8. Bittere Erkenntnis
Auf der Lichtung steht ein riesiger Bär. Vermutlich eher eine Bärin, wenn ich mir das Bärenkind neben mir so ansehe. Seine Augen sind weit aufgerissen, während er kläglich wimmert.
Die Bärin steht auf den Hinterbeinen, haut mit ihren großen Pranken nach ihren Angreifern, während lautes Brüllen ihre Kehle verlässt. Eine silberne Flüssigkeit verklebt ihr dunkles Fell.
Sie kämpft, kämpft ums Überleben, auch wenn man ihr ansieht, dass dieser Kampf schon zu lange geht.
Ihre Angreifer sind drei Kerle. Sie sehen menschlich aus, doch etwas an ihren Bewegungen und ihrem Erscheinungsbild stimmt in diesem Zusammenhang nicht.
Sie bewegen sich, als wären ihre Gelenke ausgekugelt und ihre Haut ist gelblich, als seien sie in einen Farbtopf gefallen.
Ein irres Lachen liegt auf ihren Gesichtern, während sie in ihren Händen Schwerter schwingen.
Mit Unglauben betrachte ich sie. Ich habe noch nie so jemanden gesehen, geschweige denn von gelben Menschen gehört. Auf der einen Seite fühle ich beim Anblick der Gestalten Faszination, auf der anderen Seite aber auch Angst. Vorallem, weil ich die Angst des Bärenkindes so deutlich spüre wie ich Geschmack auf der Zunge schmecken kann.
Einer von ihnen, ein Glatzkopf, macht einen plötzlich einen Ausfallschritt. Obwohl sein Fuß dabei umknickt, bewegt er sich in einem enormen Tempo auf die Bärin zu.
Ein anderer greift sie von der anderen Seite an. Fügt ihr einen Schnitt zu. Sicherlich nicht so tief, dass es sie das Leben kosten könnte. Doch das scheinen die Kerle auch nicht zu wollen. Noch nicht. Sie spielen mit ihr. Fügen ihr Wunde um Wunde zu bis sie sich nicht mehr auf den Beinen halten kann.
Als ihr ein weiterer Schnitt zugefügt wird, schreit sie auf... und ich leider auch. Ihr Schreien übertönt meines, dennoch sieht mich das Bärenkind mit aufgerissenen Augen und schlägt mir aufs Bein. Fast so, als wolle es mich für meinen Schrei maßregeln.
Stille kehrt ein, das nur von dem Keuchen der Bärin durchbrochen wird. Die gelben Männer verharren in ihrer Bewegung. Ein von ihnen legt den Kopf in den Nacken und riecht. Er riecht! Wie ein Tier, das versucht Witterung zu seinem Beutetier aufzunehmen. Mir wird heiß und kalt, als sich der Wind dreht und mir in den Rücken pustet.
Sofort wenden sich drei Augenpaare in meine Richtung und ich ahne welcher Geruch bei ihnen angekommen ist.
Meiner...
Das Bärenkind gibt einen leises Quitschen von sich, während sein Körper zu beben beginnt.
Ach du...
Die Gelben blicken einander an und der, der den Kopf in den Nacken gelegt hat, löst sich aus der Formation. Gemächlichen Schrittes kommt er auf die Tannen zu.
Das Beben des Bärenkindes wird stärker. Mein Herz rast. Schweiß sammelt sich auf meiner Stirn. Mit jedem Schritt des Gelben werde ich angespannter.
Mist, Mist, Mist!, flucht meine innere Stimme.
Unzählige Gedanken wirbeln durch meinen Kopf. Keiner ist laut genug, um ihn zu fassen. Ich erstarre förmlich.
Nein, nein, tu was! Spring auf! Lauf weg! Tu was!, fordert die Stimme laut in dem stillen Chaos meiner Gedanken.
Mein Überlebensinstinkt lässt mich aufspringen. Bisweilen nicht die beste Entscheidung.
Der Gelbe bleibt irritiert stehen, als wir einander durch die Tannenzweige hindurch anstarren.
"So, so", säuselt er, "Ein Mensch."
Er setzt sich wieder in Bewegung, während er eines der Schwerter in die Scheide steckt und das andere nun drohend auf seiner Schulter trägt. Die Klinge glänzt silbern im Sonnenlicht.
