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Amara
13.27 Uhr

Kurz bevor wir an der Stadtgrenze von Los Angeles angekommen, parkt er das Auto auf einem Rastplatz.
Er fährt bei weitem nicht mehr so lebensmüde wie gestern. 

"Bind' dir das um die Augen"
Er hält mir ein dunkles Tuch aus Seide vors Gesicht, weshalb ich verwirrt zu ihm herüber schaue, nur um festzustellen, dass er mich nicht einmal ansieht. 

"Sicher nicht", schnaube ich und wende meinen Blick wieder ab.

"Das ist zu deiner eigenen Sicherheit. Also bitte.", entgegnet er zunehmend wütender. Kurz schaut er genervt zu mir herüber, dann widmet er sich seinem Handy.

"Ich hab nein gesagt.", werde jetzt auch ich lauter, kann jedoch das Zittern in meiner Stimme trotzdem nicht mehr verbergen.

Ruckartig lässt er sein Handy los und greift nach meinem Kopf, um meinen Hals unter seinen rechten Arm zu klemmen. Während er mich im Schwitzkasten hält und ich mich gegen seine Griffe wehre, bindet er mir geschickt das Tuch um mein Gesicht, sodass ich wenige Augenblicke nichts mehr sehen kann.

„Meine Schulter!", weine ich laut, doch auch davon lässt er sich nicht beirren.

Als ich trotz meiner starken Schmerzen versuchen will, mir das Tuch abzunehmen, höre ich, wie er das Handschuhfach öffnet und Metall in meinen Ohren klirrt. 

Dann spüre ich kaltes Metall an meinem rechten Handgelenk.

Handschellen.

„Nein!", rufe ich weinend und zerre an dem kalten Metall. 

"Was soll das?", mache ich auf mich aufmerksam und zerre erneut.
Das kalte Metall schneidet sich in meine Handgelenke und ich bilde mir ein, dass ich hören kann, wie meine dünne Haut aufspringt. 

Ich zerre und winde mein Handgelenk, doch nichts tut sich.
Je schneller ich atme, desto weniger Sauerstoff füllt meine Lungen. Ich japse nach Luft, aber kann nicht atmen.

"Du musst ruhig atmen. Sonst kippst du gleich noch um.", erklärt er mir nüchtern. 

"Ruhiger.", will er mich anscheinend beruhigen.
"Durch die Nase einatmen und durch den Mund ausatmen."

Erschöpft höre ich auf an dem kalten Metal zu zerren und versuche meinen Atem zu kontrollieren.

"Geht doch.", höre ich ihn abwesend murmeln. 
Dann startet er den Motor und fährt weiter. 


13.34 Uhr

Set me free why don't you babe?

Get out of my life why don't you babe?

'cause you don't really love me

You just keep me hanging on

ertönt es leise durchs Radio des teuren Autos.

no you don't really need me

you just keep me hangin' on

Ich lehne meinen Kopf gegen die Kopflehne und versuche, so gut es geht, mich zu entspannen. 

Was hab ich nur für ein Glück in meinem Leben? 

Wir fahren bestimmt schon 20 Minuten über den Highway stadtauswärts und nur Gott weiß, an welchen gruseligen und gefährlichen Ort er mich jetzt bringt. 

Unwillkürlich muss ich schluchzen.
Sofort Presse ich mir die linke Hand auf den Mund, doch er hat es längst gehört.
Sein genervtes Seufzen ertönt in meinen Ohren und sorgt tatsächlich dafür, dass ich mich grundlos schäme.

"Hör auf zu weinen."
Seine Stimme ist ruhig. 
Bittend - auch wenn er das Wort Bitte in keinem Satz erwähnt. 

Er droht mir nicht - anders als sonst.

Fast klingt er mitleidig.

"Hier.", reicht er mir anscheinend etwas.
"Trink was, es ist nur Wasser.", fügt er hinzu.

