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Amara
7:26 Uhr

"Mara! Mara!", springt meiner kleiner Bruder auf meinem Bett herum.
"Mara, du musst aufstehen - hat Mama gesagt!"

Er klettert rücksichtslos über mich und hüpft auf dem Boden weiter.

Die Sonne blendet mich, als ich langsam die Augen öffne und mir wieder bewusst wird, was gestern passiert ist.
"Wie viel Uhr ist es?", frage ich mit brüchiger Stimme. 

Mein Kopf dröhnt und mir ist flau im Magen.

"Gleich halb acht, Mara!", schüttelt er mich wieder.

"Komm, du musst mit mir den Bärentanz tanzen! Das machen wir doch jeden morgen!", bettelt er und hält mir seinen Stoffbären vor die Nase.
Ich halte mir eine Hand vor die Augen, damit mich das helle Licht von Draußen nicht so stark blendet.

"Jasper, ich kann heute nicht, bitte geh von mir runter.", versuche ich ihn abzuwimmeln und schließe kraftlos die Augen. Das er auf mir herum springt, macht es nicht besser.
Im Gegenteil.
Immer wenn er hochspringt breitet sich ein ziehende Schmerz in meiner Schulter aus, den ich bis zu meinem Steißbein spüre.

"Aber Mara!", quengelt er jetzt lauter. In seiner Stimme kann ich Enttäuschung wahrnehmen. 

Ich seufze.
„Geh bitte zu Mama, ich komme gleich", schicke ich ihn aus meinem Zimmer.

"Tanzen wir dann?", fragt er mich aufgeregt. 

Ich nicke kraftlos.
"Ja, dann tanzen wir", bestätige ich ihm leise.


7.48 Uhr

Fertig angezogen und leicht geschminkt gehe ich die Treppe herunter. 

"Amara, geht es dir nicht gut? Du siehst so blass aus, princesa?"
Besorgt schaut mich meine Mutter an und nimmt mein Gesicht in ihre Hände, um es zu betrachten.

"Alles gut, habe nur schlecht geschlafen."
Ich winde mein Gesicht aus ihren weichen Händen und greife nach einem frischen Pancake, der auf dem Tisch steht.

"Tanzen wir?", ruft Jasper aufgeregt.
"¡Si, ven aqui!", fordere ich ihn auf zu mir zu kommen und schiebe mir währenddessen den warmen Pancake in den Mund.

Dann tanzen wir seinen Bärentanz.

Ich gebe mir große Mühe, mir die starken Schmerzen nicht anmerken zu lassen, während Jasper und ich tanzen, dennoch glaube ich, dass meine Mama etwas merkt.
Zum Arzt kann ich auf keinen Fall, dann muss ich erklären, woher ich das habe und dann sind wir alle tot. 

Alle. 

Er wird uns alle umbringen.

"Nochmal, Mara, nochmal Mara!"
Jasper klatscht fröhlich in die Hände und zeigt mir sein breitestes Lächeln.
Kopfschüttelnd laufe ich an ihm vorbei und greife nach meinem Rucksack, den ich mir heute extra über die andere Schulter lege.

"Ich muss jetzt los, Kleiner. Aber morgen wieder, versprochen.", hauche ich ihm einen Kuss auf den Kopf.
Dann verabschiede ich mich von meiner Mama und mache mich auf den Weg zur Schule. 

Den Zettel nehme ich nicht mit. 

Absichtlich nicht. 

Wenn er nicht auf mich geschossen hätte, dann vielleicht.
Aber so definitiv nicht.

Außerdem wird er mich eh töten, egal was ich mache.
Ich weiß, dass dieser Zettel existiert.
Das alleine ist schon Grund genug, mich zu töten.

Auf dem Weg zur Schule, kann ich kaum gerade laufen. Jede Bewegungen schmerzt in meiner Schulter, egal wie wenig ich mich bewege. 


12.48 Uhr

Als ich fünf Stunden später vor den Haupteingang meiner Schule trete, springt mir sofort der schwarze Land Rover in die Augen.
Von Weitem sehe ich, wie der große und kräftige Typ an der Fahrertür lehnt. 

Dunkelblaue Anzughose; weißes Hemd; silberne Uhr und eine glühende Zigarette zwischen den Fingern.

Nur seine Haare hat er heute nicht gemacht.

Lässig lehnt er am Wagen und hat seine Beine überkreuzt, während er jede meiner Bewegungen mit Adleraugen scannt.
Ein spöttisches Grinsen schleicht sich auf seine Lippen, während er unbeeindruckt an der Zigarette zieht und auf mich wartet.

Ich schlucke; mein Herz rast.
"Also Amara, heute Abend 21 Uhr?", erinnert mich Brooke an die Party heute Abend.

"Geht klar", stimme ich abwesend zu.
Meine Aufmerksamkeit gilt dem Arschloch vor dem Land Rover.

"Alles gut?"
Stirnrunzelnd schaut mich Jake an.
Ich wende meinen Blick von dem Fremden ab und nicke dann.