Ich hingegen halte mein mickriges Messer vor mich. Meine Hände zittern so sehr, dass ich den Griff fest umklammern muss, damit es mir nicht aus den Fingern rutscht.
Der Gelbe betrachtet mich eingehend und lacht schallend.
Er dreht sich zu seinen zwei Kumpanen um, die die Bärin in Schach halten und zeigt über die Schulter auf mich.
"Braucht jemand ein Zahnstocher?"
Meine Hände zittern noch mehr.
"Was machst du hier, Mensch?" Er dreht sich wieder zu mir um und spricht das Wort mit derart viel Verachtung, dass mir übel wird. Mein Herz gallopiert in meiner Brust. So stark, dass ich das Gefühl habe nicht atmen zu können.
"Die Tanne wird dich nicht schützen. Trete hervor und zeige dich mir."
Ganz sicher nicht. Auf gar keinen Fall.
Ich bleibe da wo ich bin, während ich fieberhaft meine Möglichkeiten durchgehe, doch viel Zeit zum Überlegen bleibt mir nicht.
Plötzlich macht der Typ einen enormen Satz nach vorne, greift in meine Haare hinein und zieht mich mit einer Kraft hervor, die mich willenlos hinterher stolpern lässt. Tränen schießen mir in die Augen und meinem Mund entkommt ein schriller Schrei, während ich regelrecht skalpiert werde.
Die Augen des Gelben glänzen, als er mir ins Gesicht sieht. Als er sieht, dass ich Schmerzen habe, weil er sich daran ergötzt. Ich beiße die Zähne zusammen und abgesehen von Hmmms verlässt kein Ton mehr meine Lippen. Zumindest die Genugtuung gönne ich ihm nicht.
Er reißt stärker an meinem Haar, wartet auf eine Reaktion meinerseits. Meine Kopfhaut brennt wie Feuer, Tränen rinnen meine Wangen entlang und ich beiße die Zähne so fest zusammen, dass meine Kiefermuskeln schmerzen, doch ich schreie nicht.
Der Kerl, der bestimmt zwei Köpfe größer ist als ich, sieht ein wenig enttäuscht aus, doch anstatt mich loszulassen wie ich es in Gedanken erflehe, wendet er sich mit meinen Haaren in der Hand seinen Kumpanen zu. Er präsentiert mich wie eine Trophäe. Abscheu mischt sich mit Angst und Schmerz.
"Hör auf zu spielen!", ruft der Glatzkopf, während er mit dem Schwert auf die Bärin zuspringt. Sie schafft es gerade so ihm auszuweichen, sodass das Schwert nicht ihren Bauch trifft, sondern in ihre Hüfte eindringt. Ein gellendes Brüllen antwortet. Die Bärin geht zu Boden, Staub wirbelt auf, als ihr massiger Körper aufkommt und reglos liegen bleibt.
"Mich würde ja wirklich interessieren, wie du es geschafft hast, die Barriere auszuschalten", beginnt der Kerl nachdenklich, während er meinen Kopf ein Stück höher zieht. Ich beginne auf Zehenspitzen zu tänzeln und muss meine ganze Willenskraft zusammennehmen nicht doch zu schreien.
"Aber Befehl ist Befehl." Er hebt sein Schwert, doch bevor er es hinabsausen lassen kann, ramme ich ihm mein Messer in den Bauch und drehe es.
Er jault auf. Überraschung liegt in seinem Gesicht, als er zu mir hinabsieht. Sein Griff löst sich und ich falle ungehindert auf die Knie. Das Messer rutscht mir dabei aus der Hand und landet in einem Grasbüschel.
Silberne Tropfen perlen die Klinge hinab und landen im Gras.
Was zum...
Ich kann den Gedanken nicht zu Ende denken, da wird mein Körper herumgerissen. Meine Knochen beben, als ich auf dem Rücken ankomme. Der Kerl bohrt seine Knie in meinen Oberschenkel, während er meine Arme zu Boden drückt. Pure und wahrhaftige Wut sieht mir entgegen.
Eigentlich hätte ihn der Messerstich in den Bauch ausschalten oder zumindest bewegungsunfähig machen müssen. Er dürfte nicht über mir thronen und schon gar nicht die Kraft haben meine 70 Kilo am Boden zu halten. Vorallem nicht, weil diese 70 Kilo sich vehement wehren. Doch er tut es, als ob ich ihn nicht verletzt hätte.
