◊ 4. Kapitel ◊


Die starke Hand um meinen Arm riss mich hart aus der Spalte. Steinsplitter zerkratzten meine Arme und meinen Bauch und mein Knöchel pochte vor Schmerz, als ich ihn zu sehr belastete. Die Wucht, die mich zurückriss, raubte mir den Atem. Das darf nicht wahr sein.
Hinter mir schleiften die Hufe der Tiere auf dem Stein und Kiesel spritzten, als die Menschen abstiegen. Ich sah Robbys entsetzte Augen in der Spalte und versuchte, ihm wortlos mitzuteilen, fort zu bleiben. Er darf nicht umkehren. Er muss sich da verstecken, dachte ich panisch. Ich sah ihn bittend an. Geh weg. Ich komme klar. Wie konnte ich ihm das nur verständlich machen? Meine Art. Menschen, wie ich. Wie ich. Meine Art. Alles ist gut, geh. Mach dir keine Sorgen. Ich sah ihn ernst und gleichzeitig bittend an und er drehte panisch die Ohren. Dann aber zwängte er sich weiter in die Spalte und begann, sich weiter vorzuarbeiten. Er ist in Sicherheit. Obwohl das eine gute Nachricht war, rann mir eine Träne über die Wange.
Ich sah auf und erschrak, als ich den Maskenmann erblickte. Sein kantiges Gesicht und die Hakennase schüchterten mich ein und ich wollte zurückweichen, doch sein Griff war unnachgiebig. Seine Haut sah durch den Mond so bleich wie Knochen aus und er musterte mich durch seine braunen Augen.
„Wer bist du?", zischte er so leise wie eine Windbrise. Doch trotzdem lief mir ein Schauer über den Rücken.
„Rofus?" Ein junger Mann mit einer Glatze kam auf mich zu, musterte mich angespannt und sah dann zu dem Maskenmann. Er heißt also Rofus. Wieso kommt mir das so bekannt vor? Von irgendwo kannte ich diesen Mann, doch meine Erinnerungen waren so verschleiert, dass ich nichts über ihn herausfinden konnte. Jedenfalls hat er nichts Gutes damit zu tun, stellte ich fest, als mir ein weiterer Schauer den Rücken hinunterlief.
„Was ist, Hibikue?", knurrte Rofus. Seine Stimme zitterte fast, das Beben war nicht zu überhören.
„Wo ist der Bär?" Der Mann, der anscheinend Hibikue hieß, sah sich hektisch um. „Ihr habt es doch gesehen – sie ist auf ihm geritten und hat ihn beschützt!"
„Ich weiß!", fauchte Rofus ihn an. „Denkst du, ich wäre blind?"
Hibikue verstummte und zuckte zusammen, als hätte Rofus ihn geschlagen. Seine Muskeln waren angespannt und seine Augen verrieten, wie hektisch er war. Suchend sah er sich um und mein Herz blieb fast stehen, als sein Blick an der Spalte in der Felswand hängen blieb.
„Da ist er rein! Der Bär!" Hibikue deutete auf den Spalt. „Wenn wir ihn jetzt suchen, dann können wir ihn noch erwischen!"
Rofus warf einen flüchtigen Blick zu der Spalte.
„Ich kenne diesen Riss", knurrte er. „Er ist verzweigtes Tunnelsystem. Er ist fort. Widmen wir uns den wichtigen Dingen." Er deutete auf mich. Hibikue schien allerdings wenig beeindruckt.
„Wir sollten zurück", meinte er. „Es ist besser so. Es wird dunkel und das Lager ist unbewacht. Was ist mit unserem Fest?"
„Wir haben weitaus wichtigeres zu tun!", schrie Rofus fast und packte meinen Arm so fest, dass Schmerz mich durchschoss. „Sie ihr in die Augen." In die Augen schauen?, dachte ich verwirrt und gleichzeitig verängstigt. Ich unterdrückte ein Wimmern, als mich Hibikue musterte. Als sein Blick meinen traf, war auf einmal Entsetzen in seinen Augen zu sehen.
„Sie ist ja eine..."
„Ja, genau", fauchte Rofus. „Und nun sie dir das an, mein Freund." Er packte meinen Knöchel, wo die Fellhose hinaufgerutscht war, und drehte ihn grob um. Der Schmerz explodierte darin und ich konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken, doch er ließ meinen verletzten Fuß nicht los.
„Siehst du es?", blaffte er Hibikue an. „Siehst du das verdammte Mal?"
Die Feder, dachte ich. Davon war die Rede.
„Wer ist sie?", hauchte Hibikue und kniff angespannt die Augen zusammen. Seine Fäuste waren geballt und seine Muskeln so angespannt, dass sein ganzer Körper bebte.
„Ich dachte, dass sie vielleicht ein anderes Clanmädchen war, dass seiner Neugierde nachgegeben hat", stotterte Hibikue, „und dass die Augen vielleicht nur wegen des Feuers so ausgesehen haben. Aber jetzt?" Er schüttelte ratlos den Kopf.
„Ich bin eine von euch", brachte ich mit bebender Stimme heraus. Der Schmerz in meinem Knöchel war immer noch so stark, dass ich ein Wimmern unterdrücken musste. „Ihr habt mich damals verloren. Aber ich bin nicht gestorben, eine Bärin hat mich aufgezogen. Ich muss hier Mutter und Vater haben."
Rofus' Gesichtsausdruck verfinsterte sich bei meinen Worten.
„Wie kannst du nur so etwas glauben?", lachte er höhnisch. Hibikue sah seinen Anführer kühl an, dann sah er auf mich. Irgendwas stimmt da doch nicht!
