34. Auf leisen Sohlen
Die Vorbereitungen zu den Feierlichkeiten sind in vollen Gange. Mittlerweile verstecken sich die Höflinge nicht mehr vor mir, weshalb ich auf den Gängen das rege Treiben sehen und vorallem hören kann.
Als sie sich noch vor meinen Ohren und Augen versteckt haben, hätte man meinen können, der Hof des Nordens ist wie ausgestorben. Doch nun wirbeln Wesen in allen Größen und Formen umher und machen dabei einen Heidenlärm. Mittlerweile verstehe ich Dorias, als er sagte, er würde sich Ruhe wünschen, denn ich wünsche sie mir seit einiger Zeit auch.
Aber es bietet mir auch einen ungeahnten Vorteil, denn die Bediensteten reden miteinander und dabei ist es ihnen völlig gleich, ob ich mich in ihrer Nähe aufhalte oder nicht.
"Sieh", sagt gerade ein solches Wesen, als ich aus meinem Zimmer hinaus den Korridor betrete. Es sieht wie eine Vogelfrau aus und ist ziemlich klein geraten. Über ihrem Arm baumelt eine lange Tischdecke, die sie mehrmals umschlagen musste, dass die Enden nicht über dem Boden schleifen.
"Da ist sie", flüstert die Vogelfrau zu einem Wesen, dessen Körper aus Licht und Rauch besteht und dennoch eine feste Materie aufzuweisen scheint, denn es hält verschiedene Kerzenleuchter in seinem Arm. Bei ihm könnte ich nicht mal sagen, ob es männlicher oder weiblicher Natur ist.
"So dürr", haucht das Wesen und seine Stimme fühlt sich wie ein Luftzug an. Ich fröstele.
"Ein Mensch an unserem Hof. Was sich der Herrscher wohl dabei denkt?", gurrt die Vogelfrau und betrachtet mich auf Distanz, während ich so tue, als würde ich ihr Gespräch nicht mitbekommen und hätte ein reges Interesse an dem Gemälde entwickelt, das an der Wand neben meiner Tür hängt und einen Pfau und eine nackte Jungfer zeigt. Meine Haare lasse ich wie ein Vorhang über meine rechte Gesichtshälfte fallen, sodass ich durch die Strähnen die Beiden beobachten kann.
"Spaziert hier einfach durch die Gänge." Unverständnis liegt in ihrer Stimme. Das Rauchwesen lacht, denke ich zumindest, es könnte auch ein Husten sein und stößt seine Nachbarin mit seinem rauchigen Ellenbogen an.
"Vielleicht wird sie ja bei dem Fest des dritten Mondes als Opfergabe dar gereicht."
Das bringt nun auch die Vogelfrau zum Kichern. Sie wenden sich ab und gehen den Gang entlang, während sie sich weiter darüber austauschen, was mit einem Menschen damals so alles geschehen wäre. Tod durch Verbrennung hört sich dabei noch am angenehmsten an.
Mit einem bitteren Gesichtsausdruck sehe ich ihnen hinterher. Den Höflingen merke ich viel eher an, wie sie zu Menschen stehen. Sie verstecken dies nicht hinter Freundlichkeit, sondern lassen ihre Gedanken ungefiltert in ihr Geplapper mit einfließen.
Jeder von ihnen fragt sich, was ich hier mache und jeder kommt irgendwann zu dem Schluss, dass ich wohl eine Opfergabe sein soll - Was dieses Fest des dritten Mondes wohl für eines ist?
Ich glaube..., ich will es nicht herausfinden.
Langsam bewege ich mich durch die Flure, auch in die, die ich noch nie betreten habe. So als würde ich das Schloss erkunden. Dabei versuche ich eigentlich nur herauszufinden, wo die anderen Herrscher untergebracht werden.
In einem dieser Gänge, ein ziemlich pompöser, mit Kronleuchtern, die von der Decke baumeln und der mit einem dicken lilanen Läufer ausgelegt ist, werde ich langsamer.
Nicht, weil ich hier Gesprächsfetzen auf schnappen kann, sondern weil hier ein Gemälde hängt, das tatsächlich mein Interesse weckt.
Es zeigt ein Land, das von Eis und Schnee verschlungen wird. Der Maler hat sogar an die Ränder Eiskristalle gemalt, als wäre das Bild gefroren. Dieser Rahmen aus Eis gibt den Blick auf eine Gruppe frei. Sie sind nicht definiert, dass ich erkennen könnte, wie die Einzelnen aussehen, sondern werden als schwarze Schemen dargestellt. Der Maler hat eine Perspektive gewählt, als würde der Betrachter zu den schemenhaften Gestalten empor sehen. Dadurch nehmen ihre Körper fast ein Drittel der Leinwand in Anspruch und wirken riesig im Vergleich zu den kleinen Silhouetten, die auf einer Anhöhe am Horizont gemalt wurden.
