18. Interessante Begegnungen

Laura betrachtete Tobias neugierig und schien etwas zu überlegen. "Woher kennst du denn eigentlich Professor Hayden?", fragte sie schließlich.
"Aus Germany", meinte Tobias und tat möglichst lässig, "Ich war einer der Studenten von seinem Seminar, das er geben wollte."
Laura musterte ihn eindringlich. "Aha", sagte sie schließlich nur, stieß sich von der Tischkante ab und ging auf die andere lange Wand des Büros. Nahe beim Fenster drehte sie sich wieder zu ihm. "Willst du die ganze Zeit dort angewurzelt stehen bleiben, oder was?", fragte sie schneidend und spöttisch zugleich. "Na los, komm her und dann reden wir." Sie gestikulierte ihn mit der Hand zu sich heran.

Tobias blinzelte, gab sich einen Ruck und ging an Lauras Schreibtisch vorbei zur gegenüberliegenden Seite des Büros. Nahe eines großen Fensters stand ein kleiner Tisch mit zwei bequemen Sesseln. Anscheinend so etwas wie eine Besucher-Lounge.
Mit Schwung ließ sich Laura in einen der Sessel plumpsen und wartete auf Tobias, der kurz darauf ihr gegenüber Platz nahm.
"So, so - Silent Hill, was?", fragte Laura, kaum das er Platz genommen hatte. "Was interessiert dich denn so daran, hhm?" Ihre blauen Augen funkelten ihn neugierig und verschlagen an.

Tobias beugte sich in dem Sessel vor und räusperte sich. Dann blickte er die blonde Institutsmitarbeiterin möglichst fest an und meinte: "Nun, der Professor hat ziemlich interessante Dinge über diese Stadt berichtet. Außerdem...", er zögerte einen Moment, "außerdem gibt es Anhaltspunkte, dass der Ort etwas mit seinem Verschwinden zu tun hat."
"Das ist Unsinn", empörte sich Laura und schaute Tobias verärgert an, "niemals!"
Tobias ließ sich nicht so leicht abkanzeln. "Aber der Prof hat stets gesagt, dass der Ort gefährlich ist", entgegnete er und hob dabei abwehrend eine Hand. "Das muss er dir doch auch erzählt haben."

Laura seufzte. "Ja - schon", erwiderte sie widerwillig, stemmte sich aus dem Sessel hoch und ging um ihn herum an das Fenster, in dessen Nähe ihr Sitzmöbel stand. "Ich weiß auch nicht, wie er darauf kommt." Laura schaute nachdenklich aus dem Fenster, als sie weitersprach. "Der Ort ist total schön und man kann viele tolle Sachen entdecken."
Tobias betrachtete sie skeptisch von der Seite. "Aber... aber die Stadt ist doch verlassen, denke ich", wandte er vorsichtig ein. "Eine Geisterstadt - so hat es jedenfalls der Professor erzählt."
Laura drehte sich ihm zu und nickte. "Ja, das stimmt schon. Aber genau das ist ja gerade das Tolle daran." Ihre Stimme ging vor Freude in eine höhere Tonlage. "Man hat all die tollen Plätze dort für sich ganz allein."
Tobias runzelte die Stirn. Hatte Laura denn keine Erscheinungen von der Otherworld gehabt?

"Gut - in den letzten Jahren ist dort immer sehr viel Nebel", berichtete Laura weiter, "aber man kann sich den ganzen Tag dort ungestört aufhalten." Sie breitete die Arme weitläufig aus. "Einfach klasse!"
"Na dann...", entfuhr es Tobias. Anscheinend hatte Laura tatsächlich noch keine Begegnung mit Monstern dort gehabt...
"Da ist zum Beispiel das alte Hotel am großen See", fuhr Laura derweil gut gelaunt fort. "Früher wäre man da noch nicht mal in die Nähe gekommen. Und heute? Man schleicht einfach rein oder lässt die Beine auf der Terasse im See baumeln." Sie gestikulierte weitläufig mit den Händen und lächelte Tobias vergnügt an.

