4. Der Wunsch

Ich stehe mitten in meinem Gemüsegarten und kann es kaum glauben.

Eines der Beete ist regelrecht geplündert worden. Viele meiner Kürbisse fehlen, sind förmlich von den Pflanze gerissen worden. Grüne Blätter und Stängel liegen verteilt zwischen der aufgewühlten Erde, als hätte jemand das Beet einmal umgegraben.

Tränen steigen mir bei dem Anblick in die Augen. Das ist meine Arbeit gewesen, meine Nahrung und am Ende unser Geld, mit dem wir die nötigsten Dinge bezahlen. Und so ein Kürbis bringt ganze vier Kupfermünzen ein, zumindest die, die hier gewachsen sind.

Ich unterdrücke den Drang etwas klein zu hauen und wende mich von dem Beet ab. Mein Blick fällt auf das Schuppenfenster. Ich gehe vorsichtig näher heran und dass was ich sehe, lässt mich ruckartig stehen bleiben.

Also habe ich gestern nicht geträumt. Ich habe es mir eingeredet, als ich aufgestanden bin, doch die beiden Abdrücke sprechen eine andere Sprache. Etwas schweres hat die Erde verdrängt, etwas, das vor meinem Fenster gestanden hat. Die Spuren führen nicht zum Eingang unseres kleinen Hofes, sondern weiter nach links- ich folge ihnen- vorbei am Schuppen, der nur zwei Fuß entfernt ist von unserem sporadischen Zaun. Dort sind die letzten.

Ich greife die Äste, die Vater für unseren Zaun damals zu gesägt hat und beuge mich über sie hinweg. Das Gras der Wiese ist unberührt. Es steht empor und ist zu meinem Entsetzen nicht einmal platt gedrückt.

Wie ist das möglich? Als ob sich was auch immer in Luft aufgelöst hat.
Ich versuche meine Erkenntnisse gerade zu verarbeiten, da höre ich wie Vater mich in die Hütte ruft.

Ich stoße mich vom Zaun ab und während ich zurück zur Hütte gehe, verschmiere ich die Abdrücke, sodass weder Vater noch Ida sie zu Gesicht bekommen können.

~•~

"Alva, es tut mir leid. Ich war gestern nicht Herr meiner Sinne", entschuldigt er sich, als ich gerade zur Tür hereinkomme.

Er sitzt auf dem Sofa. Heute in einem sauberen olivgrünen Hemd gekleidet und hat seinen angeblich kaputten Fuß auf den Tisch gelegt.

"Was wolltest du?" Ich schließe die Tür und umrunde ihn zur Hälfte, sodass ich ihm gegenüber stehe. Ida, die neben Vater sitzt, sieht ihn auffordernd an.

Er nimmt den Fuß vom Tisch und legt die Stirn in Falten."Wie viel Geld haben wir?"
Ich ahne Böses. "Warum willst du das wissen?"

Es interessiert ihn nie wie viel wir besitzen, außer er will etwas.
Meist seinen Geist betäuben, doch Idas Blick verrät, dass er heute anderes begehrt.

"Deine Schwester hatte vor einigen Monaten Geburtstag", stellt er fest und faltet seine Hände.
"Und?" Ich ziehe eine Augenbraue hoch.
Ida antwortet ungehalten an Vaters Stelle.
"Er will mir nachträglich etwas schenken und ich bräuchte..."

Ich hebe die Hände, um das Gespräch direkt im Keim zu ersticken. "Für Geschenke haben wir kein Geld."
Mein Vater stützt seinen Arm aufs Bein.
"Alva", sagt er meinen Namen wie er ihn nur sagt, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind.
"Das Leben ist nicht nur Überleben."

Ich balle die Hände zu Fäusten und beiße die Zähne zusammen. Die kleine Flamme der Wut entfacht sich und sie droht größer zu werden je länger ich Zeit habe, über seine Worte nachzudenken.
Wie kann er es wagen?

"Das Leben sollte auch ab und an mal eine Annehmlichkeit bieten." Er sieht mich bittend an.