Wie kann das sein?
"Du", spuckt er aus und drückt meine Arme zu Boden, "Wie kannst du es wagen?"
Mein Körper windet sich unter dem Druck, bäumt sich auf, während die Angst mein Herz höher schlagen lässt.
Mit geweiteten Augen blicke ich zu ihm empor.
Er lächelt und mir bleibt die Spucke weg, als ich eine Reihe kleiner spitze Zähne sehe. Sie sind nicht groß, doch sicherlich ausreichend, um mir das Fleisch von den Knochen zu reißen.
"Das war ein Fehler", schnurrt er und beugt seinen Kopf hinab. Meinem Mund entkommt Quitschen, als ich seinen heißen Atem an meinem Hals spüre.
Innerlich stelle ich mich bereits auf den Schmerz ein, doch es kommt anders.
Plötzlich fährt er herum, sein Griff um meine Arme lockert sich. Zumindest ein bisschen und das reicht aus. Das Bärenkind hat sich an sein Bein geheftet und vergräbt in seinen Knöchel seine Krallen.
Es ist ein kurzer Moment. Meine Gedanken schalten sich völlig ab, auch mein Gefühl, ich könnte vermutlich später nicht mehr sagen was genau in mir vorgegangen ist, doch in diesem Moment übernimmt etwas anderes in mir die Führung.
Den wenigen Spielraum, den der Gelbe mir gibt, nutze ich. Meine Hand krabbelt zum Messer, greift nach der Klinge und in die schleimige Flüssigkeit. Ich denke darüber nicht nach. Drehe es mit meinen Fingern Stück für Stück bis ich den Griff zu packen bekomme.
Der Typ ist noch immer damit beschäftigt das Bärenkind abzuschütteln. Er lässt soweit von mir ab, dass mein linker Arm frei ist.
Ein dummer Fehler.
"Hey", sage ich laut. Er dreht mir den Kopf zu und mit aller Kraft, die ich mit nur einem Arm aufbringen kann, ramme ich ihm das Messer ins Auge. Ein gellender Schrei ertönt, als er zurück fällt und sich windet.
Ich springe auf, sehe zum Bärenkind. "Weg hier!"
Doch da habe ich die Rechnung ohne die anderen beiden gemacht, die ich durch meinen eigenen Kampf völlig vergessen habe. Leider...
Sie stürzen auf uns zu und was immer mich dazu gebracht hat, mein Messer in einem Auge zu versenken, es ist weg. Erstarrt blicke ich den humpelnden Gestalten entgegen, sehe ihre Wut und die Mordgier in ihren Augen.
Der Glatzkopf ist schneller als der andere. Er streckt den Arm aus, ist kurz davor mich zu berühren. Ich will gerade die Arme hochreißen, da rast ein Schatten an mir vorbei. Ich spüre den kalten Luftzug und nur einen Moment später ertönt ein qualvoller Schrei.
Der Arm, mit dem der Glatzkopf mich packen wollte, liegt auf dem Boden. Blut färbt grünes Gras... silbern.
Ich starre den Arm an, nicht fähig zu begreifen, was geschehen ist. Meine Augen wandern hoch. Der Gelbe heult und hält den Stumpf, aus dem unaufhörlich sein merkwürdiges Blut spritzt. Der Knochen wurde sauber durchtrennt, als bestehe er lediglich aus Papier.
Ich wende mich ab. Erneut schmecke ich scharfen Magensaft in meiner Kehle. Ich würge einige Male, doch meinen Hals entkommt nur ein trockenes Husten.
Das Bärenkind kommt zu mir, täschelt... es täschelt mein Bein und läuft dann zu der am Boden liegenden Bärin.
Das Schreien ebbt langsam ab.
"Du", entkommt es dem Glatzkopf keuchend, während sein Kumpan zurückbleibt. Erst denke ich, er meint mich, doch er sieht mich nicht mal an. Stattdessen blickt er an mir vorbei.
Ich folge seinem Blick und mir bleibt im wahrsten Sinne des Wortes die Stimme weg. Dort steht er, der vermutlich schönste Mann, den ich jemals gesehen habe. In seinem Gesicht liegt eine derartige Kälte, dass ich sie förmlich spüren kann.