Ich schüttel den Kopf.
"Hab keinen Durst.", lehne ich heiser ab. 

So einfach mache ich ihm meinen Tod nicht.
Er wird mich nicht einfach billig vergiften können, das hätte er wohl gerne.
Ich höre, wie er die Flasche wieder zudreht und sie ins Seitenfach seiner Tür steckt. Dann dreht er das Radio lauter, vermutlich, weil er mein Geheule nicht ertragen kann. 

Was auch immer. 

Interessiert mich auch nicht. 

Ich kenne ja nichtmal seinen Namen.


Get out, get out of my life

and let me sleep at night

'cause you don't really love me

You just keep me hangin' on

No you don't care about me

you're just using me


"Mir ist schlecht.", versuche ich ihn zum Anhalten zu bringen.
Ich kann nicht mehr hier sitzen und warten, bis er mich auf einem Rastplatz in der Wüste abknallt.

"Jetzt wirklich?", fragt er, als könne er es nicht glauben.

"Ja, jetzt wirklich. Ich kann es nicht haben, wenn ich nichts sehen kann und dann auch noch durch die Gegend gefahren werde.", meckere ich kraftlos und rutsche unruhig auf meinem Sitz hin und her, um meiner Aussage mehr Glauben zu schenken.

"Gleich kommt ein Rastplatz, schaffst du es bis da?", fragt er immer noch nicht ganz überzeugt von meiner Aussage.

"Muss ich ja wohl.", brumme ich. 

"Keine Spielchen, hast du mich verstanden?", scheint er meinen Plan wohl zu durchschauen.

Mir wird heiß.
"Ja, keine Spielchen.", bestätige ich ihm heiser.

Er wird dich töten, Amara.
Er wird dich eiskalt töten, wenn du abhaust.

"Ich bring dich um, wenn nicht!", spricht er genau das aus, was ich gerade gedacht habe.

An der Beschaffenheit des Bodens spüre ich, wie er vom Highway abfährt und auf einer Schotterpiste stehen bleibt. Als ich seine kalten Finger plötzlich an meinem Kopf spüre, erschrecke mich, doch er nimmt mir unbeirrt das Tuch ab und löst meine Hand aus dem scharfen Metall der Handschellen.
Während ich fassungslos mein blutiges und aufgeschürftes Handgelenk betrachte, ignoriert er es einfach. 

Warum sollte ihn das auch interessieren?

"Ich komme mit.", beschließt er entgegen meiner Erwartungen.

Ich erstarre. 

Wie bitte?

"Entschuldige, aber ich kann mich alleine übergeben.", erwidere ich perplex und halte die Luft an. 

"Hör mal, du erlaubst dir ganz schön viel. Was denkst du, dass du so mit mir reden kannst?!", kommt der große Kerl mir gefährlich nah, in dem er sich zu mir herüber lehnt. Wie schon gestern stützt er sich mit einer Hand an meinem Sitz ab. 

"Wenn ich wollte, dann könnte ich dich jeden Moment kalt machen, also pass lieber auf, was du sagst und vor allem wie!", faucht er mich an. 

Ich schlucke, während meine Unterlippe zittert.

Dann muss ich wirklich brechen.
Schnell halte ich mir die Hand vor den Mund und stoße die Tür auf, bevor ich zu einem dunkelgrünen Mülleimer renne, der nicht weit vom Auto entfernt steht. Ich höre seine schweren Schritte auf dem Schottern, bevor seine Hand sich um meine blonden Haare schließt und sie hochhalten. 

"Du musst atmen, Amara."
Fast schon seufzend bringt er diese Worte über seine Lippen. 

"Geh weg.", murmel ich und wische mir den Mund mit meinem Handrücken ab. Nach Luft japsend und mit feuchten Augen stütze ich mich auf dem Mülleimer ab und atme tief durch. 

