17. Kälte und Wärme

Jelena nimmt seine Präsenz wahr, bevor sie ihn leibhaftig sieht. Eiskristalle breiten sich über die Wänden aus. Ihre prunkvollen Blumenarrangements erstarren. Eine Gänsehaut stellt ihre Armhärrchen auf.

Finis, einer ihrer treuesten Soldaten tritt hervor. Seine goldene Rüstung schimmert im Sonnenlicht. Er verneigt sich vor ihr, ehe er das sagt, was sie sieht, ja sogar spürt.
Den eisigen Hauch des Nordens.

"Lasst ihn herein."
Drei Worte, die kaum ausgesprochen, schon das Tor sich öffnen lassen. Schritte erklingen und es sind viele. Im Gleichtakt ertönen sie, sowie sie es immer tun, wenn Dorias mit seinem Gefolge marschiert.

Ein wenig wundert sich Jelena. Sie hat so schnell mit ihm nicht gerechnet. War sich zwar sicher, dass er käme, aber nicht in der Kürze der Zeit und er hat auch noch die ganze Bagage mitgebracht.
Der General des Nordens läuft an seiner rechten und schenkt jedem ihrer Soldaten einen grimmigen Blick.
So als wisse er ganz genau, dass dieser Besuch mit einem Zerwürfnis enden könnte.
Eine Möglichkeit, die sich Jelena immer offen lässt, wenn einer der anderen Herrscher sich dazu entscheidet sie aufzusuchen.

Auf der linken Seite läuft Mikonos, der Attentäter des Nordens. Sein Gesicht verbirgt er unter einer silbernen Maske. Noch nie hat jemand es gesehen. Die, die es tun, können davon nicht berichten. Er soll sie abnehmen, bevor er ein Leben nimmt. Ein Sage, von der Jelena weiß, dass die Mütter an ihrem Hofe sie ihren Kindern erzählen, wenn sie Unfug anstellen.

Ohne Zweifel, er ist ein gefährlicher Mann. Soweit sie gehört hat, verlässt er nur für Attentate den Norden. Dass Dorias ihn mitbringt, zeigt wie ernst ihm sein Anliegen sein muss.

Interessant...

Hinter den Dreien trampeln Soldaten in ihren silbernen Rüstungen hinterher und hinterlassen auf dem Marmor ein blechernden Ton.
Doch wie sehr Jelena sich auch bemüht, die Winterbärin kann sie in der Menge nicht ausmachen.

Warum nicht? Sie begleitet Dorias doch immer?

Dieser kommt nun vor ihr zum Stehen, neigt kurz den Kopf und blickt dann mit neutralen Blick ihr entgegen.
Sie setzt ihr schönstes Lächeln auf.
"Dorias, alter Freund, was kann ich für dich und dein Heer tun?"

Sein Gesicht bleibt völlig unbeeindruckt.
"Ich bin hier, um dir einen Handel vorzuschlagen."
"Einen Handel? Soso... Hast du dich dazu entschieden mit mir wieder eine Allianz zu bilden?"

Einst waren sie Verbündete. Vor 1000 Jahren haben sie im Krieg gemeinsam gekämpft und sie haben einander geliebt. Auf dem Schlachtfeld haben sie im Blut ihrer Opfer ganze Nächte verbracht und ihre Körper aneinander gerieben.
Doch irgendwann wandte er sich von ihr ab, einfach so, ohne ein Wort.

"Keineswegs", antwortet er ihr, "Ich bin hier um dir ein anderes Angebot zu unterbreiten."
"Oh wirklich? Was könntest du mir denn sonst noch geben wollen? Deinen Kopf?"
Der General des Nordens spannt sich merklich an, lässt seinen Blick immer wieder über die Soldaten schweifen, als würde er warten, dass einer von ihnen ihre Worte zum Anlass nehmend einen Angriff startet.

"Ich will das Menschenmädchen." Er sagt es so neutral, als ob es das normalste der Welt wäre, wenn ein Herrscher einen Menschen einfordert. Doch das ist es nicht und Dorias weiß das genauso gut wie sie. Es ist eine bodenlose Impertinenz, ihr Land und ihren Boden aufgrund eines Menschen zu betreten.

Wut entflammt in ihren Adern.
Die Eiskristalle, die ihre Wände schmücken, beginnen zu verdampfen, rinnen gen Boden. Die Luft im Thronsaal erwärmt sich merklich.

"Hör auf", fordert Dorias knurrend, als der Eis beginnt von seinen Schultern herabzutropfen. Der Herrscher des Nordens, des Eis und Schnees, wandelt sich immer mehr in den Herrscher der Meere. Er zerfließt förmlich je mehr Jelena ihre Wut entfesselt.
"Wie kannst du es wagen?", zischt sie und erhebt sich.