Ich sah, wie Rofus' Blick sich verfinsterte.
„Du bist eine Verbannte und wagst es, zurückzukehren? Du wagst es, in unseren Wald einzudringen?"
„Ich wusste doch nicht, dass es euer Wald ist", verteidigte ich mich. „Es tut mir leid. Ich bin aber eine von euch, ein Mensch. Wieso kann ich dann nicht in euren Wald kommen?" Ich sah ihn bittend an. Obwohl ich ihn am liebsten angeschrien hätte, weil er mich gejagt hatte – es war meine Chance. Doch Rofus erwiderte nur ein bärenartiges Knurren und seine Augen funkelten vor Wut.
„Wie kannst du es wagen, du Göre?", schrie er fast. „Du bist eine Verbannte! Du bist jemand, der sterben sollte, ja, du solltest tot sein! Wie kannst du es wagen, aufzutauchen? Wie kannst du es wagen, jemals wiederzukommen?" Seine Wut schlug mir entgegen wie eine Welle. Wie ein Pfeil, der mich mitten in die Brust traf. Das darf nicht sein, dachte ich verzweifelt. Doch es war so, das spürte ich tief in mir. Man hat mich nie gewollt. Ich sollte tot sein.
„Wo sind meine Eltern?", wollte ich verzweifelt und trotzig wissen. „Sie suchen mich bestimmt."
„Suchen?" Ungläubig blinzelte er mich an. „Weißt du eigentlich überhaupt etwas?"
„Sollen wir sie laufen lassen, Rofus?", unterbrach Hibikue meine Gedanken. Du willst doch bloß zurück zu deinem blöden Fest, dachte ich abfällig. Doch bei dem Gedanken daran, zu Robby zu kommen, schlug mein Herz höher.
„Nein", blaffte Rofus und zerstörte meine Träume. „Sie ist in unseren Wald eingedrungen. So etwas lasse ich nicht unbestraft. Hol die Seile!" Hibikue nickte knapp, dann drehte er sich um und rannte zu einem dunkel gefärbten Rentier. Er hatte so kräftige Arme. Wahrscheinlich war er ein guter Schütze. Denn wo sonst sollte man solche Muskeln herbekommen?
„Bitte, lasst mich gehen", bat ich Rofus an. „Ich werde auch nicht wiederkommen. Ich bleibe bei meinen Bären, versprochen. Ich komme niemals wieder." Ich habe auch keinen Grund dazu. Ihr habt alle meine Hoffnungen zerstört. Ich schluckte meine Tränen hinunter. Ich wollte hier nicht weinen, nicht vor ihnen.
„Das hättest du wohl gerne, was?", zischte Rofus und hielt mich weiter eisern am Boden fest. Doch plötzlich riss er mich auf die Beine, hielt mir die Arme auf den Rücken und stieß mich in Richtung eines vereinzelten Baumes auf dem Schotterfeld.. Mein Fuß pochte bei jedem Schritt und es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, als wir gingen.
Und ich wusste auch, wohin er mich brachte. Etwas weiter unter mir wuchs eine vereinzelte Fichte, die gekrümmt ihre Wurzeln in den Schotter schlug.
„Was habt ihr mit mir vor?", fragte ich und meine Stimme klang schrill vor Angst. „Bitte, lasst mich gehen!"
„Halt den Mund!", blaffte Rofus und versetzte mir einen Tritt, ehe er mich weiter zur Fichte zerrte. Dort angekommen nagelte er mich mit seinem eisernen Griff am Baum fest.
„Hibikue, die Seile. Binde sie fest, und sie zu, dass sie sich nicht befreien kann. Soll sie doch verdursten." Ich erschrak, als ich ihn so sprechen hörte. Wie könnt ihr das tun? Und ich dachte, ich sei eine von euch.
Hibikue brachte ein dickes Seil. Ich wusste nicht, aus was es bestand, doch es sah so robust aus, dass alle meine Hoffnung von einem Befreiungsversuch erlosch. Er wickelte es erst um meine Handgelenke, die er rechts und links an Ästen festband, dann um meinen Bauch. Er schnürte mich so fest an den Baum, dass meine Zehen kaum den Boden berührten.
„Bitte", wimmerte ich. Rofus sah mich nur kalt an.
„Bitte was? Du hast es nicht anders verdient, Verfluchte." Er spuckte mir ins Gesicht und ich zuckte zusammen. Am liebsten hätte ich jetzt geweint.
„Wieso hasst du mich?", schrie ich ihn an. „Was habe ich dir getan? Wieso, wieso..." Ich verstummte schluchzend. Ich erwartete keine Antwort, aber Rofus hielt Inne und betrachtete mich mit einem harten, verbitterten Blick.
„Du siehst aus wie sie", haucht er und streckte die Hand aus. Er fuhr mir so zärtlich über die Wange, dass ich schauderte. In dieser Bewegung steckte die Liebe, die ich bei ihm für nicht vorhanden gehalten hätte. Doch plötzlich riss er die Hand ruckartig zurück und der grausame Ausdruck kam in seine Augen zurück. Du siehst aus wie sie, hallten seine Worte in meinem Kopf und ich wartete auf eine Erklärung, doch sie kam nicht. Er wandte sich ruckartig um und suchte nach Hibikue, der von alldem nichts mitbekommen hatte. Als ich sah, wie die beiden Gestalten sich entfernten und auf ihre Rentiere stiegen, konnte ich die heißen Tränen auch nicht mehr zurückhalten. Man hasste mich, dort, wo ich herkam.

