Blaulicht

Sie liefen gerade eine breite Seitenstraße hoch um auf die Hauptstraße zu kommen, als Rose nach Luft ringend, anhielt und sich mit ihren Händen an ihren Knien stützte.

,,Wir müssen die Polizei rufen."

Rose richtete sich auf und lehnte sich an die Straßenlaterne. Der Wind war nicht mehr angenehm. Es war kalt und tat beim Rennen in der Kehle weh. Als würde man Messer einatmen. Sie ließ ihren Blick um ihre Umgebung schweifen, erkannte dabei einige Häuser, aber keins wo das Licht brannte.

,,Ich- ich kann nicht mehr."

Erst jetzt sah sie im Schein des Straßenlichtes, wie das Mädchen vor ihr aussah.

Sie musste ein oder zwei Jahre jünger sein als Rose. Ihre lockigen roten Haare waren zerzaust und ihre Nase war rote geworden, aber man konnte deutlich ihre Sommersprossen erkennen.
Sie trug eine schwarze Jacke und das Tuch, das sie ihr umgebunden hatten, hing um ihren Hals. Sie war hübsch.
Sogar beeindruckend schön.
Während Rose sie ansah, zückte die Rothaarige ihr Handy und tippte heftig auf diesem rum.

Kannte sie die Männer? Wahrscheinlich nicht.
Ich komm echt zu spät Nachhause.
Meine Mutter bringt mich um.
Noch einmal kann ich mich nicht verteidigen.
Wenn sie mich sieht...
Sie wird mich nie wieder im Cafè arbeiten lassen.
Was zur Hölle ist da gerade passiert?
Sind sie uns hinterher gerannt?

Das Mädchen steckte ihr Handy wieder in die Tasche.
,,Sie sagen, dass sie in fünf bis zehn Minuten da sind", erklärte sie etwas zittrig. Rose runzelte die Stirn.

,,Wer?"

,,Die Polizei? Hör mal...i-ich...ich... es tut mir Leid. Sie habe dich so schlimm zugerichtet...ich... ich weiß nicht wie ich dir danken soll. Du hast mir das Leben gerettet. Wärst du nicht aufgetaucht..." Ihre Stimme versagte und Tränen floßen ihr in die Augen. Ihre grünen Augen sahen rot und glasig aus. Sie schaute immer wieder um sich, drehte sich manchmal um sich selbst, um jeden Winkel einmal kurz gesehen zu haben.

,,Also... ähmm... ist doch kein Ding. Ich meine eigent-eigentlich konnte ich ja nicht anders. Hatten mich ja gesehen und angegriffen bevor ich überhaupt einen Schritt in deine Richtung gesetzt hab. W-wie heißt du?"
,,Zoey. Du?"
,,Rose."
,,Danke, Rose."
Rose schenkte ihr ein schwaches zittriges Lächen und kratzte sich am Nacken.
Ihre Hand berührte etwas hartes, etwas was nicht da oben hingehört.
Sie griff danach und merkte schnell, dass es sich in ihren Haaren verfangen hatte.
Ihr Geburtstagshütchen.

Das darf doch wohl nicht wahr sein.

Sie fuchtelte mit ihren Händen hinter ihrem Kopf und versuchte die glitzernd bunte Pappe von ihren Haaren zu befreien. Zoey schaute besorgt rein.

