◊ 2.Kapitel ◊
Als wir an der Bärenhöhle ankamen, stand die Sonne schon hoch am Himmel und brannte auf unsere Köpfe herab. Robby kam mir schon quiekend entgegengestürmt, als ich auf Nanuks Rücken ankam. Als ich das große, schwarz-braune Fellknäuel auf mich zu kullern sah, musste ich grinsen. Er sprang übermütig an Nanuks Flanke hoch, bis ich abstieg – und warf mich um. Seine schweren Tatzen drückten auf meinen Bauch und ich lachte, als Gras mich im Nacken kitzelte. Staub wirbelte auf, als wir in der sandigen Kuhle vor der Höhle tollten.
Robby – er war ein bisschen über zwei Zyklen alt – stellte sich vor mir auf die Hinterbeine und berührte mit einer Tatze meine Stirn. Das tat er oft, um mir zu demonstrieren, wer etzt der Größere war.
Robby war mein kleiner Bruder. Ich liebte ihn und er liebte mich, wir taten alles zusammen. Ich war mit ihm aufgewachsen und wir verstanden uns ohne Worte – es war einfach unbeschreiblich. Robbys Jagdinstinkt war nur schwach ausgeprägt. Er war noch so verspielt wie ein zwei Monate altes Jungtier – von einem ausgewachsenen Grizzly war noch nicht viel zu sehen. Besonders berühmt waren seine Jagdfertigkeiten auch nicht. Jedes mal, wenn ich ihn damit aufzog, war er mehrere Stunden beleidigt. Diesmal, als ich ohne Beute kam, wirkte er regelrecht erfreut, sprang umher und war glücklich wie nie.
„Du bist so fies", meinte ich und bewarf ihn mit einer Hand voll Gras. Er schüttelte sich die Halme aus dem Pelz und quäkte entsetzt. Du hast es verdient, du übermütiges Fellknäuel!
Wir tollten über die weite Gräserwiese vor Nanuks Bau und genossen die warmen Sonnenstrahlen. In den letzten Tagen hatte es immer genieselt, weshalb uns das gute Wetter willkommen war.
Bäm!
Als Robby mich ansprang und umwarf, knallte mein Kopf auf die harte Erde und ich sah Sternchen. Ein dumpfer Schmerz meldete sich in meinem Hinterkopf, als ich mich langsam aufrichtete. Benommen schüttelte ich den Kopf und Robbys feuchte Nase tastete über mein Gesicht, als er über mir stand.
„Schon gut", teilte ich ihm benommen mit und hinter uns knurrte Nanuk beunruhigt. Robby vergaß oft, dass er schon so stark war.
Ich stand auf und trottete mit schmerzendem Kopf zur Sandkuhle vor Nanuks Bau. Robby kam mit etwas dickem im Maul angetrottet und ich erkannte eine wilde Rübe, die er irgendwo ausgegraben haben musste. Sie war zerkratzt, voller Erde und verschrumpelt, doch ich nahm sein kleines Geschenk dankbar an und nagte an der orangen Wurzel, bis das Aroma der Rübe über meine Zunge kam.
Kurz saß ich einfach in der Sonne und genoss die warmen Strahlen und den erhitzten Sand, während ich meinen knurrenden Magen mit einer schrumpeligen Karotte füllte. Dann aber schüttelte ich den Kopf, um mich wachzubekommen. Ich sah mir das Loch in meinem Ärmel an und die Schürfwunde, die sich in einen dicken, roten Wulst verwandelt hatte. Die Haut war braun vom getrockneten Blut, aber an sich war an der kleinen Verletzung nichts Schlimmes. Auch den dumpfen Schmerz, der in meinem Arm pochte, seit ich die Wunde entdeckt hatte, verklang bald. Im warmen Sand liegend ruhte ich mich von den drei schlaflosen Tagen und Nächten aus.