Ich wusste nicht, wie lange ich schon so hing. Erst, als die Seile begannen, in meine Haut zu schneiden, wurde mir klar, dass es morgen wurde. Ich war komplett durchgefroren und an meinen Handgelenken klebte Blut, dass von meiner aufgeschürften Haut kam. Meine Hände und Arme waren so taub, dass ich erst meine Finger bewegen musste, um wieder ein Gefühl für sie zu bekommen.
Du siehst aus wie sie, wiederholte ich immer wieder, doch es machte alles keinen Sinn. Und dann sah ich ihn: Robby. Er kam suchend vom Hand zu mir heruntergetappt, und als er mich sah, drehten sich seine Ohren freudig. Er kam auf mich zugerast und knuffte mich in den Bauch. Ich finde es auch schön, dass du da bist.
Erst jetzt schien er meine Fesseln zu realisieren. Er schnupperte an den Stricken und biss probehalber einmal hinein, doch sie waren zu fest. Das schaffst du nicht, dachte ich. Die Stricke waren einfach zu stark und zu dick. Robby hörte nicht auf mich. Er begann, die Stricke zu bearbeiten. Sicher eine Stunde biss und kaute er, doch dann musste er aufgeben. Sein einziger Erfolg war ein ausgefranstes Seilstück. Dann legte er sich vor meine Füße und fuhr mit seiner Zunge über meine kalten Zehen. All meine Glieder schmerzten und ich war so schwach und müde, dass ich es kaum schaffte, den Kopf zu heben. Müde sank mein Kopf auf meine Brust.

Stimmen. Ich hob die schweren Augenlieder und zwang mich, kurz den Kopf zu heben. Laute Stimmen hallten über das Geröllfeld, vermischt mit dem Klacken von Steinen, die verrutschten und aufeinander prallten. Im selben Moment traf mich die Erkenntnis, dass es Menschen waren. Nicht schon wieder.
Das braune Fellbündel zu meinen Füßen regte sich und sah beunruhigt den Hang hinauf. Mich durchlief ein Schauer und ich zwang mich, nicht zu wimmern, als ich mich bewegte und meine Handgelenke brannten. Robby spürte mein Unbehagen und knurrte drohend. Ich sah den orangen Schein von Fackeln, dann sah ich die Menschen selbst. Sie hatten nicht so lange und kräftige Arme, aber dafür aber feine und langgliedrige Finger. Ich runzelte erschöpft die Stirn.
„Robby, verschwinde", hauchte ich ihm zu. „Geh, bevor sie dich entdecken!" Wenn sie es nicht schon getan haben, dachte ich mit Unbehagen.
Robby sah mich unglücklich an, aber ich bestärkte meine Worte mit einem eindringlichen Blick. Ich wollte ihn nicht in Gefahr bringen.
„Wer ist da?", hallten die Stimmen dumpf zu mir herüber. Die Welt verschwamm etwas vor meinen Augen. Robby sah sich ein letztes Mal zu mir um, dann setzte er sich in Bewegung und schlitterte so schnell es ging den Hang hinab.
Ich zuckte zusammen, als das Licht greller Fackeln mein Gesicht beschien. Blinzelnd erspähte ich zwei Männer und eine Frau, die eigentlich noch ein halbes Mädchen war. Ihre Haare waren blond und ihre Augen blau. Das war das letzte, was ich erkennen konnte, bevor mein Kopf wieder auf meine Brust kippte und mir schwarz vor Augen wurde.


Kapitel 4! Juhu! Endlich!
Es war ein Kapitel, das ich komplett neu schreiben musste, weil es nicht mehr gepasst hat, aber jetzt bin ich zufrieden damit. Wie seht ihr das?

Ich mache jetzt eine Quizfrage (vielleicht unter jedem Kapitel) und im nächsten Kapitel löst sich das ganze auf. Bitte macht mit, ich schreibe die Namen der Teilnehmer die richtig lagen (oder mitgemacht haben, weiß ich noch nicht) ins nächste Kapitel, wenn ihr das nicht wollt ist's auch okay.

Hier ist sie: WELCHEM CLAN, GLAUBT IHR, GEHÖREN DIE FREMDEN MENSCHEN AN?


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top