40. Verhandlung

"Also was kannst du mir anbieten, dass ich tatsächlich einen Handel mit einem Menschen eingehe?", fragt Hestis und setzt sich wieder in den Sessel, aus dem er vor kurzem gesprungen ist.
Er schlägt ein Bein übers andere, die Arme legt er entspannt auf die Lehnen.

Ich schüttle den Kopf, während ich in Zimmermitte stehen bleibe und mich wie eine Rednerin fühle, die vor ihrem Publikum steht. Es besteht nur aus dem Herrscher des Westens, doch auch wenn seine Körperhaltung entspannt wirkt, so steht in seinen Zügen ein wartender Ausdruck. Das Stechen seiner Augen lässt es in meinem Bauch vor Nervosität kribbeln.

"Ich bin nicht so dumm, mich Euch zu offenbaren, ohne Euer Wort einzufordern."
Ich habe Nila bei unseren unzähligen Gesprächen gut genug zugehört, um zu wissen, dass erst das Wort einen Schwur besiegelt.

Hestis feixt. "Kluges Mädchen. Du scheinst bereits viel über uns gelernt zu haben. Das macht es gleich viel spannender, warum du hier bist."
"Das werdet Ihr noch früh genug erfahren", gebe ich zurück und verschränke die Arme hinterm Rücken.

"Also?", frage ich nach einiger Zeit, in der er mich gemustert hat, "Habe ich Euer Wort, dass Ihr euch an den Handel haltet und das Wissen, das ihr erlangt, nicht gegen mich verwendet oder mein leibliches Wohl in Gefahr bringt."
"Dass du hier bist, ist bereits gefährlich genug", erwidert er langgezogen, was mich Schnauben lässt.

Mistkerl...

"Aber ja, ich gebe dir mein Wort, dass ich dich nicht in Gefahr bringe."

Er setzt sich aufrecht hin und legt einen Arm auf sein Bein, während er mit dem anderen sein Kinn abstützt.
Seine Haltung wirkt gelangweilt und erinnert mich stark an mich selbst, wenn ich Vaters Predigten gelauscht habe.
Ein schmerzhafter Stich fährt bei dieser Erinnerung durch mich. Dass ich mir das jemals zurückwünschen könnte...

"Nun nenn mir deinen Preis", holt mich Hestis Stimme zurück ins Hier und Jetzt.
Ich schlucke, schließe einmal kurz die Augen und beginne.

"Ich möchte von Euch, dass Ihr meine Schwester freilasst." So einfach sind diese Worte gesagt, obwohl in ihnen so viel Hoffnung steht.
Hestis gibt seine gelangweilte Haltung auf.
"Deine Schwester?" Unverständnis liegt in seiner Stimme.
Ich nicke, "Die Herrscherin des Südens ließ sie in Euer Reich bringen."

Kopfschüttelnd steht er auf und kommt mit den Händen in seinen Manteltaschen auf mich zugeschlendert.
"Wo bist du da nur rein geraten, kleines Menschlein?", flötet er, als er vor mir stehen bleibt und auf mich herab blickt.

Er ist bestimmt einen Kopf größer als ich, wobei ich auch nicht gerade klein geraten bin. Aus meiner Familie bin ich die gewesen, die in die Höhe geschossen ist.

"Macht Ihr euch etwa über mich lustig?", knirsche ich, allmählich die Geduld verlierend.
"Keineswegs, ich frage mich nur wie du auf die Idee kommst, dass sich in meinem Reich ein Mensch befinden soll, den ich außerdem noch in Gefangenschaft genommen habe."
Er schnalzt mit der Zunge und schüttelt dabei betrübt den Kopf, als würde diese Forderung einer Unterstellung gleichkommen.
Er spielt mit mir - eindeutig.

"Arinkas, das Arbeitslager. Das, wohin Blütler gebracht werden", gebe ich zusammenhangslos von mir. Meine Stimme hört sich dabei in meinen eigenen Ohren viel zu laut an.
Hestis beugt sich mir entgegen.
"Befindet sich nicht in meinem Reich", formen seine Lippen, doch die Worte wollen irgendwie nicht bei mir ankommen.

Das Bild von Nila und mir, wie wir am Kristallsee sitzen und sie mir berichtet, dass es Krieg geben wird, schiebt sich vor mein inneres Auge. Ich sehe ihren mitleidigen Blick, als ich nach ihrem Arm greife, um sie am Aufstehen zu hindern - sehe ihren Mund sich öffnen und höre ihre Worte in meinem Kopf, als wären es meine eigenen.

Hat sie gelogen oder lügt er?

