39. Amahrantis

Nachdem Hestis und die Blütlerin in irgendeinem der unzähligen Schlafzimmer angekommen sind, setzt er sich auf die weinrote Tagesdecke des Himmelbetts und beobachtet, wie die Blütlerin einen Blick hinauswirft ehe sie die Tür schließt.

"Wie heißt du eigentlich?", fragt er. Überrascht sieht sie ihn an.
"Maylina, mein Herr", antwortet sie.
Er lächelt, "Ein schöner Name."
Ihre zarten Wangen erröten und sie lächelt hinter vorgehaltener Hand ehe in ihre Augen wieder ein lodernder Zug tritt, mit dem sie sich nun auf die Knie sinken lässt und erneut quälend langsam auf ihn zu krabbelt.

Die Reaktion, die sein Kompliment ausgelöst hat, passt nicht zu dem, was sie nun wieder zeigt. Hestis fragt sich unwillkürlich, was diese junge Blütlerin dazu bewegt sich derart zu präsentieren. Wer hat sie gelehrt, dass sie nur so die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich zieht? Solche Frauen gibt es zur Genüge, doch diese kurze Reaktion von Scham, die hat ihn bewegt.

"Mein Herr", haucht sie, als sich neben ihm in die Höhe drückt und mit ihrem Gesicht seinem Oberschenkel näher kommt, "Ich werde Euch nun die Hose ausziehen."

Allein, dass sie das sagt, beweist ihm, dass alles Folgende eine einstudierte Abfolge an Schritten ist und er will kein Teil dieser sein.
Stattdessen greift er nach ihrer Hand und legt sie in seine. Überraschung lässt ihre Augen groß werden und ihren Mund sich öffnen.

"Was...", bringt sie heraus, doch da hat er sie schon unterbrochen, in dem er sie in eine Umarmung zieht.
"Was? Was tut Ihr da?"
Sie lässt sich in seinen Armen hängen wie ein totes Tier.
Er drückt sie noch näher an sich und legt sein Kinn auf ihre Schulter. Das ist der Moment, in dem sie beginnt, sich vehement zu wehren.

"Du willst mit mir Sex, aber eine billige Umarmung hältst du nicht aus?", fragt er, während sein Kopf auf und ab hüpft.
"Ich entscheide gerne, wen ich wann umarme", kommt als Antwort, doch das lässt Hestis nicht gelten.
"Es stört dich also, dass wir nicht nach deinen Regeln spielen? Ich gehöre nicht zu den Blütlern, mit denen du sonst so verkehrst."
"Nein, natürlich nicht", antwortet sie atemlos, während sie gegen seine Schultern drückt.

"Du wolltest mir meine kühnste Träume erfüllen. Aber die Art, wie ich unser Zusammensein beginne, lässt du nicht zu? Warum?"
Misstrauen schleicht sich in seine Stimme.
Maylina stellt ihren Befreiungsversuch ein und legt unvermittelt ihre Arme um ihn.

"Seht mir ins Gesicht. Ich würde Euch gerne betrachten", haucht sie.
Ohne ihrer Bitte folge zu leisten, harrt er aus. Ihre Muskeln spannen sich an, während ihr stiller Atem sich in ein Keuchen verwandelt.
"Das ist so anders mit Euch", bringt sie atemlos hervor, "Besser als mit allen anderen zuvor."
Ihr Herzschlag ist so stark, dass er das Pochen spüren kann.
Sein Misstrauen steigt.

"Wollen wir uns hinlegen?", flüstert sie und will ihn nach hinten drücken, doch er bleibt regungslos sitzen. Er spürt zwar wie sie ihren Busen an seine Brust drückt, doch das kümmert ihn wenig.

"Warum hast du es so eilig? Um was geht es hier wirklich?"
Der Druck nimmt abrupt ab. Maylina heißer Atem streichelt nun die empfindliche Haut seines Schlüsselbeins.
"Ich will nur, dass Ihr es bequem habt", murmelt sie.
"Ist es dir gerade zu unbequem?", fragt er und lässt seinen Blick über ihre Schulter hinab wandern. Helle, rosige Haut sieht ihm entgegen, unterbrochen von diesem billigem rosanen Modegeschmack. Das Stück Stoff, das ihre Vorderseite kaum zu verstecken vermag, wird auf dem Rücken von dünnen und breiten Lederbändern zusammengehalten.