"Bis heute Abend!", verabschiede ich mich von den anderen.
Der Schulhof ist bereits wie leer gefegt und auch meine Freunde machen sich schnell auf den Heimweg.

Bevor ich mich in Bewegung setze, schaue ich noch einmal zu ihm herüber.
Arrogant tippt der fremde Typ auf seiner teuren Uhr herum. 

Ich weiß, was er damit meint.

Ich soll mich beeilen.

Mir steigen Tränen in die Augen, weil mich seine Geste so unfassbar wütend macht.

Bloß nicht weinen, Amara.
Reiß dich bloß zusammen

Einige Meter, bevor ich bei ihm ankomme, kann ich meine Wut nicht mehr zurückhalten.

"Du mieses Schwein!", brülle ich ihn wutgeladen an und versuche ich ihn zu schubsen.
Doch so überrascht er auch von meiner Reaktion ist, so schnell huscht er zur Seite, sodass ich ihn nicht treffe.

"Ich bring dich um!", schreie ich heulend und erschöpft, weil ich nicht wahr haben kann, dass er mich umbringen wollte, und versuche es erneut.

"Hey!", unterbricht er mich mit überrascht und wehrt meine Hände ab.
"Beruhig dich!", fordert er mich auf.

Vor Schreck hat er die Zigarette fallengelassen.
Schnell tritt er sie aus und schaut mich irritiert an, während ich nicht aufgebe. Zwar schmerzt meine Schulter wie Hölle, doch auch das hält mich nicht davon ab, weiter auf ihn einzuprügeln.

Weil er mich nicht anders beruhigen kann, packt er fest nach meinen Handgelenken und drückt mich gegen den Wagen.
Vor Schmerzen keuche ich auf und kneife die Augen zusammen.

„Hörst du jetzt auf?!", warnt er mich, während er dicht vor mir steht.
Einzelne Tränen, die vor Wut entstanden sind, laufen meine Wangen runter - mein Atem geht schnell.

"Ich hab dir schonmal gesagt, das es Konsequenzen haben wird, wenn du nochmal so ein Ding abziehst", wiederholt er zornig seine Worte von gestern.

"Du Arschloch hast versucht mich zu töten!", hauche ich ihm kraftlos entgegen und versuche meine Hände zu befreien.
Er zieht die Augenbrauen zusammen, dann folgt er mit seinen Augen einer Träne, die über mein Gesicht rollt.
Als er endlich meine Handgelenke los lässt, nutze ich die Chance und versuche nach seiner Waffe zu greifen, die in seinem Hosenbund steckt.

Ohne Erfolg.

Blitzschnell drückt er mich zurück gegen das Auto - so fest, dass mir die Luft aus den Lungenflügeln entweicht.
Um den Schmerz in meiner Schulter besser zu ertragen, greife ich in die Muskeln seines Oberarms.

"Ob du jetzt aufhörst.", wiederholt er sich gefährlich und kommt meinem Gesicht viel zu nah.
Er greift nach meinem rechten Arm, um mich noch stärker unter Kontrolle zu haben, bis er plötzlich seine Hand weg und betrachtet das Blut auf seiner Handfläche.

"Was hast du da?"
Weil er herausfinden will, woher das Blut an meinem Arm kommt, will er mich umdrehe, doch ich stemme mich heftig dagegen.

"Das müsstest du doch am besten wissen!"
Ich will ihn anschreien, doch es kommt nur ein Krächzen aus meinem Rachen.

"Jetzt beruhig dich endlich! Ich weiß verdammt nochmal nicht wovon du redest!" schreit er mich wütend an und haut mit der flachen Hand neben meinen Kopf auf das Autodach.
"Dreh dich um!", fordert er mich anschließend auf.

Aus Angst was als Nächstes passiert, tue ich, was er verlangt.

Kurz ist es still, dann atmet er laut aus.

„Komm mit, ich hole dir einen Arzt."
Seine Stimme ist bei weitem nicht mehr so aufgeregt, sondern viel ruhiger und irgendwie sanft. Ich lasse zu, dass er mich zur Beifahrertür führt, doch ich will ich nicht einsteigen, als er die Tür für mich öffnet. 

"Vergiss es!", lehne ich ab und gehe vom Auto weg. 
Seine Hand liegt noch immer an meinem Arm.

"Verbluten ist kein schöner Tod, mi Amor. Steig da jetzt ein!", wiederholt er sich erschöpft und schließt kurz angestrengt die Augen.

Als sein Blick danach direkt meine Augen trifft, gebe ich nach. Er hilft mir ins Auto, in dem er mich fast schon hochhebt und mich anschnallt.
Während er anschließend vorne ums Auto herum geht, putzt er sich mein Blut an einem weißen Seidentuch ab, welches er dann wieder elegant in seine Anzughose gleiten lässt.

Verbluten ist kein schöner Tod?
Welcher Tod ist bitte schön?

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