3. Gier und Wut
Mit klammen Fingern drehe ich den Knauf der Tür und stoße sie auf.
Warme Luft empfängt mich, als ich über die Türschwelle trete und die kühle Nacht aussperre.
Ich hänge meinen Mantel an den Haken an der Wand und betrete den vorderen Raum der Hütte. Ein altes Sofa hat hier Einzug gefunden, das seine besten Tagen bereits hinter sich hat. An einigen Stellen ist das Leder abgeplatzt, was es einst in einem Schwarz glänzen lassen hat. Wir haben es gebraucht von der Tante meines Vaters bekommen, kurz bevor sie verstarb.
Davor steht ein kleiner Tisch, auf dem sich eine Vase mit frischen Wiesenblumen befindet und einigen Kerzen, deren Flammen hin und her zucken- das Einzige, wozu Ida beiträgt, die Verschönerung unseres Heims.
Sie sitzt in dem Stoffsessel, der auf der rechten Seite des Sofas steht, sodass ich ihr direkt ins Gesicht sehen kann und hat die Beine angezogen, während sie in einem von Vaters Büchern liest. Eines der Wenigen, die ein Überbleibsel unseres alten Lebens sind. Am Einband erkenne ich, dass es von der Seefahrt handelt. Ein Schiff ist darauf abgebildet.
Sie hat nicht aufgeblickt und tut es noch immer nicht. Gibt vor zu lesen, obwohl ich ganz genau sehe, dass ihre Augen an einer Stelle verharren.
"Ich bin zurück", gebe ich das Offensichtliche von mir und streife die Stiefel von meinen Füßen.
"Was hast du mitgebracht?", fragt sie ohne Umschweife, weiterhin ohne aufzublicken.
"Käse, Brot und Garn." Meine neuen Stiefel lasse ich bewusst außen vor. Auf die Diskussion, die dann folgen würde, habe ich keine Lust und auch heute keine Kraft mehr, und dass ich ein Tier mit Fleisch gefüttert habe, muss sie auch nicht unbedingt wissen.
"Mehr nicht?" Nun hebt sie doch ihren Blick. Skepsis liegt mit in ihren rehbraunen Augen, als sie ihre rechte Augenbraue hochzieht. Vielleicht zieht sie auch beide hoch. Schwer zu beurteilen durch ihren aufgebauschten Pony, der ihre linke Gesichtshälfte verbirgt. Ihre braunen Haare glänzen im Schein der Kerzen
Jedes Mal, wenn ich sie so betrachte, in ihren feinen Kleidern, die sie nicht hergeben wollte, als es an der Zeit war zu geben, kommt in mir Abscheu hoch. Um die Familie vor der Gosse zu bewahren, haben Vater und ich so ziemlich alles gegeben was wir hatten, Kleidung und Schmuck, Bücher, Zinnfiguren und noch so viel mehr, während sie ihn auf Knien angefleht hat, dass er ihr nicht ihre Kleider nehmen möge und er hat ihr nachgegeben sowie er es schon immer getan hat.
Wir waren nur Bauern, doch durch unsere Stellung als Versorger am Hofe recht gut betucht. Mehr als mancher Kaufmann in der Hauptstadt.
Sie hier sitzen zu sehen in ihren grünen Kleid mit den Puffärmeln in diesem ranzigen Sessel, umgeben von sporadischer Einrichtung passt nicht. Ida passt nicht in das Bild der Armut, nicht davon wie sie sich kleidet und auch nicht wie sie sich verhält.
"Willst du mehr, kannst du ja morgen ernten und dich auf dem Weg in eines der Dörfer machen. Ich bin mir sicher, dass deine Erscheinung deutlich mehr einbringen wird als meine." Gehässigkeit liegt in meiner Stimme. Ich erinnere sie an etwas, was tief unter ihrer Würde ist. An einen Rat, den ein ehemaliger Freund, ein Edelmann, meinem Vater gegeben hat, als er mit uns in Nacht und Nebel vor seiner Tür gestanden und um Hilfe gebeten hat.
Du solltest die Ressourcen, die du noch hast, nutzen. Es gibt hier in der Nähe ein Freudenhaus. Ida würde sicherlich viel Gewinn erzielen.
Und genau darauf beziehe ich mich gerade und ich sehe, welche Wirkung meine Worte erzielen. Sie springt auf, will mir das Buch an den Kopf schmettern, doch ich ducke mich rechtzeitig weg, sodass es mit einem Knall auf dem Boden aufkommt und aufgeschlagen liegen bleibt. Mit Zornesröte im Gesicht stürmt sie an mir vorbei, die Treppe hoch und im nächsten Moment höre ich eine Tür knallen.