Seine Augen erkunden jeden Millimeter ihrer Kontur und bleiben am unteren Teil der Wirbelsäule hängen.
Dort befindet sich ein besonders breiter Streifen, an dem der Stoff ihres Rockes sich aufbauscht. Doch das zieht seinen Blick nicht an. Es ist das rötliche Schimmern, das darunter hervorlugt.

Langsam dämmert ihm, warum Maylina seine Umarmung nicht zulassen wollte. Dass sie einen Dolch aus Amahrantis bei sich führt, hätte er allerdings nicht gedacht.

Amahrantis ist das einzige Material, das einen Blütler töten kann. Ein roter Stein, der die Eigenschaft besitzt, dass er formbar ist. Das letzte Mal, dass er ihm  begegnet ist, ist im Krieg gegen Mistis gewesen. Er weiß noch, wie euphorisch er in die Schlacht zog. Ein Kinderspiel, sagte er noch zu Dorias, doch dann fielen ihre Legionen: Blütler um Blütler.
Alles nur, wegen ihrer neuen Schwerter und Pfeilspitzen.

Der Stein stammt von einem Berg, der sich mitten aus dem Ozean zwischen Mistis und Klatis erhebt und von unzähligen Stürmen umgeben ist, so als wollte Mutter Natur das Erreichen besonders schwer und den Abbau so gut wie unmöglich machen. Wie Matius an das Wissen darum gelangt ist, ist bis heute ein Rätsel, wobei Hestis diesbezüglich eine Vermutung hegt, die er nie laut ausgesprochen hat. Doch in den tiefen seiner geheimsten Gedanken, ist er sich sicher, dass sie ihre Finger im Spiel gehabt hat sowie sie auch der Grund war, warum die Blütler Klatis verlassen mussten.
Sie und ihr kleiner Schoßhund, der Blütler, den Hestis einst einen Freund nannte.

Die Erinnerung festigt den Griff seiner Umarmung, scheinbar schmerzhaft fest, denn aus Maylinas Kehle ertönt ein Ächzen.
Tadelnd schnalzt er mit der Zunge und steht auf.
Ihr zierlicher Körper zuckt, als sie auf Zehenspitzen stehend versucht Halt zu erlangen.

"Das ist aber nicht sehr freundlich", imitiert er ihre Worte aus dem Festsaal und fügt mit einer kindlichen Stimme hinzu: "Was hatten wir denn damit vor?"
"Es ist nicht das, wonach es aussieht", bringt sie schleppend heraus.
"Weißt du eigentlich das dieser Satz immer dann kommt, wenn es genau das ist, wonach es aussieht?", fragt er spitz und verstärkt den Druck auf ihren Oberkörper. Sie stöhnt und während ihre Hände fahrig über seine Brust und sie ihren Kopf in Nacken legt. Flehentlich sieht sie zu ihm hinauf.
An ihrem Mundwinkel hängt ein Speichelfaden.
"Bitte", haucht sie und wenn er es sich nicht einbildet, werden ihre gelben Augen feucht, "Ich habe so nicht entschieden."

"Und wer dann?", knurrt er und das Spielerische ist aus seiner Stimme verschwunden.
Er spannt seine Arme weiter an, übt noch mehr Druck auf den zarten Oberkörper aus.
Ein dumpfes Knacken ertönt, als die erste Rippe bricht. Maylina verzieht voller Schmerz das Gesicht und öffnet den Mund, doch heraus kommt nur ein Atemzug.
"Wer dann? Sag es mir und ich lasse dich los."

Sie leckt sich über die trocknen Lippen, während eine Träne sich den Weg aus ihrem Augenwinkel bahnt und auf ihrer Schläfe ein kleines Rinnsal hinterlässt.
"Der Herr-scher d-es...", flüstert sie und Hestis neigt den Kopf, sodass sie ihm ins Ohr haucht.

"Nor-dens."

~•~

Mit einem Ruck werde ich hochgezogen und in das Zimmer hineingeworfen. Erneut pralle ich auf und erneut wird meiner Lunge sämtliche Luft geraubt. Ohne mich auch nur ein Stück zu bewegen, harre ich aus und versuche das Gefühle zu verarbeiten, die mich bis eben noch fest im Griff hatten. Angst und diese Faszination ringen in mir miteinander.