Tobias sah sie fragend an. "Silent Hill hat einen See?"
Laura lachte laut auf und winkte mit der Hand ab. "Aber klar doch, Dummerchen", plärrte sie mit ihrer angerauten Stimme, "sag bloß, Mr. Hayden hat dir nichts davon erzählt." Sie schmunzelte und schüttelte den Kopf.
Tobias fühlte sich vorgeführt. Er schluckte und ließ Lauras Gelache über sich ergehen.
"Na gut - du kommst ja aus Germany", sagte sie versöhnlich und betrachtete ihn schmunzelnd mit zur Seite geneigtem Kopf. "Aber hier in New England hat eigentlich jeder schon mal was vom Toluca-See in Silent Hill gehört."

Tobias schaute sie angespannt an. Toluca-See! Der Begriff verursachte ihm ein plötzliches Schaudern. Er klang indianisch, was ihn im gleichen Augenblick an die Erzählung des Professors denken ließ - an die Indianer, die einst an diesem Ort gelebt und ein gefährliches Wesen verehrt hatten...
"Da bist du baff, was?", setzte Laura nach, als ihr Gesprächspartner nichts erwiderte. "Ich sagte doch, dass Silent Hill viel zu bieten hatte." Sie wanderte um den Sessel herum und pflanzte sich wieder hinein. Während sie sich langsam zurücklehnte, fragte sie mit verschwörerischem Tonfall: "Aber dich interessieren anscheinend nicht die Touristenziele dort, sondern was ganz Anderes, hhm?"
Tobias musterte sie eindringlich, dann nickte er. "Ganz genau", sagte er dann und beugte sich wieder etwas vor. "Ganz verlassen ist Silent Hill ja doch nicht, wie du sicher weißt."
Laura nickte einmal. "Der Orden des Samael", sagte sie eher sachlich. "Darum geht es dir, stimmts?"

Tobias lehnte sich zurück und staunte. "Orden des Samael? Ach so nennen die sich."
Laura zuckte mit den Achseln. "Ein Name von vielen - ja", meinte sie gelassen. Anscheinend bereitete ihr das Thema keine Angst.
"Laura, hast du mal ne Minute?", tönte es plötzlich von der Tür. Tobias und Laura ruckten fast gleichzeitig mit ihren Köpfen zur Seite und erblickten drei Studierende, die anscheinend ein Anliegen hatten.
Ohne zu zögern sprang Laura auf und stapfte eilig auf die Tür zu. "JETZT NICHT!", donnerte sie laut und knallte mit Schwung den Studierenden die Tür vor der Nase zu.
Tobias schaute verblüfft und musste grinsen.
Laura drehte sich derweil um, ging zum Sessel und meinte beiläufig: "Wieder so ne Blödmäuse, die ne neue Parkkarte brauchen." Sie sprang über die Sessellehne und plumpste erneut in das Sitzmöbel. "Also - wo waren wir?"

Tobias schmunzelte, dann beugte er sich wieder vor und wurde ernster. "Mir geht es um besondere Gegenstände, die der Orden hatte. Artefakte mit speziellen Kräften. Sagt dir das was?"
Laura zog eine Augenbraue hoch. "Sieh an - ein Eingeweihter...", sagte sie bedächtig. "Der Professor scheint dir ja viel erzählt zu haben."
Tobias wog seinen Kopf hin und her. "Mehr oder weniger...", gab er zu.
Nun war es Laura, die sich im Sessel vorbeugte. "Welche Gegenstände meinst du genau?! Warte - sag nichts..." Sie betrachtete ihn eingehend und überlegte. "Das Siegel von Metatron, stimmts?"
Tobias nickte bedächtig und tat cool. "Ja, davon hab ich gehört", gab er lässig von sich.
"Ich wusste es!", erwiderte Laura umgehend. "Mr. Hayden hatte zuletzt nach seiner Entstehung geforscht. Darum geht es dir, hhm?"

