5. Was zum Geier ist hier los???

Kurze Zeit später standen Anne und Tobias in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer und versuchten zu begreifen, was vor sich ging.
Fassungslos starrte Anne auf die mit Blut geschriebenen Worte an der Wand. Durch Tobias' Bericht war ihre Panik noch stärker geworden.
"Oh nein", keuchte sie und hielt sich die Hände vor dem Mund. "Das alles... kann doch einfach nicht wahr sein..."

Tobias bemerkte, wie ihre Unruhe wuchs und nahm sie sofort seitlich in den Arm. "Ich weiß", meinte er leise. "Ich hätte auch nicht gedacht, dass...".
Anne machte sich von ihm los, drehte ihn zu sich. "Aber warum???", rief sie ihm ins Gesicht. "Warum nur, Tobi??? Jahrelang war nichts und jetzt das!" Sie seufzte und wischte sich eine Träne weg. "Ich kann das nicht nochmal, Tobias", sagte sie dann mit zittriger Stimme und schaute ihn ängstlich mit ihren großen, grünen Augen an. "Nicht nochmal diese andere Welt..."

Tobias legte sofort beide Hände an ihre Schultern und streichelte sie sanft an den Seiten. "Hey, hey - das wird nicht passieren", meinte er möglichst selbstsicher. Er hatte den Kopf vorgebeugt und schaute ihr tief in die Augen. "Beruhige dich bitte, Anne. Was immer es war, es ist jetzt vorbei." So richtig daran glaubte er aber selber nicht.
"Aber... aber diese Botschaften, Tobi", stammelte Anne, "sind doch offensichtlich für uns gedacht, oder?! Und das jetzt, wo wir nach Amerika wollen. Das kann doch kein Zufall sein!" Sie seufzte und wischte sich eine weitere Träne weg. Tobias sah, wie es in ihrem Gesicht arbeitete. "Vielleicht ist das eine Warnung. Vielleicht sollen wir nicht dahin fliegen..." Ihr Blick wurde traurig.

Tobias schüttelte den Kopf. "Hey - auf keinen Fall! Wir freuen uns seit Monaten auf diese Reise." Dennoch konnte er den Gedanken nicht ganz abschütteln. Er ließ seine Freundin los und seufzte schwer.
Anne sah, wie er begann, über diese Sache zu grübeln "Irgendwas... irgendwas muss in Greifswald aufgetaucht sein...", sagte Tobias schließlich und suchte mit diesen Worten nach einer Erklärung. "Etwas aus Silent Hill." Er ließ die Worte wirken und nickte sich selbst ein wenig zu. "Ja - das könnte es sein", meinte er zu Anne. "So wie damals - beim Talisman."

Anne wurde daraufhin regelrecht starr vor Schock und schaute ihn mit großen, verängstigten Augen an. "Oh nein...", sagte sie leise, "was ist, wenn SIE aufgetaucht ist..."
Tobias lief bei diesen Worten ein Schauer über den Rücken. "Du... du meinst... du meinst..." Er wagte es nicht, den Namen auszusprechen.
Anne nickte nur mit starrem Blick.
Tobias schluckte. An ein Wiedersehen mit dieser bedrohlichen Frau hatte er bislang noch gar nicht gedacht...

Plötzlich klingelte es an der Wohnungstür. Die Beiden ruckten fast gleichzeitig mit ihrem Kopf Richtung Flur und guckten erschrocken drein.
"Wie? Was?", sagte Anne leise. "Wer ist das? Erwartest du jemanden?"
"Nein", wisperte Tobias.
Gleich darauf klopfte es an Tür. "Hallo, Herr Simmrow oder Frau Mollner, sind Sie da?", hörten sie eine Stimme geschult laut rufen. "Hier ist die Polizei."

"Was???", meinte Anne leise und hielt sich vor Schreck eine Hand vor den Mund.
Auch Tobias war erschrocken. "Was wollen die ausgerechnet jetzt hier?!", gab er wispernd von sich.
Unruhig schauten die Beiden von den Worten an der Wand wieder zum Flur. Das konnte doch kein Zufall sein.
In diesem Moment klingelte es erneut, gefolgt von einem weiteren Klopfen. "Hallo, sind Sie da? Öffnen Sie bitte die Tür, wir müssen Sie dringend sprechen!" In der Stimme des Polizeibeamten war bereits etwas Ungeduld herauszuhören.

