36. Dasha und Sasha

Das Fest ist in vollem Gange. Die drei Höfe haben sich in dem Festsaal eingefunden. Stühle und Tische wurden so platziert, dass in der Mitte eine Tanzfläche entstanden ist, auf der unzählige Blütler zu der Melodie von Harfen und Geigen umherwirbeln.

Einige von ihnen tragen schlichte Kleider, andere hingegen pompöse. Eine der Damen, die während ihres Tanzes immer wieder den Partner wechselt und so sicherlich schon einmal den ganzen Saal durchschritten hat, trägt ein bodenlanges blaues Kleid. Der Ausschnitt ihres Dekolletés ist so tief, dass er bis zum Bauchnabel reicht. Ausgeschmückt wird dieser Blick noch durch zig Steinchen, die bei einem bestimmten Lichteinfall zu schimmern und leuchten beginnen.

An der linken Wand steht eine lange Tafel, auf der sich Speis und Trank geradezu auftürmt. Von Wildpasteten mit Dörrobst über Eintöpfe und Braten bis hin zu Torten ist alles dabei.
Ein dünner Blütler mit Oberlippenbart steht bestimmt schon zum fünften Mal dort und häuft auf seinem Teller einen neuen Berg an.

Hestis seufzt genervt. Er sitzt mit Desos an einem der Tische, betrachtet das ausgelassene Treiben und fragt sich, was er hier eigentlich macht.
Ein Seitenblick nach links verrät ihm, dass der Herrschers des Ostens immer noch ein aufreizend gekleidetes Blütler-Mädchen beobachtet, das ganz offensichtlich bewusst in der Nähe seines Sitzplatz tanzt und dabei ihm immer wieder ihren Rücken zu dreht, sodass er den uneingeschränkten Blick auf ihr schwingendes Hinterteil genießen kann.
Dorias sitzt mit neutralen Blick daneben und nippt geradezu abwesend an seinem Weinglas.

Hestis stellt die Ellenbogen auf den Tisch und sieht Desos an, der das Treiben mit einem zufriedenen Gesicht beobachtet.
"Die gefallen solche Festlichkeiten", stellt Hestis fest, wobei es vom Tonfall auch eine Frage hätte sein können.
Desos wendet den Blick von den Tanzenden ab. Seine faltigen Mundwinkel ziehen sich in die Höhe.
"Ich finde die Einigkeit der Herrscher schön", antwortet er ehrlich, "Wir hätten solche Feste viel häufiger abhalten sollen."

"Nur leider sind wir uns nicht einig", antwortet Hestis bitter und zeigt an Desos vorbei zu Cenros, "Sieh ihn dir an. Er würde jede noch so kleine Möglichkeit nutzen, um einem von uns ein Messer in den Rücken zu stoßen." Hestis Finger wandert weiter.
"Und Dorias - Dorias versucht jemand zu sein, der er nicht ist. Hinter all diesen moralischen Werten, mit denen er sich rühmt, versteckt sich immer noch die egoistische Bestie, die Spaß am Morden und Foltern hat."

Desos sieht ihn bedächtig an. "Ihr seid da nicht anders, Herr."
Hestis wendet seinen Blick von den anderen Herrschern ab und sieht Desos direkt ins Gesicht.
"Ich weiß", antwortet er ruhig, "Aber ich verstecke es nicht."

Er lässt den Finger sinken und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Die Arme verschränkt er vor der Brust.
Ungeduld lässt sein rechtes Bein vibrieren.
"Diese Feste waren noch nie meine Welt. Es wird gefeiert, obwohl es keinen Grund dafür gibt. Wir ziehen in den Krieg. Es sollten Besprechungen stattfinden und nicht in irgendwelchen Tüllkleidern durch die Gegend gehüpft werden", brummt er missmutig.

Desos betrachtet seinen Herrscher eingehend.
"Sieh dir dein Gefolge an", fordert er sanft und zeigt auf die Blütler vom Hof des Westens.
"Sie haben Spaß, sind unbeschwert. Genau so etwas brauchen sie, bevor sie in einen Krieg ziehen. Vorallem, wenn dessen Ausgang ungewiss ist."
"Der Ausgang ist nicht ungewiss. Drei Höfe gegen einen ist sicher nicht ungewiss", unterbricht Hestis verständnislos.
"Und dennoch", führt Desos weiter aus, "Weiß keiner von ihnen, ob sie aus dem Krieg zurückkommen."