Tobias nickte und meinte: "Ja genau - so ist es. Du scheinst das Siegel zu kennen."
Laura lehnte sich wieder zurück, hob eine Hand und meinte gönnerhaft: "Das möchte ich wohl meinen. Schließlich hab ich bei der Recherche geholfen."
Tobias sah sie eindringlich an und sagte: "Dann hast du sicherlich auch von den Gegenständen des Metatron gehört - wie der Prof diese Artefakte nannte. Zum Beispiel das Buch des Phaleg oder das Wasser der Claudia."
"Ah ja - na klar", antwortete Laura sofort. "Sein Kollege Steven Birmingham hat danach gesucht, aber ich hab auch einen Teil dazu beigetragen."
Tobias runzelte bei dem Namen erst die Stirn, doch dann fiel ihm das Tagebuch ein. Der Professor hatte damals jemanden erwähnt, der ihm auf die Gegenstände hingewiesen hatte. Soweit er sich erinnerte, war der Name dieser Person Steven gewesen...

"Wieso fragst du ausgerechnet danach?!" Als Tobias in Laura's Augen sah, entdeckte er plötzlich Misstrauen darin.
"Ich hab mich nur gefragt", setzte er an, "ob es noch weitere Gegenstände dieser Art gibt. Als Professor Hayden danach suchte, ist er oder dieser Steven vielleicht auf weitere Artefakte gestoßen." Tobias' Blick wurde etwas verlegen. "Ich weiß, dass klingt irrsinnig, aber vielleicht hilft uns einer dieser Gegenstände den Professor aufzuspüren."
Laura nickte und sah ihn nachdenklich an. Tobias wappnete sich darauf, dass sie ihn wieder auslachte, aber das war gar nicht der Fall.
"Verstehe...", sagte sie leise, "du glaubst auch noch daran, dass man ihn finden kann..."
Tobias schaute sie sprachlos an. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet.

Laura stand auf und wanderte ein paar Schritte im Raum herum. "Als ich mich mit diesen Dingen beschäftigte", begann sie zu erzählen, "merkte ich schnell, dass diese Gegenstände etwas Besonderes sind. Aber Mr. Hayden wollte mir nicht sagen, was es damit auf sich hat." Sie blieb stehen und sah sie Tobias etwas hilflos an. "Als der Prof dann verschwunden war, habe ich mir alles nochmal angeschaut. Jede Notiz, jede E-Mail und jede Bemerkung zu diesen Sachen." Sie schüttelte bedauernd den Kopf. "Leider konnte ich nichts finden."
Tobias seufzte enttäuscht auf.
Laura trat ein paar Schritte auf ihn zu und meinte: "Aber vielleicht gucken wir das Ganze zusammen nochmal durch." Ihre Stimme klang wieder unbeschwerter. "Wenn du doch schon mal da bist." Sie schmunzelte ihn kess an.

Tobias ging nicht darauf ein, stand auf und gestikulierte mit einer Hand. "Das wär' klasse", freute er sich. "Hast du die ganzen Infos elektronisch oder in Ordnern gesammelt."
Laura schmunzelte. "Ordner natürlich. So ein Professor steht doch auf Papier." Sie zeigte mit ihrem Kopf Richtung Tür. "Ich hab zum Glück alles noch beisammen im Archiv stehen. Wegen dem FBI, die das letztens sehen wollten." Sie rollte vielsagend mit den Augen.
Tobias schmunzelte. "Lass mich raten... ein gewisser O'Connors, stimmts?"
Laura ließ vor Verblüffung den Mund leicht offen stehen. "Stimmt genau. Woher kennst DU den denn?!"
Ihr Gegenüber schnaubte verächtlich. "Er hält mich und meine Freundin für Verdächtige. Stell dir vor - er glaubt, dass wir und der Professor zum Orden von Silent Hill gehören."