"Tun wir einfach so, als sind wir nicht da", meinte Anne leise.
Tobias zog den Mund schief. "Geht nicht", erwiderte er unwillig, "wir haben die Schuhe vor der Tür gelassen. Sie werden annehmen, dass hier drin auf jeden Fall jemand ist."
Erneut klopfte der Beamte an die Tür. "Hallo - hören Sie! Hier ist die Polizei!"
"Verdammt, was jetzt?!", fragte Anne unruhig. "Wir können ihn auf keinen Fall hier reinlassen." Sie zeigte zu Alessa's Botschaft.
Tobias schluckte. Dann nickte er und meinte: "Nein - auf keinen Fall. Pass auf: bleib du hier. Ich öffne die Tür und kläre das. Die werden schon nicht in die Wohnung wollen." Hoffte er zumindest. "Falls doch, verriegelst du die Schlafzimmertür."

Anne nickte und schaute nervös zu den blutrot geschriebenen Worten. Sie war nicht besonders scharf darauf, mit einer übernatürlichen Nachricht im gleichen Raum zu sein, doch noch weniger wollte sie irgendwelche Polizisten in ihrem Schlafzimmer.
Tobias tätschelte sie einmal kurz an der Schulter, dann ging er möglichst selbstsicher in den Flur zur Wohnungstür. Er räusperte sich und öffnete die Tür.
Auf dem Flur standen ein Mann und eine Frau in Polizeiuniform. Der Mann hielt ein Schreiben in der Hand, die Frau musterte Tobias eindringlich. Beide standen in einer erwartungsvollen Pose da. Der Anblick verursachte bei Tobias ein starkes Herzklopfen. Er musste schlucken.

"Schönen guten Tag", meinte der rechts stehende Polizeibeamte. "Sind Sie Tobias Simmrow?"
Tobias nickte leicht. "Äh - ja?", sagte er dann unsicher.
"Kalkowski mein Name", sagte der Mann, "Kommissar Kalkowski. Das ist meine Kollegin Völschow." Er wies mit der Hand zu seiner Begleiterin, die Tobias daraufhin kurz zunickte. "Wir müssen Sie leider bitten, mit uns auf's Polizeipräsidium zu kommen", fuhr Kalkowski fort und hielt Tobias ein Schreiben hin. "Wir haben eine Vorladung des Staatsanwaltes, die uns aufgrund einer internationalen Ermittlung ermächtigt, Sie umgehend zur Vernehmung mitzunehmen."
Tobias erstarrte und betrachtete mit offenem Mund die Polizeibeamten. "Wie?... W...Was?!", entfuhr es ihm unsicher. 
Anne, die mit dem Rücken an der Wand neben der leicht geöffneten Schlafzimmertür stand und alles mithörte, erschrak heftig und hielt sich mit aufgerissenen Augen eine Hand vor den Mund.

Der Kommissar hielt Tobias das Schreiben deutlicher hin. Unsicher nahm der es ihm ab und starrte auf die mit Siegeln und Unterschriften versehene Vorladung. "Ist Frau Mollner auch da?", fragte derweil Kalkowski. "Wie Sie sehen, betrifft das Ganze auch sie."
Anne zuckte im Schlafzimmer zusammen.
Tobias überflog den Text, konnte nicht glauben, was er da las. Demnach hatte die amerikanische Botschaft bei der Staatsanwaltschaft die Vernehmung zweier Personen durch das FBI beantragt. Danach folgten zwei Zeilen, in denen Anne und er samt Geburtsdatum und Geburtsort als die zu vernehmenden Personen aufgeführt wurden. Offensichtlich hatte das Ganze eine gewisse Dringlichkeit, was den Staatsanwalt veranlasst hatte, eine sofortige Vorladung anzuordnen.

Tobias sah ungläubig auf, schaute zum Kommissar Kalkowski und dessen Kollegin. Frau Völschow legte für einen Moment den Kopf zur Seite und bedachte Tobias mit einem Blick des Bedauerns, so als wollte sie sagen 'Tut mir leid - wir können nichts dafür.'
"Also, Herr Simmrow", sagte Kalkowski und nahm ihm das Schreiben wieder ab, "was ist nun mit Frau Mollner? Wenn sie nicht da ist, nehmen wir Sie erstmal mit. Vielleicht könnten Sie uns dann sagen, wo wir Frau Mollner finden."
Anne hörte das und fasste sich keuchend an die Brust. Was ging denn hier nur ab?
"Nein, schon gut", meinte Tobias zaghaft. "Frau Mollner ist da. Vielleicht... vielleicht geben Sie uns nur einen Moment." Er versuchte, etwas selbstsicherer zu schauen und ergänzte dann: "Meine Freundin... also, Frau Mollner... ist gerade etwas unpässlich und müsste sich erst etwas anziehen."
Anne's Herz klopfte, aber im Grunde war sie froh über das, was Tobias sagte. Sie brauchte dringend noch einen Augenblick, um zu begreifen, welche Ungeheuerlichkeiten an diesem einen Tag gerade passierten.

