142. Flugstunde oder schlechter Journalismus

Hallo meine Lieben, hier kommt ein Blogbeitrag der anderen Art.

Vielleicht habt ihr euch gefragt, was ich die ganze Zeit gemacht habe. Nun, ich lese, weil es mich ablenkt und auf andere Gedanken bringt. Es gibt jedoch noch andere Dinge, mit denen ich mich auseinandersetze, weil sie mich sehr interessieren. Eines davon möchte ich euch heute gerne erzählen.

Vielleicht haben einige von euch mitbekommen, dass am 10. März 2019 eine vier Monate alte Boeing 737 MAX 8 der Ethiopian Airlines kurz nach dem Start bei Addis Abeba abstürzte. Der gleiche Flugzeugtyp wie bei dem Absturz am 29. Oktober 2018, der bei der Fluggesellschaft Lion Air in Indonesien passierte.

Zwei Abstürze innerhalb weniger Monate, vom gleichen Flugzeugtyp, noch dazu neue Maschinen – das erregte meine Aufmerksamkeit und seither verfolge ich täglich die Neuigkeiten, die diesbezüglich präsentiert werden.

Kürzlich las ich einen Artikel, dessen sarkastische Zeilen mich unweigerlich schmunzeln ließen:

Airbus trägt die Schuld am Absturz der Boeing Maschinen.

Nun, um den Sarkasmus dahinter zu verstehen, muss man die Gegebenheiten kennen. Airbus, ein europäisches Unternehmen, ist der Konkurrent von Boeing, einem amerikanischen Flugzeugbauer. Beide dominieren den Himmel, also quasi die Luftfahrt.

Hinter verschlossenen Türen entwickelte Airbus seinen neuen Flugzeugtyp, den A320neo, die verbesserte Version des A320. Die Triebwerke sind weitaus sparsamer, ein wichtiger Punkt in der modernen Luftfahrt. Man möchte auch hier etwas für die Umwelt tun und natürlich auch seine Betriebskosten senken.

Die Airlines hatten großes Interesse an dem neuen Airbus, unter anderem American Airlines, Boeings größter Kunde. Boeing sah sich plötzlich im Zugzwang. Ihre Planung, einen völlig neuen Flugzeugtyp zu entwerfen, haute zeitlich nicht mehr hin. Da musste schnell eine Lösung her, um American Airlines nicht als Kunden zu verlieren (und viele andere Airlines auch).

Also beschloss Boeing ihr erfolgreiches Modell 737 nochmal zu modifizieren, was eigentlich gar nicht auf der Agenda stand. Und zwar so schnell wie möglich, denn Zeit ist Geld.

Man nahm also den Rumpf und baute neue Triebwerke dran. Triebwerke, die noch effizienter als die des A320neo sind. Pech, das diese größer als die alten Triebwerke sind und somit nicht mehr an der gleiche Stelle montiert werden können, da sie sonst auf dem Boden schleifen würden, weil das Fahrgestell dafür nicht hoch genug ist. Ein neues Fahrwerk zu entwerfen hätte jedoch bedeutet, den Rumpf umbauen zu müssen, damit es darin versenkt werden kann. Zeit, die Boeing nicht hatte, oder besser gesagt, die sie sich nicht nehmen wollten.

Das Anbringen der Triebwerke an einer anderen Stelle hat zur Folge, dass das Flugzeug beim Steigflug (Start) schneller in eine Steillage geraten kann und somit die Gefahr eines Strömungsabrisses besteht, der in Konsequenz zu einem Absturz führen kann.

Um dies zu umgehen, dachten sich die Entwickler der Boeing 737 MAX 8 etwas ganz Besonderes aus: Man programmierte eine Software, die genau diesen Strömungsabriss verhindern sollte, das Maneuvering Characteristics Augementation System, kurz MCAS genannt. Es soll eingreifen, wenn die Anstellwinkel 14 Grad betragen (der Wert ab dem es kritisch wird), indem der Bordcomputer die Nase der Maschine nach unten drückt, um so den drohenden Strömungsabriss zu unterbinden.

Schon mehrfach las ich, dass ein Softwarefehler die Ursache des Absturzes der Maschinen bewirkt hätte. Diese Aussage ist nicht ganz korrekt, denn die Software hat genau das getan, worauf sie programmiert wurde. Sie drückte die Nase nach unten, als der Sensor, der für das Messen des Anstellwinkels zuständig ist, ihr die Daten rüberschickte, die falsch waren. Die Software hat aber keine Möglichkeit, das anderweitig zu überprüfen. Zudem setzte sich die Software über die Bemühungen des Piloten hinweg, die Nase des Flugzeuges wieder nach oben zu ziehen. MCAS tat das, weil die Programmierung es so vorgab.

Die Software ist immer nur so intelligent, wie der, der sie programmiert hat... Also wenn man schon einen Artikel darüber schreibt, dann sollte man sich gründlich informieren, anstatt solche Halbwahrheiten in die Welt zu setzen. Der Sensor ist nicht Teil der MCAS Software, er liefert dieser lediglich Informationen. Und wenn er kaputt ist, kann MCAS nichts dafür.

Was aber hat Boeing bei der Sache alles verbockt?

Eine Menge.