Mit wallenden Schritten geht sie auf ihn zu.
Direkt vor ihm bleibt sie stehen und blickt auf seine gedrungene Figur hinab.
"Wie kannst du es wagen, herzukommen wegen eines Menschen?"

Ihre Wut schickt Wärme im Rhythmus eines Herzschlages aus ihrem Körper. Die Männer des Nordens leiden. Sie beugen sich ihr und ihrer Macht.

"Zwing mich nicht, dich an deinem Hof anzugreifen", droht Dorias. Eine lächerliche Drohung aus dem Mund jemanden, dessen Gesicht gerade zerfließt und zu Boden tropft.
"Du weißt, dass damit ein Krieg begonnen werden kann", gibt Jelena schulterzuckend zurück.

Sie hat hier Vorrecht. Sie kann tun und lassen, was sie will. Sie dürfte sein gesamtes Heer auslöschen, ohne dass Dorias dagegen etwas unternehmen könnte.

"Der Krieg ist auf meiner Seite", keucht Dorias, "Dein Späher betrat mein Land."
Jelena braucht einen Moment ehe sie seine Worte realisieren kann.
Sie tritt einen Schritt von ihm weg, genug , dass er es schafft sich aufzurichten.
"Mein Handel besteht darin, keinen Krieg zu beginnen, wenn du mir das Mädchen gibst."

Jelena tritt einen weiteren Schritt zurück. Ihre Wut ist verraucht, zumindest die auf Dorias. Die ausgesandten Wellen der Wärme versiegen, woraufhin sich die Luft abkühlt.
Es braucht einige Momente bis der Hof des Nordens sich erholt hat, doch schon ein paar Wimpernschläge später, steht Dorias in seiner alten Größe vor ihr.
Das Wasser zu seinen Füßen ist gefroren.

"Deswegen kamst du mit deinem ganzen Heer. Du wusstest bereits um deinen Sieg."
Jelena Muskeln entspannen sich. Damit hat sie nicht gerechnet. Der Pakt, den sie einst geschlossen haben, um die Grenzen der anderen Länder zu schützen, beendet nun ihr Spiel mit Dorias. Er hat die Macht der anderen Reiche auf seiner Seite, sollte er einen Krieg gegen sie beginnen und das nur, weil ihr Späher den kürzeren Weg zum Fliehen gewählt hat.

Wut pulsiert wie Feuer durch ihre Venen. Jedes Mitglied des Hofes hat die einfache Aufgabe, den Hof zu schützen, doch er wählte sein eigenes Leben. Das wird sie ihn noch spüren lassen. Wenn jemand die Grenzen eines anderen Landes überschreitet, dann nur auf ihren Befehl.

"Ab und an Jelena", Dorias geht ein paar Schritte auf sie zu, "Gewinnen auch andere. Das ist nicht dein alleiniges Recht."

Sie setzt sich wieder auf ihren Thron, sieht dabei fast gelangweilt aus.
"Wie schön es wäre, wenn es anders wäre."
Sie sieht ihn wissend an.
"Würde ich dich fragen, was du mit dem Menschen willst, würdest du mir nicht antworten."
Dorias bleibt stumm, was sie einen langen theatralischen Seufzer ausstoßen lässt, "Nun gut, bringt das Mädchen oder dass was von ihr übrig blieb." Sie lächelt Dorias an, "Ich weiß nicht, was Mehena in der ganzen Zeit mit ihr anstellen konnte."

Ein gehässiges Lachen erfüllt den Thronsaal.
"Ach und holt Wein und entzündet ein Feuer!"
Jelenas Wut kennt keine Grenzen, doch dieses Mal richtet sie sich gegen eine der ihren. Ihren besten Späher und gleichzeitig auch der, der dafür sorgte, dass Dorias dieses Spiel gewonnen hat.
Sie wird seine Schreie genießen und jedem an ihrem Hof zeigen, was mit denen passiert, die dafür sorgen, dass sie verliert, vorallem gegen ihn.

Dorias wird kein weiteres Spiel gegen sie gewinnen.
Irgendwann wird er einen Fehler machen und dann ist sie da, um ihn daran zu erinnern, dass man sich besser nicht mit ihr anlegt oder sie gar herausfordert. Sie wird es genießen ihm dies beizubringen und sie ist sich sicher, sein Untergang und der seines ganzen Hofes beginnt mit einem Menschen.

~•~

Zur gleichen Zeit in einem Gewölbe unterhalb des Hof des Südens

Ich laufe und laufe. Das Gewölbe scheint kein Ende nehmen zu wollen.
Meine Beine fühlen sich mittlerweile an, als habe man Blei an sie gebunden; schwer, taub und zu keiner Kraftanstrengung mehr in der Lage, dennoch sporne ich mich an weiter zu laufen, schneller zu laufen.

Das Donnern hinter mir wird lauter. Etwas treibt mich vor sich her. Wissend, dass meine Kraftreserven bald aufgebraucht sind.