Um die verlorene Beute auszugleichen, gingen wir Fischen. Nanuk wälzte sich erst im Sand, dann schüttelte sie sich und trottete mit einem Kopfnicken zu mir zum Fluss. Die sandige Ausbuchtung, in der es so viele Lachse gab, war nicht weit unterhalb ihrer Höhle. Ich stand steif auf, schnappte mir einen Holzspeer mit zwei Zacken an der Spitze und folgte ihr müde. Robby kam neben mich und quiekte. Er wollte, dass ich auf seinen Rücken stieg, damit er mich abwerfen konnte, aber ich hatte überhaupt keine Lust dazu. Meine Knochen taten jetzt schon weh, und einen wilden Ritt auf einem Bären konnte ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen.
Bis jetzt fischte ich immer mit dem Speer. Es war für mich am einfachsten, denn ich hatte keine Klauen, die ich zum Fischfang einsetzen konnte. Der Fluss plätscherte sanft vor sich hin und ich sah die roten Schemen der Lachse, die sich dort tummelten. Ein paar kleine Stufen im Flussbett hielten sie auf. Wir platzierten uns über dem kleinen Wasserfall und standen dort ruhig, bis der erste Lachs einen Versuch startete, die Hürde zu überqueren. Nanuk reagierte so schnell, dass ich erst registrierte, als sie den zappelnden Fisch schon im Maul hatte und ans Ufer zerrte. Robby warf sich quiekend auf die Beute und kaute auf der Schwanzflosse des Fisches herum, der noch zaghaft ein letztes mal zappelte.
Während Robby sich einen Spaß daraus machte, mich und Nanuk mit Wasser zu bespritzen lauerte ich auf weitere Fische, die dumm genug waren, uns vor die Nase zu springen. Als ein roter Blitz vor mir aus dem Wasser schoss, schlug ich mit dem Speer nach ihm und wurde nach vorne gerissen, als der riesige Fisch getroffen wurde. Ich landete mitten im Wasser. Wellen schwappten über meinen Kopf und ich kam nur prustend wieder auf die Beine. Der verletzte Fisch zappelte so fest, dass ich ihn kaum halten konnte. Robby sprang brüllend ins Wasser und schnappte sich meinen Speer mit dem sich windenden Fisch. Du kleine Ratte, dachte ich wütend, als ich aus dem Wasser stieg. Spielerisch hopste er vor mir herum, schüttelte den Speer und lief dann wieder weg, wenn ich Anstalten machte, ihm zu folgen. Doch er war leichtsinnig und ich schaffte es, mir das Ende des Speeres zu schnappen, als er mich austricksen wollte. Ich grinste und hielt ihn fest, doch mit Robbys nächster Aktion hatte ich nicht gerechnet: Er zerbiss krachend den Speer und der schon tote Fisch landete im Sand.
„Was sollte das wieder?", fragte ich entsetzt, als ich die Splitter des Speeres ansah. „Weißt du, wie lange ich brauche, um den zu schnitzen?" Robby stolzierte arrogant davon und gesellte sich zu Nanuk, die von alldem nicht Notiz genommen hatte. Ich hob den Fisch auf, dessen glitschiger Körper über und über mit Sand bedeckt war. Und später kommst du dann sicher, um mit mir zu spielen, dachte ich und sah sauer zu Robby.
Ich trug den Fisch zum Wasser und wusch ihn ab, dann holte ich mein knöchernes Jagdmesser und entfernte die Eingeweide, erst dann spießte ich ihn auf einen Stock und begann, fernab der Bärenhöhle ein Feuer zu machen. Nanuk mochte die Flammen nicht besonders.
Als ich damit fertig war, war die Sonne schon fast untergegangen. Es wurde kühl und ich rollte mich in einer kleinen Sandkuhle zusammen, die noch warm war von all den Sonnenstrahlen. Neben mir knisterte das Feuer. Der Geruch von Rauch und geröstetem Fisch stieg mir in die Nase und mein Magen knurrte. Ich sah zu, wie die rote Haut erst blass und dann etwas goldbraun wurde, dann nahm ich den Spieß vom Haken.
Schritte waren hinter mir zu hören. Aus der dunklen Höhle kam Robby getrottet und gesellte mich zu mir. Die ersten Sterne wurden am Himmel sichtbar, als die Sonne sich ganz hinter den Bergen verkroch. Erst jetzt wurde mir klar, wie kühl es noch sein konnte. Immerhin war ja erst Frühling.
