33. Der erste Schritt
Dass Keanan meine kleine Gesangseinlage hören konnte, beweist, dass er die Privatsphäre anderer nicht respektiert. Ich muss höllisch aufpassen, woran ich in seiner Gegenwart denke.
Trotzdessen, dass dieser Faktor mein Unterfangen nochmal mehr ins Unrealistische zieht, muss ich es dennoch probieren.
Seit einigen Minuten stehe ich vor Dorias Gemach. Von Nila weiß ich, dass er sich gerne darin nach dem Frühstück zurückzieht und seinen eigenen Gedanken nachhängt.
Ich muss perfekt schauspielern. Wirklich so wirken, als würde ich keine Hintergedanken haben.
Ob er auch...
Mein Gedanke reißt je ab, als Schritte hinter mir erklingen und von den Wänden wiederhallen.
"Kann ich dir helfen?", schwebt schon im nächsten Moment die Frage durch den Gang und alle Überlegungen, die ich mir bis jetzt gemacht habe, verpuffen.
Ich drehe mich um, setze ein unsicheres Lächeln auf, so als wüsste ich nicht genau, ob mein Anliegen von Erfolg gekrönt ist - was nicht mal eine Lüge ist.
Dorias weißes Gewand wallt mit jedem Schritt hinter ihm her. Allein wie er diesen gewöhnlichen Flur entlang schreitet, zeigt seine königliche Herkunft. Ich könnte niemals so gehen. Mit Schultern, die immer ein bisschen nach vorne hängen und meinem schlurfenden Gang, würde ich niemals solch eine Ausstrahlung besitzen.
Dorias weiße Haare fallen ihm offen über die Schultern. Er sieht in der Farbe der Unschuld fast wie ein Geistlicher aus und wenn die heilige Mutter einen Partner hätte, sähe er sicherlich wie der Herrscher des Nordens aus.
Die Schritte verstummen. Eine Armeslänge entfernt steht er vor mir. Sicherlich ist er überrascht, mich hier zu sehen, das denke ich zumindest. Von seinem Gesicht kann ich dergleichen nichts ableiten. Als würde er eine Maske tragen - starr und neutral - blickt er auf mich herab.
"Hallo." Ich hebe die Hand zum Gruß und lasse sie langsam wieder sinken, als er nicht reagiert.
"Ich..."
Bewusst lege ich eine Sprechpause ein, tue so, als würde ich überlegen wie ich das Folgende formulieren soll.
"Ich habe gehört, dass..."
Eine erneute Sprechpause.
Scheinbar verliert er allmählich seine Geduld.
"Was hast du gehört?"
Ich balle die Hände zu Fäusten.
"Dass... Ihr ein Fest gebt."
Innerlich seufze ich, wenn ich das Gespräch in der Geschwindigkeit weiter führe, stehen wir noch morgen hier. Aber er soll ja denken, dass ich unsicher bin und jemand unsicheres redet nicht in einem Schwall und schon gar nicht mit klarer Stimme.
"Das ist richtig", antwortet er und sieht mich wartend an.
"Ich wollte fragen, ob..."
Plötzlich unterbricht er mich.
"Du brauchst keine Sorge haben, du bist sicher. Keiner der Gäste wird dich stören. Dein Zimmer wird versiegelt. Kein Blütler kann es betreten."
Also wollen sie mich tatsächlich einfach wegspeeren. Das sieht ihnen ähnlich. Dennoch hat er mir gerade die Antwort geliefert, ohne dass ich danach fragen musste. Ich scheine meinen Job wirklich gut zu machen.
Wenn kein Blütler mein Zimmer betreten kann, heißt das nicht, dass ich es nicht verlassen kann.
"Das beruhigt mich ungemein." Erleichtert atme ich aus und mache einen Schritt von ihm weg, "Danke."
Musternd sieht er mich an, als würde er in meinem Gesicht etwas suchen.