Wie ich es verlangt habe, lässt er meine Haare los und geht dann zurück zum Auto. Im Augenwinkel sehe ich, wie er sich eine Zigarette anzündet und sich dann mit dem Handy in der anderen Hand ans Auto lehnt. 

Ist das meine Chance?  

Vorsichtig entferne ich mich ein paar Schritte von dem Mülleimer und gehe in Richtung Wald, der hinter dem Rastplatz beginnt.

Noch hat er mich nicht gesehen. 

Vorsichtig gehe ich weiter, bis ich vor einem kleinen Abgrund stehen bleibe, der in den Wald führt.
Wenn ich da jetzt runter gehe und sofort losrenne, dann würde er mich nicht mehr kriegen.

Oder?

Dann würde er mich auch nicht mehr sehen.

Immerhin scheint er in sein Handy vertieft zu sein.

Angeblich will er mir einen Arzt holen oder mich zu einem bringen.

Aber warum so weit außerhalb der Stadt?
In Los Angeles gibt es auch viele Ärzte und eine Krankenversicherung habe ich auch.

Jetzt oder nie.

Ich setze gerade einen Schritt in den Wald, da hebt er seinen Kopf und schaut mich stirnrunzelnd an.
Mir rutscht das Herz in die Hose, als ich an seinem Gesichtsausdruck erkenne, dass er versteht, was ich vor habe.
Vor Schreck stolpere ich rückwärts und falle auf den Rücken. 
Als ich mich hochdrücken will, ist es schon zu spät. Sein breiter Körper wirft einen dunklen Schatten auf mich, während ich aufwimmere und mich von ihm wegrolle, bevor er nach mir greifen kann.
Ich stolpere gebückt über den Boden, während ich immer wieder seine Hand an meinem Oberteil spüren kann.

Jeder Atemzug brennt in meinem Hals wie Feuer - so schnell renne ich vor ihm weg. In Meinem Mund breitet sich der Geschmack von Eisen aus, doch ich blende ihn gekonnt aus.

Immer wieder schaue ich mich panisch um, nur um immer und immer wieder festzustellen, dass er direkt hinter mir ist.

Und dann geht doch alles ganz schnell.
Seine Hand bekommt meinen linken Oberarm zu fassen und er zerrt mich mit so einer Wucht zurück, dass mein Schlüsselbein knackt.

„Aua!", kreische ich vor Schmerzen.

"Hast du was an den Ohren?", flüstert er mir bedrohlich zu - sein Mund liegt dicht über meinem Ohr.
Ich schließe die Augen, weil ich sonst keine Möglichkeit sehe, seinem Blick auszuweichen.

"Dass du deinen Mund nicht zum Antworten benutzt, ist mir mittlerweile klar geworden, aber du solltest dich jetzt wirklich zusammenreißen und mir eine Antwort liefern, was das hier gerade sollte. Nicht, dass mir noch die Hand ausrutscht".
Seine Stimme ist leise, aber dafür nicht weniger angsteinflößend.

"Ich- Ich muss mal!", lüge ich ihn mit zitternder Stimme an.
Nachdem diese Worte meinen Mund verlassen haben, leckt er sich mit der Zunge über seine UnterlippeI und ich erkenne an seinem dunklen Blick, dass er sich stark zusammen reißen muss.

Die plötzliche Stille zwischen uns ist so erdrückend, dass sie mir Angst einjagt.
Dann drückt er mich im nächsten Augenblick gegen den Baum einige Schritte hinter mir. Seine Hand umfasst meinen Hals, während er mich hochhält, sodass sich meine Hand reflexartig an sein Handgelenk legt. 

Mindestens 20cm über dem Boden baumeln meine Beine, sodass ich auf Augenhöhe mit ihm bin. Schmerzhaft bohren sich seine Fingerkuppen in meinen Hals und ich keuche nach Luft, während ich beginne mit meinen Beinen zu zappeln, weil mir die Luft ausgeht.

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