5. Sehnsucht und Lust
Am nächsten Tag stehe ich ausgeschlafen und in meinem Mantel eingepackt an meinem Karren, während ich Weiß- und Rotkohl verlade.
Meine Atemluft bildet kleine Wölkchen und ich spüre die Röte meiner Wangen von den kalten Fingern eines nahenden Winters.
Nebel liegt über der Wiese wie eine wabernde Decke, während die Sonne sich in meinem Rücken über die Baumwipfel schiebt. Ihre warmen Strahlen streicheln das von der Nacht erkaltete Land. Die Luft ist frisch und klar.
Nicht eine Wolke verhängt den Himmel, sodass er wie eine Malerei aus hellblau und rosa aussieht.
Ich liebe solche Tagesanbrüche. Sie beflügeln meine Fantasie und hätte ich Pinsel, Farbe und Leinwand würde ich sie malen. Sowie ich es früher getan habe, wenn ich die Zeit gefunden habe.
Als ich den letzten Kopf auf die anderen lege, mache mich auf den Weg. Anders als geplant, steuere ich nicht den Blindberg an, sondern gehe in die entgegengesetzte Richtung.
Nach dem gestrigen Tag brauche ich Zerstreuung und die finde ich nur an einem Ort.
~•~
Die Siedlung ist klein. Man kann sie nicht mal ein Dorf nennen. Wenige Hütte, ich kann sie an einer Hand abzählen, stehen auf einer Lichtung mitten im Wald. Es ist eine andere, als die, auf dem ich den Bären gefunden habe.
Die Tür des Größten von ihnen steht bereits offen, so als wurde ich aus der Ferne bereits erkannt.
Ich ziehe meinen Karren den unebenen Trampelweg hinter mir her, als eine Gestalt aus der Tür tritt und mir mit verschränkten Armen entgegenblickt.
"Lange nicht mehr gesehen." Ein Vorwurf kommt mir entgegen.
Ich erwidere den Blick der grünen Augen, die an Efeu im Sonnenschein erinnern und sich nun zu Schlitzen formen.
"Was willst du?", spuckt mir Finn entgegen, als würde er versuchen einen bitteren Geschmack loszuwerden.
Nun, dieser bin ich.
"Als ob du das nicht wüsstest."
Er spuckt mir vor die Füße, als ich vor dem Treppchen zur Veranda zum Stehen komme, und wischt sich daraufhin seinen Mundwinkel mit dem Ärmel seines hellen Hemdes ab.
"Natürlich weiß ich das."
"Und du willst nicht?", frage ich wissend.
Finn und ich kennen uns seitdem wir in diese Einöde gezogen sind. Damals half er uns beim Aufbau unserer Hütte. Er ist freundlich, ja sogar überaus hilfsbereit gewesen. Eines Tages beim Sägen eines Dachbalkens, hat er sich mir offenbart. Er glaube, er habe über die unzähligen Tage der gemeinsamen Zeit Gefühle für mich entwickelt.
Doch ich konnte derartiges nicht erwidern und so musste ich ihn abweisen. Danach hat sich unser Verhältnis geändert. Er hat weniger gelacht, war eher selten zu Scherzen aufgelegt.
Dennoch verbindet uns etwas.
Etwas, das nach keinen Regeln der Vernunft, der Moral oder gar nach Gefühlen spielt und dass das so ist, hasst er noch mehr, als er mich hasst.
"Komm rein", knurrt er und verschwindet im Inneren der Hütte.
Die Tür fällt hinter mir noch nicht mal ins Schloss, da drückt er mich auch schon gegen die Wand. Ein wildes Tier, das entfesselt werden will, zerrt den Mantel von meinen Schultern und entblößt die nackte Haut meines Schlüsselbeins. Er knurrt förmlich, als er mit seiner Zunge fordernd darüber leckt.
Ich lehne meinen Kopf gegen die Wand, während das Kribbeln in meinem Bauch stärker wird und zaghafte Töne meiner Kehle entkommen. Seine Zunge erkundet jeden Zentimeter meiner Haut, während seine Hände immer mehr von ihr entblößen.
Früher, als wir mit solchen Treffen begonnen haben, habe ich eine gewisse Nervosität verspürt, wenn er sich so ungezügelt verhielt. Manchmal habe ich das Gefühl, als würde er meine Abweisung an mir abarbeiten und auf der anderen Seite seine Sehnsucht. Er ist immer grob, trotzdessen tut er mir nie weh. Als würden diese beiden Seiten in einem ständigen Konflikt zueinander stehen, jedes Mal, wenn ich bei ihm reinschneie.
Ich weiß nicht, ob er noch immer Gefühle für mich hat. Meine Abweisung liegt Jahre zurück und wir reden nicht sonderlich viel miteinander, wenn wir uns sehen. Ich komme nur hier her, wenn ich Zerstreuung brauche. Vielleicht hofft er, dass ich irgendwann auch aus anderen Gründen ihn besuche oder er sieht es wie ich. Ein wenig Ablenkung in einem tristen Alltag.
Seine Hände wandern derweil meinen nackten Körper hinab, verweilen kurz an meine Hüfte ehe sie weiter hinabgleiten. Ich höre wie seine Hose zu Boden fällt, doch da hat er mich bereits gedreht, sodass ich mit der Brust gegen die Wand gepresst werde. Seine eine Hand vergräbt sich in meinem Haar, während die andere weiter meine Hüfte umschlungen hält.
Ich spüre wie er in mich eindringt, stark und unnachgiebig. Immer und immer wieder.