Es sind nur zwei. Die Eine wirkt durch ihre Figur wie eine Frau, zierlich und mit weiblichen Proportionen, während die andere Silhouette männlich wirkt.
Die Frau sieht so aus, als würde sie schweben, denn der Maler hat sie in die Höhe versetzt platziert. Hinter ihnen geht die Sonne auf.
Wenn ich das Bild deuten müsste, würde ich denken, dass hier ein Neuanfang dargestellt wird und dieser beginnt mit den beiden Silhouetten.
Ich wende mich ab und laufe den Gang weiter runter. Der Läufer dämpft meine Schritte vollständig. Es ist komplett still.
Ein weiteres Gemälde lässt mich langsamer werden. Dieses präsentiert eine ganz andere Szene und erinnert mich an das Triumph-Bild, in dem dargestellt wurde, wie die Blütler den Krieg gegen uns gewonnen haben.
Die weibliche Silhouette schwebt nun an einem Wolken vergangenen Himmel. Sie hat die Arme ausgebreitet, als würde sie dem Betrachter die untere Hälfte des Bildes präsentieren wollen.
Ein Kriegsschauplatz. Das Blut der Blütler, golden und silbern, tränkt die schneeweiße Leinwand. Überall sehe ich Tod und das ausgelöst von nur einer Figur. Der Maler hat mehrere Szenen von ihm gemalt - wie er Köpfe abtrennt, Arme ausreißt und in Bergen an Leichen steht.
Mein Magen rumort. Auch wenn der Maler nicht ins Detail geht, so kann ich das Grauen förmlich schmecken. Bitter und scharf wie der Gallensaft, der gerade meine Kehle emporkriecht.
Als ich mich abwenden will, betreten zwei Höflinge den Korridor. In ihren Gesichtern steht Müdigkeit. Die Augen wirken eingefallen, sodass man die Augenhöhlen des Knochen erkennen kann, über den sich lediglich schuppenartige Haut spannt.
Sie sehen aus wie laufende Schlangen, nur mit dem Unterschied, dass sie einen menschenähnlichen Kopf sowie dürre Arme und Beine besitzen. Der Körper ist voller, irgendwie geschmeidiger und da wo ich einen Po habe, geht ihr Oberkörper in einen spitzzulaufenden Schwanz über, der bei jeder Bewegung hin und her schwingt.
Ohne mich angesehen zu haben, sind sie an mir vorbeigelaufen und biegen nun in die Tür ab, die mir am nächsten ist.
Zischelnde Gesprächsfetzen dringen an mein Ohr.
"Komischer... Wär-sch-e... Mahl-sch-zeit nicht..."
Ein röchelndes Lachen ertönt, gefolgt von einem "Pscht" und den Worten:
"Kann... hör-sch-en."
Na toll. Ich blicke unauffällig kurz nach links und dann nach links. Wenn sich jetzt gerade keiner in dem Deckmantel der Unsichtbarkeit versteckt, dann dürfte ich alleine sein.
Ich hebe den linken Fuß an und setze ihn wieder auf den Boden, dann den rechten und wieder den linken.
Aus dem Raum in meiner Nähe ertönt Gerumpel, als würden die Schlangen das Zimmer abreißen, anstatt es aufzuräumen. Ich verdrehe die Augen und mache mit meinem Spiel, auf der Stelle zu laufen, weiter.
Nach und nach verringere ich dabei die Stärke des Aufsetzen und höre irgendwann vollständig auf.
Stumm stehe ich auf der Stelle, traue mich kaum zu atmen und lausche.
Aus dem Raum antwortet mir Stille.
"Glaub-sch-e... weg."
"Gu-sch-t", zischelt es daraufhin, "Dann können... normal red-sch-en."
Auf meinem Gesicht breitet sich ein Grinsen aus. Es hat tatsächlich funktioniert. Ich kann's ja kaum glauben.
Scheinbar verfügen nicht alle Blütler über übermenschliche Fähigkeiten. Nila hatte gesagt, dass die Fähigkeiten einiger Silberblütler sehr überschaubar sind.
Trotzdem kann ich immernoch nicht richtig fassen, dass mein auf der Stellen-Treten wirklich überzeugend gewesen ist.
"Das Zimm-sch-er für den Alt-sch-en gerade richtig. Alt und Alt ge-sch-ht gut."
Sofort beginne ich in meinen Erinnerungen zu kramen. Alt... Alt... Ein alter Blütler. Da war einer, auf dem Gemälde...
Der Herrscher... des Ostens?
Ich hätte Nila besser zuhören sollen, als sie mir die Herrscher vorgestellt hat.
"Ha-sch-t sogar grüne Bett-wäsche. Pass-sch-t zu ihm", antwortet daraufhin eine andere Stimme.
In meinem Kopf klingelt ein ganzes Orchester. Grün? Das war doch die Haarfarbe des Herrscher des Westens, oder nicht? Ist er also der Alte, von dem die Schlangen reden? Dabei sah er gar nicht so alt aus.
