23. Alles Böse kommt von oben

Panisch rannten Anne und Heather weiter. Das Geräusch der schlagenden Flügel über ihnen kam immer näher.
"Verdammt - was jetzt?!", fragte Anne panisch.
Heather schluckte nervös. "Wir müssen es irgendwie täuschen." Da sah sie im Licht der Taschenlampe vor sich einen Abgrund auftauchen. "Los - da vorne teilen wir uns auf und rennen schnell nach links und rechts um das Loch herum."
Anne sah sofort, was Heather meinte und nickte wild.
Über sich spürten sie bereits den Luftzug vom herannahenden Untier.

Doch in diesem Moment erreichten sie den Abgrund. Wie auf Kommando bogen Anne und Heather direkt vor der Kante gleichzeitig nach links und rechts ab.
Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment heulte die Kreatur über ihnen auf und griff mit den Krallen zu. Doch statt die beiden Frauen am Kopf zu erwischen, glitt das Vieh mit seinen Krallen voran ins Leere und schwebte über den Abgrund.
Heather und Anne waren zeitgleich schon längst an den Seiten des Abgrunds. Heather erfasste die günstige Situation sofort. "Leucht' das Ding an, Anne", rief sie hinüber. Kaum gesagt, hob sie auch schon ihre Pistole und zielte auf das Untier, das Anne im nächsten Augenblick anleuchtete. Im Scheinwerferlicht konnte sie zu gut erkennen, dass es einer der dämonischen Gargoyles war, mit denen sie und Tobias schon mal zu tun hatten. Es hatte einen fleischigen, blutroten Körper und eine dämonische Fratze als Gesicht, das durch die zwei langgebogenen Hörner an seinem Kopf besonders teuflisch wirkte.

Im nächsten Moment knallte es laut und man sah Blut am Kopf des Monsters aufspritzen. Das Flugvieh heulte sofort einmal kurz auf, dann ließ es die Flügel hängen und stürzte geradewegs in den Abgrund.
Anne atmete erleichtert auf und sah dem Ding nach. Doch der Abgrund schien bodenlos zu sein. Das Untier war nicht mehr zu sehen, ebenso hörte man kein Aufschlagen. Anne erschauerte...
"Puuh", meinte Heather und ließ die Pistole sinken. "So langsam schieß ich mich ein."
Anne sah zu ihr rüber und zeigte einen Daumen. "Echt gut, dass du so treffsicher bist."
Heather wollte lächeln, doch dann hörte sie neue Geräusche.
'Flapp, flapp, flapp.'
Gleich aus mehreren Richtungen schienen weitere Flugviecher sich zu ihnen aufzumachen.
"Das gibst doch nicht", meinte Heather verärgert, "los - weg hier!"
Anne ließ sich das nicht zweimal sagen, leuchtete nach schräg vorn auf das Ende des Abgrundes, damit nicht nur sie, sondern auch Heather sah, wo sie hinlaufen musste.

Kaum waren sie beide wieder auf der metallenen Straße vereint, leuchtete Anne hektisch einmal den Himmel ab. Und dann sahen sie es: sowohl von links oben, von vorn und vom Dach des rechten Gebäudes rauschten drei gefährliche Gargoyles nach unten auf sie zu.
"Ach du Scheiße - was nun???", rief Anne panisch aus. 
Heather erkannte etwas im Schummerlicht rechts von ihr. "Los, da rüber zu dem Gebäude", rief sie, "wir brauchen etwas Deckung."
Gleich darauf setzten sich beide Frauen in Bewegung und steuerten die rechte Straßenseite an.
Währenddessen hörte Anne mit rasendem Herzen, wie das flappende Geräusch mehrerer Flügel immer näher kam. Gleichzeitig sah sie vor sich im Licht der Taschenlampe mehr Details von dem Gebäude und verstand sofort, warum Heather dorthin wollte. Zwischen dem Gebäude rechts und dem nächsten befand sich eine schmale Gasse, die auch begehbar war. Gleichzeitig gab es an dem Häuserblock eine mehrstöckige Feuerleiter, durch die die Gasse zusätzlich noch verengt wurde.