Er trägt nun einen Mantel. Lang und schwarz. In seiner rechten Hand hält er eine Art Stab. Einen, den ich noch nie gesehen habe. Er wirkt nicht so, als bestehe er aus einem mir bekannten Material. Dafür leuchtet er viel zu sehr. Weiß und hell wie der Mond am dunklen Himmelszelt.
Selbst aus der Entfernung sehe ich seine eisblauen Augen strahlen. Es sieht unnatürlich, aber irgendwie auch wunderschön aus. Der Mann schüttelt seinen Starb, sodass das silberne Blut zu Boden regnet.
"Was machst du hier, Fenris?"
Geschmeidig geht er auf Angesprochenen zu, während er seinen Stab langsam kreisen lässt.
Wäre ich dieser Fenris, der ja bereits schon seinen Arm verloren hat, würde ich eindeutig spätestens jetzt das Weite suchen. Die Drohung ist überdeutlich.
"Was glaubst du denn?", spuckt dieser ihm entgegen, weicht aber dennoch zurück.
"Ich glaube..." Der Mann wird langsamer. "Dass du zu weit gegangen bist."
Mit einem riesigen Satz ist er bei Fenris angekommen und rammt ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, den Stab in die Brust.
Ich weiß nicht wann ich angefangen habe, aber ich schreie. Vielleicht schreie ich, um das Gurgeln des Glatzkopfes zu übertönen oder um einfach meine innere Stimme zum Schweigen zu bringen.
Der Mann wirbelt herum und sieht mich drohend an. Sofort verstummt mein Schrei, von jetzt auf gleich. Er ist weg, obwohl mein Mund noch immer geöffnet ist und ich noch immer das Gefühl habe zu schreien, gelangt kein einziger Ton nach außen. Nur in meinem Kopf schreie ich weiter.
In aller Ruhe dreht sich der Schwarzhaarige wieder um. Sein Blick folgt dem Dritten im Bunde, der sich gerade aus dem Staub macht.
"Verdammt", flucht er und scheint hin und her gerissen, doch das klaghafte Wimmern des Bärenkindes bringt ihn dazu, sich der Bärin zuzuwenden.
Er will gerade auf sie zu gehen, da ertönt ein Husten und im nächsten Moment ein Schmatzen. Der Kerl mit meinem Messer im Auge, hat sich aufgesetzt und zieht es sich selbst raus.
Unmöglich!, denke ich, während ich ihn dabei beobachte.
Er schüttelt einmal den Kopf und versucht aufzustehen. Es klappt nicht. Sobald er sich auch nur ein Stück in die Höhe drückt, geben seine Arme unter ihm nach.
Ich scheine ihn verletzt zu haben. Zumindest etwas. Genugtuung erfüllt mich.
Der Schwarzhaarige betrachtet den Gelben eingehend. Er seufzt, streicht sich die Haare aus der Stirn und stolziert auf ihn zu.
"Ihr habt die Regeln gebrochen", stellt er fest und hockt sich vor ihm hin, "Ich werde dich mitnehmen, dann kannst du erklären, warum ich Fenris getötet habe, nicht?"
Es ist keine Frage. Ohne eine Antwort abzuwarten, schnipst er mit den Fingern und der Gelbe ist verschwunden.
"Jéhen", sagt der Schönling und im nächsten Moment löst sich der Stab in Luft auf.
Mit großen Augen betrachte ich ihn, während ich noch immer versuche einen Ton von mir zu geben.
Er wendet sich ab und eilt zur Bärin.
"Nila", sagt er, als er sich an ihrer Seite fallen lässt.
Vorsichtig betastet er ihren Körper. Ihre Augenlider flattern, sie versucht den Kopf zu heben.
"Pscht, schon deine Kräfte." Sanft streicht er ihr durchs Fell, was sie wohlig seufzen lässt.
Ich bleibe an Ort und Stelle stehen. Es kommt mir falsch vor mich ihm jetzt zu näheren, trotzdessen was ich alles mitgemacht und gesehen habe, das ich weder verstehe noch mir im Ansatz erklären kann.
Einer Sache bin ich mir allerdings sicher.
Ich habe wahrhaftig Arraris gesehen und sehe nun mindestens einen von ihnen immer noch vor mir.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top