Mir schwirrt der Kopf.
"Grün ist... Far-sch-be des Nei-des. Pas-sch-t auch." Röchelndes Gelächter erklingt. Dann wieder Stille.
"Obwohl der Herr-scher des Westens ja sehr gutaus-sch-ehender ist. Finde-sch-t du ni-sch-t auch? Vermutli-sch der gutaus-sch-ehendste von allen."
Ich verdrehe die Augen. Ernsthaft? Die Beiden erinnern mich gerade stark an Ida und ihre Freundinnen, wenn sie über ihre Schwärmereien getuschelt haben. Scheinbar sind Schmetterlingsgefühle nicht nur den Menschen vorbehalten.
Merkwürdig, wie ähnlich wir den Blütlern auch sind.
"Gruseli-sch ist er. Tötet seine Höf-sch-linge für klein-sch-te Vergehen", wird das Gespräch weitergeführt, doch ich höre schon gar nicht mehr richtig hin. Dass was ich wissen wollte, haben die beiden mir verraten. Nun muss ich mir nur noch den Weg hierher einprägen und dann dürfte es ein leichtes sein.
Hoffentlich...
Ich mache auf dem Absatz kehrt und will gerade zurückschleichen, da ertönt aus meiner Kehle ein erschrockenes Quietschen. Mein Herz vollführt indes einen kleinen Salto.
Mit fragendem Blick sieht mich Kinu an.
"Habe ich dich erschreckt?, fragt er und sorgt dafür, dass das zischelnde Gespräch in meinem Rücken abrupt verstummt.
Die plötzliche Stille dehnt sich aus wie ein Gummiband. "Alles in Ordnung?", fragt er, nach einem Moment, indem ich ihm immer noch nicht geantwortet habe. Sein Blick mustert mich von Kopf bis Fuß.
Antworte ihm, jetzt! Meine innere Stimme überrumpelt mich derart, dass der Tonfall meiner Art leider anders ausfällt, als ich es mir gewünscht habe.
"Ja-ha?"
Blöd, die Schlangen wissen nun auch, dass sie nicht alleine gewesen sind. Warum muss Kinu auch unbedingt jetzt kommen? Hätte er mich nicht am Anfang des Korridors in Empfang nehmen können?
Naja, nun ist eh alles zu spät.
"Verzeih", entschuldige ich mich, "Ich war so fasziniert von dem Gemälde, dass ich scheinbar völlig in Gedanken versunken war."
Um meine Worte zu bestätigen, sehe ich über die Schulter besagtes Bild an.
Kinu tritt näher heran und betrachtet mit einem undefinierbaren Blick die Leinwand.
"Wie findest du es?", fragt er mit einem Unterton in der Stimme, den ich nicht ganz zuordnen kann.
"Um ehrlich zu sein, ganz fürchterlich", gestehe ich und fokussiere den Punkt, an dem die männliche Silhouette seinem Opfer gerade den Arm abreißt. Der Maler hat diesen Akt mit goldenen Sprenkeln untersetzt, um dem Betrachter zu zeigen, dass dort ein Goldblütler gerade Höllenqualen leidet.
Allein die Vorstellung jemand würde mir einen Arm abreißen, lässt mich schaudern.
Was das wohl für Schmerzen sind? Eine Frage, deren Beantwortung ich hoffentlich nie erfahren werde.
"Das ist es", stimmt mir Kinu zu und nickt, "Einer der dunkelsten Tage unserer Geschichte und auch euer." Er wendet den Blick vom Gemälde ab und sieht mir ins Gesicht.
"Wäre dieser Tag nicht gewesen", sagt er und zeigt kurz auf besagte Szene, "Dann wäre Mistis heute noch vollständig von Menschen bevölkert."
"Das ist wirklich geschehen?", frage ich, was ihn nicken lässt. Ich bin mir sicher, hier gerade den Grund zu sehen, warum die Blütler sich dazu entschieden haben Klatis zu verlassen.
"Ihr seid einem übermächtigem Gegner begegnet und anstatt für eure Heimat zu kämpfen, habt ihr sie verlassen und wurdet selbst zu dem, wovor ihr geflohen seid", spreche ich meinen Gedanken aus und verziehe das Gesicht.
Wahnsinn... ist das bitter.
Kinu braucht mir nicht zu antworten. Ich sehe an seinem Blick, dass ich richtig liege.
"Das war vor meiner Zeit", sagt er und ich habe das Gefühl, dass er das Thema damit beenden will. Ich lasse ihn.
Der Krieg liegt 1000 Jahre zurück. Die Gründe weit weg in Klatis und solange sie da bleiben, sind sie mir gleich.
Ich habe einen anderen Kampf zu kämpfen und dieser beginnt in zwei Tagen, wenn die anderen Herrscher hier für das große Fest anreisen.
Dann beginnt nicht nur der Krieg gegen Jelena, sondern auch mein eigener. Meiner wird nur nicht laut sein, sondern ganz leise.
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