Rasch eilten Anne und Heather in die Gasse und platzierten sich unter den Stufen der Feuerleiter. Sogleich leuchtete Anne zur Straße, während Heather mit gezückter Waffe angespannt dastand. Beide Frauen keuchten und schwitzten.
Eines der Flugmonster flatterte sogleich tiefer und an die Gasse heran. Die anderen Monster schienen zu merken, dass nicht alle dort hinein passten und kreisten etwas außerhalb des Lichtstrahles oben über der Straße.
Heather war das egal. Sie peilte das herannahende Monster mit der Waffe an. Sie versuchte ihre Atmung zu kontrollieren - ganz so, wie sie es gelernt hatte. Das Vieh war in ständiger Bewegung und war deshalb schwieriger am Kopf zu treffen.
Panisch sah Anne, wie das Monster oben an die Feuerleiter "heranflappte" und langsam mit Krallen voran von oben immer dichter kam.

Gleich darauf knallte es. Heather hatte abgedrückt. Man sah eines der Hörner mit einem Schwall Blut vom Kopf wegfliegen. Das Monster quiekte fast schon erschrocken auf und flog plötzlich rückwärts und wieder etwas höher. "Scheiße daneben", ärgerte sich Heather.
"Aber ich glaub', es tritt den Rückzug an", meinte Anne optimistisch.
"Rückzug am Arsch", rief Heather verärgert, ging ein Stück aus der Deckung raus und schoss erneut mit nur einer Hand an der Pistole auf das Ding. Diesmal spritzte Blut an seinem rechten Flügel auf. Es quiekte laut, dann rauschte das Vieh mit dramatischer Langsamkeit zu Boden.
Heather betrachtete das Ding verärgert. "Das hast du jetzt davon", meinte sie schwungvoll. Zufrieden sah sie, wie das Unvieh halb verängstigt von ihr wegkroch bis auf die andere Straßenseite.
"Heh - nicht schlecht", sagte Anne hinter ihr. "Sie zum Krüppel schießen, reicht auch anscheinend."

Heather sah sich kurz um, nickte zufrieden und blickte wieder angespannt nach vorn. Doch anscheinend waren auch die anderen Flugviecher von den Pistolenschüssen verunsichert worden. Anne und Heather hörten zwar noch das Flapp-Geräusch, doch war das jetzt viel weiter weg als eben noch.
Anne trat nun ebenfalls aus der Deckung der Gasse. "Scheint so, als hast du die anderen gleich mit verscheucht."
"Ja - fragt sich aber nur wie lange", entgegnete Heather. Dann schüttelte sie den Kopf und meinte: "Vor allem geht das so nicht weiter. Mein Magazin ist schon halb leer und ich hab nur noch ein weiteres. Wir müssen ihnen irgendwie aus dem Weg gehen oder was Anderes finden, das man als Waffe verwenden kann."

Kaum hatte sie das gesagt, kam Anne eine Eingebung. Sie ging nochmal zurück zur Feuerleiter und beleuchtete den unteren Teil der Treppe. Sie sah genau das, was sie erhofft hatte: wie so oft in der Otherworld war das Ende der Treppe nicht richtig fertiggestellt. Der letzte Teil der Stufen fehlte völlig, das Treppengeländer ging noch ein Stück weiter und brach dann kurz oberhalb des Bodens einfach ab. Anne wunderte sich auch nicht darüber, dass direkt hinter der Feuerleiter mal wieder der Gitterboden endete und damit die ganze Gasse.
Vorsichtig ging sie an den Abgrund und rüttelte an den Stangen des Treppengeländers, dessen Ende vor ihr in der Luft hing.
"Was soll das werden?", fragte Heather und ging näher zu ihr hin.
"Ich versuche, uns eine zweite Waffe zu organisieren", erwiderte Anne und drehte an den frei hängenden Stangen.

Leider ließ sich keine bewegen. Anne schnaubte, dann hob sie plötzlich mit Schwung ihr Bein und trat einfach gegen die ganze Konstruktion. Heather schmunzelte halb, doch die Aktion hatte Wirkung. Eine der Stangen löste sich und knallte mit einem lauten 'Klänk' auf den Eisengitterboden.
Schnell ging Anne in die Hocke und klaubte die Stange auf, bevor sie in den Abgrund rollen konnte. Zufrieden drehte sie sich um und präsentierte stolz ihre Waffe.
"Nicht schlecht", meinte Heather und nickte anerkennend.
Anne umfasste derweil die Stange mit beiden Händen und hieb probeweise mit ihr hin und her. "Nicht ganz so wendig wie ein Schwert, aber es sollte gehen."
"Macht auf jeden Fall was her", war Heathers Meinung dazu.