"Ihr habt alle Annehmlichkeiten, die unser Leben zu bieten hat und ihr lebt", bringe ich zwischen zusammengebissen Zähnen hervor.
"Das ist doch kein Leben!", braust Ida plötzlich auf, "Sieh dich doch um!" Sie zeigt mit ausgestreckten Arm in den Raum hinein. In ihrem Gesicht steht der Ausdruck von Empörung.

"Du lebst", zische ich. Die Flamme wird größer. "Was tust du denn den lieben, langen Tag? Arbeiten?"
In ihren Augen lodert der Zorn.
"Ich", sagt sie spitzt, "putze und verschönere diese Ding, was du Heim nennst."

Vater fühlt sich sichtlich unwohl in unserem Streit. Er kneift immer wieder die Augen zusammen und windet sich wie ein Aal.

Jetzt ist es ungültig um mich geschehen. Diese Aussage ist der Tropfen Öl, den es benötigt, um aus einer kleinen Flamme eine Stichflamme werden zu lassen.
Ich springe einen Schritt vor und will sie am liebsten packen, ungeachtet dessen, dass ein Tisch zwischen uns steht. Den räume ich zur Not auch noch aus dem Weg.

"Alles was du isst, was du zum Leben hast, bringe ich nach Hause. Ich arbeite jeden Tag hart, dass dein Magen gut gefüllt ist! Ich wasche deine Kleidung, putze den Boden, auf dem deine zarten Füße gehen und du besitzt wirklich die Dreistigkeit zu sagen, dass du hier putzt? Du machst nicht einen Finger krumm!"
Ich beuge mich vorn über und keuche.

Verdammte Axt, hat das gut getan.

Ida springt nun auf. Uns trennt nur ein Tisch von einander.
"Alles was ich zum Leben habe, stammt von früher. All die Kleider und Bücher bringst nicht du nach Hause!"

Ich lache verächtlich. "Oh, tut mir leid."

Den Käse werde ich aufessen und ihr nicht mal einen Krümel davon abgeben.

"Du kannst das alles nur auf meinem Rücken genießen. Wie willst du das tun, wenn du verhungerst?!"
"Wir haben Gemüse. Du musst nicht in die Dörfer!"
"Ach ja?", frage ich höhnisch, "Wer baut das Jahr um Jahr an, wer kümmert sich darum und wer sorgt dafür, dass wir Seife, Garn, Kleidung und Decken haben, die deinen faulen Arsch in der Nacht warm halten? Dass deine Füße in Stiefeln stecken, sodass du diese Blumen pflücken kannst und wer holt Wasser, dass du sie in eine Vase stecken kannst? Wer, wer tut das alles?!"
Meine Impulsivität übernimmt und die Vase fliegt vom Tisch. Es klirrt, als sie auf dem Boden aufkommt und eine zig Teile zerspringt.
Ein Schwall Wasser ergießt sich und mit ihm die kleinen Stängel mit den bunten Köpfen.

"Das wirst du bereuen", zischt sie und will sich über den Tisch auf mich stürzen, doch Vaters Hand, die sich um ihren Arm legt, hindert sie.

Erst jetzt mischt er sich ein. Kurz bevor wir einander an die Gurgel gehen. Typisch...

"Beruhig dich", fordert er sanft, aber bestimmt, während er sie zurückzieht.
Mit einem Schnaufen und Mordgier in den Augen lässt sie sich zurück aufs Sofa fallen.

"Alva, es geht nicht um viel. Nicht um alles. Nur eine Kleinigkeit", bittet er sanft und das macht mich noch wütender. Hat er meine Worte nicht gehört?

"Du bist der Schlimmste. Es ist deine Aufgabe uns zu ernähren. Du solltest das Oberhaupt der Familie sein und nicht alles auf mir abladen", zische ich.
Er zeigt auf seinen Fuß.
"14 Jahre tat ich das, Alva, nun kann ich nicht mehr. Mein Fuß ist eine..."
"Ja, ja, ich weiß, dein Fuß ist eine Bürde. Aber weißt du was, du hast zwei Töchter. Nicht eine und eine Sklavin."