,,Soll ich dir vielleicht helfen?"
,,Ja, bitte."
Rose drehte sich mit dem Rücken zu Zoey, die auf einmal anfing zu kichern, verstummte aber schnell wieder und sah wieder besorgt durch die Gegend.
,,Woher hast du die denn jetzt her?"
,,Von Freunden", antwortete Rose knapp. Ihr tat alles weh und war viel zu erschöpft, um ihr zu erklären wo sie das nervige Hütchen her hatte.
Endlich hatte Zoey es geschafft, das Hütchen raus zu holen.
Rose merkte wie ihr langsam schwindelig wurde und wie das Adrenalin nachließ.
Zittrig und schwach setzte Rose sich auf den Bürgersteig und legte ihren Kopf auf ihren Knien ab. Hinter ihr hörte sie, wie Zoey aufgebraucht mit jemanden telefonierte. Sie hörte, aber nicht mit wem und was genau gesagt wurde. Der Druck in ihren Ohren ließ sie schwer hören. Auch die Kopfschmerzen, die sich wie Stiche in den Schläfen anfühlten und ihr Hinterkopf, der sich anfühlt wie als würde dort eine Beule in der Größe eines Eies wachsen, vernebelten ihre Sinne. Sie atmete immer schneller, hielt sich an ihrer Jeans fest und suchte dort nach Beruhigung. Der Atem ging immer schneller, immer flacher und trotz des vielen Sauerstoffs, fühlte es sich an als würde sie ersticken. Neben ihr packte sie Zoey an der Schulter und rüttelte sie. Rose starrte auf ihre Jeans und versuchte sich auf das Atmen zu konzentrieren. Erinnerungen, die sich anfühlten wie der Schmerz den sie gerade verspürte, holten sie ein. Es war verschwommen, aber es war bekannt.
Wie die Ahnung, dass man sich an einen Herd verbrennen kann, aber den Herd trotzdem anfasst. Vergleichbar mit einem Kind, das es trotzdem anfasst, obwohl man es sagt, es soll den Herd nicht anfassen. So waren die Erinnerungen, man sollte sich nicht daran erinnern. Nicht anfassen, um nicht den Schmerz zu fühlen. Nur konnte sie sich nicht daran hindern, sich nicht daran zu erinnern. Die Schmerzen, die sie fühlte, fühlten sich zu sehr nach ihrer Vergangenheit an. Es war wie ein fahrender Zug, der nicht anhalten wollte und geradewegs mit Höchstgeschwindigkeit in eine Mauer fährt und sich überschlägt.

,,Ich krieg keine Luft! Ich krieg keine Luft! Ich kann nicht atmen! I-Ich..."

Dann sah sie das Blaulicht. Erst schwach, dann zu stark um es zu ertragen.

Und wie ein aufgescheuchtes Huhn fing Zoey an zu erzählen, während Rose immer noch auf dem Bürgersteig saß und sich auf ihre Atmung versuchte zu konzentrieren.
Der andere fragte nun auch Rose, was geschehen war, aber sie wollte dem Drang nachgeben sich hinzulegen und einzuschlafen

,,Sie sollten lieber ins Krankenhaus. Soll ich ihnen einen Krankenwagen rufen?"
Ehe Rose darauf antworten konnte, antwortete schon Zoey: ,,Ja, bitte."

Auf einmal fing Rose Handy an zu vibrieren.

Mama erschien auf dem Display und die Möglichkeit anzunehmen oder wegzudrücken.

,,Mama."
,,Jiyan, wo bist du? Wieso bist du nicht nicht Zuhause? Wieso gehst du nie an dein Handy?"
,,Mama, ich muss ins Krankenhaus. Es ist nichts schlimmes. Wirklich nicht. Ich erklärs dir we-"
,,WOHIN MUSST DU? Was ist passiert? SERGEN! SERGEN! KOMM HER! Jiyan muss ins Krankenhaus. Geh, GEH, hol das Auto. Was ist passiert, Rose? Welches Krankenhaus?"
,,Mama. Ruhig"
,,Was ist passiert... sag dann Bescheid. Ist es sehr schlimm? Blutet du? Hast du-"
,,Ich-
,,Jiyan, wa-"

Rose legte das Handy auf den kalten Asphalt, der kaum kälter als ihre eigene Hand war.

Kaum hatte sie aufgelegt da bog auch schon der Krankenwagen um die Ecke. Ebenfalls mit Blaulicht und auch einer ohrenbetäubenden Sirene, die ihrem Wecker gleich kam, aber die Sirene weckte sie nicht. Es ließ sie in ein schwarzes Loch hinabfallen. Aus Blau wurde Schwarz.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top