Anne ließ die Stange sinken und überlegte. "Ach, da fällt mir noch was ein", sagte sie und kramte mit ihrer freien Hand in ihrer Hosentasche. Gleich darauf hielt sie Heather etwas Kleines hin. "Das ist ein Schlüsselanhänger mit einer kleinen Leuchte dran. Den könntest du prima an die Waffe mit ranhalten und hättest dein eigenes Licht."
Heathers Miene hellte sich auf. "Ah ja - das ist klasse." Erfreut nahm sie Anne das Utensil ab und testete das gleich mal aus. "Mensch - das du so einen tollen Anhänger nicht benutzt", wunderte sie sich.
Anne zuckte mit der Achsel. "Na ja - benutzen tue ich ihn schon, nur nicht wie gedacht. Ich nehm' die Leuchte als kleine Leselampe, wenn ich abends im Bett noch was lese." Sie lächelte schief. 

Heather sagte nichts dazu, sondern betrat mit gezückter Waffe die Straße. "Wir sollten versuchen, immer an einem Gebäude entlang weiterzugehen. Also - solange wie es geht, meine ich."
Anne nickte. "Schon klar." Falls ein Abgrund kam, konnten sie einfach zum Gebäude auf der anderen Straßenseite wechseln.
Mit derlei Gedanken machte Heather eine Kopfbewegung und sogleich eilten die beiden Frauen weiter die Straße runter. Sie hörten über sich die Fluggeräusche der Gargoyles, doch waren die im Moment noch weit weg. Die Frage war nur, wie lange noch...

___

Inzwischen waren Tobias und Laura auf dem Flur des Obergeschosses langsam weitergegangen. Scheinbar gab es hier keine Monster, doch irgendwelches Gestöhne hörten sie von weiter weg. Vermutlich lauerte die Antwort im Erdgeschoss...
Sie waren gerade nahe der Treppe nach unten, als etwas von oben Laura auf den Rücken platschte. "O Gott - was ist das?!", fragte sie panisch und kam ins Straucheln. Schnell leuchtete Tobias sie an. Was er sah, ließ ihn fast erstarren: auf Laura's Rücken saß eine übergroße Spinne mit unzähligen Beinen. Sie war fleischig rot und hatte als Buckel ein riesiges grünes Auge. Ihre Beine waren so dick wie Arme und statt acht schien sie zwanzig davon zu haben.
"Ach du Sch...!", rief Tobias, überlegte nicht lange, holte mit dem Dolch aus und stach volle Kanne mitten in das riesige Auge.
"Oh nein, was war das nur", rief Laura aus, als sie etwas quieken hörte, das von ihrem Rücken herunterfiel.

Tobias schluckte schwitzend, dann leuchtete er vorsichtig auf den Boden zu dem spinnenartigen Ding. Im nächsten Moment sah Laura das blutige Auge des Monsters im Licht der Taschenlampe aufleuchten. "Ahhh - nicht das noch", kreischte sie erschrocken. "Wo ich doch solche Angst vor Spinnen habe!" Sie zitterte am ganzen Körper.
Tobias seufzte. "Es gibt also mal wieder noch weitere Monster...", murmelte er vor sich hin. Und Lauras Spinnenangst konnte eine Erklärung dafür sein, warum sie ausgerechnet so aussahen. Er hatte die Regeln der Otherworld nicht vergessen, die ihnen damals Professor Hayden erklärt hatte...
"Blödes Ding", hörte er in diesem Moment Laura sagen, die mutigen Schrittes nach vorne ging und gegen den leblosen Körper des Spinnendings trat. Ihre Angst war anscheinend einer Verärgerung gewichen. Als Tobias sie halb erstaunt ansah, zuckte sie nur mit einer Achsel und meinte: "Das Ding hat mich gebissen."

"Ich hoffe nicht ernst", sagte Tobias und betrachtete sofort Lauras Rücken. Das Kleid war an einigen Stellen kaputt, aber zum Glück war auf Lauras makelloser Haut nur Kratzspuren zu erkennen - keine Blutspuren.
Laura hörte über sich Krabbelgeräusche. "Tobyyy...?", sagte sie langgezogen und schaute zur Decke. Intuitiv leuchtete Tobias nach oben. Und dann sahen sie es! Weitere großäugige Spinnen wuselten an der Wand entlang in ihre Richtung oder ließen sich mit einem Faden von der Decke herunter.
Laura schrie angeekelt auf.
"Ich würde mal sagen, wir gehen endlich ins Erdgeschoss", gab Tobias laut von sich und wandte sich sofort der Treppe zu. Laura folgte ihm ohne zu Zögern freiwillig. Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment ließ sich eine Monsterspinne von ihrem Faden fallen und landete direkt hinter ihnen auf dem Eisenboden.