Ich will mich umdrehen und gehen,doch dann wollen einige Worte noch Gehör finden.
"Willst du deiner Tochter etwas schenken, so wirst du es dir selber verdienen müssen" und mit diesen Worten stürme ich aus der Hütte.

~•~

An dem kleinen Fluss, der nicht mal vier Fuß breit ist und hinter der Wiese liegt, auf dem unsere Hütte steht, komme ich zum Stehen.
Das Wasser rauscht gleichmäßig an mir vorbei. Ein beruhigender Ton, den ich jedesmal genieße, wenn ich Daheim derartiges erlebe.

Manchmal empfinde ich den Wunsch, meine Sachen zu packen und einfach zu gehen. Mir irgendwo anders, in meiner eigenen Hütte ein Leben aufzubauen. Es würde sich nichts wirklich verändern, außer, dass ich alleine und die Stille noch lauter wäre.

Stille ist schön, wenn man sie wählen kann. Doch würde ich meinen Wunsch in die Tat umsetzen, würde sie mich ständig und zu jeder Zeit umgeben. Auch wenn ich es niemals vor Vater und Ida zugeben würde, so vermisse auch ich unser altes Leben und genieße das Wissen, dass wenn ich Heim komme, dass jemand da ist. Auch wenn das Vater und Ida sind.

Außerdem, sie zurücklassen steht außer Frage, denn ich sorge mich, dass sie wirklich verhungern würden. Vater weiß wie der Anbau funktioniert, doch seit sieben Jahren ist er in seiner besinnungslosen Welt erstarrt. Er ertrinkt an Schuldgefühlen, die er in Alkohol ertränkt und der ihn ertrinken lässt. Ganz langsam gleitet sein lebloser Körper weiter in die Tiefe hinab und ich würde ihm gerne die Hand reichen, ihn hochziehen, doch er ist bereits zu tief gesunken, als dass ich ihn noch erreichen könnte.

Einst war Vater ein breitschultriger Mann, der auf seine Arbeit stolz gewesen ist.
Er sagte immer, Nur wenn die Hände bluten, hat man gearbeitet. Das ist sein Motto gewesen und auch wenn er seinen Körper in feine Stoffe kleidete, sobald er am Hofe gewesen ist, so hatte er immer raue, rissige und vom Schorf verkrustete Hände.
Ida hingegen hat nie wirklich in ihrem Leben arbeiten müssen. Da sie die Ältere von uns Beiden ist und die Liebste meines Vaters, hat sie ihm weis gemacht, sie würde in eine gute Familie einheiraten. Ihr Tagesbeschäftigungen bestanden darin an Telegesellschaften teilzunehmen, zu lesen, zu sticken und auf ihr Äußeres zu achten. Dabei ist sie am Ende nur eine Bauerntochter gewesen.

Ich hingegen bin Mutter zur Hand gegangen.
Schmerzlich verziehe ich das Gesicht. Diese Reise in die Vergangenheit führt an einen Punkt, dem ich noch nicht bereit bin mich zu stellen, auch wenn er mich in vielen meiner Träume heimsucht.

Ich blicke vom Fluss auf, meine Augen gleiten den Hang hinauf und bleiben an einem unbestimmten Punkt zwischen den Tannen hängen.
Die Sonne hat sich an diesem Tage hinter grauen Wolken versteckt, weshalb ich entscheide heute nicht aufzubrechen.

Eigentlich wollte ich heute das Dorf nahe des Blindberges besuchen, der in westlicher Richtung thront. Doch der Weg ist weit, wie alle Wege in die umliegenden Dörfer, doch mit einem verhangenen Himmel und einer Nacht, die eher hereinbricht, als dass man bis drei zählen kann, werde ich mir diesen Gang heute ersparen. Der Wald beim Dorf des großen Flusses ist in der Dunkelheit schon unheimlich, doch der des Blindberges überrifft jenen bei weitem.
Und ich weiß nicht mal genau, warum ich das so empfinde, doch jedesmal wenn ich ihn betrete, habe ich das Gefühl durch eine andere, fremdartige Welt zu laufen.

Und das der Berg Blindberg heißt, kommt auch nicht von irgendwo, denn viele, die ihn betreten, finden nicht mehr hinaus, als seien sie erblindet.

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