"Hat dir das Sorge bereitet?"
Ehrliches Interesse liegt in seiner Stimme.
Ich beginne meine Hände zu kneten sowie ich es tun würde, wenn ich unsicher wäre.
Mit flacher Tonlage antworte ich: "So viele Blütler an einem Ort..."
Er nickt, als würde er verstehen, was ich ausdrücken möchte.
"Du kannst dir sicher sein", beginnt er ernst, "dass ich nicht zulasse, dass dir etwas geschieht."
Normalerweise würden solche Worten mir Sicherheit und Geborgenheit schenken, doch wir wissen beide, dass er dies nur tut, damit Kinu nichts geschieht. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes lediglich ein Anhängsel und der Grund, warum überhaupt solche Mühen betrieben werden.
"Danke", sage ich erneut und nicke. Darauf folgt eine Stille, in der wir einander ansehen. Eine Gänsehaut stellt meine Armhärrchen auf. Ich hebe erneut die Hand zum Gruß, flüstere ein: "Ich gehe dann mal" und will mich gerade abwenden, als er völlig unvermittelt fragt:
"Warum bist du wirklich hier, Alva?"
Ich halte inne, drehe langsam auf dem Absatz und sehe ihn an.
Er hat die Arme vor der Brust verschränkt und lehnt am Türrahmen seines Gemach.
"Das ist eine Frage, die du mir bereits beim Frühstück hättest stellen können, dennoch suchst du mich hier auf. Warum?"
Mir wird heiß und kalt. Und ich bin mir sicher, dass mein Gesicht nun irgendetwas meiner eigentlichen Absichten verrät.
Die richtige Antwort wäre, mir fehlte der Mut diese Frage vor dem General zu stellen.
Es hätte nur einen kurzen Moment gebraucht, in dem ich unkonzentriert gewesen wäre und alles wäre dahin.
Das sage ich allerdings nicht. Denn ich bin ja unsicher und nun beginne ich mich auch noch zu schämen.
"Ich habe mich nicht getraut, meine Angst vor allen offenzulegen", antworte ich und wringe meine Hände. Den Blick kann ich natürlich kaum heben.
Nachdenklich mustert er mich, als suche er in meinem Gesicht etwas, das mich der Lüge bezichtigt, doch scheinbar sehe ich dermaßen jämmerlich aus, dass er es dabei bewenden lässt.
"Nun gut." Er stößt sich vom Türrahmen ab und geht um mich herum. Mein Herz vollführt einen kleinen Hüpfer, als er hinter mir steht und ich ihn zwar nicht mehr sehe, dafür aber seine Präsenz wie eine undurchdringbare Mauer wahrnehme.
"Wenn das alles war..." Er zieht die Worte in die Länge und ich weiß, es wird höchste Zeit sich zu verabschieden. Ich murmele ein "Danke" in seine Richtung und gehe dann versucht gemächlich den Gang entlang.
Seinen Blick spüre ich wie heißes Eisen in meinem Rücken.
Nachdem ich das Zimmer erreicht habe, dass nun meines sein soll, setze ich mich aufs Bett, ziehe die Beine an und blicke starr zum Fenster.
Schneeflocken wirbeln draußen umher, als tanzen sie miteinander.
Vielleicht ist meine Idee Dorias alleine zu sprechen nicht die beste gewesen,doch zumindest habe ich nun erfahren, was mit mir während des Festes geschehen soll. Nila konnte mir darauf keine Antwort liefern, als ich sie gefragt habe.
Nun muss ich nur noch herausfinden, wo der Herrscher des Westens untergebracht wird, damit ich ihm meinen Handel unterbreiten kann, um dieses elendige kalte Land zu verlassen und Ida endlich wiederzusehen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass er an einem Druckmittel gegen den Dorias interessiert ist - immerhin besitzt dieser gegen Hestis auch eines. Ich gleiche lediglich die Seiten aus.
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