Laura und Tobias hetzten bereits die Treppe herunter. Statt aus Holz und mit einem filigran gestalteten Treppengeländer, waren die Stufen nun ebenfalls aus Eisen und hingen frei in der Luft. Die Treppe besaß kein Geländer und hatte links und rechts neben sich nur Abgründe.
Schnell hasteten Tobias und Laura die Treppe hinunter. Die beiden letzten Stufen fehlten gleich völlig und so mussten sie plötzlich springen, um nicht in den Abgrund zu fallen.
"Oh nein - warum fehlen hier immer nur Teile des Bodens?!", ärgerte sich Laura.
Kaum waren sie unten, drehte Tobias sich um und leuchtete hinter sich. Sogleich sah er die einzelne Spinne mit dem Glubschauge, die sie verfolgte. 
Als Laura sich ebenfalls umdrehte, sprang die Spinne gerade über den Abgrund. "Ahh", erschrak sie sich und schlug instinktiv mit dem Turm um sich, den sie immer noch in beiden Händen hielt.

Tobias staunte nicht schlecht, als er daraufhin sah, wie die Spinne mitten im Sprung getroffen wurde und durch den Schwung ein Stück zurückflog. Quiekend stürzte sie in den Abgrund am Fuß der Treppe.
"Das war nicht schlecht", sagte er hörbar lobend.
Lauras Blick drückte lediglich Erleichterung aus. "Die sollten mir besser aus dem Weg gehen", erwiderte sie dann. Tobias schmunzelte leicht und war froh, dass sie trotz allem ihren Humor nicht verloren hatte.
"Ich glaube, jetzt sollten wir aber gehen", sagte Laura als Nächstes. 
Tobias leuchtete sofort um sich und dann sahen sie beide, wie weitere Monster mit Krakenarmen als Kopf von beiden Seiten auf sie zu kamen.
"Vielleicht gibt es hier gar keine Hinweise", sagte Tobias ahnend, "vielleicht sollen wir einfach nur aus dem Gebäude raus."

Kaum gesagt gingen Laura und er einfach geradeaus auf die andere Seite des Ganges, wo die Treppe zum Ausgang war. Im schummrigen Licht der Taschenlampe sahen sie noch, wie von beiden Seiten des Flurganges mehrere krakenarmige Monster auf sie zustrebten.
Doch das war nun egal. Die beiden Gefährten polterten unter lauten 'Klänk'-Geräuschen die Metalltreppe runter und stürzten schnell durch die hölzerne Doppeltür, die seltsamerweise immer noch so aussah wie in der normalen Welt.
Gleich darauf waren sie draußen und bemerkten frische Luft um sich.
"Bleibt nur die Frage, wo wir jetzt hingehen", sagte Tobias ernst.
Doch Laura starrte erstaunt auf den Platz vor sich. "Was denn - draußen ist auch nichts normal?!", wunderte sie sich.
Tobias zuckte mit der Achsel. "Leider ja", erwiderte er bedauernd. "Und wir sollten auch nicht so laut reden..."

Lauras Blick schnellte zu ihm. Unsicher sah sie sich um. Doch noch waren sie beide im Schutz des Gebäudes, das - wie Laura nebenbei bemerkte - jetzt ebenfalls ziemlich creepy aussah...
"Hhm", überlegte sie schließlich, "wenn es Hinweise geben soll, wieso schauen wir dann nicht im Historischen Institut nach. Vielleicht ist etwas im Sekretariat oder im Archiv."
Tobias nickte. "Das wäre eine Möglichkeit", meinte er. "In welche Richtung liegt das?"
Als Laura ihren Arm nach halb links hob, setzten sich die Beiden sofort dahin in Bewegung.
Sie waren erst ein paar Meter gelaufen, als Tobias plötzlich über sich ein Geräusch hörte: 'Flapp, flapp, flapp.'
"Oh nein - nicht das noch!", rief er, ohne stehenzubleiben.
"Wieso - was bedeutet das?", fragte Laura panisch und versuchte am Himmel etwas zu erkennen.
Tobias Miene versteifte sich. "Dass wir gleich wissen werden, wie gut wir wirklich rennen können..."