Ein Schleier legt sich über mich nieder, während aus meinem geöffneten Mund kurze, abgehackte Töne ertönen. Ich spüre, wie ich dem Höhepunkt näher komme, der wie eine Welle an Größe gewinnt.
Mein Keuchen wird lauter, länger. Gleich, gleich wird sie über mich hinwegfegen und jeden Gedanken und jede Sorge zumindest für einen kurzen Moment davon spülen.
Finn wird schneller, stößt immer härter. Der Griff in meinem Haaren immer fester. Es zieht an meiner Kopfhaut. Ein bitter, süßer Schmerz. Seine Finger bohren sich in meine Hüfte. Die Welle wird übermächtig, baut sich zu einem Ungetüm auf, das ganze Welten verschlingen könnte und dann schlägt sie über mir zusammen. Ich schreie. Meine Welt wird verschlungen, während ich wie ein Stück Treibholz davon gespült werde.
~•~
Ich schließe den letzten Knopf meines Mantel und drehe mich um. Sein blondes Haar fällt ihm wuschelig in die Stirn, sein Mund ist zu einer schmalen Linie zusammengepresst.
"Willst du noch irgendwas?" Seine Hose liegt noch immer am Boden.
Ich überlege. "Brauchst du Kohl?"
Er lacht, doch es ist kein amüsiertes Lachen. Bitterkeit liegt in ihm.
"Geh einfach, Alva."
~•~
Das Dorf, das ich nun betrete, ist eines der Größeren in der Umgebung. Anstatt Hütten stehen hier kleine Häuser mit Reetdächern. Die Tür- und Fensterrahmen sind blau gestrichen, sodass jedes der Häuser bis auf die Form einheitlich aussieht.
Hier leben die Menschen eines besseren Standes. Kein Vergleich zu dem Dorf nahe des großen Flusses. Die Straßen hier sind gepflastert, keine Schlammstraßen.
Sogar Straßenlaternen säumen die Hauptstraße, die einmal durch das Dorf führt und von der schmalere Wege abgehen, die sich an den Häusern vorbei schlängeln.
Heute ist ungewöhnlich viel los. Menschen stehen überall verteilt in kleinen Grüppchen. In ihren Gesichtern liegt so etwas wie Anspannung.
"Heute wird er sicherlich abgeführt werden", sagt gerade ein Mann, an dem ich vorbeilaufe. Die Frau, eine Ältere mit grauen Strähnen in ihrem hellen Haar, nickt zustimmend, während sie kurz über die Schulter blickt und sich dann näher zu ihm hin beugt, "Meinst du, er kommt überhaupt? Immerhin warten die Soldaten bereits auf ihn."
Ich höre die Antwort des Mannes nicht mehr.
Kurz habe ich mich beherrschen müssen, nicht stehen zu bleiben und sie nach ihrem Gespräch zu fragen, doch bevor dieser Gedanke sich in eine Tat materialisieren gekonnt hat, bin ich auch schon an ihnen vorbei.
Andere Gesprächsfetzen dringen an meine Ohren.
"Verräter von Wenterra."
"Unruhestifter."
"Gut, wenn sie ihn endlich mitnehmen."
"Lügenmaul."
Was zum Henker ist hier los? Von wem sprechen die Leute?
Ich biege um die Ecke, verlasse den Hauptweg und gehe einen Abzweigenden entlang, der mich zu einer kreisförmigen Fläche auf der rechten Seite der Hauptstraße führt.
Der Marktplatz.
Die meisten, die hier ihre Waren anbieten, haben feste Stände und diese sind nicht nur bereits aufgebaut, sondern auch schon gut bestückt.
Ich muss mich beeilen, wenn ich mein Gemüse loswerden will, vorallem weil meine stärkste Konkurrenz gerade mit ihrem Geschreie beginnt.
Fordernd hallen ihre Worte durch die Luft, auch wenn bisher wenige Käufer durch die Gassen der Stände hindurch schlendern.
Sie nutzt jede Chance.
Sie ist eine stämmige Frau, die am Rande einen Hof besitzt, der unseren an Größe um ein Vielfaches übertrumpft, was auch nicht schwer ist. Ich würde es meiden mich mit ihr in einen Wettstreit zu begeben, wenn die Bezahlung hier nicht so verdammt lukrativ wäre.
Ich laufe an ihr vorbei und sehe aus dem Augenwinkel, wie sie mich anstarrt.
"An meinem Stand gibt es das beste Gemüse, das es nirgends woanders gibt. Kommt liebe Leute, kommt und seht!"
Miststück, eine ganz klare Spitze gegen mich und meinen Kohl.
Ich ziehe meinen Karren weiter, vorbei an einem Stand mit gepökelten Fleisch hin zu dem kleinen Brunnen, in dem in der Mitte die Statur der heiligen Mutter thront. Hier abgebildet als junges Mädchen mit wehenden Haar und einem Lächeln im Gesicht. Aus ihrer, zum Himmel gestreckten, Hand läuft Wasser hinab. Am Grund des Brunnen liegen Kupfer-, Silber und sogar Goldmünzen. Es sind Gaben an die Mutter. Gaben, um Glück und Segen zu erhalten. Und würde es nicht mit dem Tode bestraft werden, würde ich sie alle heraussammeln und mir und meiner Familie ein Festmahl gönnen.
Das wäre auch eine Gabe. Eine, die mehr Sinn machen würde, als dass diese ganzen Münzen unberührt im Wasser liegen.
Ich positioniere mich mit meinem Wagen am Rand des Brunnens. Vielleicht kann das Glück der heiligen Mutter ja heute meine Geschäfte verbessern.
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