9. Ein Versprechen
Der Schwarzhaarige tastet den Bauchraum der Bärin ab, während ihr Junges an seiner Seite kniet und zu ihm emporsieht, als bete es um ein Wunder.
Ich hingegen fühle mich fehl platziert. Am liebsten würde ich davon laufen, schnell nach Hause und die Türen verbarrikadieren, bevor ich mir im Bett einrede, dass das alles nur ein Alptraum gewesen ist.
Doch es ist kein Traum, das silberne Blut an meinen Händen ist Beweis genug. Meine plötzliche Stummheit, ausgelöst durch nur einen Blick des Fremden, die Untermauerung und die beiden Toten, die zwischen uns liegen, eine bleibende Erinnerung.
Ich komme mir vor, als würde ich über Watte laufen, als ich mich in Bewegung setze. Die Stimme in meinem Kopf, die mich zuvor zum Handeln aufgerufen hat, ist nun ganz leise. Nicht mal mehr ein Flüstern. Eher ein Hauch.
Aus den Händen des Mannes strömt Licht. Licht, das sich über den Bauch der Bärin ausbreitet und sie vollständig einhüllt.
Noch etwas was meine Augen sehen, was mein Geist aber nicht verarbeiten kann.
Es ist ein kurzer Moment. Ein Moment, in dem man lediglich Zeit hat, um einmal ein und wieder auszuatmen, da zieht sich das Licht auch schon wieder zurück.
Ich werde langsamer. Bleibe aber nicht stehen.
Die Bärin schüttelt den Kopf, sieht sich aus wachen Augen um und wird direkt von dem Bärenkind überfallen. Freudig reibt es sich an ihrem Kopf. Der Schwarzhaarige steht auf und schüttelt seine Hände, als sei das, was er getan hat, anstrengend für ihn gewesen.
Nun sieht er in meine Richtung. Und in seinem eisblauen Augen steht etwas, das ich nicht definieren kann. Es ist nichts positives, weshalb meine Schritte noch langsamer werden.
Er sieht zum Bärenkind und fragt, als ob er sich sicher sei, dass es ihn versteht: "Was hast du dir dabei gedacht?"
Es sieht ihn flehentlich an, nickt kurz zu mir und blickt dann seine Mutter an, die sich gerade schwerfällig aufrichtet.
"Es ist mir egal, ob sie dir geholfen hat. Du hast einen Mensch in unsere Angelegenheiten gezogen."
Es hat keinen Ton von sich gegeben. Wie hat er wissen können, was es sagt.
Kommunizieren sie über Gedanken?
Davon las ich in einer Geschichte, in der der Gott der Träume, die Gedanken der Menschen las und desnachts ihre Träume auf ihre Erlebnisse zugeschnitten hat. Es war eine schöne Geschichte, aber es war eben nur eine Geschichte.
Das Bärenkind schüttelt den Kopf. Sieht zu ihm flehentlich hinauf und der Schwarzhaarige seufzt.
Er kniet sich hin.
"Tut mir leid, dass ich nicht da war." Er täschelt den Kopf des Kindes und blickt über seinen Kopf hinweg.
"Geht's dir besser?"
Die Bärin steht mittlerweile auf allen vier Pfoten. Sie nickt und sieht dann in meine Richtung.
"Ich weiß es nicht", antwortet er, als hätte sie ihm eine Frage gestellt, "Geht heim. Ich komme gleich nach."
Das Bärenkind wird stocksteif und sieht den Schwarzhaarigen mit einem intensiven Blick an.
"Keine Sorge." Er winkt ab und als es den Blick nicht von ihm abwenden will, legt der Schwarzhaarige seine Hand auf seine Brust.
"Ich schwöre es."
Um was auch immer es gegangen ist, das Bärenkind nickt und setzt sich mit seiner Mutter in Bewegung. Sie laufen auf den Waldrand zu, in den der dritte Gelbe geflohen ist. Allerdings nicht ohne sich nochmal umzusehen. Ein stiller Dank weht zu mir herüber.
Zurück bleiben der Schwarzhaarige und ich. Nur wenige Schritte trennen uns voneinander und ich bin nicht mehr bereit sie zu gehen. Unschlüssig bleibe ich stehen und sehe ihn an.