___

Ungefähr zur gleichen Zeit hatten Anne und Heather den nächsten Abgrund erreicht, der ihnen den Weg am rechten Straßenrand entlang versperrte.
"Dann müssen wir auf die andere Seite", meinte Heather, wechselte die Richtung und bedeutete Anne, mitzukommen.
Doch kaum waren sie auf der Mitte der Straße, hörten sie, wie mehrere Flugmonster von oben heranrauschten. Anne leuchtete hektisch nach links und rechts oben, um zu erspähen, woher die Gefahr drohte. Es machte sie fertig, dass sie immer nur diese Flapp-Geräusche hörte, aber die Verursacher nicht sehen konnte.
Plötzlich sah sie von rechts über den Abgrund etwas heranfliegen. "Deckung!", rief sie Heather in den Rücken. Ohne zu Zögern knallte sie sich der Länge nach auf das engmaschige Eisengitter und sah erleichtert, dass Heather es ihr nachtat.

Im nächsten Moment waren die Flapp-Geräusche sehr laut. Die Frauen spürten über sich einen Luftzug. Eines der Monster flog haarscharf über sie hinweg, schlug mit den Krallen aus und gab dabei ein nervenzerreißendes Quieken von sich.
Anne spürte eine Art Schubser am Rücken, dann war das Ding auch schon vorüber geflogen.
Kaum waren die Flattergeräusche weg, sprang Heather auf. "Los weg - zum Gebäude dort drüben."
Anne richtete sich schnell auf und folgte Heather. Dabei bemerkte sie etwas Nasses, das auf ihre Unterschenkel tropfte. Doch dafür war keine Zeit, denn das Vieh wendete bereits und kam erneut in ihre Richtung.

Als das Ungeheuer heranrauschte, langten beide Frauen gerade beim Gebäude auf der anderen Straßenseite an. Sofort wandten sie sich in Richtung des Monsters, die metallene Wand des Häuserblocks im Rücken. Im Licht der Taschenlampe sahen sie weitere Gargoyles über den Abgrund auf sich zu flattern.
"Verdammt", zischte Heather und hob ohne zu zögern sofort ihre Waffe. Dank des kleinen Schlüsselanhängers mit Leuchte, den sie an die Pistole mit ran hielt, konnte sie die Dinger gut beim Zielen anleuchten.
Anne sog erschrocken die Luft ein, als das Vieh, das sie gerade am Abgrund packen wollte, schon ziemlich nahe war.

Doch im nächsten Moment knallte es und man sah Blut am Kopf des Ungeheuers aufspritzen. Ohne einen Mucks sackte es im Flug zusammen, knallte mit dem Oberkörper direkt vor ihren Füßen am Rand des Abgrunds auf dem Boden auf und stürzte dann rücklings in die Tiefe.
Heather zielte bereits auf die anderen Flugmonster, doch wie beim letzten Mal schien der gewaltsame Tod ihres Artgenossen diese erstmal zu beeindrucken und zu dem Gedanken zu kommen, sich von der Frau mit der Pistole fernzuhalten.
Erleichtert ließ Heather die Waffe sinken, als die Dinger die Flugrichtung änderten und wieder in ungeahnte Höhen verschwanden.

"Puuh - das war knapp", meinte Anne nur. Dann bemerkte sie wieder das Tropfen einer Flüssigkeit an ihren Beinen. "Was tropft hier bloß", wunderte sie sich.
Heather bemerkte das und trat zu ihr. "Ahh - schon klar", meinte sie, als sie mit dem Schlüsselanhänger Anne auf den Rücken leuchtete. "Dieses Vieh hat deinen Rucksack beschädigt."
"Was?", erwiderte Anne halb verärgert von sich und nahm blitzschnell ihren Rucksack ab. Dann sah sie selbst die Löcher. "Oh nein - meine Wasserflasche", erkannte sie. Sogleich legte sie die Metallstange neben sich ab, öffnete rasch den Rucksack und nahm die Seltersflasche hinaus, die sie vor der Abfahrt nach Ludlow dort reingepackt hatte. Selbst im blassen Licht des Schlüsselanhängers war gut zu sehen, wie das Wasser durch drei kleinere Löcher an der Seite herauslief.

"Na toll - jetzt geht uns auch noch die Verpflegung aus", murrte Anne. Dann hielt sie Heather die Flasche hin. "Willst du noch nen Schluck?" Als ihre Begleiterin den Kopf schüttelte, schraubte Anne die Flasche auf und trank fast den ganzen Rest aus. Dann schmiss sie die kaputte Flasche einfach in den Abgrund. Würde ja sowieso keinen stören.
Heather betrachtete die aufgerissenen Stellen im Rucksack. "Wenigstens hat das Ding dich nicht direkt erwischt", war ihre Meinung.
Anne nickte beklommen, schüttelte das restliche Wasser aus dem Rucksack, verschloss ihn und nahm ihn wieder auf den Rücken.
"Wir sollten weiter", sagte Heather angespannt und spähte nervös in den finsteren Himmel. Anne brummte zustimmend, während sie die Metallstange wieder aufnahm. Gleich darauf gingen sie beide nebeneinander auf dem Streifen Eisengitter entlang, der sich zwischen dem Gebäude und dem Abgrund befand.