Grinsend sehe ich ihr hinterher.
Zumindest ein kleiner Sieg.
~•~
"Was war das für ein Krach?", fragt Vater, als er mit schlurfenden Schritten die Stufen heruntersteigt. Seinem Anblick nach zu urteilen, schlief er bis eben- bis Ida unsere Zimmertür geknallt hat. Vermutlich werde ich heute Nacht auf dem Sofa nächtigen müssen.
"Ida hatte einen Wutanfall." Ich verstaue gerade den Laib Brot und den Käse in der kleinen Speisekammer, neben der kleinen Küche.
Rechts neben der Tür steht ein Herd und direkt neben ihm der Korb, in dem wir unsere Scheite lagern, um ihn zu befeuern. Daneben zieht sich ein kleiner Tisch bis zu dem Türrahmen, den dem Vater nun lehnt. In der Mitte steht ein Esstisch und vier einfache Stühle. Ansonsten befindet sich nichts in diesem fensterlosen Raum.
"Warum?" Vater sieht sich aus verschlafenen Augen um. Seine Kleidung ist nur eine einfache Hose und ein Langarmshirt, dass diverse Flecken aufweist. Nun, wo ich es so betrachte, komme ich zu dem Entschluss es so schnell wie möglich mal wieder waschen zu müssen. Ein Stück Seife haben wir noch.
Er gähnt und zeigt dabei eine Reihe gelber Zähne.
Seine Haut wirkt aschfahl wie die eines Toten. Die Augen liegen in tief in den Augenhöhlen. Er sieht nicht nur aus wie ein Toter, sondern wie der Tod selbst und mit jedem Tag und jeder Woche wird es schlimmer.
"Weil Ida ist wie sie ist", antworte ich schulterzuckend und füge neutral hinzu: "Ich kann deine Hose stopfen."
Daran scheint er nicht interessiert, stattdessen beginnen seine Augen zu suchen, als wäre ihm gerade erst eingefallen von wo ich gekommen bin. Er tritt über die Türschwelle und kommt zum Tisch. Er sucht etwas und ich muss nicht überlegen, was es ist.
Mit verschränkten Arme sehe ich ihn an und seufze. Ich ziehe das Beutelchen von meinem Hosenbund und schwenke es in der Luft.
"Suchst du das?", frage ich wissend. Klimpern erfüllt die Luft.
Ich hätte es vor ihm verbergen können, hätte lügen können, dass kein Geld übrig sei, doch ich scheine seit Jahren immer wieder die Bestätigung zu brauchen, dass mein Vater nur an einer Sache interessiert ist und das ist sein Glas mit billigem Fusel zu füllen, um seinen Geist zu betäuben.
"Ist noch was übrig?" Freudige Gier liegt in seiner Stimme. Wenn's nach ihm ginge, könnte jeder Laib Brot gegen eine gute Flasche ausgetauscht werden.
"Wie du siehst..." Ich klimpere erneut und lasse ihn dann in meiner Hosentasche verschwinden.
Ehe mein Vater ansetzen kann etwas zu sagen, hechte ich an ihm vorbei. Er wirbelt herum. Sein Mund entkommt ein animalischer Ton, als er langgezogen kreischt: "Gib ihn mir!"
Mein Plan hat sich gerade geändert. Anstatt auf dem Sofa zu schlafen, reiße ich nun die Hüttentür auf, springe förmlich die drei Stufen hinunter. Laufe an meinem Karren, der nahe der Stufen zur Veranda steht vorbei. Hinein in den Gemüsegarten, zwischen den vier Fuß breiten Beeten hindurch zu dem kleinen Schuppen.
Ich würde den Weg blind finden, so häufig bin ich ihn schon gelaufen.
Die Tür ächzt, als ich sie aufreiße und an ihr vorbei in den Schuppen springe. Sie ächzt erneut, als ich sie hinter mir zu ziehe und den Schlüssel im Loch drehe. Und sie ächzt weiteres Mal, als jemand gegen sie donnert und beginnt mit den Fäusten auf das Holz zu trommeln. Eine stetig anschwillende Melodie, begleitet von dem Zetern eines Mannes, der seine Würde vor sieben Jahren mit verspielt hat.
