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Amara

"Was wollen Sie mit dem Bauplan?", nehme ich meinen Mut zusammen und stelle ihm die eigentlich wichtigste Frage.
Wenn ich hier lebend wieder raus kommen will, dann muss ich wissen, warum ihm der Plan so wichtig ist.

"Halt die Klappe.", faucht er unfreundlich zurück. 

Danach herrscht Stille.

Erneut lehne ich meinen Kopf gegen die Fensterscheibe und schaue auf die Straße vor uns. Die Nachmittagssonne prallt auf den hellen Straßenbeton und erhitzt die Steine auf dem Bürgersteig. 

Ich weiß nicht, wo wir jetzt hin fahren, aber ich stelle mich auf das schlimmste ein.

Währen der ganzen Fahrt tut er so, als wäre ich nicht anwesend und redet kein einziges Wort mit mir.

 Als er doch wiedererwartend seine Stimme erhebt, schrecke ich zusammen.
"Ich gebe dir jetzt einen Tag meinen Zettel wiederzufinden. Wenn nicht, dann.."
Er beendet den Satz zwar nicht, aber dennoch weiß ich, was dann passiert.

Erst jetzt fällt mir auf, dass wir vor meinem Haus stehen.
Er weiß also, wo ich wohne. 

Natürlich weiß er das, schließlich stand der Wagen die letzten Tage schon vor meiner Haustür.

"Wie lange hast du morgen Schule?", fragt er mich desinteressiert und tippt nebenbei auf seinem Handy herum.

"Bis 15 Uhr", versuche ich ihn anzulügen.

Verächtlich schnaubt er, bevor er sein Handy weglegt und seinen Oberkörper in meine Richtung dreht, sodass er sich mit verschränkten Armen gegen die geschlossene Tür lehnt und mich nüchtern anschaut.
„Amara", beginnt er mit tiefer Stimme.

Nervös höre ich ihm zu.

"Hör mir mal zu. Ich mag es nicht angelogen zu werden und du versuchst das ziemlich oft, findest du nicht auch?"
Er hat sich bedrohlich zu mir herüber gelehnt und stützt sich mit seinem rechten Ellenbogen gegen meinen Sitz. Seine rechte Hand liegt an seinem Kopf, vergraben in seinen Haaren, während sein warmer Atem, der nach Rauch und Pfefferminze riecht, auf mein Gesicht trifft.

"Ich bin um 13 Uhr an deiner Schule. Ich hoffe für dich, dass ich dich nicht suchen muss", droht er mir anschließend wieder.

"Was sonst?", bin ich diesmal diejenige, die ihn anfaucht, weil ich es satt habe. 
Zu meiner Verwunderung schmunzelt er über meine Provokation.

"Geh' jetzt besser, deine Mami wartet.", nickt er in Richtung Haus und schaut wieder auf sein Handy.

Tatsächlich steht sie am Fenster und versucht ins Auto zu schauen.
Blitzschnell nehme ich meinen Rucksack und reiße die Tür auf, nachdem ich mich abgeschnallt habe.

"Ach Amara!", hält mich seine dunkle Stimme erneut auf. 

Schweratmend schaue ich zurück.

Als Zeichen, dass ich besser schweigen soll, legt er seinen Finger auf seine Lippen. Dann zwinkert er mir mit zuckenden Mundwinkel provokant zu und wendet seinen Blick wieder ab.

Irgendwie erleichtert haue ich die Tür seines teuren Autos zu und renne schnell über die Straße zu meinem Haus.
Während ich den Schlüssel ins Schloss stecke, zittern meine Hände noch immer. Bevor ich die Tür öffne, drehe ich mich noch einmal um, um festzustellen, dass er noch immer mit laufendem Motor auf der anderen Straßenseite steht.

Erst als ich das Haus betreten habe und die Türe schließen will, höre ich wie er davon fährt.

"Princesa, wo warst du denn? Ich habe mir Sorgen gemacht!", stürmt meine Mama auf mich zu und zieht mich in eine feste Umarmung.

"Alles in Ordnung Mama, ich hab einfach nur ein bisschen länger in der Schule gebraucht und dann hat mich ein Bekannter nach Hause gebracht.", lüge ich sie an. 

Ich hasse es, das zu tun, aber wenn ich ihr die Wahrheit erzähle, dann wird er erst mich und dann sie umbringen.
Das kann ich nicht verantworten.

"Okay?", glaubt sie mir anscheinend nicht ganz, fragt aber auch nicht weiter nach. Während ich meine Schuhe abstreife und meine Jacke aufhänge, sieht sie mir skeptisch zu. Vor allem schaut sie sich meine Finger an, die noch immer zittern.

„Amara..", beginnt sie, doch ich unterbreche sie schnell.

"Ich ziehe mich eben um, dann komme ich essen", teile ich ihr mit und gehe nach oben in mein Zimmer.
Erschöpft lasse ich mich auf mein Bett fallen und lege meine Hände auf mein Gesicht.
Meine Ellenbogen und Knie tun höllisch weh und so langsam steigt die Wut in mir auf.

Was denkt er, wer er ist?

Er hat sich nicht einmal vorgestellt.
Wenn er netter gewesen wäre, dann hätte ich ihn vielleicht nicht angelogen.
So gibt er mir das Gefühl, als würde ich so oder so sterben, egal ob ich ihm den Bauplan gebe oder nicht.