Plötzlich hörten sie ein Tapsen. Gleich darauf sahen sie einen der verunstalteten Hunde auf sich zu kommen. Da der Eisengitterstreifen nur drei Meter breit war, mussten sie sich ihm stellen, um vorbeizukommen.
Heather hob bereits die Pistole. "Warte - das mach ich mit der Stange", hielt Anne sie zurück. Irgendwann musste sie das Ding schließlich mal ausprobieren.
Knurrend kam der Hund auf sie zu. Sein unnatürlich großes Maul war schon halb offen, die lange rote Zunge bewegte sich begierig hin und her.
Anne umklammerte mit beiden Händen die Stange mitsamt der Taschenlampe fest und machte sich bereit für den Angriff.

Der Hund knurrte grimmig, als er schon ganz nah war und spurtete direkt auf Anne zu.  Sogleich holte sie mit ihrer Stange aus und schlug einmal von rechts nach links zu. Sie spürte einen heftigen Ruck, als die Metallstange die Schnauze des Hundes traf. Blut spritzte auf, doch der dämonische Hund blieb standhaft und sprang nur kurz nach links. Anne hatte gehofft, dass er umfallen würde, doch anscheinend konnten die Viecher was einstecken.
Schon sprang der Hund erneut nach vorn und wollte Anne ins Bein beißen. Eher durch Glück, als durch Technik, gelang es Anne irgendwie gleichzeitig zurückzuspringen und die Stange von der anderen Seite auf den Hund schwingen zu lassen. Wieder traf sie ihn am Maul, doch auch diesmal kam der Hund nur einmal kurz aus dem Tritt.

"Verdammt, sind die robust!", rief Anne keuchend. Bei jedem Treffer gegen den fleischigen Gegner hatte sie zu tun, dass ihr die Metallstange nicht aus der Hand fiel.
Heather erkannte das auch und ging links zur Seite, um den Hund von dort zu erwischen. "Warte, ich helf dir", sagte sie und ging mit der Pistole zielend auf die Knie.
Der Monsterhund schnappte derweil erneut nach Anne. Sie holte mit der Stange aus und starb tausend Tode, als sie sah, dass sie das Ding verfehlte.
In diesem Moment fiel ein Schuss. Statt Anne zu beißen, jaulte der Hund auf und kam aus dem Tritt. Anne sah Blutspritzer aus der Körpermitte des Dings austreten. Ohne zu zögern, holte sie von links mit der Stange aus und schlug mit Schwung zu. 

Der angeschlagene Hund konnte die Wucht diesmal nicht so gut abfedern. Er taumelte nach rechts, nah an den Abgrund heran. Anne sah das und holte sogleich erneut aus. "Schluss jetzt, du Mistding", rief sie und knallte dem Hund die Stange nochmal in die gleiche Seite. Der rutschte dadurch ein weiteres Stück weg und konnte sich nicht mehr halten. Jaulend segelte er in den Abgrund.
Erleichtert atmete Anne auf und ließ ihre Waffe sinken. "Danke", sagte sie zu Heather, die sich auch gerade wieder aufrichtete. "Schon gut", erwiderte die.
Anne ging immer noch keuchend zu ihr. "Ich hatte nur gehofft, dass wir die Hunde ohne Pistole erledigen können", sagte sie angespannt. "Um Munition zu sparen."
"Noch hab ich ja was", meinte Heather. "Außerdem müsste bald die U-Bahn kommen. Dann wären wir schon mal vor Luftangriffen sicher."

Anne zog den Mund schief. 'Wenn du dich da mal nicht täuschst...', dachte sie und erinnerte sich an die Flugmonster, die damals in einem Gebäude der Universität auf Tobi und sie gewartet hatten...
"Dann lass uns schnell dort ankommen", sagte sie nur und nickte mit dem Kopf die Straße herunter. Eilig gingen sie weiter.
Kurz darauf endete der Abgrund rechts neben ihnen. Die metallene Straße war wieder in vollständiger Breite betretbar. Heather und Anne blieben dennoch auf der Seite, wo sie gerade waren. Nervös registrierten sie, wie die Flattergeräusche über ihnen lauter wurden.
Von rechts kamen plötzlich zwei Hunde auf sie zugeeilt. Angespannt hielt Anne die Metallstange vor sich. Heather ging sofort in die Hocke und zielte. Es knallte und sogleich sah man den linken Hund mitten in seinem Lauf umkippen.

