44. Die Stimmen des Krieges

Der General des Nordens steht über die Tischplatte gebeugt und studiert die Karte der vier Höfe.
In seinem Gesicht liegt der Ausdruck von Konzentration, während sein Finger der Grenzlinie zum toten Tal langfährt. Seine schwarze Haarpracht hängt ihm strähnig in die Stirn. Er hat schon länger nicht mehr geschlafen, hat das Fest genutzt, um die ersten Vorbereitungen zu treffen und während alle sich vergnügt haben, hat er sich Strategien überlegt.

Nun, umgeben von den anderen Herrschern, die die Nacht tief schlafend hinter sich gebracht haben, ist er bereit, seine Überlegungen laut auszusprechen.

"Wir werden uns aufteilen", beginnt er und tippt mit dem Finger auf eine leere Fläche auf dem Pergament.  In geschwungener Schrift und schwarzer Tinte steht dort: das tote Tal.

Cenros, der seine Mönchskutte gegen einen schwarzen Umhang getauscht hat, durch den sein lichtes Haar und das faltige Gesicht zum Vorschein kommt, lehnt sich vor.
"Der direkte Weg", gibt er nachdenklich von sich und reibt mit seinem dürren Daumen das haarlose Kinn, "Man wird uns kommen sehen, aber das ist dir vermutlich bewusst, oder?"

Keanan nickt und fährt mit dem Finger durch die leere Fläche bis zu einer Ansammlung an Häusern, die umgeben von kleinen Tannen und Bäumchen auf die Karte gezeichnet wurden.

"Ich ahne, was du damit bezweckst." Hestis tritt neben Keanan und sieht die anderen beiden Herrscher an.
"Wenn der Druck des Volkes auf Jelena zu groß wird, wird sie die Bewachung der Grenze zu Jolinka verstärken."

"Darauf setze ich", stimmt der General mit ein, "Wenn wir hier", er zeigt auf einen leeren Fleck nahe der Hauptstadt des Landes, "ein Lager aufschlagen und einfach warten, wird sie vielleicht ihre Rückendeckung aufgeben."

Cenros kleine Augen beginnen zu leuchten. Ein triumphierender Zug lässt seine Mundwinkel nach oben wandern.
"Und dann greifen wir vom Osten her an und lassen den Hof des Südens brennen!"

Dorias, der bis eben geschwiegen hat, schüttelt den Kopf und tritt an den Tisch heran.
"Unser Ziel ist es nicht, die Untertanen Jelenas für ihre Vergehen zu bestrafen."
"Ach Nein?" Cenros verschränkt die Arme vor der Brust, "Jeder Herrscher geht mit seinem Hof und Gefolge unter. So war es schon immer. Du", speit er aus, "müsstest das am besten wissen oder hast du aus deinem Vater nicht gelernt?"

"Wie du siehst, stehe ich noch hier", feixt Dorias und zeigt an seiner Statur herab.
Cenros bleckt seine gelben Zahnstummel.
"Vorsicht, Dorias", mahnt er, "Vorsichtig mit wem du dich anlegst."
"Kommen wir zum Wesentlichen zurück", mischt sich Hestis gelangweilt ein und sorgt mit einem kurzen Seitenblick, dass Cenros den eben geöffneten Mund wieder schließt.

"Also Dorias", nimmt der Herrscher des Westens den Faden wieder auf, "Du willst Jelenas Volk nicht bestrafen. Wie hast du dir vorgestellt so einen Krieg zu führen?"
"Die, die sich uns ergeben und Jelena die Treue abschwören, werden verschont", gibt er ruhig von sich, was Cenros ein lautes "Pah!" ausstoßen lässt.

"Wir fragen natürlich vorher: Ergibst du dich und schwörst dem Hof des Südens die Treue ab?", äfft Cenros eine Altweiber-Stimme nach, "Das kann nicht dein Ernst sein."
"Ist es auch nicht. Wenn die Waffen nieder gelegt werden, dann droht ihnen kein Leid."
"Und dann drehst du dich um und die Waffe steckt in deinem Rücken", eifert Cenros weiter und lässt dabei Speicheltropfen auf die Karte regnen.

Auch Hestis kann nur den Kopf über den Jüngeren schütteln.
"Du wolltest diesen Krieg", erinnert er Dorias und tritt an ihn heran.
Ungewohnt sanft spricht er: "Aber sowie du ihn planst, wird unsere Seite die größeren Verluste einstecken müssen. Sei der, der du bist, Dorias und hör auf vorzugeben jemand anderes zu sein."