"Kein Problem", meinte Kalkowski gönnerhaft und nickte einmal kräftig. "Wir werden solange hier vor der Tür warten."

___

Einige Augenblicke später saßen Anne und Tobias auf dem Rücksitz eines Streifenwagens und wurden von Kalkowski und seiner Kollegin zum Polizeirevier gefahren. Tobias hielt Anne's Hand und streichelte sie sanft, doch beide waren mit ihren Gedanken nicht im Auto, sondern dachten an Professor Hayden und den gruseligen Ort Silent Hill, der offensichtlich etwas damit zu tun hatte. Schließlich konnte es doch kein Zufall sein, dass an dem gleichen Tag, als Erscheinungen der Otherworld von Silent Hill sich zeigten, das amerikanische FBI mit ihnen sprechen wollte. Denn den einzigen US-Bürger, den sie jemals kennengelernt hatten, war Professor Jonathan Hayden, der durch seine Untersuchungen über Silent Hill damals das Grauen nach Greifswald brachte... 

"Wir werden Sie auch nicht lange dabehalten", sagte Kalkowski gerade mit seitlich geneigtem Kopf nach hinten zu ihnen - vermutlich, weil er ihre Anspannung merkte. Er saß auf dem Beifahrersitz, während die Kommissarin Völschow den Wagen fuhr.
Tobias schreckte aus seinen Gedanken auf. "Ach nein?", fragte er dann spöttisch.
Der Polizist schüttelte seinen Kopf, wodurch die blonden Haarspitzen an der Seite in Bewegung kamen. "Es geht hier rein nur um die Vernehmung", ergänzte er. "Danach können Sie gehen."

Anne und Tobias sahen sich skeptisch an und schwiegen dazu. Kalkowski kam aber in Erzähllaune und führte ihnen aus, warum das Ganze so ablaufen musste. Das FBI konnte ja schließlich nicht einfach vor deutschen Wohnungen auftauchen und Leute befragen. Daher die Vorladung zum Präsidium, wo die amerikanischen Agents die Beiden in einem eigens bereitgestellten Büro vernehmen würden.
Tobias und Anne seufzten, hörten nur halb hin. Wie es aussah, kamen sie auf jeden Fall nicht um die Sache herum.

Kurz darauf erreichte der Wagen das Polizeirevier in der Brinkstraße. Es war erst vor einiger Zeit an dieser Stelle neu errichtet worden. Anne und Tobias erinnerten sich noch an die Protestaktionen der Hausbesetzer, die den Abriss eines alten, schnuckeligen Einfamilienhauses verhindern wollten, das für den den neuen Prunkbau der Polizei weichen sollte. Letztendlich waren die Bemühungen umsonst. Das Präsidium wurde gebaut.
Als der Streifenwagen den Bau erreichten, sah Anne aus dem Autofenster zu dem hellen, rechteckigen Gebäude hinauf, das einen Großteil dieser Straßenseite ausmachte und wie ein klobiger Kasten wirkte, der alle andere Häuser der Straße überragte.

Der Wagen fuhr durch die Toreinfahrt und passierte die Schranke, die zum Hinterhof führte. Hier befand sich auch der Parkplatz des Polizeireviers. Frau Völschow schlug das Lenkrad ein und steuerte den Wagen genau in eine freistehende Parklücke.
Beim Aussteigen bemerkten Anne und Tobias einen auffälligen schwarzen Lieferwagen, der etwas abseits vom Gebäude im hinteren Teil des Parkplatzes stand. Auch von weiter weg war sofort das US-Kennzeichen auszumachen. Während die Beiden an der Seite von den Kommissaren ins Gebäude gingen, warfen sie sich einen nervösen Blick zu. Kein Zweifel - das musste der Wagen der FBI-Agenten sein!

Mit mulmigen Gefühlen gingen sie einen langen Gang hinunter und dann eine Treppe nach oben. Auf dem nächsten Stockwerk gingen sie den langen Gang weiter und eine Ecke herum. Andere Polizeibeamte warfen den Ankömmlingen neugierige Blicke zu. Glücklicherweise ließen Kalkowski und Völschow die beiden Studierenden locker hinter sich her gehen. So sah das Ganze nicht gleich wie eine Abführung aus. Dennoch fühlten sich Anne und Tobias unwohl und kamen sich irgendwie vorgeführt vor.