Der andere Monsterhund war aber schon heran. Anne schwang die Stange vor sich hin und her, während Heather ihn sofort anvisierte. 
Der Hund wollte Anne die Stange mit seinem Horrormaul wegschnappen. Doch gleich darauf knallte es erneut und er sackte zur Seite weg.
Anne sah zu ihr rüber und nickte einmal.
Währenddessen hörten sie die Flugmonster näherkommen. Schnell eilten sie weiter. Doch was war das! Links am Straßenrand endeten plötzlich die metallenen Gebäude. Sie hatten keine Deckung mehr! Stattdessen klaffte ein riesiger Abgrund neben ihnen, der alles jenseits davon absperrte. Schon hörten sie, wie mehrere Flugmonster in ihre Richtung flogen.

Ein paar Schritte weiter tauchte auch vor ihnen ein Abgrund auf. Schnell wandten sich die Frauen nach rechts, Richtung andere Straßenseite. Doch der Abgrund schien diesmal nicht nur einen Teil der Straße auszumachen.
"Scheiße - ist das eine Sackgasse?", rief Anne nervös, als sie am Rand des Abgrunds entlangliefen. Gleichzeitig hörten sie das Flattern mehrerer Gargoyles bedenklich nah.
"Deckung!", rief Heather plötzlich und warf sich auf den Boden. Anne tat es ihr sofort gleich. Die nahen Flapp-Geräusche wurden sehr laut und im gleichen Moment hörten sie, wie über ihnen eines der Flugmonster vorüber segelte. Es quiekte drohend und stach mit seinen Krallen hin und her, doch direkt am Boden waren die Frauen zu tief, um erwischt zu werden.

Heather drehte sich sofort auf den Rücken und hielt die Pistole hoch. Der wegfliegende Gargoyle war mitten über dem riesigen Abgrund, der quer über die Straße ging. Doch es näherten sich noch zwei weitere. Den nächsten aus der Nähe visierte Heather an und drückte ab, als er schon ganz nahe war.
Anne hörte ein Knallen, gefolgt von einem unmenschlichem Aufheulen. Dann sah sie aus dem Augenwinkel, wie links hinter ihr ein Flugmonster jaulend in den Abgrund segelte.
Heather visierte derweil das andere Monster an, doch das flog über den Abgrund hinweg außer Reichweite.
"Los weiter - wir dürfen nicht in der Mitte der Straße bleiben", rief Heather und schwang sich hoch. Anne rappelte sich sofort hoch und die Frauen hetzten weiter den Abgrund entlang.

Schon kam die andere Straßenseite in Sicht. Im Licht der Taschenlampe wurde ein großes Schild mit einem Pfeil sichtbar. "Der Eingang zur U-Bahn", erkannte Heather erfreut. 
Doch im gleichen Moment ertönte ein vielfaches 'Flappen' von allen Seiten. Anne leuchtete quer durch die Luft und erstarrte fast im Laufen. Sechs oder sieben Flugmonster kamen plötzlich genau in ihre Richtung - aus der anderen Straßenrichtung, vom Abgrund her und auch von vorn. Gebäude gab es auch auf der anderen Straßenseite nicht, wie die beiden Frauen erschreckend erkannten. Der Eingang zur U-Bahn war genau an der Ecke des Abgrunds, so als wäre er eigens für die beiden Frauen dagelassen worden.
"Oh nein, so viele Monster", rief Anne panisch.
"Wir müssen zur U-Bahn-Treppe", erwiderte Heather gehetzt. "Los - lauf vor. Ich verschaff uns Deckung."

Ein Teil von Anne wollte protestieren, doch die Furcht vor den Flugmonstern war größer und ließ sie zu einem Sprint ansetzen. Im gleichen Moment kamen auch noch zwei Hund die Straße heruntergehetzt. Sie rannten genau auf die Treppe zur U-Bahn zu.
Heather schoss gerade links von sich ein Flugmonster ab, das schon sehr nah herangekommen war. Dann visierte sie einen der Hunde an, die auf Anne zuliefen. Es knallte und der Hund fiel jaulend auf die Seite. Doch den anderen Hund konnte sie nicht erwischen. Gleich zwei Flugmonster hatten sie fast erreicht, so dass sie sich kurzerhand wieder auf den Boden werfen musste.
Anne stand schon bei der Treppe und sah den zweiten Hund auf sich zukommen. Sie drehte sich in seine Richtung und hielt die Stange angespannt vor sich.