Sofort ließ Laura ein lautes Lachen erschallen. Sie hatte den Kopf zurückgeworfen und hielt sich den schlanken Bauch. Ihr langer Zopf wackelte. "Also das ist ja völlig daneben", gab sie prustend von sich.
Tobias musste ebenfalls lachen. Laura's fröhliche Art war ansteckend.
Gleich darauf schüttelte die Blondine mehrmals ihren Kopf und fing sich wieder. "Das FBI von heute ist auch nicht mehr das, was es mal wahr", spottete sie schmunzelnd. "Na jedenfalls - wenn du hier kurz wartest, hol ich schnell die Ordner her. Unser Archiv ist gleich um die Ecke - beim Sekretariat."
Tobias' Miene hellte sich auf. "Das klingt super", meinte er erfreut.
Kaum hatte er das gesagt, wandte Laura sich um und ging mit energischen Schritten zur Tür hinaus.
'Zeit, mich mal bei Anne zu melden', dachte Tobias und zog sein Handy hervor.

___

Bei herrlichem Sonnenschein saß Anne gerade in einem Bistro von Ludlow und gönnte sich ein herrliches Steak mit Pilzen und Kartoffelecken. Um sie herum standen zwei neue Einkaufstüten mit Kleidung darin, sowie ein neuer Rucksack, in dem sie den Packen Binden hatte verschwinden lassen.
Als sie gerade einen Bissen vom Steak im Mund genoss und eine Cola Light ergriff um ihn herunter zu spülen, ertönte der Klingelton ihres Handys. Sie stellte die Cola-Dose ab, nahm das Smartphone zur Hand und entdeckte die Mitteilung "Tobias ruft an". Sogleich nahm sie den Anruf entgegen. "Hey, da bist du ja endlich", sagte sie sogleich in den Hörer.
"Ja", meinte Tobias bloß. "Ich hab doch gesagt, dass ich mich melde."
"Okay - und wie siehts aus? Bist du tatsächlich am Historischen Institut?"

Tobias' Blick wanderte in Lauras Büro nervös hin und her. "Ja", sagte er schließlich.
"Aber Tobi, was soll das werden?", hörte er Annes Stimme am Ohr. "Davon hatten wir nichts gesagt"
"Ja, ich weiß", gab Tobias versöhnlich von sich, "aber vielleicht gibt es hier einen Hinweis, der zum Professor führt. Sowas wie ein weiterer besonderer Gegenstand, mit dem man seine Spur finden kann."

In Ludlow wurde Anne regelrecht blass im Gesicht. Sie nahm den Hörer in die andere Hand, beugte sich vor und sagte leise: "Warte mal, das klingt ja fast, als willst du doch nach Silent Hill!"
"Was? Nein!", hörte sie sofort Tobi's Antwort. "Aber wenn ich etwas finde, kann ich das vielleicht Samantha Hayden mitteilen und ihr den Gegenstand übergeben." Er machte eine Pause und fügte dann hinzu: "Damit sie etwas in der Hand hat, wenn SIE nach Silent Hill geht."
So richtig beruhigt war Anne dadurch nicht. "Na, ich weiß ja nicht...", sagte sie nachdenklich.

"Das wird schon...", sagte Tobias in den Hörer und ging ein paar Schritte durchs Büro. "Ich bin hier übrigens mit einer Assistentin des Professors zusammen - du, ich sag dir: die ist wirklich cool drauf."
"Ach ja?", war Anne's Kommentar.
Tobias überhörte den eifersüchtigen Tonfall. "Ja - wirklich! Ich geh gleich mit ihr die Ordner vom Orden durch." Er lachte auf über seinen Wortwitz.
"Pass auf jeden Fall auf dich auf, ja?", sagte Anne sorgenvoll.
"Versprochen", erwiderte Tobias. "Und wie läufts bei dir? Hast du diese Heather schon getroffen?"