"Na zumindest hat Dorias nicht Dasha und Sasha eingeladen", wechselt Hestis das Thema. Desos nickt langsam, "Obwohl es mich wundert. Ist er doch der Einzige, der sie als Herrscher akzeptiert."
Hestis lacht bitter: "Dorias akzeptiert sie nur solange, wie es ihm etwas nützt. Hätte er sie eingeladen, würde Cenros ihm direkt die Unterstützung verwehren."
"Der Pakt ist bindend", erwidert sein Berater ernst.
"Der Pakt besteht aber auch nur zwischen uns Vieren", antwortet Hestis schulterzuckend genau in dem Moment, als die Tür mit einem Knall aufgestoßen wird.

Die Töne der Harfen verstummen augenblicklich, während die Geigen noch letzte schiefe Töne von sich geben. Einer der Spieler zuckt derart doll zusammen, dass ihm sein Geigenbogen aus der Hand fällt und klappernd auf dem Boden ankommt.
Mit großen Augen sieht er zu der Tür, die neben ihm an die Wand gekracht ist.
Auch die Tanzenden halten in ihren Bewegungen inne, so als seien sie erstarrt. Es dauert einen Moment bis sie sich voneinander lösen und zum Eingang blicken. Auf einigen Gesichtern steht Überraschung, auf anderen ein ungezügeltes Interesse und wieder auf anderen offen gezeigter Hohn. Sie alle wissen, wer die Neuankömmlinge sind.

"Wenn man vom Teufel spricht", murmelt Hestis gehässig, während sein Blick zu Dorias schweift. Dessen Gesichtsausdruck verrutscht kurz. Wenn es Hestis sich nicht einbildet, kann er den kurzen Moment von erbarmungsloser Wut in den Augen des Herrschers aufblitzen sehen. Das Weinglas in Dorias Händen beginnt zu zittern und im nächsten Moment regnen zig Diamanten mit goldenen Sprenkeln auf die weiße Tischdecke.

"Was hat das zu bedeuten?!" Cenros ist aufgesprungen und zeigt auf das rothaarige Geschwisterpaar.
Das Mädchen der Beiden tritt vor. Sie sieht wie ein Kind aus, gerade mal im Alter von vielleicht 12 Jahren, doch der Schein täuscht. Auch sie kämpfte in dem  Krieg vor 1000 Jahren mit.

Aus blauen Augen stiert sie Dorias an. Ärger liegt in ihren weichen, von Sommersprossen gesprenkelten, Zügen.
"Wir hörten", spricht die mädchenhafte Stimme kalt, "Dass der Pakt geltend gemacht wurde."
"Ihr seid kein Teil des Paktes!" Cenros Stimme überschlägt sich.
"Dorias hat ihn geltend gemacht und er akzeptiert uns als Herrscher. Es ist nur rechtens, wenn wir an seiner Seite kämpfen", sagt der Junge in einer überraschend sanften Tonlage, die sicherlich die Gemüter beruhigen soll, doch bei Cenros passiert genau das Gegenteil.

Die schwarze Kutte springt von ihrem Stuhl auf und krallt sich mit ihren dünnen Finger an der Tischkante fest, sodass sich Furchen im Holz bilden.
"Was erlaubst du dir?!", hallt es empört durch den Festsaal.

Hestis kichert amüsiert. Sein Blick klebt an Dorias, der sich mittlerweile erhoben hat. Goldenes Blut fließt seine Hand hinab, tropft zu Boden. Einige Scherben stecken noch in seiner Haut.
An Desos gerichtet flüstert Hestis: "Nun erntet er, was er sät."
Desos bringt dieser Hohn nur zum Seufzen. Ihm tut Dorias leid. Stehend zwischen den Stühlen, immer in dem Versuch es jedem recht zu machen.

Dorias ist derweil um den Tisch herum gegangen, während Cenros ihm nachgeifert: "Wenn du das zulässt, dann ist der Pakt nichtig. Ich werde mich nicht mit diesen Silberblütlern auf eine Stufe von dir stellen lassen!"
Das Mädchen macht einen großen Satz nach vorne. "Ich bin dir ebenbürtig, Cenros", faucht sie und fügt drohend hinzu: "Ich kann es dir beweisen."
"Du kleine Göre, du willst mir drohen?! Ich ziehe dir bei lebendigem Leib die Haut ab, brate sie über dem Feuer und dann lasse ich dich sie essen!"