Hallo, begrüßte mich Robby träge und legte sich neben mich. Als sein weicher, fettiger Pelz meine Haut berührte, schauderte ich. Ich lehnte mich gegen seine Flanke und schaute dem Feuer zu. Der Fisch in meiner Hand duftete wunderbar, und als ich Robbys zuckende Nase sah, riss ich ein Stück Fisch ab und gab es ihm zu fressen. Als mein Magen gefüllt war, lehnte ich mich satt zurück und schloss die Augen, um die warmen Flammen zu genießen.
Erst spät in der Nacht wachte ich auf, in Nanuks Fell gekuschelt und ihren gleichmäßigen Herzschlag im Ohr. Mein Bärenbruder schlief selig neben mir zwischen Nanuks Tatzen, keiner von ihnen schien das Geräusch, dass nun durch die Nacht hallte, zu hören. Es waren dumpfe Schläge, so wie ein Donnergrollen. Menschen, realisierte ich.
Neugierig sah ich mich um und blickte zum Höhleneingang, durch den schwaches Mondlicht schien. Ich konnte die Wurzeln, die von der Höhlendecke herabhingen, gut sehen. Sie wirkten fast wie Klauen, die sich nach mir ausstrecken wollten.
Robbys warmer Atem streifte meine Haut und ich versuchte, vorsichtig aufzustehen, ohne ihn zu wecken. Nanuk schlief tief und fest, erschöpft von dem Kampf, den es gegeben hatte, und Robby würde es nicht merken, wenn ich kurz weg war.
Kühle Nachtluft schlug mir entgegen, als ich nach draußen trat. Grillen zirpten und ich hörte das Plätschern des Flusses, das mir jetzt fast unnatürlich laut vorkam. Zuerst schweifte mein Blick flussabwärts, dorthin, wo die Fischfänger immer jagten. Dann aber realisierte ich, dass das Geräusch von Richtung Nadelwald kam. Die Schützen.
Ich kletterte vorsichtig in Richtung meiner Feuerstelle, in der ein Haufen Sand lag, mit dem ich es gestern erstickt ahtte. Als ich über eine Hügelkuppe trat, wehte mir eine frische Brise ins Gesicht und ich atmete die frische Nachtluft ein. Und da sah ich es: Ein Leuchten. Ich kniff konzentriert die Augen zusammen, um den schwachen Schein besser zu erkennen. Zwischen den Spitzen des Fichtenwaldes schimmerten orange Flammen. Der Geruch von Rauch und die dumpfen Schläge wurden vom Wind zu mir herübergetragen.
Ich lief langsam den Hügel hinunter und rannte durch die Heide. Halme schlugen mir gegen die Arme und Wind peitschte mir ins Gesicht und trieb mir Tränen in die Augen, doch ich genoss es, zu rennen. Meine Lungen saugten gierig die kühle Luft ein und meine Haut freute sich über die Frische, die sie zum prickeln brachte. Als ich stehen blieb, hatte sich der Grasuntergrund in frische Erde verwandelt und ich knetete begeistert mit den Zehen den Boden. Doch dann holten mich die Schläge wieder zurück in die Realität und ich sah in Richtung des Fichtenwaldes, der sich vor mir erhob. Wie Geister ragten die dunklen Spitzen vor mir auf. Durch die kahlen Stämme war der orange Schein des Feuers zu sehen.
Ich setzte einen Fuß auf den Nadelboden. Es war, als würde ich eine unsichtbare Grenze überschreiten. Ich fühlte mich, als würde ich etwas Verbotenes tun, doch meine Neugier war zu stark. So einen Lärm machen sie sonst nie, dachte ich irritiert. Normalerweise sind sie hier nur auf der Jagd.
Instinktiv streifte meinen Hand meinen Fußknöchel. Ich bemerkte es erst, als sie über das Tattoo fuhr. Es war ein Mal, das ich schon trug, seit ich denken konnte. Die tintenschwarze Feder eines Raben. Sie zog sich gut sichtbar quer über meinen Knöchel. Jetzt war sie voller Schmutz und kaum erkennbar, doch ich wusste, dass sie etwas mit den Menschen zu tun hatte. Nur was?