Ich zünde die Kerzen auf dem Fensterbrett an und lasse mich danach auf meinen kleinen Strohhaufen fallen, über den ich eine Decke gelegt habe. Dadurch pieksen die Halme nicht so sehr und es ist irgendwie noch bequemer. Darauf liegt ein altes Kissen und eine weitere Decke, die mich desnachts in dem Schuppen warmhält. Ich schlafe hier häufig und mittlerweile sogar lieber als in der Hütte. Es ist eine kleine Oase, meine kleine Oase. Hier stehen meine Hacken und Schaufeln, die ich zum Bearbeiten der Beete benötige. Das Getose vor der Tür ignoriere ich. Als ich jünger war, machten mir diese Aussetzer Angst, heute lasse ich sie an mir vorüber ziehen wie dunkle Gewitterwolken am Himmel.
Ich bette mich auf meine Strohmatratze und decke mich zu. Er wird es draußen nicht lange aushalten. Es wird kalt heute Nacht. Zu kalt für seinen ausgemergelten Körper.
Auch wenn an Schlaf nicht zu denken ist, genieße ich dennoch die Wärme, die meine steifen Glieder einhüllt und den Tagesmarsch mit sich nimmt wie den am Tage zuvor und am Tage davor.
Mein Leben besteht aus Arbeit und Fußmärschen. Aus tauschen und handeln. Die Wärme eines eigenen Bettes in einem eigenen Zimmer, auch wenn dieses kalt, der Wind an den Wänden rüttelt und um die Ecken pfeift, ist für mich eine Wohltat. Es ist das Einzige, was ich wirklich mein Eigen nennen kann.
Ich habe den Schuppen vor fünf Jahren selbst erbaut und es hat fast ein halbes Jahr gedauert bis man ihn als solchen nutzen konnte. Mein Vater verirrt sich nur hierher, wenn er mir Geld abnehmen will und meine Schwester würde niemals freiwillig einen Fuß in dieses staubige Loch, wie sie meine Oase nennt, setzen.
Ist mir mehr als recht und mit diesem Gedanken schließe ich die Augen.
~•~
Ich fahre hoch, schweißgebadet mit laut schlagenden Herz und sehe mich orientierungslos um. Meine Haare kleben förmlich in meinem Gesicht. Mit fahrigen Bewegungen wische ich sie fort und sehe mich um. Dunkelheit umgibt mich.
Es dauert einen Moment bis ich realisiere, wer ich bin und wo ich bin. Mein Herzschlag beruhigt sich, das Zittern meiner Finger nimmt ab. Ich atme bewusst langsam ein und stoße die Luft förmlich heraus. Das tue ich immer, nachdem ich von ihr geträumt habe. Es beruhigt mich, holt mich zurück in die Gegenwart.
Ich atme nochmal tief ein, doch anstatt auszuatmen, halte ich inne. Ein zartes Kratzen zieht sich über die Glasscheibe des Fensters zu meiner Linken. Schrill und langsam, von oben nach unten. Ein widerlicher Ton, der Übelkeit in mir auslöst.
Es klingt als würden Zweige im Wind sich bewegen. Das Problem ist nur, dass beim Fenster nichts wächst, was dieses Geräusch erklären könnte.
Ich schiebe mich ein Stück in die Höhe. Vorsichtig und langsam spähe ich über den Rand der Fensterbank. In der Erwartung meinen Vater zu sehen, schiebe ich mich sogar noch ein gutes Stück höher und das was ich sehe, lässt meine Lungen explodieren. Ich stoße die Luft aus, nicht um mich zu beruhigen, sondern weil sie förmlich auf meinem Mund herausgepresst wird.
Ich harre aus, kann den Blick nicht von dem lassen, was meine Augen in der Dunkelheit wahrnehmen und ich weiß, dass die Wände meines Schuppens mich nicht schützen werden.
Ein riesiger dunkler Berg, eine schemenhafte Gestalt und gelbe Augen, die selbst in einer Dunkelheit ohne Lichtquelle leuchten, als würde ich sie mit dem Licht meiner Laterne anstrahlen.
Es sieht mich einfach nur an. Bewegt sich keinen Zentimeter und das macht es noch viel unheimlicher. Die Stille wird nur durch mein laut schlagendes Herz unterbrochen, bei dem es mich nicht wundern würde, wenn das Ungetüm auf der anderen Seite des Fensters es auch hören würde.
Die Zeit verstreicht quälend langsam und ich glaubte schon, sie sei stehen geblieben, da wendet sich was auch immer ab. Schwere Schritte lassen den Boden förmlich beben, doch sie entfernen sich und als sie in der Stille verklingen, breche ich auf der Fenterbank zusammen und danke den Göttern, dass es nicht die Entscheidung gefallen hat meinen Schuppen niederzureißen
"Was war das?", spreche ich meinen Gedanken laut aus und auch dieser verklingt in der dunklen Stille.
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