Chapter 9

Ivory Wheeland

Schweigend folgte Constance durch den Flur und sah mich dabei ein wenig um. Mit Kunst hatte ich nie sonderlich viel am Hut gehabt, weshalb mich die Bilder an den Wänden eher wenig beeindruckten oder gar interessierten. Bei einem Foto war das jedoch anders. Soweit ich das im Schnellen vorbeigehen erkennen konnte, waren auf diesem ein Junge und ein Mädchen abgebildet, vielleicht ihr Kinder. Sicher waren sie mittlerweile aber schon erwachsen.

Ich wurde schließlich in die Küche geführt, wo sich Constance sogleich eine Zigarette anzündete, ehe sie dann sagte ich solle mich setzen. Etwas zögerlich nahm ich auf einem der Stühle platz und beobachtete die ältere Dame dabei wie sie das Wasser für den Tee aufsetzte. Erst dann ließ ich meinen Blick langsam durch den Raum schweifen. Wieder ein Foto mit den gleichen Personen darauf, wie auf dem, welches im Flur hing. Das Bild daneben überraschte mich jedoch. Sehr sogar. Auf diesem war Michael abgebildet. Ohne groß über meine Tat nachzudenken stand ich auf, lief zum Bild hinüber und nahm es mir, um es genauer zu betrachten. Ja, ohne Zweifel, er war es.

"Sie kennen Michael?", richtete ich mich fragend an Constance, während ich das Bild vorsichtig wieder an seinen Platz zurück stellte.



Constance Langdon

Als ich ihre Frage wahrnahm, richtete ich meinen Blick leicht zu ihr, ehe ich dann zwei Teebeutel in die zwei Tassen tat.

"Ja, tu ich", meinte ich.

Sogar besser als sonst wer. Vielleicht sogar besser als er sich selbst kannte.

"Er ist mein Enkel", teilte ich ihr mit und ich sah kurz etwas gedankenverloren zu dem eingerahmten Foto von ihm und mir vor knapp über einem Jahr. Er war ein so hübscher junger Mann. Ganz wie sein Vater.

Eilig riss ich meine Gedanken wieder von Tate weg und sah stattdessen zu dem Mädchen. Wahrscheinlich hatte sie Michael bereits bei sich zuhause angetroffen, als er dort zur Therapie war. Oder sie waren sich in der Schule begegnet, keine Ahnung, jedenfalls schien er ihr wohl nicht allzu unbekannt zu sein.

Anfangs war es eine große Entscheidung für mich gewesen, Michael in dieses Haus zu schicken. Schließlich waren in diesem Haus....viele Sachen vorgefallen. Viele, die ihn aber insbesondere auch seine leiblichen Eltern betrafen und von denen er nie erfahren sollte. Andererseits brauchte er diese Therapie. Ich wollte ihm helfen, denn...ich hätte Tate im Nachhinein auch früher helfen sollen. Bei Michael wollte ich nicht denselben Fehler machen. Und...er ging ja nur zu der Therapie ins Haus, es sollte also hoffentlich nichts unglaubliches dort vorfallen. Jetzt konnte ich mir jedenfalls sicher sein, dass die meisten kein Interesse mehr an ihm hatten, Jetzt, wo er erwachsen war.



Ivory Wheeland

Ihr Enkel? Na gut, eventuell hätte man aufgrund der Haare eine Verwandschaft vermuten können, aber das wäre auch schon weit hergeholt gewesen.

"Ah, okay.", murmelte ich und fügte dann noch hinzu. "Ich kenne Michael aus der Schule, gestern war mein erster Tag dort. Wir haben und ein wenig unterhalten."

Mein Blick wanderte nun zu dem anderen Bild. Der Junge auf diesem sah Michael recht ähnlich. Er hatte ebenfalls diese blonden Locken, die auch Michael und Constance besaßen.

"Wer sind die beiden auf dem anderen Bild, wenn ich fragen darf.", erkundigte ich mich. Eventuell könnten es Constances Kinder sein, der eher altmodischeren Kleidung nach zu urteilen. Wenn dies stimmte könnte man eventuell sogar davon ausgehen, dass die beiden bereits erwachsen waren und der Junge auf dem Bild eventuell der Vater von Michael ist, denn es war schon eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden. Dies war natürlich lediglich eine Annahme. Vielleicht waren sie auch lediglich Cousins oder eventuell auch Geschwister. Erst in diesem Moment wurde mir klar, dass ich so ziemlich gar nichts über Michael wusste, vor allem nicht über seine familiär Situation. Ich wusste lediglich, dass er hier geboren und hier aufgewachsen war. Wahrscheinlich hatte meine Mutter sogar bereits mehr Informationen als ich.



Constance Langdon

Ein leises Seufzen entwich meinen Lippen, als sie mich nach dem anderen Bild fragte.

"Das sind meine Kinder, Adelaide und Tate", sagte ich.

Es sollte wohl eher lauten, dass es meine Kinder waren, doch...das klang einfach nicht schön und ich weigerte mich stets, es so zu formulieren.

"Doch sie sind schon seit Jahren bereits verstorben, leider Gottes", fügte ich leise hinzu. Michael wusste von Addy, Tate und Beau. Und er wusste auch, dass sie tot waren. Er hatte nie gefragt, wie es passierte, seine Diskretion wusste ich sehr zu schätzen. Was seinen Vater anging, hatte ich ihm nie gesagt, dass es sich dabei um Tate handelte. Wie auch? Dafür gäbe es keine logische Erklärung. Schließlich war Tate bereits in jungen Jahren und das vor Michaels Geburt gestorben. Ich müsste ihm dafür alles erzählen. Und das wollte ich um jeden Preis verhindern.

Also hatte ich immer behauptet, einen weiteren Sohn zu haben, der sein biologischer Vater war und ihn und seine Mutter verlassen hat und sich nie wieder blicken gelassen hatte.

Und dass seine Mutter ihn dann aus Frust und Überforderung an mich weiter gereicht und irgendwo ein neues Leben begonnen hatte. Das entsprach nicht der Wahrheit, aber es war leichter zu ertragen als die Wahrheit.

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