Nach einem weiteren Abbieger erreichten sie einen größeren, abgeschlossenen Büro-Bereich. Hier wurden ihre Begleiter sogleich von einem anderen Polizeibeamten begrüßt, der offenbar ihr Chef war.
Nach ein paar Worten wendete er sich Anne und Tobias zu. "So sieht man sich wieder, was?", gab er etwas grob von sich. Die Beiden blickten den Mann unsicher an. Doch dann dachten sie gleichzeitig, dass sie ihn schon einmal gesehen hatten. Vermutlich bei der damaligen Vernehmung... vor vier Jahren...

"Sie können ja Englisch oder?", fragte der vorgesetzte Beamte. Tobias und Anne nickten.
Der leitende Kommissar sah ihnen das Unbehagen an und schmunzelte leicht. "Na ja - Sie kennen das ja noch vom letzten Mal, richtig? Weiß der Kuckuck, warum das FBI Sie nochmal sprechen will, aber ich rate Ihnen dringend, zu kooperieren! Ich hab keine Lust auf Ärger mit dem Staatsanwalt, klar?"
Anne schluckte, Tobias blinzelte.
"Los jetzt, wir gehen rein", sagte der Beamte bestimmend, nickte zu der Tür hinter sich und drehte sich sogleich dahin um. Anne und Tobias konnten durch das Plexiglas einen schmucklosen Raum mit nur einem kleinen Tisch in der Mitte sehen. Am hintersten Fenster sahen sie einen älteren Mann stehen, der scheinbar rauchte.

Der ranghohe Polizeibeamte öffnete die Tür und sie traten zu dritt ein. Die Kommissare Kalkowski und Völschow blieben im Raum davor und postierten sich vor das breite Plexiglasfenster, um die Vernehmung zu sehen und vermutlich zu protokollieren.
Als sie den Raum halb durchquert hatten, sahen Anne und Tobias, dass der Mann tatsächlich eine rauchte. Der Beamte sah das auch und zog das Gesicht schief. "Äh, sorry - bei uns in Germany ist das Rauchen innerhalb von Polizeigebäuden nicht gestattet", meinte er dann entschuldigend auf Englisch und zeigte auf die Kippe.

Der FBI-Agent drehte sich ihm zu. Er hatte kurze, graue Haare, die nur noch an den Seiten voll da waren. Auf dem Kopf war zwar noch eine Stachelfrisur erkennbar, doch schimmerte dort inzwischen eine deutliche Glatze durch, welche durch die vereinzelten Haarspitzen so gut wie gar nicht kaschiert werden konnte.
Anne fiel sofort der stechende Blick des Mannes auf, der aus seinen blauen und etwas dichter zusammenstehenden Augen hervorging. Er verlieh dem Mann etwas Kämpferisches und Hartnäckiges, so dass er trotz der vielen Falten im Gesicht nicht alt oder müde wirkte. Anne schluckte.
"Oh - sorry", meinte der Mann und schaute auf seine Kippe in der Hand. Schnell zog er ein Taschentuch hervor und machte die Zigarette behelfsmäßig aus. "Hatte ich vergessen", meinte er auf Englisch, doch sein Gesicht wirkte etwas spöttisch. "Eine ziemlich dämliche Regelung, wenn Sie mich fragen."

Der Beamte ging darüber mit einem Handwischen hinweg und zeigte auf seine beiden Begleiter. "Hier sind die zwei", sagte er und übergab sie damit den amerikanischen Behörden. "Sie haben soviel Zeit, wie Sie wollen. Falls irgendetwas ist - wir sind nebenan." Sprach's, nickte dem Agenten zu und ging dann hinaus.
Die Tür klappte zu. Anne und Tobias standen unsicher ein paar Schritte von dem Mann entfernt und schluckten. Der FBI-Agent musterte sie einen Augenblick mit stechendem Blick.
Schließlich räusperte sich Tobias und fragte auf Englisch: "Können Sie uns sagen, warum wir hier sind? Wieso wollten Sie..."
"Hinsetzen, Sie beide!", unterbrach der Mann Tobias scharf und wies auf die Plätze an dem kleinen Tisch. 

Anne und Tobias erschraken, machten sich aber gleich daran, sich auf einen der Stühle zu setzten. Unsicher starrten sie den Mann an.
"Mein Name ist Agent O'Connors", sagte dieser derweil, holte seinen Ausweis hervor und klappte ihn wie im Film vor ihnen auf. "Ich vertrete das FBI. ICH hab jetzt das Kommando hier und ICH stelle hier die Fragen."

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