Chapter 5
Ivory Wheeland
Ich stimmte Michaels Vorschlag zu und so verbrachten wir die Pause nach der ersten Stunde, welche sich bis zur Unendlichkeit hingezogen hatte, in der Cafeteria. In den darauffolgenden Unterrichtsstunden, sofern wir diese zusammen hatten, saßen wir immer nebeneinander und schließlich bekam ich dann von einem der Lehrer auch noch mein Schließfach gezeigt, sowie einen Stundenplan ausgehändigt, zusammen mit der Schulordnung und einem Brief für meine Eltern.
Nach der Schule sah ich mich noch ein wenig um, suchte nach einem interessanten Ort, an dem ich mich aufhalten konnte, wenn ich irgendwann mal die Schule schwänzen würde und das würde mit großer Sicherheit demnächst passieren. Ein geeigneten Platz fand ich jedoch auf die Schnelle nicht und so machte ich mich auf den Weg nach Hause.
Da meine Mutter hier noch nicht sonderlich viele Patienten hatte, saß sie im Esszimmer am Tisch und beschäftigte sich mit ihrem Laptop, als ich zu Hause eintraf.
"Der ist für dich.", sprach ich zu ihr und händigte ihr den Brief aus.
"Du hast doch nicht jetzt schon irgendwas angestellt, oder?", erkundigte sie sich beim öffnen des Umschlags.
"Nein, ich hab mich zurückgehalten, keine Panik.", erwiderte ich und fügte dann noch hinzu. "Ich bin oben in meinem Zimmer."
Mit diesen Worten verschwand ich auch schon. Ich hatte kein Interesse daran zu erfahren was in dem Brief stand, sicherlich war es sowieso nichts wirklich wichtiges.
"Ich hab nachher einen Patienten, also bitte dreh die Musik nicht so laut.", hörte ich meine Mutter noch rufen. Kurz darauf betrat ich mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir.
Michael Langdon
Der restliche Schultag verging, im Gegensatz zu der ersten Stunde, relativ schnell. Glücklicherweise.
Kurz nach dem Unterricht musste ich nochmal eilig was erledigen, Grandma hatte mich darum gebeten, ihr eine Schachtel Pall Mall vom Koreaner mitzubringen und so tat ich dies auch. Sie war wahrscheinlich gerade noch beim Friseur, jedenfalls herrschte im Haus Totenstille, als ich eintraf.
Ich machte die übrige halbe Stunde noch Biologie-Hausaufgaben, ehe ich dann das Haus wieder verließ und zum Haus nebenan ging. Eben dort, wo heute meine Probetherapiesitzung stattfinden sollte. Als ich das Grundstück betrat, spürte ich sowas wie einen kalten Schauer, der sich über meine Haut zog. Ich war noch nie wirklich hier gewesen, hatte das Haus immer nur von außen betrachten können. Und doch faszinierte das Haus mich ziemlich. Keine Ahnung, woran das genau lag, aber es war so. Verrückt.
Ich klingelte und nur einige Sekunden später öffnete eine Frau die Haustür.
"Guten Tag. Sie müssen Mr. Langdon sein", lächelte sie sachte, während sie mir die Tür aufhielt.
"Bitte, nennen Sie mich Michael", erwiderte ich.
Ich konnte es nicht ab, gesiezt zu werden.
"In Ordnung, dann Michael. Folge mir bitte. Möchtest du etwas trinken?", fragte sie mich, während ich ihr den Flur entlang hinterher lief.
"Nein, vielen Dank", antwortete ich.
Das war also Mrs. Wheeland, die Psychiaterin, aufgrund dessen Einzug nebenan sich meine Grandma so gefreut hatte.
'Hoffentlich wird sie ihr Geld auch wert sein', hatte Grandma gestern Abend noch zu sich selbst gemurmelt. Naja, mal schauen, wie die Probesitzung so laufen würde. Ob sie der Meinung war, ich bräuchte wirklich eine Therapie und natürlich, ob wir überhaupt miteinander zurecht kamen.
Ich folgte ihr in ihr Arbeitszimmer, ein recht gut beleuchteter Raum aufgrund der ganzen Fenster. Sie deutete auf die dunkle Ledercouch, die sich vor uns erstreckte. "Bitte setz' dich", lächelte sie, während sie sich in einen Sessel, der Couch gegenüberstand, setzte. Nun tat ich es ihr gleich und setzte mich auf die Couch, meine Hände ruhten auf meinen Knien, die etwas frei lagen, aufgrund der Löcher in meiner Jeans.
Trotzdem es draußen um die 25 Grad waren, war mir hier drin eiskalt. Das war echt merkwürdig. "Ist alles in Ordnung?", fragte sie, sah mich musternd an, als sie meinen Blick bemerkte, der durch den ganzen Raum ging. Eilig sah ich zu ihr, nickte dann leicht.
Und so begann dann unser Gespräch.
Ivory Wheeland
Anstatt mich mit den Hausaufgaben zu beschäftigen machte ich Musik an und schnappte mir ein Buch, mit welchem ich mich auf mein Bett schmiss. Schon bald war ich in die Zeilen auf den Seiten vertieft und nahm die Liedtexte der Band Nirvana nur noch im Hintergrund war.
