensweise eher Spiderman, denn meine Pfeile, die nur aus einem feinen Nebel und für Menschen weder sicht- noch fühlbar waren, schossen aus meinem Handgelenk.
Ich konnte spüren, wie sich Wärme und Macht in meiner Hand bildete. Es war für mich stets ein purer Glücksmoment zwei Menschen zusammenzubringen. Und wenn es dann auch noch der beste Freund war, umso besser. Niemanden gönnte ich die große LIebe mehr, als meinem besten Freund.
Ich fühlte mich bereit und schoss den ersten Pfeil in Richtung Timo. Dieser wurde auch wie geplant in der Brust getroffen. Seinem Gesicht sah ich an, dass er nichts davon mitbekommen hatte. Er würde erst etwas spüren, wenn auch sie vom Pfeil getroffen wurde.
Die Neue stand nur wenige Meter entfernt. Sicherheitshalber ging ich noch ein paar Schritte auf sie zu, um sie nicht zu verfehlen.
"Wo gehst du hin?", hörte ich Timo irritiert fragen.
"Warte kurz!", ließ ich ihn wissen und konzentrierte mich wieder auf die Pfeilproduktion.
Ein Kribbeln breitete sich auf meinem gesamten Körper aus. Ein Druck baute sich auf und ich wusste, dass er gleich aus meinem Handgelenk herausschießen würde. Doch plötzlich traf mich etwas Hartes am Hinterkopf. Ich geriet ins Straucheln und fiel unkontrolliert zu Boden. Doch noch schlimmer: Im Moment des Fallens löste sich der Pfeil.
Und traf mich selbst.
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