"Wo ist das Lager?", murmle ich und blicke auf meine Hände herab.
"Weit weg von hier. An einem Ort, der das tote Tal genannt wird", höre ich ihn antworten.
"Warum heißt es so?", frage ich weiter und blicke in Hestis dunkle Augen.
"Weil es tot ist. Dort tobte der Krieg am schlimmsten und ließ nichts als verbrannte Erde zurück. Stürme und Gewitter suchen das Land heim. Ein Ort, der ein Leben unmöglich macht."

Meine Hände beginnen zu zittern.
Das klingt nach dem, was Nila gesagt hat. Ein Ort, an dem die Wenigsten überleben.

"Ich schlage dir einen neuen Handel vor. Du sagst mir, wodurch du die Seiten ausgleichen willst und ich helfe dir, zumindest zu erfahren, was mit deiner Schwester geschehen ist. Ich bezweifle, dass sie nur einen Tag da überlebt, aber man weiß ja nie." Er zuckt die Schultern und zwinkert mir zu, als gehe es um Nichts, was wichtig wäre.
"Außerdem gebe ich dir mein Wort, dass ich dich weder belüge noch dein Leben in Gefahr bringe. Also was sagst du?"

"Ich..." Ich schlucke, während mein Magen anfängt zu kribbeln, als würden Ameisen in ihm wohnen.
Mein Mund ist mit einem Mal staubtrocken und mein Mut dahin. Das Gespräch hat sich so völlig anders entwickelt, als ich es mir vorgestellt habe. Ich habe geglaubt durch Hestis würde ich Ida näher kommen, doch scheinbar ist es nur ein weiterer Haltepunkt auf dem Weg zu ihr. Das Ziel sie zu finden oder auch nur das Wissen um sie ist wieder in weite Ferne gerückt.

Doch es ist ein Anfang. Er will mir helfen. Ob diese Hilfe gut ist oder mich weiterbringt, sei mal dahin gestellt, aber er hat zumindest den Willen. Auch wenn dieser nur darin begründet liegt, dass er im Gegenzug etwas von mir bekommt. Am Hof des Nordens will mir niemand helfen. Sie haben mein Leben gerettet, aber ohne sie wäre ich niemals in Gefahr geraten. Sie wollen, dass ich einfach hier bleibe und ausharre bis ich sterbe.

"Sieh, ich komme dir entgegen, obwohl ich noch nicht mal weiß, welche Information du mir zu bieten hast", unterbricht Hestis meinen Gedankengang, als würde er meine Nervosität spüren.

Ich sehe in sein Gesicht. In dieses wankelmütige Gesicht, das mir in der kurzen Zeit schon unheimlich viele Eindrücke gewährt hat: Kälte, Belustigung, Hohn und bodenlose Wut, aber auch Sanftmut. Dieser Blütler ist eindeutig ein gefährlicher Mann. Ganz anders als der Herrscher des Nordens, der so neutral ist. Wenn er Gefühle hat, weiß er diese gut in seinem ausdruckslosen Gesicht zu verstecken.

Wenn ich daran denke, wie freundlich und zuvorkommend Dorias am Anfang gewesen ist, wird mir ganz übel. Ihm ist es egal, was mit mir ist. Sein einziges Ziel war, mich hier her zu bringen, damit ich unter seiner Kontrolle stehe. Würde ich mir hier das Leben nehmen, würde sie sich vermutlich auch noch freuen, denn dann wäre Kinu wieder frei. Vielleicht warten sie ja auch nur darauf. Den Gefallen kann und werde ich ihnen aber nicht tun.

Ich drücke die Schultern durch und hebe den Kopf.
"Ich stimme zu."
Drei einfache Worte, die sich wirklich gut anfühlen. Ich habe immer eine Wahl.
"Dein Teil?", erinnert mich Hestis und setzt sich wieder in den Sessel.
"Mein Teil, bin ich", beginne ich und gehe an das Fenster, an dem wir einander begegnet sind.
"Ich habe Kinu gerettet, zumindest wurde mir das gesagt. Dadurch ist er einen Bund mit mir eingegangen."

Hestis Augen weiten sich.
"Wie? Wie hast du ihn gerettet?"
Ich lehne mich an den Rahmen und zucke mit den Schultern.
"So genau weiß ich das gar nicht. Ich durchschnitt ein Band einer Wildtierfalle. Ich habe also gar nicht so viel gemacht."

Nachdenklich reibt Hestis sein Kinn.
"Erzähl mir, was geschehen ist, dass du hier her gekommen bist."

Ich seufze, "Ihr meint, wie mein Leben geendet und alles, was mir jemals wichtig war, aufhörte zu existieren? Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen."
"Die haben wir. Das Fest hat seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. Erzähl mir davon."

Erneut seufze ich, während ich mich vom Rahmen abstoße und zum Bett herüber gehe. Im Schneidersitz setze ich mich darauf und beginne meine Reise erneut zu durchleben.

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