"Noch nicht", sagte Anne und schob sich eine Kartoffelecke per Gabel in den Mund. "Sie arbeitet noch bis 17 oder 18 Uhr. Ich fang' sie nachher an der Apotheke ab." Sie machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: "Ich war erstmal 'n bisschen shoppen und jetzt mach' ich Mittag."
"Das klingt doch gar nicht mal so schlecht", war Tobi's Antwort darauf. "Bring mir was Schönes mit."
'Du kannst gern ein paar Binden von mir abhaben...', dachte Anne sarkastisch und musste fast loslachen.
Sie wünschten sich noch gegenseitig Glück und verabschiedeten sich schließlich mit Küsschen in den Hörer.

Kaum war das Telefonat beendet, widmete sich Anne dem Rest ihres Steaks zu. 'Und jetzt zu dir...', dachte sie und schnitt sich mit Vorfreude ein weiteres Stück davon ab.

___

Agent O'Connors betrat eilig das Historische Institut. Da hatte er also tatsächlich Recht gehabt! Dieser Simmrow schnüffelte unerlaubt in der Entführungssache herum. War ja klar, dass Mrs. Hayden zuerst nicht damit rausrücken wollte. Doch er hatte den Burschen ja Richtung U-Bahn davongehen sehen - wohin sonst sollte er wohl ausgerechnet in Boston wollen, wenn nicht zur Frau des Professors?!
Schließlich war Samantha Hayden eingeknickt und hatte ihm verraten, dass Tobias Simmrow bei ihr gewesen war und nun das Institut ihres Mannes aufsuchen wollte. Damit hatte O'Connors den jungen Angeber da, wo er ihn haben wollte! Schnüffelei in einer laufenden Ermittlung. Da verstand selbst Scully keinen Spaß - wie er wusste. Endlich konnte er den Burschen hopps nehmen. Er sah schon regelrecht vor sich, wie er ihm die Handschellen anlegte.

Von der Tatkraft angespornt, wetzte der Agent mit schnellen Schritten die Treppe hoch. Im nächsten Stock entdeckte er das Sekretariat des Instituts und ging mit einem siegesgewissen Lächeln darauf zu.

___

Einen Moment später ging Laura mit zwei dicken Ordnern auf dem Arm am Sekretariat vorbei. Als sie einen Mann darin stehen sah, schaute sie im Vorbeigehen hinein. Der FBI-Agent! Kein Zweifel, das war er. Sie ging vorüber und stellte sich dann lauschend von der anderen Seite nahe bei der Tür hin.
"Ja, der war hier", hörte sie die Stimme von Mrs. Smith. "Er wollte zu Laura."
'Ach du großer Mist', dachte Laura und entfernte sich zügig von der Tür. 
"Sie meinen Miss Sunderland?!", hörte sie noch die tiefe Stimme von O'Connors.
Sie hatte genug gehört! Schnell bog sie um die Ecke und sauste in ihr Büro rein.

Tobias packte gerade sein Smartphone weg und sah sie erstaunt an.
"Wir müssen weg", sagte Laura sofort. Als Tobias die Stirn runzelte, meinte sie: "Dieser O'Connors ist hier. Er scheint dich zu suchen."
Tobias runzelte ungläubig die Stirn. Laura ging derweil mit den Ordnern in der Hand in den hinteren Teil ihres Büros.
Allmählich erreichten ihre Worte sein Gehirn. "Scheiße...", gab er von sich und folgte Laura ans andere Ende des Büros. Erst jetzt nahm er die zweite Tür wahr, die es dort gab.
"Kannst du wohl laut sagen", bemerkte Laura. "Wenn er dich verdächtigt, darfst du gar nicht hier sein."