Während ich an meinen Kleiderschrank gehe und die unterster Schublade öffne, ignoriere ich meine weichen Knie. Hinten aus der Ecke hole ich den blutigen Zettel heraus und schaue ihn mir genauer an.
Warum ist ihm der so wichtig?

Die Linien sind kaum noch zu erkennen, nur einige Längen und Breiten der einzelnen Räume sind eingezeichnet.
Und dann ein Kreuz in der linken Ecke einer kleinen Abstellkammer.
Auf der Rückseite erkenne ich Koordinaten.

Mehr nicht.

Gerade als ich sie in mein Handy eintippen will, ruft mich meine Mutter
"Amara?"

"Komme!", rufe ich zurück und verstaue den Zettel wieder sicher in der letzten Ecke. Schnelle laufe ich die Treppen nach unten und setze mich an den Tisch, damit meine Mama nicht so skeptischer wird. 

"Amara mein Schatz, ist wirklich alles in Ordnung?", fragt mich meine Mutter besorgt, als sie mir einen Teller bringt.

"¡Si mama!", erwidere ich nickend, gehe aber nicht weiter drauf ein.

Seufzend geht sie zurück in die Küche.
Ich fahre mir erschöpft durchs Gesicht und stecke mir anschließend eine Strähne hinters Ohr. Warum passiert mir sowas?
Jeder andere hätte den Mord sehen können, jeder andere hätte den Zettel finden können.
Warum ausgerechnet ich?
Hätte ich die Party 5 Minuten später verlassen, dann wäre jetzt kein Psychopath hinter mir her.


18.59 Uhr

Nachdenklich sitze ich auf meinem Balkon und schaue mir den Sonnenuntergang an. 

Was passiert wohl, wenn er den Zettel nicht kriegt? 

Wird er mich wirklich umbringen? 

Und was passiert, wenn ich zugebe, dass ich ihn habe? 

Dann bin ich erst recht in Gefahr.
Langsam aber sicher wird mir klar, dass ich aus dieser Nummer nicht mehr herauskomme.
Er sah aus als würde er keine Späße machen.
Ich habe zwar nichts mit Kriminellen zu tun, aber er wird doch keine Unschuldigen töten, oder?
Was würde er nur für einen Aufstand der Bürger riskieren? 

Das bin ich ihm nicht wert.
Nein -  das kann ihm der Zettel nicht wert sein.

Ein lauter Knall reißt mich aus meinen Gedanken, dann fällt der Putz hinter mir aus der Hauswand. Ein weiteres Mal knallt es laut, bis ich realisiere was hier passt.

Schüsse. 

Direkt schießt mein Puls in die Höhe, bevor ich mir auf den Boden des Balkons schmeißen und versuchen kann, zur Balkontür zu kriechen. Mein Atem geht schnell, während die Schüsse nicht aufhören wollen. 

Als ein brennender, stechender Schmerz mein Schulterblatt durchfährt, spüre ich zuerst das warme Blut, das an meinem Arm entlang läuft. 
Erst danach realisiere ich, dass ich getroffen wurde.
Wimmernd robbe ich mich über die Türschwelle und schleppe meinen Körper mit letzter Kraft in mein Zimmer.

Neben der Tür kauere ich mich zusammen und drücke meine Hand auf die schmerzende Wunde. Wie paralysiert betrachte ich Blut an meinem Arm und an meinen Händen. 

Sogar meine Haarspitzen sind mit Blut getränkt.

Vorsichtig taste ich meinen Arm ab, bis ich meine Wunde an der Schulter berühre.

„Mistkerl.", weine ich laut.

Mit letzter Kraft drücke ich vom Boden hoch und schleiche taumelnd ins Badezimmer. Mir ist schlecht und schwindelig, doch trotzdem schaffe ich es mir mein Shirt auszuziehen. 

Als ich mich umdrehe und mir die Wunde anschaue, wird mir so schlecht, dass ich mich fast übergeben muss.

Eine klaffende Wunde zieht sich über meine Schulter. Es scheint nur ein Streifschuss zu sein, doch trotzdem tut es höllisch weh.
Kraftlos stütze ich mich am Waschbecken ab und sofort hinterlassen meine Hände Blutspuren auf dem weißen Keramik.

Dieser Mistkerl schießt wirklich auf mich.

Vehement versuche ich die Blutung mit Handtüchern zu stoppen und tatsächlich fließt das Blut langsamer.
Während ich weinen abwarte, dass die Blutung aufhört, schaue ich wimmernd aus dem Badezimmerfenster. Das Auto meiner Mutter steht nicht auf dem Parkplatz vor unserem Haus und tatsächlich bin erleichtert, dass meine Mama nicht zu Hause ist. 

Schweratmend suche ich ein großes Pflaster im Wandschrank und klebe es so gut es geht über die Wunde. Dann werfe ich zwei Schmerztabletten ein, um die Schmerzen ausblenden zu können. Auch wenn ich durch die Tränen kaum etwas sehen kann, versuche ich das Blut von meinen Händen und dem Waschbecken abzuwaschen, bevor ich mich erschöpft auf mein Bett liege.

Meine Atem geht unregelmäßig und meine Sicht verschwimmt immer mehr, während ich an die Decke schaue. 
Plötzlich macht sich Panik in mir breit.
Wenn dieser Typ heute schon auf mich schießt, was wird er dann morgen mit mir machen?

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