Der Monsterhund kam unvermindert auf sie zu. Anne stand mit der Stange da, ihr Herz klopfte wie wild. Das Vieh war zu schnell! Sie würde es nicht schaffen, es mit einem Treffer von der Seite aus dem Gleichgewicht zu bringen. Gleichzeitig hörte sie zwei Schüsse. Hoffentlich hatte Heather wieder was getroffen.
Anne ging weiter rückwärts und stand nun schon bei der ersten Stufe der U-Bahn-Treppe. Da sprang der Hund - geifernd, knurrend und in wilder Wut - direkt nach oben in die Luft auf ihren Oberkörper zu. In ihrer Verzweiflung holte sie mit der Metallstange nach hinten aus und stach so heftig sie konnte nach vorn zu. In diesem Augenblick sprang der Hund mit seinem geöffnetem Maul genau auf die Stange auf.

Durch den Ruck wurde Anne rückwärts gestoßen, doch sie konnte mit ihrer Beinarbeit gut dagegen halten und fiel glücklicherweise nicht um. Außerdem bemerkte sie zufrieden, wie sie im Inneren des Untiers etwas getroffen hatte.
Der Monsterhund jaulte, schnappte zu, traf aber nur das Metall des Rohres. Wütend bewegte er sein Maul hin und her. Durch den Ruck riss er Anne die Stange aus den Händen. Doch sie steckte weiterhin in seinem Maul fest. Das Ding knurrte wütend, kämpfte und würgte gegen das Metallding in seinem Rachen und schüttelte seinen Oberkörper hin und her. Anne konnte das Monster nur anstarren, das mit der herausragenden Metallstange im Maul noch grotesker aussah.
In diesem Moment erreichte Heather den letzten Abschnitt zum U-Bahn-Eingang. Sie wollte schon auf den würgenden Hund schießen, doch dann erregte etwas Anderes ihre Aufmerksamkeit. "Anne, hinter dir - Deckung!"

Als Anne Heathers Ruf hörte, riss sie das aus ihrer Erstarrung. Ohne sich umzudrehen, warf sie sich nach vorn auf den Boden. Gleich darauf flatterte von hinten über den Torbogen der U-Bahn-Treppe ein Gargoyle hinweg. Verärgert fauchte er auf, als er Anne verfehlte. Doch immer noch im Sturzflug segelte er genau auf den Monsterhund zu, der weiterhin mit der Stange im Maul kämpfte. Ohne zu zögern packte das Flugungeheuer den angeschlagenen Hund und nahm ihn mit sich in die Lüfte. Anscheinend war ihm jede Beute recht.
Heather betrachtete das Schauspiel nicht lange, sondern lief sofort die letzten Schritte zum Ende des Abgrunds und bog rasch zur U-Bahn-Treppe ein.

"Gott sei Dank, du bist noch in einem Stück", sagte sie zu Anne.
"Kann man wohl auch von dir sagen", erwiderte ihre Begleiterin.
Doch sie hatten keine Zeit zu verlieren. Noch immer strebten weitere Flugmonster auf den Eingang der U-Bahn-Treppe zu.
"Los - runter jetzt", meinte Heather. Anne ließ sich das nicht zweimal sagen und betrat zügig die ersten Stufen der Treppe. Seltsamerweise ging die Treppe und auch der ganze Treppenschacht nach einigen Schritten von Metall zu Stein über, so dass der Bereich wieder so aussah, wie in der normalen Welt.
Heather ging derweil rückwärts die Treppe herunter und schoss noch ein, zwei herannahende Gargoyles ab. Die anderen hielt sie mit zwei weiteren Warnschüssen auf Abstand.

Erst als gerade keine Gargoyles mehr direkt über der Treppe waren, kehrte sie sich um und eilte zügig die Stufen hinunter, bis sie auf Annes Höhe war.
Je weiter sie hinuntergingen, ließen die Flattergeräusche nach. "Es sieht hier so anders aus", sagte Heather, der die Veränderung der Otherworld ebenfalls sofort ins Auge stach.
"Ob das ein gutes Zeichen ist?", wagte Anne laut zu denken.
"Werden wir sehen", erwiderte Heather. "Auf jeden Fall geht die Treppe hier viel weiter nach unten als in der Realität."
"Okay?!", gab Anne angespannt von sich. Das verhieß grundsätzlich nichts Gutes.
Mit bangen Herzen und nervösen Blicken eilten die Frauen die U-Bahn-Treppe immer weiter hinunter. Was würde sie am Ende der Stufen erwarten?

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