Panik schlich sich in Tobias' Herz. Er wollte schon durch die hintere Tür durch, doch Laura hielt ihn zurück. "Warte, wir müssen zum richtigen Zeitpunkt rausgehen", sagte sie und schaute ihn verschlagen an. Plötzlich hörten sie eilige Schritte auf dem Flur. Leise öffnete Laura die hintere Tür des Büros.
"Miss Sunderland?", hörten sie schließlich die Stimme von O'Connors. Er schien auf dem Flur vor der ersten Bürotür zu stehen. Laura zögerte einen Moment, dann ging sie durch die Tür und bedeutete Tobias, mitzukommen.
Das Timing war perfekt. Während sie den Raum hinten verließen, ging O'Connors vorne ins Büro hinein. "Miss Sunderland!", rief er - nun schon etwas verärgert. Er sah sich um. Dann sah er weiter hinten eine zweite, offene Tür.

Sofort sprang er wieder hinaus auf den Flur und sah weiter weg Laura Sunderland in Begleitung von... Simmrow! "Ey - stehengeblieben!", rief er und hastete den Flur hinunter. 
Laura und Tobias spurteten los. Sie rannten den Flur bis zum Ende und dann links rum. Tobias orientierte sich nur an Laura. Hoffentlich wusste sie, wie man hier unbeschadet entkommen konnte.
Während sie nebeneinander her liefen, warf Laura ihm die Ordner rüber. "Hier nimm mal - die sind schwer."
Tobias fing die dicken Ordner auf. Er stolperte fast dabei. Schwer waren die wirklich.
"Da steht alles über Silent Hill drin", sagte Laura mit gewissem Stolz in der Stimme.
"Toll", meinte Tobias keuchend und rannte unentwegt weiter. "Ich hoffe, ich komm auch noch dazu, mir das anzusehen."

"Stehenbleiben! FBI!", hörten sie O'Connors hinter sich rufen. Er hatte seinen Ausweis gezückt und hielt andere Leute auf dem Gang damit auf Abstand.
"Keine Bange", gab Laura von sich, "dieser Agent kennt sich hier nicht so gut aus wie ich." Kaum gesagt, packte sie Tobias an der Seite und lief mit ihm plötzlich nach rechts in einen alten Fahrstuhl hinein.
Kaum war sie drin, grapschte sie das Gitter und zog es laut zu. "Und nun...", sagte sie und drückte einen Knopf, "abwärts...". Tatsächlich setzte sich der alte Fahrstuhl daraufhin in Bewegung.

Gleich darauf kam Agent O'Connors schlitternd vor dem Fahrstuhl zu stehen. Tobias und Laura sahen ihn durch das Gitter. Er warf ihnen einen wütenden Blick zu.
"Agent O'Connors", sagte Laura mit erfreuter Unschuldsmiene, "wenn ich gewusst hätte, dass Sie es sind, wäre ich nicht so schnell weggerannt."
Tobias musste sich ein Lachen unterdrücken.
"Das ist doch wohl...", empörte sich O'Connors und haute verärgert gegen das Fahrstuhlgitter. "Aufmachen!"
Doch in diesem Moment gelangte die Fahrstuhlkabine außer Sichtweite. O'Connors drückte wild auf die Fahrstuhlknöpfe.

Laura hörte das und sah Tobias verschmitzt an. "Der kann drücken, soviel er will. Die Halteknöpfe des Fahrstuhls sind kaputt. Das weiß hier jeder - nur er natürlich nicht."
Tobias ließ ein Lächeln aufblitzen.
"Außerdem ist das der alte Dienstbotenfahrstuhl", fügte Laura schmunzelnd hinzu. "Das heißt, er geht unten nach draußen auf. O'Connors muss aber erst den ganzen Weg zurückgehen, um wieder aus dem Gebäude zu kommen." Sie grinste fies. "Bis dahin sind wir längst weg."
Tobias strahlte. "Mensch Laura - das ist ja echt spitze. Du bist 'ne Wucht!"
Laura zuckte mit den Achseln und hielt den Kopf schief. "So bin eben", meinte sie vielsagend.