Der Sensor, der den Grad der Anstellwinkel misst, orientierte sich an einem der beiden Winkel. Normalerweise ist es üblich, dass in der Luftfahrt das Redundanzgesetz gilt, das heißt, das alles mindestens doppelt vorhanden sein muss, um den Ausfall eines Systems ausgleichen zu können.

Der Sensor schickte also falsche Daten an die Software, weil er defekt war. Die Piloten bekamen keine Information darüber, dass die beiden Sensoren voneinander abweichende Werte hatten, denn... und jetzt kommt der Hammer, es gibt eine Kontrollleuchte, die rot blinkt, wenn das der Fall ist, die aber nur gegen Aufpreis erhältlich ist. Ein Sicherheitsfeature in der Luftfahrt, wo die Airlines und vor allem die Flugzeugbauer für hunderte von Menschenleben pro Flug verantwortlich sind, nur gegen Aufpreis einzubauen, ist meiner Ansicht nach ein Ding der Unmöglichkeit.

Nach den beiden Vorfällen hat Boeing sich nun dazu entschieden, die rote Kontrollleuchte serienmäßig einzubauen. Außerdem wird die Software, das MCAS, modifiziert.

Sie soll jetzt nur noch einmal eingreifen dürfen und wenn der Pilot dagegen steuert, schaltet sie sich ab. Weiterhin deaktiviert sich die Software, wenn die rote Kontrollleuchte blinkt und somit anzeigt, dass die beiden Sensoren ( man greift in Zukunft auf zwei zurück) der Anstellwinkelmessung unterschiedliche Werte aussenden.

Boeing machte noch einen weiteren Fehler. Man informierte die Piloten nicht wirklich darüber, wie entscheidend das MCAS in die Flugroutine eingreift. Im Handbuch war angeblich nichts vermerkt, sondern lediglich die Bezeichnung „MCAS" mit der Erklärung „Maneuvering Characteristics Augementation System", mehr nicht.

Das alles wird Boeing jede Menge Geld kosten.

Sie werden von ihren eigenen Aktionären verklagt. Zudem hat ein Anwalt, dessen Großnichte sich an Bord der abgestürzten Boeing der Ethiopian Airlines befand, ebenfalls Klage eingereicht.

Eine Airline hat ihre Großbestellung von 50 Flugzeugen dieses Typs storniert. Andere Airlines überlegen dahingehend nachzuziehen.

Vielleicht fragt ihr euch, wer Boeing die Berechtigung erteilt hat, dass dieses Flugzeug überhaupt in die Lüfte abheben darf. Es war die Federal Aviation Administration, kurz FAA genannt, die Bundesluftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten. Denen verschwieg man die Auswirkungen des MCAS natürlich galant und hinzukommt, dass die FAA einen Teil der Verifizierung Boeing selbst überließ, weil sie „nicht die Experten dazu hätten". Das ist ungefähr so, als ob man einen Fuchs in den Hühnerstall lässt, um auf das Federvieh aufzupassen.

Die FAA musste sich deswegen vor dem Senat verantworten. Ich habe mir das Video, als der Senator Fragen stellte und immer wieder die gleiche Frage vehement in den Raum warf, auf YouTube angesehen.

Normalerweise gilt in der Luftfahrt das Procedere „Was die FAA verifiziert, darf auch in Europa fliegen", aber nun hat die EASA, die Europäische Agentur für Luftfahrt, angekündigt, dass die neue Verifizierung der Boeing gerne selbst vornehmen möchte.

Gestern Abend hatte ich die Gelegenheit mit jemandem zu sprechen, der im Technikbereich der Lufthansa arbeitet. Wir unterhielten uns eine ganze Weile darüber und auch er prangerte den teilweise schlechten Journalismus dahingehend an, der Halbwahrheiten herauslässt. Zum Beispiel die Pauschalaussage, dass die Software schuld am Absturz sei.

Außerdem traf er drei Aussagen, die ich euch nicht vorenthalten möchte:

Mit der Boeing 737 MAX hat man eine Mumie wiederbelebt.

Boeing zahlt die entstandenen Schäden aus der Portokasse.

Die 737 MAX wird mit ziemlicher Sicherheit wieder fliegen, nachdem alles modifiziert wurde.

Ich bin gespannt, wann das der Fall sein wird.

Fassen wir zusammen:

Selbst beim Journalismus gibt es große Unterschiede in der Qualität.

Und ja, wenn man es sarkastisch ausdrücken möchte, ist Airbus an den Abstürzen schuld, denn wenn sie ihren A320neo nicht so schnell auf den Markt gebracht hätten, dann hätte Boeing sich nicht so sehr beeilen müssen und Zeit gehabt, eine vollkommen neue Maschine zu entwickeln...

Kommen wir nun zu den Fragen

Hat sich von euch jemand näher mit diesen beiden Flugzeugabstürzen befasst?

Wenn ja, was habt ihr darüber gelesen?

Habt ihr über die Zusammenhänge, die ich euch vermittelt habe, nachgedacht und seid ihr auch zu dem Entschluss gekommen, dass man das, was einem die Medien vermitteln, stets ein wenig hinterfragen sollte?

Wer von euch ist schon mal geflogen? Wisst ihr noch mit welcher Maschine ihr unterwegs wart?

Wir kritisch lest ihr Berichte im Internet, in der Zeitung und wie kritisch schaut ihr Nachrichten im Fernsehen an?

Studiert jemand von euch Journalismus oder möchte das in Zukunft tun?

LG, Ambi xxx

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