13. Der Hof des Südens

Lange Tafeln, schneeweißer Marmor, goldene Bäume, die ihre blätterlosen Arme gen Marmordecke strecken und Wesen in allen Formen und Farben.

Mein Körper wird geschliffen. Den Griff um meinen linken Arm wird immer fester je mehr ich mein Bewusstsein zurück erlange und aus der tiefen Schwärze auftauche.

Es herrscht Totenstille. Nur Blicke werden mir ganz offen geschenkt. Einige von ihnen sind neugierig, andere missbilligend und einige so grausam aussehend, dass ich weiß, dass ich den Besitzern der Augen nicht alleine im Dunkeln begegnen will. Einige der Wesen erinnern mich an die Monster unterm Bett oder im Schrank, vor denen ich mich als Kind so stark ängstigte, dass immer eine Kerze über Nacht brennen musste.

Sie sind stark beharrt, groß und bullig, sehen aus wie eine Mischung aus Stier und Löwe, nur eben, dass sie auf zwei Beinen stehen und nicht auf vier. Andere Wesen sehen fast wie Menschen aus. Nur eine Eigenschaft widerlegt diesen Eindruck. Ein Merkmal, das nicht zu einem Menschen passt.
Einer, an dem ich gerade vorbei geschliffen werde und der sich extra von seinem Platz erhoben hat, um mich besser sehen zu können, wird von einem Regenbogen-Licht umgeben.
Es bewegt sich bei jeder seiner Bewegungen, bleibt nahe an seinen Körper und umhüllt ihn.

Ich bin an ihm vorbei. Sehe nicht mal mehr das bunte Licht. Mein Blick schweift zur Decke. Ich sehe sie nicht. Sie scheint zu hoch.

Mein Kopf fühlt sich an, als sei er mit Watte gefüllt. Meine innere Stimme scheint zu schlafen, die Gedanken verstummt. Mir ist klar, dass ich verwirrt sein müsste, vielleicht sogar Angst haben müsste, doch ich fühle weder das eine noch das andere. Und auch wenn mir auffällt wie merkwürdig diese Tatsache ist, so kann ich mich nicht wirklich über sie wundern.

Es ist fast so, als sei ich zwar bei Bewusstsein, doch es nimmt nur wahr, verarbeitet nicht, zieht keine Schlüsse daraus, lässt nicht sämtliche Alarmglocken im Kopf ertönen. In mir ist es ruhig,ich fühle mich sogar entspannt, selbst Schmerz empfinde ich nicht, obwohl ich mir sicher bin, dass mein Arm schmerzen müsste. Ich spüre den dumpfen Druck des Griffes und solange wie ich bereits geschliffen werde, müsste nicht nur er sondern mein gesamter Körper schmerzen.

Ich falle zu Boden, mit dem Hinterkopf voraus. Der Marmor ist kalt und hart. Den Aufprall habe ich gespürt. Es pocht, Kopfschmerzen melden sich und als ich mich verwirrt aufsetze, sehe ich einen roten Fleck auf dem Schneeweiß. Blut.
Mein Blut.

Mein Blick schweift umher. Die Wesen sind näher getreten, bilden einen Halbkreis um mich. Aber ihr Blick ist nicht auf mich gerichtet, sondern auf etwas in meinem Rücken.
Langsam drehe ich mich. Die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe, sieht mir lächelnd entgegen. Sie wirkt so wie ich mir die heilige Mutter immer vorgestellt habe. Golden fließen ihre Haare ihre Schultern hinab und ihr Gesicht ist reine Sanftmut.

Ich rappel mich auf. Mein Stand ist wackelig, doch irgendwie habe ich das Gefühl, ich sollte vor jemanden wie ihr nicht wie ein Bettler auf dem Boden sitzen.
Anerkennend nickt sie mir zu und lächelt. Mir wird sofort warm ums Herz.

"Wie ist dein Name?" Ihre Stimme gleicht einem Glockenspiel.
"A-A-Al-va", stottere ich und wringe die Hände hinter meinem Rücken.