Hestis hält sich die Hand vor dem Mund und lacht in sie leise hinein. Dass dieses Fest derartige Züge annimmt, freut ihn. Zumindest ist es nun unterhaltsamer, als freudestrahlenden Blütlern beim Tanzen zu zusehen.

"Schwester", bittet der Junge und legt ihr eine Hand auf die Schulter, "Wir sind hier um miteinander zu kämpfen, nicht gegeneinander."
Ihre steife Haltung entspannt sich, als sie nach seiner Hand greift und sie einmal drückt.
"Du hast Recht", flüstert sie und blickt auf. "Mein Herrscher", begrüßt sie Dorias, als er an sie herantritt und neigt den Kopf.
Ihr Bruder tut es ihr gleich.

"Verzeih unser Reinplatzen, aber Dasha war nicht mehr zu bremsen", entschuldigt sich der Junge.
Dorias ignoriert ihr unterwürfiges Verhalten.
"Ich frage mich, was daran nicht eindeutig ist, dass ich euch nicht auf dieses Fest geladen habe?" Kalt und schneidend entkommt ihm seine Stimme.

Überrascht blicken beide auf und sehen ein Gesicht, das förmlich erstarrt zu sein scheint.
"Ihr haltet euch für wichtig. Ihr denkt, ihr wärt Herrscher, dabei lebt ihr in meinem Land und ich", seine Stimme wird eisig, "habe euer Treiben geduldet. Ich habe die Inseln an euch übergeben."

"Aber, aber...", stammelt das Mädchen und greift in den Saum ihres roten Oberteils, "Wir sind hier, um Euch zu unterstützen. Wir..."
Dorias unterbricht sie, "Hätte ich eure Unterstützung gewollt, hätte ich sie eingefordert."

Dasha stolpert zurück, als hätte er sie geschlagen, während in ihrem Bruder ein Feuer erwacht, das droht alles zu verbrennen.
Dorias betrachtet den Jüngling amüsiert.
"Willst du mich wirklich an meinem Hof, vor all meinen Untertanen und den Herrschern angreifen? Überleg es dir gut und denk an die Konsequenzen, Sasha. Euer unbeschwertes Leben wie ihr es momentan auf den Inseln genießt, ist somit hinfällig."

Sasha's Augen glühen regelrecht rot. Flammen tanzen bereits an seinen Fingern. Er müsste nur die Hand ausstrecken. Er müsste nur Dorias berühren und dann...
Doch die Hand seiner Schwester hindert ihn. "Lass gut sein", haucht sie resigniert und lässt die Schultern hängen.

"Das ist einer der Gründe, warum ich euch nicht gebrauchen kann", erläutert Dorias unaufgefordert, "Eure Liebe zueinander macht euch impulsiv."

Sasha sieht ihn frustriert an. "War das ein Test?" Vorwürfe liegen in seiner Stimme.
Dorias schüttelt den Kopf, "Ich habe meine Worte ernst gemeint. Und nun geht, bevor ich auf die Idee komme euch in den Kerker werfen zu lassen."

"Wir wollten helfen", flüstert Dasha und traut sich kaum Dorias in die Augen zu sehen.
"Ihr helft, wenn ihr geht. Jetzt." Sanft ist des Herrschers Stimme wieder. Völlig anders als zuvor.

Sasha seufzt und wendet sich ab.
"Komm Schwester", fordert er Dasha über die Schulter auf, "Wir sind hier unerwünscht."
"Und wie ihr das seid!", tönt es aus irgendeiner Ecke. Verhaltenes Gelächter erklingt.
Wie geprügelte Hunde verlassen die Beiden den Festsaal, als das Lachen anschwillt.

Dorias sieht ihnen nach, solange bis die Tür ins Schloss gefallen ist. Dann dreht er sich um, breitet die Arme aus, zeigt sein schönstes Lächeln und ruft in einem feierlichen Tonfall: "Das Fest kann weitergehen. Esst und trinkt! Wie haben eine Menge vor uns!"

Hestis dreht sich zu Desos.
"Ich sag's ja: nur solange sie ihm nützlich sind."

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