Schließlich wurde meine Aufmerksamkeit jedoch von den Wörtern abgelenkt. Aus dem Augenwinkel hatte ich meine Tür erfasst, welche einen recht breiten Spalt offen stand. Das wunderliche daran war, dass ich mir ziemlich sicher war, sie geschlossen zu haben, nach dem ich vorhin mein Zimmer betreten hatte. Etwas zögerlich legte ich das Buch zur Seite, ehe ich aufstand und die Musik ausschaltete. Dann lief ich zur Tür hinüber und blickte den Flur hinunter. Mir war als würde eine Gestalt gerade um die Ecke verschwinden. Lief hier etwa jemand durch das Haus? Wie meine Mum hatte die Person nicht ausgesehen und mein Dad war ganz sicher noch nicht wieder zu Hause. Vorhin hatte meine Mutter erwähnt, dass sie später ein Patienten hätte. Vielleicht irrte er durch das Haus und hatte zuvor die Toilette gesucht. Dies erschien mir am wahrscheinlichsten.
Ich verließ also mein Zimmer und ging in die Richtung, in die die Person gegangen war. Als ich jedoch ebenfalls um die Ecke trat konnte ich niemand erblicken. Flüchtig sah ich mich einmal um. Was zum? Die Gestalt konnte doch nicht so schnell gewesen sein, aber in Luft hatte sie sich wohl auch nicht aufgelöst. Ich fuhr mir einmal mit der Hand durch das schwarze Haar und beschloss dann zu meiner Mum zu gehen und mich zu erkundigen, ob ihr Patient schon da war und gerade die Toilette suchte.
Also lief ich die Stufen hinunter und steuerte das Behandlungs- oder Therapiezimmer an. "Mum, kann es sein, dass dein Patient gerade durchs Haus läuft?", erkundigte ich mich mit etwas lauterer Stimme, als ich noch im Flur war, senkte jedoch meine Stimme, als ich im Türrahmen des Zimmers stand. Auslöser für meine leiser werdende Stimme war der Anblick, der sich mir dort bot. Gegenüber von meiner Mutter saß ein junger Mann, der mir nur allzu bekannt vor kam und der auf keinen Fall die Person gewesen sein kann, die ich gerade im Flur gesehen hatte, denn mit der hatte er keinerlei Ähnlichkeit.
"Entschuldige bitte das reinplatzen meiner Tochter.", sprach meine Mum derweilen zu Michael, während sie aufstand und auf mich zu kam. "Wovon redest du da? Der junge Mann war die ganze Zeit hier bei mir." Ich schenkte ihr keinerlei Aufmerksamkeit, sondern starrte an ihr vorbei zu meinem Mitschüler.
"Ivory? Alles okay?", erst diese etwas besorgte Frage meiner Mutter, riss mich aus meiner Starre. Als Antwort schüttelte ich lediglich leicht den Kopf und drehte mich dann langsam um, um den Raum zu verlassen. Zuerst ging ich, ehe meine Schritte dann schneller wurden und ich schließlich die Treppe hinauf und in mein Zimmer rannte. Ich war verwirrt, sehr verwirrt. Aber auch beunruhigt und verunsichert. Und das nicht nur, weil ich meinen als sympathisch empfundenen Mitschüler nun bei meiner Mutter wiederfand, auch weil ich mir sehr sicher war hier jemanden gesehen zu haben.
Michael Langdon
Wir redeten eine Weile und an sich verliefen unsere Gespräche auch ganz gut, schätzte ich. Es fühlte sich nicht an wie eine Therapiestunde, sondern eher...wie eine Art Kennenlernen. Das war durchaus ganz angenehm.
Etwa zur Hälfte der Sitzung, vernahm ich dann eine mir bekannte Stimme und im nächsten Moment stand sie auch schon im Türrahmen. Ivy.
Mit ihr hatte ich wirklich absolut rein gar nicht gerechnet, was man wohl auch an meinem verwunderten Blick erkennen konnte.
Klar wusste ich, dass Mrs. Wheeland frisch hergezogen war und mir war auch bewusst, dass ebenso Ivy neu in der Stadt war, doch...eins und eins so zusammen zu zählen, darauf wäre ich im Traum nie gekommen. Zumal Mrs. Wheeland auch nichts von Kindern erzählt hatte. Aber okay, sie hatte generell nahezu nichts von ihrem Privatleben preisgegeben und ich glaubte auch kaum, dass sich das in weiteren Sitzungen ändern würde.
Ich sagte nichts, sondern starrte Ivy einfach nur an und schließlich auch hinterher, nachdem sie gegangen war. Das war...seltsam. Irgendwie war es mir fast schon peinlich, als wäre ich bei irgendwas ertappt worden, wobei dies ja nicht richtig der Fall war. Trotzdem fühlte es sich so an. Keine Ahnung, es musste ja nun echt keiner wissen, dass ich bei solch einer Therapiescheiße mitmachte. Auch wenn ich es ja nur aufgrund meiner Grandma tat und weil sie dachte, es wäre das Beste für mich.
Mrs. Wheeland schloss die Tür wieder und setzte sich dann zurück auf ihren Platz, seufzte leise.
"Das war Ihre Tochter?", hakte ich noch einmal, ein wenig fassungslos und zugleich irritiert nach. Nur, um ganz, ganz sicherzugehen, auch wenn die Antwort ja auf der Hand lag.
Sie nickte leicht, sah mich dabei an. "Ja, und bitte entschuldige ihr Verhalten. Normalerweise weiß sie, dass sie mich während den Sitzungen nicht unterbrechen soll", meinte sie.
"Okay, wo waren wir? Ach ja, deine Träume", fügte sie hinzu und zückte wieder ihr schwarzes Notizbuch und ihren Stift. Und so ging es dann weiter.
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