"Es freut mich, dich hier zu begrüßen, Alva. Verzeih, die Art und Weise wie du hier her gelangt bist. Einige meiner Untertanen wissen nicht, wie sie eine Lady behandeln müssen."
Ich sehe an mir herunter. Meine Haare hängen strähnig meine Schultern hinab, das Flanellhemd ist dreckig, die Hose am rechten Knie gerissen. Ich bin vieles, doch sicherlich keine Lady. Scham erfüllt mich und ich schaffe es kaum den Blick zu heben. Ein Dreckspatz wie ich sollte sich nicht in so prunkvollen Räumlichkeiten aufhalten.
Doch wo bin ich eigentlich?

Ich habe den Königshof von Wenterra ein, zwei Mal gesehen, wenn ich Vater begleitet habe. Dieser hier sieht völlig anders aus. Mit meinem ganzen Mut, hebe ich den Blick, ignoriere das Unwohlsein und sehe in ein offenes Gesicht. Die Schönheit vor mir scheint meine Scham nicht bemerkt zu haben. Sie sieht mich wartend an.

"Wer seid Ihr?" Zaghaft schwebt meine Stimme durch den Saal.
Warm antwortet ihre Stimme: "Meine Name ist Jelena und du hast dich bestimmt gefragt, wo du hier bist?"
Ich nicke.
Sie lächelt und breitet die Arme aus.
"Das hier ist mein Hof. Der Hof des Südens."

Hof des Südens? Davon habe ich noch nie gehört. Vorallem nicht von einer Königin, die diesen Namen trägt. Es gibt in Wenterra nur einen Königshof und die Namen der Königinnen beginnen alle mit einem E.
Die erste war Elena, damals als König Matius für Wenterra den Frieden brachte.
Nach ihr kam eine Frau, die den Namen Elisa trug und mit dem Sohn von Matius verheiratet wurde, und so ging es immer weiter. Die Frauen nahmen mit Eintritt in die königliche Ehe einen Namen mit E an. Es gab noch nie eine mit einem J. Zumindest nicht in Wenterra...

Ich reiße die Augen auf.
Das bedeutet...
Ich kann den Gedanken nicht zu Ende führen, da ertönt ein Kichern.
Die Schönheit vor mir versucht es mit ihrer Hand zu verbergen, doch hören kann ich es gut.

"Du bist nicht in Wenterra", stellt sie glucksend fest, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

Es zu denken ist eine Sache, es zu hören eine ganz andere. Ich stolpere zurück und blicke mich mit aufgerissenen Augen um. Mein Herzschlag verdoppelt sich augenblicklich, vorallem als ich die in Gesichtet der Anwesenden sehe. Purer Hohn blickt mir entgegen.

"Willkommen", sagt sie festlich und in ihre glockenhelle Stimme hat sich ein Unterton geschlichen, den ich nicht eindeutig definieren kann. Doch so langsam fangen die Alarmglocken an zu schrillen und als das passiert, passiert noch etwas anderes.

Ein gleißend heller Blitz fährt durch meinen Kopf. Eine Erinnerung schiebt sich vor mein inneres Auge und plötzlich verspüre ich bodenloses Grauen.
"Ah, sie kommen zurück, die Erinnerungen", höre ich die Frau süffisant sagen. Ich hingegen sehe mich suchend um. Panik ergreift von mir Besitz.

"Ida ist ein guter Gesellschaft und hat gerade den Spaß ihres Lebens, glaub mir", sagt sie, als könnte sie wirklich meine Gedanken lesen. Ich glaube ihr kein Wort. Die Alarmglocken werden nun zu einem ganzen Orchester.

"Wo ist sie?" Ich wirble herum, sehe die Schönheit direkt an. Meine Stimme ist klar und deutlich. Kein Stottern, keine Watte mehr im Kopf. Ich nutze wieder all meine Sinne, leider auch mein Schmerzempfinden. Meine Schulter fühlt sich an, als sei sie ausgekugelt. Der Arm hängt einfach nur herab,als sei kein Leben in ihm.

Jelena steht auf und plötzlich nehmen meine Augen etwas wahr, von dem ich mich frage, wie ich es die ganze Zeit nicht sehen konnte?
Der Thron, ihr Thron, ein Zeugnis des Todes. Aus unzähligen Knochen gebaut, weiße, silberne und sogar ein goldener sind in ihm.

Ich stolpere zurück und ahne langsam wem ich gegenüber stehe.
Einer Königin, doch nicht irgendeiner, sondern der, der Arraris.

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