Einen Moment später hielt der Fahrstuhl und sie traten ins Freie. "Komm mit", sagte Laura sogleich, "ich weiß, wo wir uns die Ordner in Ruhe ansehen können."
Allzugern ließ Tobias sich von ihr mitschleifen.

___

Einige Stunden später stand Anne auf dem Parkplatz von CVS Pharmacy und starrte auf den Seiteneingang der Apotheke. Es war schon halb Sechs und sie fragte sich, wann Heather Brighton endlich Feierabend machte.
Leider hatte das Wetter umgeschwenkt. Der Himmel war grau getrübt und es nieselte leicht. Anne hatte ihr Sommerjäckchen und den kleinen Schirm aus ihrer Reisetasche geholt und stand nun missmutig da und wartete darauf, dass Heather endlich aus der Apotheke kam. Zwischendurch hatte Tobias ihr geschrieben, dass O'Connors in Boston aufgetaucht war und er mit dieser Assistentin auf dem Uni-Gelände untertauchen musste. Wenigstens konnte er jetzt aber in Ruhe die Ordner über Silent Hill durchforsten.

Anne sah dem Ganzen mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits hoffte sie, dass Tobias etwas fand, andererseits wünschte sie sich das Gegenteil. Sie waren schon einmal zu unbedacht an ein Artefakt herangegangen und hatten sich dann in der Otherworld wiedergefunden...
Und dann noch dieser O'Connors! Er schien ihnen auf der Spur zu sein. Wenigstens konnte er nicht zugleich hier bei ihr in Ludlow auftauchen. Doch wer weiß - meistens traten diese Agenten ja zu zweit auf den Plan...
Unsicher schaute Anne sich um. Doch im trüben Sommergrau war nichts Auffälliges zu sehen. Auch die Wagen, die rings herum und auf der anderen Straßenseite parkten, sahen gewöhnlich aus.

Mit einem Mal hörte sie ein Türklappern. Sofort schaute sie wieder nach vorn. Jemand war aus dem Seiteneingang getreten und ging nun über den Parkplatz. Die Frau hatte nur eine leichte Jacke an und keinen Regenschirm dabei. Mit ihrer kurzen Frisur fiel sie sofort von weitem auf. Heather!
Anne setzte sich in Bewegung und kam seitlich auf sie zu. "Sorry - Mrs. Brighton?", rief sie, als sie schon näher bei ihr war.
Die angesprochene Frau schaute zur Seite und blieb zögerlich stehen. "Ja?", fragte sie unsicher.
"Es geht um Ihre Kinder", sagte Anne ohne Umschweife und ging noch etwas näher an sie heran.
In Heathers Blick tauchte Wut auf. "Wie oft wollt ihr mich noch mit euren Fragen nerven", gab sie verärgert von sich und stapfte davon. "Blöde Journalisten!"

Anne schaute ihr erst erstaunt nach, setzte sich dann aber sofort in Bewegung und ging ihr hinterher. "Nein, nein - ich bin nicht von der Presse", rief sie und versuchte, Schritt zu halten. "Ich weiß, wo Ihre Kinder sind!"
Heather wurde langsamer, drehte sich aber nicht um. Noch immer strahlte ihre Körperhaltung Misstrauen aus. "Tatsächlich?", fragte sie ungläubig im Weitergehen. "Was sind Sie, so ne Art Hellseherin?"
Anne ließ nicht locker und sprang etwas schneller zur Seite, so das sie schräg hinter Mrs. Brighton her ging. "Sie sind in Silent Hill!", rief sie mit Furcht in der Stimme.