Ein Schriller Ton hallte durch den Wald und ich zuckte zusammen vor Schreck. Er war so hoch, dass ich glaubte, mein Trommelfell müsse platzen. Ich hielt mir die Ohren zu und wartete darauf, dass er endlich verstummte. Am liebsten wäre ich in diesem Moment zurückgelaufen, doch ich konnte nicht. Ich schlich mich vorsichtig durch den Wald und war ganz erstaunt, wie gut der weiche Nadelboden meine Schritte abfederte. Wie gut ich hier auf die Jagd gehen könnte, dachte ich wehmütig. Dieser Wald ist ja fast wie gemacht für mich!
Ich traute mich noch näher an das Feuer heran, bis ich plötzlich die grellen Flammen sehen konnte, die an den trockenen Hölzern des Lagerfeuers leckten. Dunkle Schemen hatten sich davor versammelt, schlugen auf Trommeln und sangen. Ein Mann mit einer hageren Gestalt zog meinen Blick auf sich. Er war dürr, hatte eine Hakennase und stechende, dunkle Augen. Sein schwarzes Haar war von grauen Strähnen durchzogen und an seiner blassen Haut klebten Rabenfedern. Mit Kohle war ihm die nackte Haut an den Schultern bemalt worden. Sein Gesicht zierte eine schwarze Ledermaske mit Schlitzaugen, die einen Rabenkopf darstellen sollte. Er tanzte zur Musik. Mit den schnellen, tückischen Bewegungen einer Schlange und der Gewandtheit eines Raubvogels bewegte er seinen Körper im Rhythmus der Trommelschläge. Ich war wie gebannt. Er hat etwas raubtierartiges an sich, dachte ich mit Unbehagen.
Von hier aus traute ich mich nicht mehr weiter vor, sonst hätte der Schein des Menschenfeuers mich berührt. Ich schlich mich zu einer kleinen Gruppe Bäume und hangelte mich die raue Rinde einer Fichte hinauf zu den untersten Ästen, wo ich gut geschützt vor Blicken war und außerdem einen guten Ausblick hatte. Menschen saßen dort. Erst jetzt konnte ich die große Versammlung an Menschen erblicken, die sich um den tanzenden Mann und das Feuer versammelt hatten. Es waren hagere Gestalten, groß und dünn, und ihre Haare waren fast alle schwarz, braun oder gräulich. Ihre Kleidung lag eng am Körper und war aus feinem Leder. Es war, als würde sie mit ihren Körpern verschmelzen. Der Schein der Flammen ließ die mit Ruß und Kohle aufgemalten Symbole sichtbar werden und auch sie waren mit Federn beklebt. Manche hatten dieselben Masken wie der Tanzende, andere Gesichter waren mit Ruß verschmiert oder einfach mit Symbolen bemalt. Ich sah gebannt zu, als ein alter Mann aus der Menge trat. Das Gesicht war komplett mit einer Maske verdeckt, seine Haut war mit weißer Asche gebleicht und er nahm etwas aus einer Tasche, die er an der Hüfte trug. Er wirbelte umher und warf das Etwas, das er in seiner Hand verborgen hatte, in die lodernden Flammen. Im selben Augenblick loderte das Feuer meterhoch auf und Funken stoben in alle Richtungen. Grelles weiß, orange und rot färbten die Lichtung. Mir entfuhr ein kleiner Schrei, den ich nur mit Mühe in meiner Kehle ersticken konnte. Der bleiche Mann ging zum Feuer und atmete die Dämpfe des Feuers ein. Er sog den Rauch in die Nase ein, als wäre es ein wunderbarer Geruch und nicht stinkender Qualm, den er in seine Lungen holte. Und dann begannen die Menschen zu tanzen – tückisch, schnell, schwungvoll wirbelten sie über die Lichtung.
Wunderschön, fand ich.
Yay, zweites Kapitel überarbeitet! Wie findet ihr es?
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