Vielleicht wartet es nur darauf, dass ich zusammenbreche oder empfindet es Spaß an der Jagd?

Ich werfe einen schnellen Blick über die Schulter. Mehena, wie Philipp das Wesen genannt hat, ist nicht zu sehen.

Wie kann das sein? Es müsste genau hinter mir sein oder ist das ein Zug, um meine Sinne zu verwirren?

Doch weiter darüber nachdenken, kann ich nicht. Die Schwere meiner Beine und mein pumpendes Herz legen sämtliche Gedangengänge nach und nach lahm.

Ich renne. Renne an Statuen und Gemälden vorbei. Sie alle beobachten mich und amüsieren sich vermutlich königlich, dass ich überhaupt versuche wegzulaufen, doch mein Überlebensinstinkt verbietet...

Erschrocken schreie ich, als ich den Boden unter den Füßen verliere und mit dem Gesicht voran falle.
Mein Rücken brennt lichterloh, der Schmerz ist wie Feuer.
Es dauert nur eine Sekunde, da komme ich auf. Der Aufprall raubt mir sämtliche Atemluft und lässt meine Knochen erzittern.

Das Donnern verstummt abrupt. Stille legt sich über mich, die bereits im nächsten Moment von einem tiefen Knurren durchbrochen wird. Hinter mir, vermutlich nur einen Schritt von meinen Füßen entfernt. Ich spüre seine Anwesenheit mit jeder Pore meines Körpers. Ein Schaudern bringt mich zum Zittern. Nur mit Mühe unterdrücke den Impuls mich aufzurichten. Stumm und starr bleibe ich auf dem Bauch liegen.
Mein Herz bollert in meiner Brust, als würde ich noch immer laufen.

Es knallt, als genau neben meinem Gesicht eine Hand auf den Boden gedrückt wird. Meine Augen weiten sich. Auch wenn die Lichtverhältnisse nicht gut sind, so kann ich dennoch das feine Haar ausmachen, das sich über die riesige Hand zieht. Die Finger sind gespreizt und da wo normalerweise Nägel sind, befinden sich lange Krallen. Es knallt neben meinem Hinterkopf und ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass da nun auch eine haarige Hand ist.

Es beugt sich über mich.

Der Gedanke, der wie ein Pfeil durch meinen Kopf schießt, lässt mich in bodenlose Panik fallen. Mein Atem entkommt pfeifend meinen Lippen. Das Adrenalin spült wie eine Flutwelle durch meine Adern und bringt meine Glieder zum Zittern. Ein heißer Atem streift meinen Nacken und da ist es ganz um mich geschehen. Ein Wimmern entkommt mir. Ich beiße die Zähne zusammen, so fest, dass meine Kiefermuskeln protestieren.

Ich warte und das Ding über mir scheinbar auch, denn es atmet mich lediglich an. Der Geruch des Todes umgibt mich, brennt sich in meine Nase und lässt die Augen tränen.
Doch das ist nicht das Schlimmste. Das Wissen, dass jede Sekunde, die verstreicht, die letzte gewesen sein könnte, bringt mich fast um den Verstand.
Es kribbelt in meinem Unterleib, kribbelt in meinem ganzen Körper. Der Drang zu fliehen wird übermächtig, kaum noch zu kontrollieren.
Die Vernunft wird von der Panik in den Hintergrund gerückt.

Ich höre nur noch ein Wort in meinem Kopf. Leben! Leben! Leben!

Und so tue ich etwas, das ich vermutlich bei klaren Verstand nie getan hätte.
Ich recke den Kopf, nur ein Stück, öffne den Mund und beiße, so fest ich kann, dem Ding in den Arm.
Ein Brüllen ertönt und der Arm vor meinem Gesicht ist weg, doch schon im nächsten Moment greift die harrige Pranke in meinen Hinterkopf hinein.

Meine Kopfhaut beginnt zu brennen, als würde sie in Flammen stehen. Meinem Mund entkommt ein schriller Ton, als mein Kopf an den Haaren in die Höhe gezogen wird. Ich winde mich, versuche mit meiner freien Hand nach der des Ungetüms zu greifen, doch jeder Befreiungsversuch mündet im Nichts.
Tränen laufen ungehindert meine Wangen hinab. Ich schmecke ihr Salz, während ich Klagelaute von mir gebe, die vom Kellergewölbe widerhallen.

Und dann, als ich das Gefühl es endgültig nicht mehr aushalten zu können, drückt die Hand meinen Kopf mit einem Ruck hinab. Ein dumpfer Ton ertönt, als meine Stirn auf dem Boden aufkommt. Schmerz überkommt mich wie eine eine Welle in der tosenden See, ich keuche laut auf.

Ein Blitz formt sich in dem Chaos meiner Gedanken, erhellt es, macht es sichtbarer und dann erlischt das Licht abrupt und mit ihm jedes Bild und jedes Gefühl.
Meine innere Stimme verstummt.


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