Abrupt blieb die Frau stehen. Anne hielt vor Schreck ebenfalls an und ging dann vorsichtig noch ein paar Schritte weiter, bis sie auf gleicher Höhe neben Heather Brighton stand.
Die atmete schwerfällig und drehte langsam ihren Kopf zur Seite. "Was... was wissen Sie denn schon von Silent Hill...", gab sie missmutig von sich und schaute die seltsame Frau mit den Tüten und der Tasche verunsichert von der Seite an.
Als Anne ihren Blick sah, durchfuhr es sie heiß und kalt. 'Sie kennt den Ort!', erkannte sie erschrocken. Sie ging noch einen Schritt näher an Heather heran und meinte: "Mehr als mir lieb ist..." Sie hob leicht eine Hand. "Mein Freund und ich... wir haben seltsame Dinge erlebt... und da war diese gefährliche Frau... mit einem Talisman aus Silent Hill..." Anne suchte nach den richtigen Worten und hoffte, dass sie Heather damit irgendwie packen konnte.

Noch immer schaute die junge Mutter sie von der Seite an. Auf ihren gestylten Haarspitzen glänzten Regentropfen. Anne sah, wie es in ihrem Gesicht bereits arbeitete. "Das... das muss nicht unbedingt etwas mit mir zu tun haben", gab sie dann langsam von sich und war im Begriff, erneut loszugehen.
"Aber wenn wir nichts unternehmen, dann hat Dahlia gewonnen!", rief Anne verzweifelt.
Heather, die schon ein, zwei Schritte gemacht hatte, blieb plötzlich erschrocken stehen und wandte sich vollständig zu Anne herum. "Wie bitte??? Wer???", fragte sie mit bebender Stimme und ging langsam auf Anne zu.
Die musterte sie nervös und unterdrückte den Drang, rückwärts zu gehen.
"Dahlia... Dahlia Gillespie", sagte Anne und betrachtete ihr Gegenüber eindringlich. "Sie haben diesen Namen schon mal gehört, stimmts?", fragte sie, als sie den Gesichtsausdruck der Frau deutete. "Oh mein Gott - Sie kennen sie sogar!", erkannte Anne laut und hielt sich vor Schreck eine Hand vor den Mund.

Mit erschrockener und angespannter Miene blieb Heather vor Anne stehen. "Sie müssen sich irren...", gab sie verunsichert von sich. Ihre Stimme zitterte wie Espenlaub. "Diese verfluchte... sie ist schon lange tot!"
Anne nahm die Hand herunter und zog einen Mund schief und erwiderte vorsichtig: "Ich wünschte, es wäre so - glauben Sie mir."
Die junge Mutter sah sie noch immer halb zweifelnd an. Ein Teil von ihr wollte dies einfach nicht wahrhaben. Aber woher sollte diese Frau, die sie noch nie gesehen hatte und die allem Anschein nach eine Touristin war, ausgerechnet diesen verfluchten Namen kennen?
"Sie ist leider ziemlich lebendig", sagte Anne als Nächstes. "Sie hat diesen Professor verschwinden lassen, den mein Freund und ich kannten." Anne nickte zaghaft und betrachtete Heather mit viel Mitgefühl. "Und jetzt will sie ihm die Kindesentführung in die Schuhe schieben. Aber... die Kinder... Ihre Kinder... die sind bei ihr... in Silent Hill."

In Heathers Miene arbeitete es. Mit halboffenem Mund schaute sie zur Seite, schien das Unglaubliche durchzugehen. Wenn das stimmte, musste sofort ihre Mutter davon erfahren!
Bestürzt und zugleich entschlossen schaute sie Anne wieder an. "Ich glaube, wir sollten uns doch etwas genauer unterhalten", sagte sie mit leicht zusammengekniffenen Augen. Dann nickte sie mit ihrem Kopf zur Seite. "Ich muss zur U-Bahn. Sie können mich ja ein Stück begleiten und mir mehr davon berichten. Dann kann ich immer noch entscheiden, was ich davon halte."
Anne nickte leicht und blickte sie vielsagend an. "Okay - gern", erwiderte sie, umfasste ihre Tüten fester und verließ an der Seite von Heather den Parkplatz.

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