"Bei meiner kleinen Erkundung habe ich nicht damit gerechnet auf so etwas zu treffen." Eine Schuhspitze stupst mir in die Seite.
"Nun steh schon auf und befriedige meine Neugier. Ich kann es kaum erwarten zu erfahren, was ein Menschlein am Hof des Nordens macht."
Er geht neben mir in die Hocke und beugt sich herab.
"Sag, bist du hier die neue Freizeitbeschäftigung?"

"Das werdet - Ihr - noch früh genug erfahren", bringe ich schleppend hervor und bleibe auf dem Bauch liegen, während ich versuche einen klaren Gedanken zu fassen.
Dieser Versuch wird jäh unterbrochen, als Hestis meine Oberarme packt und anhebt. Ein stechender Schmerz jagt wie ein Blitz durch meine Schulterblätter. Ich quietsche laut auf. Nur eine Millisekunde hänge ich in der Luft und dann wirbelt er mich herum.
Donnernd prallt mein Rücken aufs Parkett. Tränen schießen mir in die Augen, während der Aufprall in meinen Knochen nachhallt.

"Es ist höflich seinem Gegenüber in die Augen zu sehen, findest du nicht?"
Hestis hat sich erhoben und blickt mit einem süffisanten Grinsen auf mich herab. Ich erwidere seinen Blick mit großen Augen und fühle mich plötzlich wie ein Reh, das einem Jäger entgegenblickt. Das Letzte, was es tut, bevor der ohrenbetäubende Knall ertönt.

Auch wenn ich dieses Treffen unzählige Male in meinem Kopf durchgespielt habe, so spüre ich bei seinem Anblick eine Unsicherheit, die mich stumm werden lässt. Alle Gedanken, die ich mal hatte, sind weg. Ich kann ihn einfach nur ansehen.

Dass ich dem Herrscher des Westens so begegne, hätte ich nicht gedacht. Eigentlich wollte ich das Zettelchen unter seiner Tür hindurch schieben. So hätte ich noch ein kleines Zeitfenster gehabt, um mich emotional auf diese Begegnung vorzubereiten. Diese Zeit fällt nun weg. Ihm leibhaftig gegenüber zu stehen oder eher zu liegen, lässt meinen Körper sich wie Pudding anfühlen.
Laut den Schlangenblütlern ist er ein gefährlicher Mann, der seine Untertanen für kleinste Vergehen bestraft.

Optisch sieht er hingegen eher wie ein Landstreicher aus, wären da nicht seine grünen Haare und die pechschwarzen Augen. Als Herrscher hätte ich ihn nicht erkannt. Im Vergleich zu Dorias trägt er unscheinbare Stoffe.
Ein dunkles Leinenshirt und eine braune Hose, nichts außergewöhnliches. Darüber einen knielangen schwarzen Mantel, dem an ein oder anderer Stelle ein Knopf fehlt.

"Was siehst du, wenn du mich betrachtest?", fragt er bedeutungsschwanger und breitet die Arme aus, als wolle er sich mit präsentieren.
"Ihr seid Herrscher des Westens", bringe ich es fertig zu sagen, was ihn eine Verbeugung andeuten lässt, "Zu Euch wollte ich."

"Wirklich? Was will denn ein Mensch von mir?" Unverhohlenes Interesse liegt in seiner Stimme.
Ungelenk drücke ich mich in die Höhe, schwanke kurz ehe ich mein Gleichgewicht finde.

"Ich wollte", beginne ich zittrig und breche direkt ab. Er zieht eine Augenbraue hoch und verschränkt wartend die Arme vor der Brust.
Ich versuche es erneut, versuche, dass meine Stimme klar und gestärkt meine Lippen verlässt, doch bereits ein weiteres Wort, lässt mich Seufzen.

"Nur raus mit der Sprache", lockt er lieblich und geht in Lauerstellung. Mit langen Schritten beginnt er mich zu umkreisen und seinem Gesicht ist anzusehen, es macht ihm einen riesigen Spaß.
"Ich habe schon länger kein Mensch mehr gesehen", schnurrt er.
"Ich - ich wollte - ich wollte Euch", stottere ich vor mich hin, während meine Augen seine Bewegungen verfolgen und ein Schauder meinen Rücken hinunterläuft.