Er lässt seine Schultern kreisen, bevor er langsam auf mich zu stolziert.
Vor mir, nur eine Armeslänge entfernt, bleibt er stehen und mustert mich.
"Wo ist dein Wagen?"
Ich sehe ihn fassungslos an.
"Ach ja..." Er schnipst in die Finger und plötzlich fühlen sich meine Stimmbänder nicht mehr wie betäubt an.
Ich atme aus und höre es.
Mein Stimme ist wieder da! Und ich werde sie nutzen, doch bevor es nur eine Silbe schafft, gesprochen zu werden, hebt der Mann vor mir beschwichtigend die Hände.
"Du hast sicherlich viele Fragen, aber du kannst sie dir alle sparen. Ich kann und werde keine einzige beantworten."
"Warum nicht?", frage ich überrumpelt und spüre gleichzeitig eine aufkommende Wut. Ich bin auf dieser Lichtung beinahe verreckt, habe Dinge gesehen, die ich nicht einordnen kann, die mich vermutlich mein Leben lang traumatisieren werden und soll mir meine Fragen sparen? Ist das sein Ernst?
"Weil du sowieso schon zu viel gesehen hast", antwortet er gelangweilt, als hätte ich ihn nach dem Wetter gefragt.
"Und genau deswegen verdiene ich Antworten." Ich verschränke die Arme vor der Brust.
Irgendetwas muss er mir geben, damit ich mir das alles erklären kann. Damit ich nicht die nächsten Tage daran denke und die Nächte davon träume.
Irgendwas, dass ich verstehen kann.
"Kinu hätte dich nicht holen dürfen. Aber er ist noch jung und die Angst um seine Mutter ist groß gewesen. Als er deinen Geruch wahrnahm, hat er nicht nachgedacht."
Kinu, das Bärenkind hat also einen Namen.
"Er bat mich dich nicht zu töten und ich halte meine Versprechen. Also bitteschön, du hast dir dein Leben verdient. Wäre ich nicht rechtzeitig zurück gekommen, wärst du sowieso tot. Also sind wir quitt."
Er sagt das mit einer derartigen Gleichgültigkeit, das ich einen Schritt von ihm wegtrete.
Das hat also der intensive Blick bedeutet.
"Ich habe geholfen", sage ich, "wäre ich nicht gekommen, wäre die Bärin jetzt tot."
"Stimmt, du hast mir ganz wunderbar Zeit verschafft." Er nickt bestätigend.
Ekel verzieht meine Gesichtszüge. Ich bin beinahe gestorben und soll lediglich Zeit verschafft haben?
"Und jetzt?"
"Und jetzt, werde ich dafür sorgen, dass du keine Antworten mehr haben willst."
Sein Ton ist neutral, doch seine Augen leuchten wieder intensiv auf. So intensiv wie als er dem Gelben den Arm abgetrennt hat. Mir wird heiß und kalt. Mein Mund öffnet sich, als ich weiter von ihm zurück trete.
Das hört sich nicht gut an. Und bevor ich herausfinde, was er damit meint, wirble ich herum. Ich schaffe es nicht mal einen Meter weit, da greift er blitzschnell nach meinem Arm.
Er zieht mich an sich heran,sodass ich gegen seine Brust stolpere. Ein Quietschen entkommt meinen Lippen, als ich mit weitaufgerissenen Augen zu ihm hinauf blicke.
In seinem Gesicht liegt ein kaltes Lächeln und seine Augen leuchten so grell, dass ich nicht mal mehr eine Pupille wahrnehmen kann.
Angst schnürt mir die Kehle zu.
"Du hast es Kinu versprochen", keuche ich atemlos, während meine Hände beginnen zu zittern.
"Ich weiß." Er drückt meine Arme hinter den Rücken und nimmt sie mit einer Hand gefangen, während er die andere Hand auf meine Stirn legt. Ein summendes Geräusch erfüllt meinen Kopf. Es fühlt sich an, als würden zig Bienen um ihn herum fliegen.
Ich merke wie mein Bewusstsein davon gleitet, auch wenn ich es nicht will, auch wenn ich mich dagegen wehre, es fließt einfach weg.
Das Letzte, was ich höre, ist: "Und ich halte meine Versprechen."
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