"Ich bin, wie ich bin", gibt Dorias gereizt von sich und dreht sich in Hestis Richtung, "Im Gegensatz zu euch habe ich nie gerne getötet."
"Und dennoch hast du es getan. Immer und immer wieder. Du kannst keinen Krieg führen, wenn du nicht bereit bist zu opfern."
"Pakt hin oder her, mein Hof zieht nicht mit, wenn das die Marschrichtung sein wird", mischt sich Cenros wetternd ein und zeigt mit dem Finger anklagend auf Dorias, "Du bist weich geworden! Vor 1000 Jahren hast du die Klagerufe genossen, hast das Winseln um Gnade genossen. Wo ist das alles hin?"

"Das starb mit meinem Vater zusammen und das ist auch gut so, Cenros." Dorias wirkt mit einem Mal wieder völlig entspannt, ja geradezu freundlich wie er Besagten so anlächelt, während dieser dadurch nur noch wütender wird.
"Das glaube ich dir nicht", ruft jener aus.
Dorias zuckt die Schultern, "Das musst du auch nicht. Zeiten ändern sich und auch das ist gut so. Würden wir wie damals leben, hätten wir Klatis nicht überlebt."

"Erinner mich nicht an diese Zeit", grummelt Cenros und faltet die Hände vor seinem Bauch.

Hestis stöhnt, "Seid ihr fertig? Können wir uns nun wieder dem werten General zu wenden, der die ganze Zeit so überaus freundlich wartet, dass euer Geplänkel vorbei ist?"
Er zeigt auf Keanan, der mit verschränkten Armen vor dem Tisch steht und in seinem Gesicht einen Ausdruck hat, der alles andere als freundlich aussieht.

"Darf ich sprechen?", fragt dieser nun in die Runde.
"Na aber natürlich", erlaubt ihm Cenros langgezogen.
Keanan blickt zu Dorias und als dieser nickt, wendet er sich der Karte wieder zu.

"Anders als Ihr es gesagt habt, werter Herr des Ostens, greifen wir nicht vom Osten her an. Das ist Dorias Herrschaftsgebiet. Jelena wird davon ausgehen, dass wir über den direkten Weg kommen, auch wenn wir eine ganze Übermacht im Westen positionieren, glaube ich nicht, dass sie diese Grenze unbewacht lassen wird."

"Wird sie nicht", stimmt Hestis zu, "Der Gedanke, dass sie ihre Rückendeckung aufgibt ist zwar ein guter, aber auch ich glaube nicht, dass sie sie komplett unbewacht lassen wird. Woher der Sinneswandel? Du willst dich reinschleichen und den Krieg von Innen heraus beginnen, richtig?"

"Ich dachte darüber nach, als Dorias sagte, er wolle keine Unschuldigen töten", gesteht Keanan und tippt auf die Karte, "Sie wird sich von beiden Seiten aus verteidigen, aber hier", sein Finger schweift übers Papier, "von hier wird sie nicht damit rechnen, dass jemand in ihr Land einfällt."

Cenros beugt sich vor und starrt auf die Fläche im Norden vom Hof des Südens.
"Das gewaltige Meer", flüstert er und richtet sich abrupt wieder auf, "Dann können nur wir von dort aus angreifen. Das Fußvolk beherrscht nicht den Flug des Windes."
"Nicht jeder von uns. Sie wird misstrauisch, wenn nicht mindestens ein Herrscher und General an der Seite der Legionen ist", widerspricht Keanan.

Cenros sieht aus, als würde er allmählich begreifen, was das zu bedeuten hat. Er blickt von Dorias zu Hestis und wieder zurück.
"Pah!", stößt er aus und zeigt auf sich selbst, "Ich soll die Ablenkung spielen, richtig? Ich werde zu einem Krieg geladen, an dem ich gar nicht teilnehmen darf?!"

"Du nimmst teil und übernimmst eine wichtige Aufgabe, die uns den Sieg sichert", erwidert Hestis diplomatisch. Er legt sogar seine Hand auf die Schulter des Klappergestell, "Deine Tat wird ewig in den Erzählungen nachhallen. Ist das nicht genau das, was du willst? Was bringt es ein paar Köpfe rollen zu lassen, wenn es nicht du bist, der den siegreichen Ausgang entscheidet?"

Cenros verschränkt die Arme und überlegt. Seine Kiefermuskeln spannen sich unter der faltigen Haut an.
"So gesehen, hast du natürlich Recht, Hestis. Eine so wichtige Aufgabe sollte jemand wie ich erfüllen."

"So ist es." Hestis lächelt sanft, "Du bist genau der Richtige dafür und jeder wird es wissen. Generationen werden davon erzählen."
Cenros Augen beginnen zu leuchten.
Das ist genau das, wonach er schon immer gestrebt hat.

Anerkennung.

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