Ruhe bewahren, nicht das Ziel aus den Augen verlieren, rede ich mit selbst gut zu, dennoch fühlt sich mein Mund staubtrocken an. Auch Schlucken verändert dies nicht.

"Ihr seid so leicht aus der Fassung zu bringen", stellt er amüsiert fest und gibt die Lauerstellung auf, "Nun gut, Mädchen, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Sag was du zu sagen hast."

Ich suche nach passenden Worten. Worte, mit denen ich die Gesprächsführung gewinne, doch in meinem Kopf herrscht nach wie vor eine gespenstische Leere.

"Ich sagte, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit", ertönt seine Stimme schneidend.
Ich atme tief ein. "Ich wollte Euch einen Handel unterbreiten."
"Was könntest du haben, was ich will?", fragt er daraufhin und setzt sich im nächsten Moment in den blauen Sessel, der in der Ecke neben einem langen Bücherregal steht. Langsam schlägt er die Beine übereinander und lehnt sich zurück.

Ich sehe ihn direkt an und antworte mir überraschend klarer Stimme: "Mich."
"Pah!", stößt er aus und lacht daraufhin schallend.
Ich komme mir blöd vor. Natürlich fehlt ihm der Kontext zu meinen Worten, doch mit so einer Reaktion habe ich nicht gerechnet.
Selbst wenn ich es erklären wollte, so lacht er derart laut, dass jedes Wort in der Lachsalve untergehen würde. So warte ich und spüre wie die Anspannung in mir wächst. Auch ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Meine Hände ballen sich zu Fäusten, so stark, dass meine Nägel sich in die Handflächen bohren.

Sein Gelächter nimmt ab und als es verstummt, ist die Stille unangenehm drückend. Hestis wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel, während in seinem Gesicht noch immer Erheiterung steht.
"In Anbetracht dessen, dass du am Hof des Nordens bist, gibt es bestimmt etwas, was du mir anbieten könntest. Dich nehme ich sehr ungern. Meiner Erfahrung nach halten Menschen kaum etwas aus." Anzüglich zwinkert er mir zu und will aufstehen.

Ohne zu überlegen, was ich sage, sprudeln die Worte einfach so aus mir heraus.
"Ihr seid der Grund, warum Wenterra heute noch von Menschen bevölkert wird. Nein, das ist nicht ganz richtig", korrigiere ich mich und füge wagemutig hinzu: "Euer Bund ist es."

Hestis verharrt mitten in der Bewegung und sieht mich direkt an. In sein Gesicht tritt plötzlich eine Kälte, die nicht zu der Erheiterung von eben passt.
Er knurrt und macht einen plötzlichen Satz, kommt vor mir zum Stehen und greift in den Kragen meines Flanellhemdes.
Der Zug zieht mich auf die Zehenspitzen. Mein Mund öffnet sich, doch ihm entkommt kein einziger Ton, nicht mal ein Atemzug.
Mit großen Augen betrachte ich die Bestie, die ich entfesselt habe.
Schweiß bildet sich auf meiner Stirn.

"Wer hat dir davon erzählt?", knurrt er und zieht mich noch näher zu ihm, sodass sich unsere Nasenspitzen kurz davor sind zu berühren.
"Einer vom Hof des Nordens", antworte ich flach. Kinu's Namen lasse ich bewusst weg.
"Wer weiß davon?"
Hestis Gesicht verzieht sich zu einer furchteinflößenden Fratze. Seine Augen treten hervor und beim Reden zieht er die Mundwinkel soweit hoch, dass all seine Zähne sichtbar werden - das macht ihn nur noch unheimlicher.
"Ich weiß - es - nicht", stammle ich und versuche den Griff seiner Hände zu lockern.

Mein Herz schlägt so schnell in meiner Brust, dass es mir den Atem raubt.
"Ich bin hier, um die Seiten auszugleichen", spreche ich zittrig.
"Seiten ausgleichen?", wiederholt er und kommt meinem Gesicht noch näher.
"Ja-ha", quietsche ich und kneife die Augen zu.

Der Griff verschwindet von meinem Kragen, doch anstatt wieder Bekanntschaft mit dem Boden zu machen, lande ich lediglich auf meinen Füßen. Seine Hand an meinem Arm gibt mir Halt.

Langsam öffne ich die Augen. Hestis blickt mit nachdenklicher Miene auf mich herab.
"Na dann fang an", fordert er und lässt mich los.

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